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Die an dieser Stelle wiedergegebenen feedbacks zum Projekt Partei Marx haben im Augenblick nur archivalischen Wert, da die eingangs geäußerte Faszination an demselben, bis auf die nachstehend dokumentierten Ausnahmen, fast auf Null gesunken ist.

Daher verweisen wir auf die REFLEXIONEN, KRITIK und DEBATTE, worin wir uns mit unseren Kritikern und Autoren kritisch auseinandersetzen, die zu der Thematik, mit der wir uns zu beschäftigen haben, in, wie wir meinen, besonderer Weise hervorgetreten sind.

Zu Dokumentationszwecken wurden einige Briefe aus der Zeit vor 2001 aufgenommen.

In der letzten Zeit (seit dem Frühjahr 2007) haben die REAKTIONEN den einseitigen Charakter einer Art ‚Flaschenpost’ angenommen, die, so ist zu hoffen, wieder einem regeren Meinungsaustausch Platz machen wird.

[Korrekturen sinnentstellender Fehler sowie Kürzungen werden in eckige Klammern gesetzt und folgen der klassischen Deutschen Rechtschreibung.]

Dieser Text ist auch als PDF-Datei verfügbar

 


An Django (10.01.2002):

An der Art Deiner Einwände ist mir aufgefallen, daß Du sehr abstrakt argumentierst oder, wie es mal früher hieß, ‚formalistisch‘ (ein Ausdruck, den ich nicht gerne benutze, weil derjenige, der ihn als Waffe gegen seine Feinde verwendet hatte, selbst der größte Formalist war – Du weißt, wen ich meine: unsern guten Jossip…). All diese Kosten-Nutzen-Kalküle zeichnen sich doch dadurch aus, daß sie mit dem Menschen und der menschlichen Gesellschaft sehr oberflächlich umgehen oder besser: beides dichotomisch zu einander in Beziehung setzen.

Bei meiner Beschäftigung mit K[arl]. M[arx].s Kapital ist mir an mir selbst aufgefallen, daß ich bestimmte Überlegungen einfach deshalb zunächst nicht verstanden hatte, weil ich von dem Marxschen Argumentationsstil abweichend die Sache mit Hilfe eines erlernten Schematismus zu verstehen hoffte. (Wir sind ja damit aufgewachsen, mit gegebenen Begriffen und Schemata zu argumentieren, deren Ursprünge und Voraussetzungen nicht hinterfragt wurden oder werden sollten) Was diesen Argumentationsstil auszeichnet ist, daß K.M. seine Darstellung Schritt für Schritt so entwickelt als bewege er sich durch ein Minenfeld, also nicht stur geradeaus auf sein ins Auge gefaßtes Ziel zugehend, sondern immer wieder zurückblickend und die ganze Sache noch einmal bedenkend nach allen Seiten Ausschau haltend. Dadurch dient auch jeder Rückgriff auf schon Gesagtes als Ausgangspunkt des nächsten Argumentationsschrittes. Der Formalist, der ohne Zögern nach Mitteln und Wegen sucht, die Sache ökonomisch, also zeit- und kraftsparend hinter sich zu bringen, marschiert ohne nach links, rechts oder hinten zu schauen, auf sein Ziel zu.

Der Kommunismus, um auf den Kern Deines Einwandes zu kommen, als „Problemlösungskonzept“ wäre in der Tat ein ziemlich abstraktes Ding nach einem dualistischen Schema: hier haben wir also das Problem und da, schaut her, das „Problemlösungskonzept“, und zwar das von K.M., der den Anspruch hatte, „die neue Welt aus der Analyse der alten zu entwickeln“. (Hat er wirklich positivistisch die „alte Welt“ zuerst „analysiert“, um sie dann zu verändern oder impliziert die – dialektische – Methode seiner Kritik und die damit verbundene politischen Absicht seines theoretischen Hauptwerks nicht bereits die Möglichkeit der Veränderung der Welt? Vielleicht erinnerst Du Dich aus ganz alter Zeit an die „Hauptseite Theorie“: im Widerspruch zwischen Theorie und Praxis stellt die Theorie (oder je nach Fraktion die Praxis) die „Hauptseite“ dar… Das war ein totes Rennen, weil beide Fraktionen in der Frage des „Parteiaufbaus“ nach einem formalistischen Schema vorgehen wollten, egal ob zuerst die Theorie oder die Praxis angesetzt werden sollte) Hier stellt sich nun die Gretchenfrage nach dem „Realität“sgehalt dieser Analyse und dem „Realität“shaltigkeit der Welt, mit der der Theoretiker konfrontiert ist. […] (Die Philosophie nach Nietzsche und Wittgenstein würde derartige Realitäts-Ansprüche schlichtweg leugnen).

Der Kommunismus ist, seinen theoretischen Realitäts-Anspruch vorausgesetzt, keine Wunschprojektion, keine Erlösungsphantasie („Paradies auf Erden!?“), sondern zu begreifen als eine unbedingt notwendige Konsequenz, die aus den Widersprüchen, den antagonistisch werdenden Konflikten, die die bürgerliche Gesellschaft in sich selber entwickelt und aus sich selbst hervorbringt, zwangsläufig folgt. Diese Widersprüche, die innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft so wenig aufzuheben sind, wie die Gravitationskraft auf der Erde, hat K.M. „analysiert“ – nicht „die Welt“ – und dabei zu fast hundert Prozent offengelassen, welche Schlußfolgerungen jeweils ‚die Betroffenen‘ daraus zu ziehen haben. In diesem Sinne ist „für Marx die Geschichte offen“ und, so würde ich fortfahren, auf welchem Weg die Menschen zum Kommunismus gelangen werden. Alles andere wäre Utopismus, sozialistisches ‚Opium für das Volk‘; und davon hat es verständlicherweise heute einen Kater, weil in den letzten Jahrzehnten allzu penetrant mit den sozialistischen Weihrauchfässern herumgewedelt worden ist.

Das meine vorläufige Antwort auf Deine Frage, ob es sich bei dem, „was wir ‚Marxisten‘ denken … um Hoffen, Träumerei … Religion, wenn auch hier säkularisiert…“ handelt. Religion wurde daraus entweder durch diejenigen, die aus K.M. einen Utopisten machen wollten oder die den Realitätsgehalt seiner Analyse nur sehr schematisch nachvollzogen und, auf unmittelbar umsetzbare Effekte zielend, den ‚Marxismus‘ als Dogma gepredigt haben. Wissenschaft unterscheidet sich bekanntlich von Religion dadurch, daß ihre Ergebnisse vielfältig interpretierbar und fortzuentwickeln sind; nur, daß es sich bei dieser Wissenschaft von der Gesellschaft (oder wie gesagt, von den immanent unüberwindlichen Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft, es sei denn durch eine soziale Revolution) um eine besondere Wissenschaft handelt, die sich in einem Punkt von allen anderen Wissenschaften dadurch unterscheidet, daß der Experimentator selbst Teil des „Experiments“ ist und daß sich dieses nicht wiederholen läßt, weil die Menschen ihre eigene Geschichte… aber nicht aus freien Stücken (machen), d.h. Geschichte sich nicht wiederholt.

Worin ich demnach nicht mit Deinen Schlußfolgerungen (die Punkte 1 und 2) übereinstimmen würde, wäre, daß Du die „Analyse der Realität“ und die „Befragung … von Marx“ getrennt von einander durchführen willst, während meiner Ansicht nach die „Befragung“ von Marx und „die Analyse der Realität“, wenn der wissenschaftliche Charakter und der Realitätsgehalt seiner „Analysen“ nicht in Frage steht, ein und dasselbe Ding sind. Die marxsche Befragung der Realität ist die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft „ohne Flausen“. Und alle Individuen, die über den Guerillakampf gegen ihre Lohnsklaverei hinausgehend, sich fragen, wohin diese Auseinandersetzung eigentlich führen soll, werden früher oder später auf diese Wissenschaft zurückgreifen müssen wie der künftige Physiker auf die Newtonschen Gesetze, weil darin sein Konflikt als Wesenselement des Kapitalismus in seiner Gesetzmäßigkeit analysiert ist und damit die Möglichkeit, ihn im Sinne der „Emanzipation des Individuums“ aufzuheben. Wie er dagegen die gewonnene Erkenntnis in die gesellschaftliche Praxis umsetzen wird, ist eine ‚Parteifrage‘, d.h. wie es ihm gelingt, das Wesen von der Erscheinung, die echten von den falschen Kommunisten zu unterscheiden und zugleich eine Klassenfrage. Denn jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf und die Organisation der Proletarier zur Klasse eine zur politischen Partei… (MEW 4, 471).

Daß Du, wie auch ich, ein „Nicht-Proletarier“ bist, will, zumindest in unseren Breiten, nur noch wenig besagen, oder wer ist hier noch einer? Wenn der Kapitalismus für den Weltmarkt produziert und sich über den Weltmarkt reproduziert, dann läßt sich dessen Bestimmung auch nur über den Weltmarkt herstellen (MEW 6, 539). Gemessen an der Ausbeutung der chinesischen Zwangsarbeiter und mexikanischen Fließbandarbeiterinnen in den Freien Produktionszonen, sind hier fast alle produktiven Arbeiter an der „Veredelung“ vorproduzierter Halbwaren beteiligt. Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts beruht also nach wie vor auf „frühkapitalistischen“ Zuständen – nur, daß sich diese von England aus woanders hin verzogen haben… (Was auf der andern Seite natürlich nicht heißt, daß hier überhaupt kein Mehrwert mehr produziert wird).

[…] Es grüßt herzlich

Ernst-Ulrich


An Partei Marx (31.07.2002):

Ich habe soeben über die Sozialistische Studienvereinigung Deine Website erfahren! Sieht gut aus! Der Zeilenabstand müßte ein bißchen größer sein, denn so ist der Text sehr ermüdend zu lesen. Ich wünsche Dir für den morgigen Tag eine interessante Diskussion.

Ebenso etwas weniger Voreingenommenheit gegenüber dem globalisierten Kapitalismus und seinen von ihm selbst erzeugten Kritikern – es sind übrigens keine Globalisierungsgegner, sondern –kritiker.

Sie sind auch – ich übertreibe – das Einzige, was wir haben und vielleicht seine zukünftigen Totengräber. Mit diesen sollte man pfleglich umgehen und d.h. kritisch, aber nicht verachtend. Das können wir uns nicht leisten und ist auch von der Sache her falsch, denn es ist höchst albern, davon auszugehen, daß die Menschen bereits als Kommunisten geboren werden. Wenn das „linke Krisenmanagement“ die kapitalistische Krise so managt, daß es am Ende vielen Menschen besser geht als heute, dann war es Schweißes der edlen Verräter wert. Und der Kapitalismus hätte wieder einmal seinen Fundamentalkritikern und Katastrophenpropheten den Spiegel ihres Dogmatismus vorgehalten.

Hast Du einmal über die einfache Wahrheit nachgedacht, daß ein System nur verwerflich und aufgrund seiner Widersprüche verwerfbar ist, wenn es den Menschen ein Leben in Menschenwürde verwehrt – dies aber eine ganz konkrete Frage ist! Philosophen neigen von Berufs wegen dazu, von den konkreten Lebensumständen der Menschen zu abstrahieren und sich an ausgedachten Idealen, Überzeugungen und Prinzipien zu berauschen. Für den Slumbewohner in Rio de Janeiro aber ist es schon ein Fortschritt, wenn er fließend Wasser bekommt. Er wird die revisionistische Hilfsorganisation loben und preisen dafür. Demgegenüber wird er von den literarischen Handreichungen der partei Marx nicht satt: Er wäre verhungert, bevor er überhaupt zum Buch greifen könnte. An Revolution gar nicht zu denken.

Vor diesem Hintergrund ist eine Verächtlichmachung des „Überredens zur vernünftigen Regulierung des Elends auf dieser Welt“ eine politische Dummheit und blanker Zynismus zudem; abgesehen davon, daß es sich hierbei um ganz handfeste Kämpfe und mitnichten um Überredungsillusionen handelt, wie jeder sehen kann, der sehen will. Es ist aber auch in der Sache schlicht falsch. Denn das Elend wird ja nicht reguliert, sondern, wenn – so lehrt die historische Erfahrung – der Druck groß genug ist, reduziert.

Und möglicherweise schafft sich der Kapitalismus damit wieder – indem z.B. die konsumtive Nachfrage entgegen der eigentlichen Kapitallogik der Überproduktion (aufgrund des im kurzsichtigen einzelkapitalistischen Profitstrebens liegenden Widerspruchs zwischen Interesse an erweitertem Absatz einerseits und Interesse an Lohndrückerei, also Schwächung der Nachfrage andererseits) gestärkt würde – eine erweiterte Reproduktionsbasis, wie es bereits die englische Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert mit ihrem Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen – im Resultat die Fabrikgesetzgebung – in ihrer völligen Theorieferne und Geschichtsblindheit und ohne irgend einen Philosophen zu fragen, getan hat.

Auf Grund solcher Äußerungen ist es für mich ganz offensichtlich, daß es Dir gar nicht um die konkreten Menschen in ihren elenden Verhältnissen geht, sondern um diese „Spukgesellschaft“, die für den philosophierenden kritischen Kritiker an und für sich des Teufels ist. Jedwede Reform erscheint in diesem Licht zwangsläufig als der hinterhältige Versuch des Systems, sich durch Scheinzugeständnisse zu retten. Interessant und entlarvend dabei ist, daß das tatsächliche Zugeständnis, das konkreten Menschen das Leben etwas erleichtert, nur als Täuschung wahrgenommen werden kann – eben weil der Maßstab nur die Totalität des in der abstrakten Analyse alles für sich, selbst die Menschlichkeit für seine Zwecke letztlich instrumentalisierenden verhaßten Systems ist, nicht das Individuum!

Im Grunde handelt es sich dabei um die negative Anbetung des Systems als dem Subjekt der Geschichte.

Machen die Menschen nicht mehr ihre Geschichte selber?

Wenn sich unter dem Druck einer mächtigen weltweiten Reformbewegung die Dinge zum Besseren wenden lassen, sollten wir das ablehnen? Mit welchem Recht? Welche Gesetzmäßigkeit ist es, die uns dazu ermächtigt? Die, daß der Kommunismus mit Notwendigkeit kommen wird? Also wir in Kenntnis des objektiven Geschichtsverlaufs das arme Arschloch belehren und sagen müssen, daß es gefälligst noch ein paar Jährchen die Zähne zusammenbeißen muß, bevor er nach dem völligen Zusammenbruch der alten (also um den Preis unendlichen Leidens) und dem Aufstieg der Neuen Gesellschaft wie der Phoenix aus deren Trümmern schließlich in das kommunistische Paradies eintreten darf. Welche Beweise gibt es denn für einen solchen Geschichtsdeterminismus?

Historische Tatsache ist, daß der Kapitalismus z.B. der BRD sozialstaatlich reguliert ist, d.h. das Kapital ist nicht völlig frei, seiner ihm inhärenten Logik entsprechend zu agieren. Dies ist u.a. ein Ergebnis reformistischer Kämpfe. Seine Reformfähigkeit ist damit prinzipiell bewiesen. Nicht aber, wie weit er für Reformen in einem emanzipatorischen Sinne ist.

Wenn es im reinen Kapitalismus nur um die Kapitalverwertung geht – also dieser jede Menschlichkeit zum Opfer fällt bzw. untergeordnet ist, dann haben wir es realiter mit einer schmutzigen Version zu tun, in der in einem gewissen Maße Ressourcen via Staat und den Klassenkompromiß zwischen Kapital und Arbeit (Sozialpartnerschaft, Tarifautonomie) zum Zwecke eines gewissen Wohlstands und einer gewissen sozialen Sicherheit, also der Stabilität des Systems, aber eben auch zum Nutzen vieler Menschen umgelenkt werden. Von den politischen Freiheitsrechten will ich hier nicht reden.

Im Grunde ist die Sache ganz einfach. Wenn die von Dir wegen ihres fehlenden Einblicks in den wahren Geschichtsverlauf verachteten Reformisten Erfolg haben über diese historische Tatsache hinaus (Ich sehe einmal davon ab, daß die Linke sich ja derzeit in der Defensive befindet), dann hat sich der Kapitalismus als weiterhin reformfähig erwiesen – und das solange und soweit, solange und soweit er sich reformieren läßt. Vielleicht schlägt er ja auch erst auf diesem Weg ab einem gewissen Punkt in eine neue Qualität um? Dann wäre er erst ab einem gewissen Punkt antagonistisch, d.h. innerhalb seiner Grenze ein ganz schönes Stück reformierbar, darüber hinaus aber nicht.

Wie dem auch sei: Wir werden es erst wissen, wenn wir es probieren.

Letztlich entschieden wird die Frage von der politisch-gesellschaftlichen Praxis.

„…man sieht, wie die Lösung der theoretischen Gegensätze selbst nur auf eine praktische Art, nur durch die praktische Energie des Menschen möglich ist und ihre Lösung daher keineswegs nur eine Aufgabe der Erkenntnis, sondern eine wirkliche Lebensaufgabe ist, welche die Philosophie nicht lösen konnte, eben weil sie dieselbe als nur theoretische Aufgabe faßte.“ (Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, EB Erster Teil, Seite 542).

Und ebenso albern ist es – und völlig unmarxistisch – zu glauben, daß man durch das Studium des Kommunistischen Manifestes allein zum marxistischen Kommunisten wird. Das kann man bekanntlich aus den unterschiedlichsten Interessen und Motiven lesen! Der kommunistische Erfolg auf der Grundlage des Kommunistischen Manifestes – was immer man darunter versteht – tritt aber erst dann ein, wenn sich die Ausgebeuteten und Unterdrückten darin wieder finden, es als Orientierung zu begreifen, danach handeln und diese Orientierung auch noch eine richtige, d.h. realistische ist, d.h. Marx, Engels und ihre Gefolgsleute sich nicht irren in ihrer Analyse. Denn die Elenden auf dieser Welt sind schon oft falschen Propheten auf den Leim gegangen, weil sie in ihrer Verzweiflung für heroische Illusionen anfällig sind.

Übrigens: Wie sieht der Kommunismus eigentlich aus? Das müßtest Du beschreiben können, wenn Du doch davon sprichst, daß er eine unbedingt notwendige Konsequenz ist.

Sei weiterhin herzlich gegrüßt

Django


An Django (03.09.2002):

Leider mußtest Du Dich mit meiner Antwort auf Deine ausführliche Kritik an dem Projekt Partei Marx etwas gedulden. Da Du in Deinem Brief dieses grundsätzlich infrage stellst, war ich meinerseits herausgefordert, eine entsprechende Antwort zu finden, was einige Zeit in Anspruch genommen hat. Daher fange ich auch gleich mit den prinzipiellen Überlegungen an:

Die in Deiner Kritik vertretene Position erinnert stark an den in den 80er Jahren in ganz Westeuropa aufgekommenen Euro-Kommunismus. Die Euro-Kommunisten standen links von der S[ozialistischen] I[nternationale] und verstanden sich als Sozialisten bei gleichzeitiger Kritik an den pro-sowjetischen Beton-Kommunisten. Daß der Euro-Kommunismus in der damaligen Bundesrepublik nicht heimisch werden konnte, hatte unter anderen darin seinen Grund, daß an der Schnittstelle des Kalten Krieges der westdeutsche Kommunismus nur unter der direkten militärischen und geheimdienstlichen Direktive der Sowjetunion agieren sollte. Die in Reaktion darauf in den 70-er Jahren wie Pilze aus dem Boden schießenden ML-Parteien stellten dagegen keine wirkliche Alternative dar, schon weil deren Führungspositionen in den meisten Fällen ebenfalls von ehemaligen Beton-Kommunisten besetzt worden waren (einen neolithischen Rest aus dieser Zeit findest Du heute noch in der MLPD vor).

Der moderne Euro-Kommunismus, den Du in Deiner Kritik an der Partei Marx vertrittst, hat sich nach 1989 aus der Umklammerung der Beton-Kommunisten befreit, allerdings unter Duldung der unter diesem Banner in dieser Strömung überwinternden beton-kommunistischen ‚Einzelpersönlichkeiten‘ und Fraktiönchen, deren Bedeutung mit den Jahren, so rechnet man, naturbedingt abnehmen wird.

Als modernen Euro-Kommunismus würde ich Deine Position aber vor allem deshalb bezeichnen, weil sie mit der modernen Strömung der europäischen radikalen Linken korrespondiert, die zu charakterisieren auf Anhieb nicht so einfach ist. Daraus resultieren meine Schwierigkeiten bei meiner Antwort auf Deine Kritik.

Die europäische radikale Linke setzt sich zusammen aus einerseits den modernen Euro-Kommunisten, die eine Reformpolitik links von den Sozialdemokraten gegen die Auswirkungen des „neoliberalen“ Kapitalismus betreiben, d.h. diesem seine asozialen Allüren austreiben, dessen gewaltiges Modernitätspotential aber (woran es dem Beton-Kommunismus sowjetischer Provenienz immer grundlegend gemangelt hatte) im Interesse der werktätigen Bevölkerung, der künstlerischen und technischen Intelligenz „sozialistisch“ umfunktionieren wollen. Dieser moderne Reformismus, wovon der Tenor Deiner Kritik an dem Projekt Partei Marx bestimmt ist, wird von den übriggebliebenen Vertretern eines scheinbar kompromißlosen Beton-Kommunismus (DKP und Konsorten) verbal in Abrede gestellt, aber als Mittel zum Stimmen- und Dummenfang durchaus in Anspruch genommen. Insofern hattest Du mit Deiner gelegentlich geäußerten Einschätzung recht, daß die politischen Wirkungsmöglichkeiten dieser Fraktion des Kommunismus (zunächst) begrenzt sind. Nun scheinen sich bei ihnen die orthodoxe beton-kommunistische Fraktion mit einer anderen, die sich an den europäischen radikalen Linken orientiert und damit eine moderne Variante des Beton-Kommunismus darstellt, im Clinch zu liegen („Programmdebatte“).

Die Denkweise dieses modernen Beton-Kommunismus basiert (im Gegensatz zu derjenigen der orthodoxen Kommunisten, die als traditionelle Breshnewisten formal am XX. PT der KPdSU als Trennlinie festhalten) unmittelbar auf Stalins institutioneller Konterrevolution von 1934 (die Kinder von Stalin und Milosevic) und könnte (vielleicht gerade deshalb), wenn es ihm gelingt, sich (mit den wachsenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise) zu konsolidieren, zunehmenden Einfluß auf die europäische radikale Linke einschließlich der modernen Euro-Kommunisten nehmen, wodurch dieses historische „Erbe“ entgegen Deiner in dieser Beziehung reduzierten Wahrnehmung durchaus noch nicht zu den Akten zu legen ist.

Das entscheidende Kennzeichen dieses Pseudo-Kommunismus ist, daß seine ‚Revolution von oben‘ (nicht wie zu Lenins Zeiten revolutionär, sondern) konterrevolutionär durchgesetzt wird. Oder anders gesagt: war Stalins Putsch von 1934 eine Konterrevolution in der Revolution, so hätten wir von dem modernen Pseudo-Kommunismus eine Revolution in der Konterrevolution zu erwarten nach dem bekannten Muster, wonach mit dem Export der Revolution die Konterrevolution gleich mitgeliefert wird. (Einiges dazu könntest Du, wenn Dein Interesse für solche historischen Klamotten nicht so gering wäre, der home-page entnehmen).

Ich habe nun bei meinen Versuchen, mich mit Deiner Kritik auseinanderzusetzen, feststellen müssen, daß ich, entgegen meinen ursprünglichen politischen Überlegungen, wonach der moderne Euro-Kommunismus weit weniger konterrevolutionär (weil nur im üblichen bürgerlichen Sinn anti-kommunistisch) ist als der Pseudokommunismus, nicht darüber hinaus kam, die von Dir vertretene Reformpolitik (die nichts desto trotz bürgerliche caritas bleibt) anders als mit pseudokommunistischen Argumenten (seien sie auch mit Lenin und Mao unterfüttert) zu kritisieren.

In dem gleichen Dilemma, das nach Engels nur aufzulösen ist, wenn man es verläßt, verharrt in ständig bewegtem Stillstand die europäische Linke, ohne dieses allerdings als Manko zu empfinden: die modernen Euro-Kommunisten nicht, die nichts dagegen haben, daß sich ihre pseudokommunistischen Reformismus-Kritiker in ihren Selbstwidersprüchen totlaufen; die Pseudo-Kommunisten ebensowenig, die den Reformismus, den sie bei den Euro-Kommunisten kritisieren selbst als Taktik anwenden, um die Akzeptanz ihrer mit revolutionären Mitteln betriebenen Konterrevolution in der widerstrebenden Bevölkerung nach dem Muster der DDR zu erhöhen. Nur die Globalisierungsgegner verleihen diesem bewegten Stillstand mit einer aus den 60er Jahren entlehnten revolutionären Folklore scheinrevolutionäre Bewegtheit (wobei der bei jungen Leuten noch als authentisch, weil spontan in Erscheinung tretende Philanthropismus von den Altlinken für ihre Zwecke instrumentalisiert wird; vgl. die peinliche Unterhaltung des Trotzkisten Alex Callinicos mit Funktionären von Tute Bianchi auf einer der von Dir empfohlenen Websites). So bleibt nur noch die Frage spannend, wann die modernen Beton-Kommunisten, das beschriebene Reformismus-Dilemma verlassen werden, nachdem die Richtung durch ihre offene Sympathie für das anti-amerikanische Polit-Gangstertum von Leuten wie Milosevic, Kutschma, Lukaschenka, Mugabe, Chavez, etc seit langem entschieden ist.

Einen ersten Schritt auf dem langen Marsch, das besagte Dilemma auf revolutionäre Weise zu verlassen, findest Du [in folgendem]: Wenn, wie Lenin vielleicht heute sagen müßte, der Opportunismus in der revolutionären Arbeiterbewegung so tief in ihrer eigenen unbewältigten Historie verankert ist, dann hat jeder ernsthafte Versuch zu ihrer Reorganisation zu allererst darin zu bestehen, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie es zu dieser in ihrer Abgefeimtheit historisch unüberbotenen und damit auch neuen Form des ‚Opportunismus‘ in Gestalt der von Stalin zuerst verwirklichten revolutionären Konterrevolution kommen konnte, die sich gegenwärtig der europäischen Linken als Taktik zum Ausstieg aus ihrem eigenen Dilemma perspektivisch anbietet. Den alten dereinst von Lenin kritisierten Opportunismus zu durchschauen, ist inzwischen zur Volksweisheit abgesunken, die die Pseudokommunisten wortradikal wiederkäuen, ohne dem einen neuen Gedanken hinzufügen zu können. Den neuen Opportunismus durchschaubar zu machen, scheint nur den Allerwenigsten zu gelingen. Und zwar nur dann, wenn sie nach der Empfehlung von Friedrich Engels das besagte Dilemma und mit diesem die Linke, die es hegt und pflegt, verlassen.

Da Du Dich zu dem Projekt Partei Marx ‚in der Hauptsache‘ nicht geäußert, sondern Dich an einem Epiphänomen, der Kritik an den Anti-Globalisierern, hochgezogen hast, weiß ich leider nicht, in welcher Richtung Du das Dilemma, in dem Dein Euro-Kommunismus steckt, verlassen wirst.

Denn zu erwarten ist, daß mit der Verschärfung der globalen Krise des Kapitalismus und der akut drohenden Verwandlung des anti-islamistischen Verteidigungskriegs der ‚westlichen Welt‘ in einen Rassenkrieg der moderne Euro-Kommunismus zwischen Pseudokommunismus und Welt-Kapitalismus zerrieben wird, weil er nicht in der Lage ist, das Dilemma, zwischen Reformillusionen und Polit-Gangstertum hin- und hergerissen zu werden, zu beseitigen. Vielleicht wirst Du Dich dann an das Projekt Partei Marx erinnern.

Sei ebenfalls weiterhin gegrüßt […]!

Ulrich


Anmerkung zum kommentierten Veranstaltungs-Protokoll

[„Bericht ‚Partei Marx’…“ [1]] (10.11.2002):

Lieber Peter Christoph,

vielen Dank für die heutige E-Mail und das Protokoll!

Zunächst zum Protokoll: ich finde es sehr gut und bemerke, daß es auf eine Seite der Partei Marx eingeht, die Du als „Parteibildungsprozeß“ (wie bereits auf der Veranstaltung) bezeichnest. Diese Frage stand in der später zurückgestellten Urfassung dieses Projekts stärker im Vordergrund. Aber inzwischen, bin ich selbst darauf gekommen, sie nicht völlig außen vor lassen zu können. Andererseits liegt es nun einmal in der Natur der Sache, daß dazu noch vieles unentschieden bleiben muß, zumal der „Parteibildungsprozeß“ nicht an meinem oder Deinem Schreibtisch entschieden wird.

[So] … zielt die Neuschreibung der Geschichte der Partei Marx auf eine sich durch die Weltwirtschaftskrise mit einer gewissen Zwangsläufigkeit ergebende neue Formierung der Arbeiterbewegung jenseits der tradierten Formationen. Dabei würde sich die deutsche Arbeiterbewegung mit gutem Gewissen so nur nennen dürfen, wenn sie sich positiv auf das über den Weltmarkt erzeugte (Welt-) Proletariat bezieht, genauer: wenn sie sich als der privilegierter Teil der im Weltmaßstab von der Welt-Bourgeoisie erzeugten Klasse begreift und nur dann! Das setzt eine Menge proletarischer Bewußtseinsbildung (eine Menge „Kritik am Gothaer Programm“) voraus, und wie wir sehen, agieren die in der Tradition der Dritten (und Vierten) Internationale ‚real existierenden‘ Arbeiterparteien genau entgegengesetzt dazu.

Bei aller Borniertheit, in der die deutsche/(n) Arbeiter/(klasse) von den ‚Arbeiterparteien‘ gehätschelt werden/(wird), muß der erste Schritt zu einer solchen Bewußtseinsbildung bei der Beantwortung der einen Frage ansetzen: was machen die Kommunisten anders als was in der DDR (SU o. ä.) gemacht worden ist und zum Beispiel am 17. Juni (der von der Bourgeoisie weidlich ausgeschlachtet worden ist) zur Entscheidung gestanden hat? Dazu müssen die Parteigänger der Partei Marx notgedrungen tief in die historische Kiste greifen, weil durch die üblichen linken Erklärungen die Fragenden entweder mit klassischer DDR-Propaganda („Konterrevolution“) oder mit sozialdemokratischen Trauergesängen abgespeist werden. Wenn Du so etwas als „theoriepraxis“ bezeichnest, o.k.! Darüber hinaus bleibt dieser Begriff mir noch reichlich unklar.

Der Abstieg der (klein-)bürgerlichen Intelligenz in das ‚Proletariat‘ war ohne Zweifel politisch eine Katastrophe: wie dereinst die russischen Bauern haben sich die deutschen Arbeiter an die Birne gepackt und die Absteiger gefragt, wie man so blöd sein kann und darauf verzichtet, seine Qualifikation als bürgerlicher Intellektueller nicht entsprechend zu versilbern. Während der Ausstieg aus dem Proletariat wiederum besonders zielstrebige (Polit-)manager hervorgebracht hat, die, weil sie mit allen Wassern in der Parteiintrige und der Propaganda gewaschen sind, die üblichen Aufsteiger um Längen überragen. Sonst ist dabei nichts herausgekommen. Den Universalgelehrten, der für die selbst denkenden Arbeiter eine wissenschaftliche Erklärung des Kapitalismus in radikaler Abgrenzung zu den gängigen Gebrauchsanweisungen der Profitmaximierung liefert und als solcher von der Arbeiterbewegung kooptiert wird, gibt es nicht mehr, kann es wahrscheinlich nicht mehr geben. Wenn solche Seitenwechsel vorkommen, landen diese Intellektuellen bei einer der traditionellen Arbeiterparteien, schon um ‚links‘ und bürgerlicher Intellektueller bleiben zu können.

Wir können die „Parteibildung“ nur mit dem ‚Kadermaterial‘ (ein wunderschöner Ausdruck!) bestreiten, das historisch/biographisch aus dem Umschmelzungsprozeß des „kurzen Jahrhunderts“ von Revolution und Konterrevolution als widerständiger Bodensatz übrig geblieben ist…

Wenn vom „Parteibildungsprozeß“ zu reden ist, dann in diesem konkreten Sinn, wobei er sich wohl komplizierter gestalten wird als diejenigen sich das vorstellen, die sich vor die Tore des Opelwerks stellen und der Arbeiterklasse den ‚Sozialismus‘ durch das Auslegen von ökonomistischen Leimruten schmackhaft machen wollen. Mit all unseren kleinbürgerlichen Krämpfen und Traumata sind wir schon mitten drin in diesem „Parteibildungsprozeß“, wenn wir aufhören, uns über uns selbst wie über diese äußerst ’schwierige Abteilung‘ des Welt-Proletariats irgendwelchen Illusionen hinzugeben…

Abgesehen von diesen näher zu bestimmenden Begriffen habe ich keine Probleme mit Deinem Protokoll; im Gegenteil: es ergänzt ein wichtiges von mir mehr oder weniger absichtlich beiseite gelassenes Problem.

[…]
Herzliche Grüße

Ernst-Ulrich

1) Text des Vortrags siehe: KRITIK 1, ANHANG 2


An Django (09.12.2002):

Vielen Dank für die freundliche Einladung [nach Porto Alegre]. Abgesehen von den finanziellen (Weihnachtsurlaub) sind Dir meine politischen Erwägungen hinlänglich bekannt, sodaß ich meine Absage nicht näher begründen muß.

Die gelegentlichen E-Mails habe ich erhalten und mir die j[unge] W[elt] einige Male gekauft. Abgesehen davon, daß sie als Sprachrohr der PDS-Minderheit ganz informativ ist, hat mich das Niveau ein wenig enttäuscht. So lese ich am Wochenende abwechseln ND und jW.

Vielleicht noch ein Hinweis: ein Brief von K[arl]. M[arx]. aus dem Jahre 1881 an Nieuwenhuis, auf den ich gerade gestoßen bin und [der] mir, was Deinen Vorschlag betrifft, sehr aus der Seele spricht (MEW 35, 160f.) [1]

Herzliche Grüße

Ulrich

1) »Die Frage des bevorstehenden Züricher Kongresses [Sozialistischer Weltkongreß vom 02.-04.10.1881 in Chur], die Sie mir mitteilen, scheint mir – ein Fehlgriff. Was in einem bestimmten gegebnen Zeitmoment der Zukunft zu tun ist, unmittelbar zu tun ist, hängt natürlich ganz von den gegebnen historischen Umständen ab, worin zu handeln ist. Jene Frage aber stellt sich im Nebelland, stellt also in der Tat ein Phantomproblem, worauf die einzige Antwort – die Kritik der Frage selbst sein muß. […] Nach meiner Überzeugung ist die kritische Konjunktur einer neuen internationalen Arbeiterassoziation noch nicht da; ich halte daher alle Arbeiterkongresse, resp. Sozialistenkongresse, soweit sie nicht auf unmittelbare, gegebne Verhältnisse in dieser oder jener bestimmten Nation beziehn, nicht nur für nutzlos, sondern für schädlich. Sie werden stets verpuffen in unzählig wiedergekäuten allgemeinen Banalitäten.«

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Die an dieser Stelle wiedergegebenen feedbacks zum Projekt Partei Marx haben im Augenblick nur archivalischen Wert, da die eingangs geäußerte Faszination an demselben, bis auf die nachstehend dokumentierten Ausnahmen, fast auf Null gesunken ist.

Daher verweisen wir auf die REFLEXIONEN, KRITIK und DEBATTE, worin wir uns mit unseren Kritikern und Autoren kritisch auseinandersetzen, die zu der Thematik, mit der wir uns zu beschäftigen haben, in, wie wir meinen, besonderer Weise hervorgetreten sind.

Zu Dokumentationszwecken wurden einige Briefe aus der Zeit vor 2001 aufgenommen.

In der letzten Zeit (seit dem Frühjahr 2007) haben die REAKTIONEN den einseitigen Charakter einer Art ‚Flaschenpost’ angenommen, die, so ist zu hoffen, wieder einem regeren Meinungsaustausch Platz machen wird.

[Korrekturen sinnentstellender Fehler sowie Kürzungen werden in eckige Klammern gesetzt und folgen der klassischen Deutschen Rechtschreibung.]

Dieser Text ist auch als PDF-Datei verfügbar

 


An Partei Marx (01.2001):

Hallo genosse MARX-parteigänger, vielen dank für den text „parteiMARX“,

[…]

was unsereins bei Deinem text und projektvorschlag fasziniert, ist das wohlüberlegte aktuelle „zurück zu MARX!“ (wie der späte LUKÁCS wohl nannte, was Du back-to-the-roots nennst) in der konzeption des parteibildungsprozesses des proletariats und zwar als LENIN-aufhebung auf der höhe der zeit. ich finde diese initiative mutig und angemessen, ja dringlichst in der gegenwärtigen situation, in der zumal äusserst wenige „interessierte laien“ ausserhalb der politpartei- und sekten-bindungen sich an diesen gordischen knoten heranwagen: Deine formulierung, zwischen diesen eine art wissenschaftlichem brainstorming herzustellen, trifft denke ich die gegenwärtige aufgabenstellung für eine assoziation wissenschaftlich-communistischer gesellschaftsindividuen ziemlich genau. den abstand – bei aller naturwüchsig-notwendigen nähe – zur akademie sehe ich in deinen überlegungen ebenso hinreichend gewahrt bzw. eingeklagt wie die distanz zur überkommenen problem-eliminierung der historisch-konkret prozessierenden dialektik von klasse-an-sich / klasse-an-und-für-sich, der sowohl die spontaneistisch/attentistische wie spiegelverkehrt dazu die voluntaristisch-pseudo-avantgardistische linke bisher je länger je mehr vorschub geleistet hat. das dialektische tertium datur (um hier wieder mit dem alten LUKÁCS zu sprechen), das wir aus dem bestehenden dualismus der organisationslage zu entwickeln haben, kann in der tat nur von einer neubestimmung/konkretisierung des heutigen, globalen aggregatzustands des „proletariats als prozess der negation“ ausgehen, einer theoretischen praxis eines transnationalen „kollektiven organisators“, den die wissenschaftlichen communistInnen erst erneut bilden müssen auf diesem neuartigen terrain, um das ferment im sinne der historischen aufgabenstellung MEW 4:474f, 492f zu werden und damit die leider nun einmal entscheidende ideelle bedingung zu produzieren für die communistische negation-der-negation als wirklich-praktischem werk-der-arbeiterklasse-selbst. erst die offene debatte der organisationsfrage – die doch längst wieder allen ernsthaften revolutionären individuen, gerade den notgedrungen „unorganisierten“ wie meinesgleichen, jeden monat schmerzlicher auf den nägeln brennt, gerade weil wir uns bürokratischen und sektiererischen apparaten und strömungen kompromisslos zu verweigern, haben ohne uns der kontemplation und ohnmacht anheimgeben zu können! -, erst die organisierung des streits um strategie, organisation und mögliche praxisformen des historisch gegebenen subjekt/objekt, wie das kapital es jetzt weiter herausglobalisiert und -individuiert, kann unsereins heute an den archimedischen punkt „der in diesem jahrhundert zu erwartenden klassenkämpfe“ heranbringen. sich vor dieser offenen debatte um „revolutionäre realpolitik“ (LUKÁCS) länger zu drücken wäre zumindest für unsereins verspielte lebenszeit. es wäre vor allem verantwortungslos-unhistorisch und attentistisch-abstrakt, angesichts dessen dass, wie Du sehr gut in den mittelpunkt stellst: „die modernste form des rassismus“ (und weitere fetischgestalten, die wie ich es sehe die kapitalistische hydra für jeden einmal abgeschlagenen kopf der bürgergesellschaft vielfach hervortreibt – wir sind hier in den nebelregionen der subjektivität und des vormodernen bis postmodernen usw.usf. überbaus) als letzte reserve und „volkssturm“ gegen den parteibildungsprozess (in) der klasse „naturwüchsig“ mobilisiert wird. deshalb duldet die aufhebung unserer theorie/praxis-paralyse keinen weiteren aufschub mehr; und wie Du dieses problembewusstsein zum ausdruck bringst, scheint mir auf den ersten blick kein panischer voluntarismus sondern durchaus ein funken historischer materialismus hinsichtlich unserer situation zu sein.

soviel auf den ersten eindruck Deines textes; kritische einwände erstmal zurückgestellt. […]

peter christoph zwi.

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VORTRAG Das Marxsche Kapital und die Marxsche Parteilichkeit – Marx, Engels, Lenin und ihre Auseinandersetzungen mit Nikolai-on, die Narodniki/Volkstümler und die Revolution in Rußland »

In diesem Text wird die Debatte Über die folgenschwere Folgenlosigkeit der Einschätzung der russischen Bauerngemeinde… (Streitpunkt 1) und über Wertgesetz und Sozialismus (DEBATTE 3 Vortrag und Nachtrag) fortgesetzt. Ausgangspunkt sind wiederum die an Vera Sassulitsch gerichteten Marxschen Briefentwürfe und die darin vorgenommene positive Stellungnahme zur russischen Dorfgemeinde. Diese war keineswegs einem momentanen Unwohlsein des Autors geschuldet, sondern das Resultat einer intensiven Auseinandersetzung mit den russischen Narodniki in den 70er Jahren, in deren Verlauf Marx seine bisherige Einschätzung der russischen Dorfgemeinde und deren alleinige Rolle als Vehikel des Panslawismus gegen die Revolutionen in Westeuropa überprüft. Seine Einschätzung der ‚commune rurale’ als möglicher Ausgangspunkt für eine kommunistische Gesellschaft nach einer Revolution in Rußland steht im Gegensatz zu den Ansichten der russischen Marxisten und späteren Bolschewiki, die mit einer gewissen Berechtigung darauf hinweisen, daß nicht nur sie, sondern auch Engels die Dorfgemeinde wegen der rasanten Entwicklung des Kapitalismus in Rußland als dem Untergang geweiht ansahen. Ungeachtet dessen wurde die ‚commune rurale’ nach der Februar-Revolution 1917 von den Bauern spontan reaktiviert, wodurch die Marxsche Einschätzung eine späte Rechtfertigung erfuhr. Die Bolschewiki, die unverändert an einer ‚westlich’ orientierten Lösung der ‚Bauernfrage’ festhielten (Genossenschaften), ließen diese Chance für den Kommunismus in Rußland, von der Marx auch in seiner bereits veröffentlichten Korrespondenz mit der akademischen und revolutionären Intelligenz Rußlands überzeugt ist (die Sassulitsch-Briefe erschienen erst 1924) vorübergehen. Statt dessen wurde die ursprüngliche Akkumulation des Sozialismus mit außerökonomischer Gewalt (Kriegskommunismus) und gestützt auf eine ‚neue’ Lektüre der Marxsche Werttheorie durch staatlich dekretierten nicht-äquivalenten Tausch zwischen Stadt und Land vollzogen. Von daher erscheinen die von seiten des rechten und linken Flügels der Bolschewiki unternommenen Versuche einer Rekonstruktion und Transformation des Sozialismus auf der Grundlage der NEP als aussichtslos und vergeblich und die Stalinsche Zwangskollektivierung Ende der 20er Jahre als die unausweichliche und logische Konsequenz dieser nicht ergriffenen Chance und zugleich als Basis der daraus hervorgehenden Konterrevolution…

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THESEN Zu den Wurzeln des ‚nicht-kapitalistischen Entwicklungsweges’ oder ‚back to the roots’ der Marxschen Partei (Thesen) »

In diesen Thesen wird der Inhalt des vor der Marx-Gesellschaft in Oer-Erkenschwick im März 2011 gehaltenen Vortrags über: Das Marxsche Kapital und die Marxsche Parteilichkeit… zusammengefaßt und auf die entscheidenden Argumente konzentriert.

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BLogbuch 3 2010: Der Fall ‚Emmely‘: ein Sieg der Linken über die alte Bourgeoisie – ein Pyrrhussieg über das Kapital »

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Es wird wohl das persönliche Geheimnis der Kassiererin des Supermarkts in Berlin-Hohenschönhausen, Barbara E., bleiben, warum sie eines schönen Abends im Januar 2008 beim Hauseinkauf in ihrer Filiale eben jene beiden Pfandbons, die ihr von ihrer Vorgesetzten mit dem Hinweis übergeben worden waren, diese für den oder die Verlierer in Gewahrsam zu nehmen, selbst eingelöst hat. Und ebenso, warum Barbara E., von ihrem Solidaritätskomitee liebevoll ‚Emmely’ genannt, dabei sehenden Auges in eine ihr gestellte Falle lief, als sie selbige Pfandbons »in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin« einlöste, (1) obwohl alle Beteiligten wußten, daß diese Bons nicht vorschriftsmäßig abgezeichnet waren. Wollte sie die geplante Provokation, mit der sich ihre Firma einen allzu durchsichtigen Kündigungsgrund zu verschaffen suchte, etwa mit einer herostratischen Gegenprovokation beantworten, durch die der Fall ‚Emmely’ nicht nur in die Rechtsgeschichte, sondern Barbara E. in die Geschichte des wiedervereinigten Deutschland eingegangen ist? Wir wissen es nicht. In einem Interview mit der jungen Welt (2) hat sich der Pop Star des ‚Arbeitskampfes’ aus dem Jahr 2009 wieder in den Normalzustand einer einfachen Werktätigen aus dem einstigen Arbeiter- und Bauernstaat zurückverwandelt, die nach dem Sieg vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in ihrem Kampf gegen das westdeutsche Kapital an ihren Arbeitsplatz in einer anderen Filiale derselben Firma zurückgekehrt ist. Viel mehr erfahren wir nicht.

Der im letzten Jahr an dieser Stelle vertretene Anspruch (BL509), daß dieser Prozeß nur dann ein Beitrag zum Klassenkampf hätte sein können, wenn er als ein politischer Prozeß gegen das Kapital geführt worden wäre, (3) wurde, wie sich nach dem Urteil des 2. Senats des Bundesarbeitsgerichts herausstellt, nicht etwa von der Verteidigerseite, sondern vom Bundesarbeitsgericht erfüllt. Dies selbstverständlich nicht gegen das Kapital, sondern im Interesse des sich aus der alten und der neuen Bourgeoisie zusammensetzenden ‚gesamtdeutschen’ Kapitals. Die Klägerseite hat dagegen einen Pyrrhus-Sieg erfochten, weil ihre Prozeßstrategie auf ‚Emmelys’ kleinen Notlügen aufbaute, die zu einer großen Lüge aufgebauscht wurden. Die Forderung, diesen Prozeß als einen politischer Prozeß gegen das Kapital zu führen, hat sich damit erledigt, nicht jedoch die Aufgabe, dieses Urteil und das Verhalten der streitenden Parteien im Lichte dieser Forderung zu analysieren und damit die Möglichkeit, den Klassenkampf als politischen Klassenkampf gegen das Kapital zu führen, weiterhin offen zu halten. (4)

Quellen: (1) BAG Urteil vom 10.06.2010. (2) junge Welt, 12./13.06.2010. (3) BL509,11. (4) MEW 4,471.

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BLogbuch 2 2010: …9/11 – Rassenkrieg oder Klassenkampf! »

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Daß der ‚Elfte Neunte Zweitausend eins’ in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat, jedenfalls nicht so, wie der Weltöffentlichkeit ständig eingeredet wird, bzw. wenn er tatsächlich stattgefunden hat, es sich eher um eine gemeinsame Aktion von New Yorker Grundstückspekulanten und den Geheimdiensten zwecks Herstellung von Ground Zero gehandelt haben muß, glaubt zwar nicht jeder, aber wahrscheinlich eine erkleckliche Anzahl von Lesern der ‚linksradikalen’ Stasi-Postille junge Welt. Denn würden solcherart Stories nicht geglaubt, gäbe es dieses Blatt längst nicht mehr. (1)

Wenn daher von der jungen Welt behauptet wird, daß die Kamikaze-Angriffe der (angeblich gar nicht an Bord befindlichen) islamistischen Kommandos auf die Twin Towers, das Pentagon (und möglicherweise auf das Weiße Haus) eine von den USA selbst »unter falscher Flagge« eingefädelte Provokation US-amerikanischer Geheimdienste gewesen sein soll, um den Vorwand für die Kriege im Irak und in Afghanistan geliefert zu bekommen, werden Hypothesen wie diese wohl mit zu dem Lügenpaket gerechnet werden müssen, das erdacht wurde, um die wahren Hintergründe dieses am 11. September 2001 begangenen Massenmords im Dunkeln zu lassen. Fragt sich höchstens noch, welches Interesse die junge Welt dazu bewegt, mit ihren Verschwörungstheorien dafür zu sorgen, daß das auch so bleibt. (2)

Rückblickend auf den ‚Elften Neunten’ sei neun Jahre danach eine einfache Frage erlaubt, die, auch ohne die ganze Bibliotheken füllende Enthüllungsliteratur studiert haben zu müssen, vielleicht einen politischen Sinn macht: Warum hat Al Qaida niemals den Staat Israel direkt angegriffen, sondern immer ‚nur’ US-amerikanische Angriffsziele in der arabischen Welt, in Afrika und Europa? Gerade jenes Angriffsziel müßte doch für jeden echten Dschihadisten als die Nummer 1 auf seiner Liste stehen! In diesen Zusammenhang würde dann auch die Überlegung gehören, daß Al Qaida etwas gelungen ist, was die RAF trotz all ihrer Beschwörungen, sie wolle den Befreiungskampf der Völker der Dritten Welt ‚Ins Herz der Bestie’ tragen, niemals in die Tat umgesetzt hat! Deren Angriffe haben sich stets gegen Einrichtungen der us-amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland und der NATO in Europa gerichtet. Etwa aus dem Grund, damit von ihren Aktionen jeder Eindruck, es handle sich um einen verdeckten Angriff des ‚sozialistischen Hinterlandes’ auf den Supermacht-Konkurrenten USA vermieden werden sollte? Aus ähnlichen Gründen scheint auch das saudische Wahabiten-Regime, für das Al Qaida wahrscheinlich die wichtigste Einflußagentur in der islamischen Welt darstellt, Verwicklungen mit Israel unbedingt vermeiden zu wollen, da es im Ernstfall auf dessen atomaren Schutzschild gegen den schiitischen Konkurrenten Iran angewiesen sein könnte. Nur kommt Saudi-Arabien in den Untersuchungen in der jungen Welt zum ‚Elften Neunten’ überhaupt nicht vor.

Und selbst wenn sich eines Tages die Angriffe von Al Qaida auf die Symbole des amerikanischen Kapitalismus als Verabredung zu einer gemeinsamen Provokation herausstellen sollten, durch die die USA in einen Krieg gegen den Islam gelockt wurden und diese sich auch bereitwillig wegen des Erdölreichtums des Nahen Ostens dazu verlocken ließen, wird es am allerwenigsten die Linke gewesen sein, die dafür eine schlüssige politische Erklärung liefert! Schon aus dem Grunde nicht, weil der auf den ausgetretenen Pfaden des Kalten Krieges angesiedelte demagogische ‚Antikapitalismus’ und linke Sozialimperialismus, den sie als ‚Antiimperialismus’ unter die Leute bringt, den unter den Massen der islamischen Welt grassierenden Verschwörungstheorien über ‚die Juden’ als angeblich wahren Urhebern des ‚Elften Neunten’ einander wie ein Ei dem anderen gleichen. Diese Annäherung hat seit der gemeinsam mit der türkischen Regierung und mit vorgeblich pazifistischer Blauäugigkeit gestarteten ‚Gaza-Hilfsflotte’ zusätzlich an Substanz gewonnen. Zumindest ist es der Linken damit gelungen, die Angriffe der Islamisten auf den ‚Westen’ propagandistisch nach Europa zu tragen. Al Qaida wird ihr freudig auf dem Fuße folgen!

Um diese Pfade zu verlassen, soll an einigen Beispielen untersucht werden, wie die Marx- und Engelssche Partei die Desinformationspolitik der Groß- und Weltmächte ihrer Epoche öffentlich entlarvt hat, um zu verhindern, daß die europäischen und amerikanischen Arbeiterklassen den Verschwörungstheorien jener Zeit auf den Leim gingen.

Quellen: (1) junge Welt 11./12.09.2010. (2) Damit sind sie beim iranischen Präsidenten Ahmadinedschad in bester Gesellschaft, der vor der Generalversammlung der UN drei Thesen dafür präsentierte, wer für 9/11 verantwortlich sei: Al Qaida, Teile der US-Geheimdienste oder eine Terrorgruppe, die von der US-Regierung geduldet wurde, um die entstehende Situation für sich auszunutzen.

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BLogbuch 1 2010 : Von Petrograd nach Heiligendamm – Zum Programmentwurf der Partei Die Linke »

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Im Mittelpunkt des Programmentwurfs der Partei Die Linke stehen nicht die ihrer Produktionsmittel beraubten − Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums als revolutionäres Subjekt. An deren Stelle tritt ein pseudo-revolutionäres patchwork-Subjekt, das als Mehrheit für die Vergesellschaftung des von der reichen Minderheit privat angeeigneten gesellschaftlichen Reichtums eintritt; denn »eine Ökonomie der Enteignung macht Mehrheiten ärmer, um die Reichen reicher zu machen«. (1)


Folgt man dieser verqueren Dialektik, dann haben wir es nicht mit einem
sozialen Widerspruch zwischen den antagonistischen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, Lohnarbeit und Kapital, zu tun, sondern laut Programmentwurf mit einem politischen Gegensatz, dem Gegensatz zwischen einer Mehrheit der (immer ärmer werdenden) Konsumenten und einer (immer reicher werdenden) Minderheit von »Vermögensbesitzern und Spekulanten«. Der Reichtum scheint hier ebenso ‚selbstverständlich’ von den Reichen zu kommen, wie nach einer ironischen Bemerkung von Karl Marx die ‚Armut von der pauvreté’. (2) Dieser Ironie setzen die Verfasser noch einen drauf mit der süffisanten Bemerkung, daß nur »Reiche sich einen armen Staat leisten (können)«.


Leider zündet diese Ironie nicht wirklich, weil, erstens, der private Reichtum nicht von den Reichen, sondern bekanntermaßen aus der Mehrwertproduktion des Kapitals herrührt, den sie als Spekulanten einander wieder abzujagen versuchen und weil, zweitens, die Armen, wenn sie als Konsumenten in den Genuß des Reichtums der Reichen kommen wollten, sich einen (an Unterdrückungsorganen) reichen »Staat leisten« müssen, damit die Enteignung der Reichen in ‚geordneten Bahnen’ verläuft und verhindert wird, daß sich diese ihrer Enteignung entziehen.


Gehen wir dagegen mit Marx von einer
»Selbstregierung der Produzenten« (3) (des gesellschaftlichen Reichtums) aus, würde es dort weder »Reiche« geben noch einen »Staat«, der den Reichtum ‚gerechter’ verteilt, geben müssen. Das kann auch ohne einen wie auch immer gearteten Verteiler von den genossenschaftlichen Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums selbst erledigt werden, d.h. in jedem Fall nicht durch so etwas wie den Staat.


Die
Armen verfügen dagegen außer dem von ihrer Armut ausgehenden moralischen Druck auf die übrige Gesellschaft, diese zu lindern, über keine gesellschaftliche Macht, wie das für Gewerkschaften zutrifft, was auch den Autoren des Programmentwurfs nicht entgangen ist. (4) (Nur, wer sind diese Gewerkschaften? Sind sie denn etwas anderes als eine Versicherungsagentur zum Schutz der Lohnarbeit vor der drohenden absoluten Verelendung und zum Schutz des Kapitals vor nicht mehr beherrschbaren Klassenkämpfen?)


Da aber laut
Programmentwurf und nach den Wahlkampfreden Linker Politiker die Armen immer ärmer werden, ist es irgendwann an der Zeit, daß die von der (reichen) Minderheit ins Elend gestürzte politische Mehrheit oder multitude (5) eine Linke Regierung die Macht ergreifen läßt, die den Reichen den privat angeeigneten gesellschaftlichen Reichtum Stück für Stück wieder abjagt, um ihn zu ‚vergesellschaften’. (‚Vergesellschaften’ in Parenthese, weil eigentlich nur eine »Selbstregierung der Produzenten« verhindern kann, daß der ‚vergesellschaftete’ Reichtum durch eine Linke Nomenklatura kollektiv reprivatisiert wird!) (4) Aus diesem Grund benötigt der Linke multitude-Sozialismus an der Macht einen mächtigen und sich ständig weiter aufblähenden Staatsapparat, der dafür Sorge trägt, daß unter Anleitung und Aufsicht der Linken Regierung der ‚vergesellschaftete’ Reichtum ‚gerechter’ verteilt und die zur Beschneidung des Reichtums der Reichen ausgesprochenen Verbote und Verhaltensmaßregeln eingehalten und kontrolliert werden.


Da sich die Deprivatisierung des gesellschaftlichen Reichtums aber laut
Programmentwurf »demokratisch« vollziehen soll (eine der am häufigsten verwendeten Lieblingsvokabel!), wird dem »Kartell der neoliberalen Parteien« das politische Kartell Der Linken in Gestalt einer Linken Einheitspartei entgegengesetzt werden müssen, die wiederum, um länger an der Macht zu bleiben (denn die ‚gerechte’ Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums läßt sich schwerlich in einer einzigen Legislaturperiode erledigen!), alle Armen in einer modernisierten Form der Stalinschen Volksfront organisiert. (Wie das praktisch zu handhaben wäre, zeigen die aktuellen ‚bolivarianischen’ Vorbilder aus Lateinamerika, denen Die Linke ausdrücklich ihre »Solidarität« bezeugt.) (4)


Mit einer (modernisierten)
Volksfront-Regierung an der Macht wäre die ehemalige SED-PDS wieder an den Punkt zurückgekehrt, an dem der Aufstand der Mehrheit der DDR-Bevölkerung gegen das Knastregime der DDR-Nomenklatura 1989 politisch aus dem Ruder gelaufen war, weil die Besatzungsmacht für die Übertragung der Glasnost-Politik auf die DDR den Besatzungsmacht-Sozialismus hätte weiterhin künstlich am Leben erhalten müssen. Der war aber nicht mehr finanzierbar, weil der Input in Richtung DDR den kolonialen Output aus der DDR in Richtung Sowjetunion seit Jahren um ein Beträchtliches überstieg.


Was die Partei Die Linke ihren Wählern und Mitgliedern anbietet und mit diesem
Programmentwurf zum vorläufigen Abschluß bringt, ist, nach der ‚Wiedervereinigung’ des ‚Westens’ mit dem ‚Osten’, d.h. der überaus kostspieligen Abwicklung des Staatsbankrotts der DDR durch das deutsche Kapital (oder den sogenannten »Neoliberalismus«) und ihrem Beitritt zum Grundgesetz der BRD, eine ‚Wiedervereinigung’ der Linken des ‚Ostens’ mit derjenigen des ‚Westens’. Gemeinsam soll nun der lange Marsch in eine vom alten »stalinistischen« SED-Ballast befreite moderne Ausgabe der Stalinschen Volksdemokratie angetreten werden. (6)

Quellen: (1) Neues Deutschland 12.04.2010. (2) MEW 24,477. (3) MEW 17,339. (4) Nachweise im Programmentwurf siehe pdf-Version. (5) KRITIK 1 Zur Kritik am Projekt partei Marx, 6 ff. (6) BL709 Wie man in den Wald hineinruft.

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BLogbuch 7 2009: Wie man in den Wald hineinruft… – Fragen von ‚express‘ und ‚SoZ‘ an die jüngste deutsche Geschichte »

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Im Herbst 2009 veranstalteten die Sozialistische Zeitung (SoZ) und der gewerkschaftsoppositionelle express eine Umfrage unter ehemaligen DDR-Linken zu dem Thema, wie sie den Umbruch oder die Revolution von 1989 und den Ausbruch von Teilen der DDR-Bevölkerung aus dem ‚Sozialistischen (Arbeits-)Lager’ rückschauend beurteilen. Die im express ungekürzt wiedergegebenen Einschätzungen von 9 Befragten, die mehrheitlich der Initiative Unabhängige Linke angehörten, ragen aus dem üblichen Deutscher-Herbst-’89-Einheitsgedenken allein schon deshalb heraus, weil es sich um Beteiligte an diesen Ereignissen handelt, die eigentlich nicht vorhatten, der DDR bei der erst besten Gelegenheit den Rücken zu kehren. Dadurch erhält der Leser einen Eindruck, der nicht von vornherein nach dem üblichen Ossi-Wessi-Schema in die bekannten Ressentiments und Vorurteile gegossen ist. (1)


Mit den Ausbrechern an der Bornholmer Straße war logischerweise kein wie auch immer gearteter Sozialismus mehr zu machen. Und der ‚Arbeiter- und Bauernstaat’, der die arbeitende
Bevölkerung zum Zweck der Abpressung ihrer Mehrarbeit eingemauert und der für die linke Opposition bis dahin als notwendiger Gegenpart ihrer Kritik an der DDR ‚fungiert’ hatte, existierte nicht mehr. Zur Verwirklichung ihrer Träume von einem Übergang von der Opposition zur ‚Revolution’ hätten sich aber nach dem Muster der Solidarnosc‘ der 80er Jahre oder der ungarischen Sowjets von 1956 die Arbeiter in den Betrieben an die Spitze der Bewegung setzen müssen, was auch am 17. Juni 1953, dieses Mal jedoch nicht der Fall war.


Statt dessen schien der doppelt un-freie DDR-Lohnarbeiter das Arbeitsverhältnis des doppelt freien Lohnarbeiters im real existierenden Kapitalismus dem Etikettenschwindel des staatsmonopolistischen ‚Sozialismus’ vorzuziehen. (2) Denn an letzterem ließ sich kaum mehr verschleiern, daß der ‚real-sozialistische’ Lohnarbeiter von der, wie es bei Marx heißt, »gesellschaftlichen Produktion« (3) und dem genossenschaftlichen Besitz der
Produktionsmittel noch weiter entfernt war als der kapitalistische, weil er als Staatssklave der neuen Bourgeoisie nicht mal, wie sein ‚westlicher’ Kollege über den Verkauf seiner Arbeitskraft selbst verfügen konnte. Deshalb muß sich eigentlich niemand, die Redaktion des express vielleicht ausgenommen, über die entsprechende Resonanz auf »die gehäufte Rede vom ‚Mauerfall’« in der ‚westlichen’ Presse wundern, die es sich selbstverständlich ersparte, statt dessen »über soziale Verhältnisse zu reden«. Da hilft es auch nicht weiter, wenn im express nicht weniger einseitig die »soziale(n) Verhältnisse« gegen die politischen ausgespielt werden, anstatt zu überlegen, warum gerade in der DDR nichts enger zusammen- und von einander abhing als »die Mauer« und die »soziale(n) Verhältnisse«!


Wie auch immer die Ereignisse vor 20 Jahren interpretiert werden mögen, ob als Ausbruch,
„Umbruch“ oder „Revolution“, sie sollten zumindest heute zur Selbstbefragung der zum Widerstand gegen den Stamokap Entschlossenen Anlaß geben, um Aufschluß darüber zu erlangen, wie die von den SED-Nachfolgern betriebene politische ‚Wiedervereinigung’ mit den ‚willigen’ Teilen der westdeutschen Linken zum Zweck der Restauration des ‚Sozialismus’ in den Farben der DDR wirkungsvoll zu torpedieren sei.


Mal sehen, ob die altbewährte Allzweckwaffe gegen die, wie es früher hieß, „Feinde der Arbeiterklasse“, die die Partei Die Linke (vorläufig) in der untersten Schublade ihrer Propaganda-Abteilung abgelegt hat, sich nicht letzten Endes als Rohrkrepierer erweisen wird..!

Quellen: (1) Siehe pdf-Version. (2) Karl Marx: Das Kapital I, 742. (3) DEBATTE 2; DEBATTE 2 Anhang.

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BLogbuch 6 2009: Von der Opposition zum Widerstand – Eine kritische Einschätzung der Sezession in der ‚jungen Welt‘ »

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»Endlich kracht’s in der jungen Welt«. Mit dieser Überschrift erschien anläßlich der Frankfurter Buchmesse mit Datum vom 14. Oktober ein täuschend ähnliches fake des unter der Linken allseits heißgeliebten ‚Mitteilungsblatts für die Verfolger des Stasi-Regimes’. Als Beilage ein vierseitiges Extrablatt der Gruppe Gegen die Strömung, die die Redaktion der jungen Welt sich geweigert hatte, ihrer Ausgabe vom 1. Mai (gegen Bares selbstverständlich) beizulegen. Diese Weigerung war jedoch nicht ohne Widerspruch von Teilen der Redaktion geblieben und kulminierte schließlich in dem Leserbrief einiger »AutorInnen«, der ebenfalls nicht veröffentlicht werden durfte und in der jungen (Gegen‑) Welt nachzulesen ist. (1)

Darin kritisieren die Autoren die einseitige politische Ausrichtung der junge Welt-Herausgeber. Die Zeitung folge »an vielen Punkten einer antiimperialistischen Hauptfeind-USA-und-Israel-Linie«, was sich besonders an einer »unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran« festmache und der in ‚antiimperialistischen’ Kreisen gepflegten Taktik folge: „der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Diese Taktik habe zu einem Bündnis Ahmadineschads mit westlichen Holocaust-Leugnern und zu offenen Angriffsdrohungen gegen den Staat Israel geführt.

Da in den Texten der jungen (Gegen-) Welt verschiedene eigentlich miteinander als unvereinbar erscheinende Dogmen der west-deutschen Linken unmittelbar aufeinander prallen (marxistisch-leninistische, anti-deutsche, situationistische), die vermutlich nur wegen ihrer Einseitigkeit friedlich nebeneinander koexistieren können, sollen im folgenden einige dieser Einseitigkeiten genauer untersucht werden. Dadurch lassen sich diese Dogmen zwar nicht auf Anhieb widerlegen, aber vielleicht so stark in Bewegung versetzen, daß sie bei ihren möglichen Zusammenstößen früher oder später zerplatzen werden, was, so ist zu hoffen, zu einer offenen und öffentlichen Diskussion unter der widerstandsbereiten Opposition gegen Die Linke führen würde. Denn eine solche wäre unbedingt erforderlich, damit die gelungene junge-Welt-Aktion keine Eintagsfliege bleibt, sondern perspektivisch zum Aufbau einer Einheitsfront gegen den linken Sozialimperialismus, den Faschismus des 21. Jahrhunderts, führt, die sich dann auch nicht mehr nur auf die wenigen verbliebenen »Kryptokommunisten« (Originalton junge-Welt-Herausgeber Koschmider) beschränken, sondern in die immer noch ausstehende Große proletarische Kulturrevolution einmünden wird.

(1) Siehe auch: rote-jungewelt.de (2) junge Welt 17./18.10.2009: Feinde haben wir genug. Bürgerliche und Kryptokommunisten vereint im Kampf gegen junge Welt.

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BLogbuch 5 2009: Politischer Klassenkampf und ‘Zweiklassenjustiz’: In der ‘Solidaritäts’falle der ‘Emmely’-Kampagne »

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Die Demoskopen haben den Wählern für ihre taktische Stimmabgabe Respekt bezeugt. (1) Vielleicht kann man dieses Wahlverhalten auch so verstehen, daß nach den gewaltigen weltwirtschaftlichen Eruptionen, deren Zeugen und Leidtragende sie in den letzten beiden Jahren wurden, die Mehrheit der lohnarbeitenden Bevölkerung die alte Bourgeoisie damit beauftragt hat, den kapitalistischen Normalzustand wiederherzustellen, die unvermeidlichen, aber zugleich unerträglichen Paradoxien, die der kapitalistischen Produktionsweise ‚systemisch’ innewohnen, inklusive.


Der ‚rote September’ hat also noch nicht stattgefunden, obwohl die Partei Die Linke nach mehreren Landtagswahlen auch im ‚Westen’ rein rechnerisch an der Regierungsbildung beteiligt werden könnte. Dafür fand aber bereits in der SPD kurz nach der Abstimmung ihrer Stammwähler mit den Füßen der zu erwartende linke Putsch ihres Stamokap-Flügels statt, der noch vor zwei Jahren von der Schröder-Fraktion (Müntefering, Steinmeier, Steinbrück) ausgebremst worden war und der nun, wenn er erfolgreich ist, wahrscheinlich das Ende der SPD als bürgerliche Arbeiterpartei einläuten wird. In spätestens vier Jahren wird dann die ‚re-sozialdemokratisierte’ SPD mit der Partei Die Linke eine ‚rot-rot-grüne’ Bundesregierung bilden können.


Seitdem schwebt der um eine Galgenfrist vertagte ‚rote September’ wie das sprichwörtliche Damoklesschwert über der künftigen neuen Regierung. Wir werden also vor die Alternative gestellt werden und hautnah miterleben, ob diese den Staat vor die Wand fahren und die Schrottkarre dann für ’nen Appel und ’n Ei (+ Abwrackprämie) an die wiedervereinigte Linke Sozialdemokratie weiterreichen wird oder ob es ihr gelingt, den kapitalistischen ‚Normalzustand’ in seiner profitmaximierenden schlechten Unendlichkeit wiederherzustellen. Um diese ‚hervorragende’ Alternative zu durchbrechen und um zu vermeiden, daß sie von der neuen Bourgeoisie als (lumpen-) proletarischer Popanz zum Steigbügelhalter einer ‚sozialistischen’ Regierung degradiert wird, die gleichermaßen der alten Bourgeoisie das Überleben sichert, sollte sich die deutsche Arbeiterklasse als Klasse re-formieren. Die Träume Alexanders I. und Joseph Stalins von einem Rußland vom Atlantik bis zum Pazifik sind in der Strategie des Weltherrschaftsaspiranten Rußland (gemeinsam mit oder gegen den Großmachtkonkurrenten China – das ist noch nicht entschieden) immer noch lebendig. Und an diesen Träumen webt, wie schon zu Zeiten von Marx und Engels, die Reaktion ganz unterschiedlicher Couleur in diesem Lande mit.


Einen Vorgeschmack, wie ein Stamokap-Faschismus von links bereits heute so tickt, liefert die im Vorfeld der Bundestagswahl veranstaltete Kampagne gegen die ‚Verdachtskündigung’ einer Supermarkt-Kassiererin, die alle Wahlkampf-Hypes der letzten 20 Jahre an Verlogenheit und sozialer Demagogie mühelos in den Schatten stellt. Ausgehend von der Initiative einer winzigen Soligruppe Berliner Anarchosyndikalisten fand die soziale Tragödie der Barbara E. nicht nur Eingang in alle Boulevardzeitungen und Talkshowkanäle, sondern schließlich sogar in das Wahlkampfduell zwischen Bundeskanzlerin und Außenminister. Die weinerliche Mitleidstour, mit der letzterer diesen Fall von unbarmherziger ‚sozialer Kälte’ durch seine auswendig gelernten Antworten stolpernd abhakte, deutet darauf hin, daß er, wenn er sich nach dem Durchmarsch der Stamokap-Fraktion in seiner bisherigen Partei nach einem neuen Berufsfeld umschaut, um das Arbeitsrecht wohl eher einen großen Bogen machen sollte. Aber das geht ihm nicht allein so.


(1) WAZ 28.09.2009. Der Westen.de.

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BLogbuch 4 2009: An alle notorischen Nicht-Wähler: Wir haben keine andere Wahl – als eine zu treffen! »

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Bei Parlamentswahlen geht es dem Wähler gewöhnlich ähnlich wie dem Teilnehmer an einer Meinungsumfrage: was er zu sagen hätte… ist in der Fragestellung gar nicht enthalten, weil die Auftraggeber solcher Umfragen aus ‚des Volkes Stimme’ das herausgefiltert haben wollen, was von dem, was Presse, Funk und Fernsehen tagtäglich ‚unter die Leute bringen’, bei diesen effektiv hängen geblieben ist. Daher ist es normalerweise ziemlich sinnlos, an Meinungsumfragen teilzunehmen. Kaum anders verhält es sich mit Parlamentswahlen. Denn für gewöhnlich ist es völlig egal, welche Fraktion der Bourgeoisie die Geschäfte der Kapitalistenklasse führt, und daher wird durch die Erhöhung der Wahlbeteiligung eigentlich nur die ganze sinnlose Veranstaltung zusätzlich legitimiert.


Warum ist das diesmal anders?


Dieses Mal bewerben sich zwei Bourgeoisien mit großen Erfolgsaussichten um die Ausübung der Regierungsgewalt in diesem Staat, neben der alten auch die aus der ‚Wiedervereinigung’ der beiden Teile Rest-Deutschlands hervorgegangene neue Bourgeoisie mit ihren Bündnispartnern, die sich von der alten Bourgeoisie dadurch unterscheidet, daß sie Deutschland nicht nur ökonomisch, sondern vor allem politisch in ein engeres Verhältnis zur ehemaligen östlichen Besatzungsmacht bringen will. Dafür sprechen generell ihre nur selten abgewogenen Stellungnahmen, zumeist aber offenen Parteinahmen für die ‚östliche’ Seite in den Stellvertreter-Kriegen in Südasien, Afrika und Lateinamerika zwischen dem ‚Westen’ und dem mit dem ‚Süden’ taktisch verbündeten ‚Osten’ – spätestens seit dem Georgien-Krieg im August vorigen Jahres.


Es geht also diesmal nicht um eine Richtungswahl zwischen ‚den Bürgerlichen’ und ‚den Linken’ und die Neuauflage einer ‚Rote-Socken-Kampagne’, sondern um die Zukunft Deutschlands, die bei einer Stärkung des Einflusses der neuen Bourgeoisie auf die Regierungsgeschäfte des Kapitals – zumal unter dem wachsenden Druck der Weltwirtschaftskrise, die noch längst nicht ihren Tiefpunkt erreicht hat – stark gefährdet ist.


Daher ist ein Blick zurück und darauf, wie die historische ‚Partei Marx’ vergleichbare Situationen eingeschätzt hat, durchaus lohnend.


Zuvor noch eine Nebenbemerkung: Die Gruppe
Neue Einheit verweist in ihrem jüngsten Internet Statement 2000-21 unter der Überschrift »’Kommunismus’ zum abgewöhnen?« ebenfalls auf die oben beschriebene Situation. Allerdings legt sie das Hauptaugenmerk auf den durch die Parteien und Fraktionen der Linken erklärten Verzicht »auf die Weiterentwicklung der Produktivkräfte in diesem Land«. Gemeint ist die Kernenergie. Diese wird von der Linken, wenn sie vom ‚Westen’ betrieben wird, verteufelt, wenn sie im ‚Süden’, z.B. im Iran, angewandt wird, aber als Anzeichen der gewachsenen Souveränität dieser Länder hochgelobt. Ein überdeutliches Zeichen für die Doppelzüngigkeit der neuen Bourgeoisie und der mit ihr verbündeten Linken. Dennoch handelt es sich hierbei ‚nur’ um ein, wenn auch ein sehr wichtiges Symptom linker Politik, die aber nicht allein an ihren Symptomen, sondern in ihrem historischen Zusammenhang und ihrer strategischen Zielsetzung zu analysieren sein wird.

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BLogbuch 3 2009: Remember, remember the day of … eight seven! »

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Inhalt

Die Tage um den 7. August dieses Jahres werden vielleicht noch tiefer in das Bewußtsein der Europäer eingraviert werden als es der 7. August des Jahres 2008 ist, als der georgische Ministerpräsident Saakaschwili den Befehl gab, das völkerrechtlich zu Georgien gehörende Südossetien ‚zurückzuerobern’, das zu jener Zeit von einer von Rußland ausgehaltenen Polit-Mafia (‚Kommunistische Partei’ inbegriffen) beherrscht wurde. Das wahrscheinlich mit israelischer Unterstützung geplante Abschiedsgeschenk an den scheidenden US-Präsidenten Bush (Sohn) ging erwartungsgemäß (und auch entgegen den Warnungen hoher georgischer Militärs) in die Hose. Der georgische Napoleon glaubte mit seinem Coup das Volk der Georgier, das ihn in einer jener typischen coloured revolutions voller Begeisterung in sein Amt gewählt hatte, beschwichtigen und von den drängenden sozialen Problemen, zu deren Lösung er recht wenig oder nur etwas zugunsten der kleinen Schar seiner engsten Getreuen beigetragen hatte, ablenken zu können. Wohl nicht ganz zufällig hat sich die Kommission, die von den Regierungschefs der EU eingesetzt wurde, um die Vorgeschichte des 07. August 2008 zu untersuchen, die Veröffentlichung ihres Untersuchungsberichts auf die Zeit nach dem 07. August 2009 verschoben. (1)


Passend zu diesem geschichtsträchtigen Datum haben am Vorabend des ersten Jahrestages des 07. August Rußland, die Türkei und Italien in Ankara einen Vertrag über eine Erdgasleitung unterzeichnet, die über die Türkei, den Balkan (Serbien eingeschlossen) nach Italien führen soll und als Gegenstück zur Ostseepipeline von Rußland nach Deutschland (‚North Stream’) die Bezeichnung ‚Southstream’ erhielt. (2) Wenige Wochen vor dem 07. August war zwischen einem
europäischen Konsortium und der Türkei ebenfalls ein Abkommen über die Durchleitung von aserbaidschanischem Erdgas über den Bosporus nach Mitteleuropa mit der feinsinnigen Bezeichnung ‚Nabucco’ unterzeichnet worden. (3) Wladimir Putin wollte offenbar mit der Wahl dieses Termins dem ‚Westen’ verdeutlichen, daß er den Kampf um das Versorgungsmonopol Europas mit fossilen Energieträgern durchaus auch als Beitrag für die Wiedererrichtung der Vorherrschaft Rußlands auf diesem Kontinent versteht. Dabei soll das Energiemonopol vorläufig noch ersetzen müssen, was Rußland nach dem Verlust der Weltmachtposition der Sowjetunion an Voraussetzungen, als ernstzunehmender Widerpart der Nato ernst genommen zu werden, momentan noch fehlt.


Die strategische Bedeutung des russischen Erdgasmonopols wird deutlicher, sobald man sich die Geschichte des Staatsmonopolisten Gazprom näher vor Augen führt. (4) Nach der Kapitulation des großrussischen Imperiums im ‚Kalten Krieg’ vor dem imperialistischen Konkurrenten USA, die mit der Aufgabe der DDR 1989 besiegelt wurde, war Gazprom neben dem informell weiterhin funktionierenden Geheimdienst- und Staatssicherheitsapparat eines der wenigen verbliebenen Bindeelemente des russischen Staats, dessen Erdgasleitungen diesen wie ein Skelett zusammenhielten. Dort herrschte auch noch das alte
sowjetische Management, das nun im Auftrag der Jelzin- und Putin-Regierung ein kapitalistisches Monopolunternehmen zu dirigieren hatte, das im Inland Sozialpolitik (kaum einer der bisherigen Sowjetbürger bezahlte seine Gasrechnung) und nach außen Kapitalismus praktizieren sollte. Dies allerdings nicht in jener liberalen Form, wie sich das der Privatmonopolist Chodorkowski ‚fälschlicherweise’ vorgestellt hatte, der auf eigene Rechnung mit dem Westen Geschäfte machen wollte und, von Konstrukten wie Steuerhinterziehung usw. von den Behörden in die Enge getrieben, ins Gefängnis gesteckt wurde. (In diesen Tagen hat übrigens der einstige Gazprom-Chef aus jener Zeit und zeitweilige Ministerpräsident unter Präsident Jelzin, Tschernomyrdin seinen Abschied als Botschafter in der Ukraine genommen, der wie niemand sonst die Verquickung von rechtgläubiger Oligarchie, Staatsmacht und Erdgas-Imperialismus verkörperte.) (5)


Mit der Annexion von Süd-Ossetien und Abchasien als Reaktion auf Saakaschwilis militärische Provokation hatte die russische Regierung vor einem Jahr dem ‚Westen’ unmißverständlich kundgetan, daß Rußland wieder in den Zustand der imperialistischen Konkurrenz eingetreten sei. In den groben Klotz (der Errichtung eines europäischen Protektorats im Kosovo, wenn auch als Reaktion auf den von langer Hand geplanten Völkermord in dieser serbischen Provinz durch außerlegale Abgesandte der serbischen Regierung) hieb Rußland einen groben Keil: die Vollendung der Abtrennung der beiden Provinzen Abchasien und Südossetien vom georgischen Mutterland. (Es wird an anderer Stelle zu untersuchen sein, welche Rolle der als Ex-Bundeskanzler zum Vorsitzenden des Aktionärsausschusses des Betreiberkonsortiums von Nord Stream beförderte Gerhard Schröder für seinen Busenfreund Putin bei der Verschleierung der Vorbereitungen zur Annexion Abchasiens gespielt hat, als er seinen sozialdemokratischen Stallgefährten und nunmehrigen Außenminister Steinmeier noch kurz vor der Besetzung durch russische Truppen zu einer Bes(chw)ichtigungstour dorthin animieren konnte. Weil Steinmeier Schröder schon in Abchasien auf den Leim gegangen war, hatte er danach einige Mühe, sich von Schröders Erklärung, die Annexionen Rußlands in Georgien seien unumkehrbar, zu distanzieren. Alles andere hätte ihn aber seinen Job gekostet.) (6)


Das alles (und es ist noch längst nicht alles) bildet den Hintergrund für jene denkwürdige Zusammenkunft der russischen, türkischen und italienischen Staatschefs am 06. August in Ankara. Mit dem dort unterzeichneten Vertrag sollen ja nicht nur die geplanten westeuropäischen Gegenmaßnahmen (‚Nabucco’) gegen die mit äußerstem diplomatischen Geschick in der Vergangenheit provozierten Lieferunterbrechungen von russischem Erdgas nach Westeuropa unterlaufen werden. Auch gehört nicht viel Scharfsinn dazu, um hinter dem von dem Karatekämpfer Putin beabsichtigten oder vorgetäuschten Klammergriff gegen Europas ökonomische Unabhängigkeit den Versuch zu erkennen, die Initiativen des europäischen Kapitals nicht nur hinsichtlich seiner Energiepolitik, sondern z.B. auch seiner Türkeipolitik zu lähmen, um den ‚Westen’ eines Tages von den Füßen zu holen. Die alten Träume der alten und durch die Stalinsche Konterrevolution gesalbten neuen Zaren haben damit neue Nahrung erhalten. (Diese Träume werden z.B. genährt durch einen Gesetzentwurf, wonach – analog zum deutschen Gesetz gegen die Leugnung des Holocaust – die Leugnung des Sieges der Sowjetarmee im Vaterländischen Krieg unter Strafe gestellt werden soll. Angesichts des bevorstehenden Jahrestags des Überfalls der Hitlerarmee auf die Sowjetunion erklärte Patriarch Kyrill den Krieg als die gerechte Strafe für die Lossagung der russischen Gesellschaft von der orthodoxen Kirche.) (7)


Schließlich fragt es sich, wo das viele Erdgas das durch zwei parallele Leitungen nach Europa fließen soll, eigentlich herkommen wird? Experten halten die aserbaidschanischen Vorkommen für nicht ausreichend, jedenfalls gemessen an dem geplanten Aufwand. Aber das kann auch Zweckpropaganda sein, weil die russische Leitung u.a. aus Turkmenistan gespeist wird, um dessen Herrschergunst sich auch das ‚Nabucco’ Konsortium bemüht. (Da war es ein guter Einfall der ‚Nabucco’-Chefs, zwecks Verschleierung dieser schwierigen Sachlage sozusagen ‚parallel’ zu Gerhard Schröders Beschwichtigungsversuchen dessen einstigen Grünen Koalitionspartner Joschka Fischer als Kommunikator für ‚Nabucco’ zu engagieren). (8) Konkurrenz belebt das Geschäft – allerdings nur dann, wenn genügend Substanz zwecks Erzeugung von Umsatz vorhanden ist. Eine substantielle Lösung bestünde wahrscheinlich darin, wenn das erforderliche Erdgas früher oder später aus dem Iran nach Europa kommen würde, dessen Gasvorkommen einen solchen Aufwand wahrscheinlich allein rechtfertigen.


Damit wären wir wieder beim Iran, der auch in dieser Beziehung an einem Scheideweg zu stehen scheint. In dieser Lage haben die Teilnehmer an der ersten coloured revolution im Nahen und Mittleren Osten längst ihre Wahl getroffen: gegen den althergebrachten orientalischen Erdöl-Despotismus, bei dem eine einzige Fraktion der geistlichen Oligarchie die Gewinne in die eigene Tasche und in den Export der iranischen ‚Revolution’ steckt und für das Prinzip miteinander konkurrierender Kapitalisten, die, wie an der gegenüberliegenden Küste des Arabischen Golfs zu beobachten ist, einen Teil ihrer Gewinne im Land reinvestieren (allerdings, das ist die andere Seite der Medaille, um den anderen Teil an der Börse zu verspekulieren). Der Iran hätte demgegenüber den Vorteil, daß die für seine weitere Industrialisierung erforderliche Arbeiterklasse, weil sie in ausreichender Zahl zur Verfügung steht, nicht, wie auf der arabischen Halbinsel eigens aus Südasien importiert werden muß. (Die Rückkehr der vom politischen brain drain ins Exil gezwungenen hervorragenden iranischen Techniker, Ingenieure, Mediziner etc. gar nicht mitgerechnet).


Das Zeitalter der ‚nicht-kapitalistischen Entwicklungswege’, auf denen die Linke den Sozialismus in den Ländern der ‚Dritten Welt’ durch die Hintertür hatte einführen wollen, gehört spätestens seit dem 11.09.2001 der Vergangenheit an. Dieser ‚Entwicklungsweg’ hat nichts als eine korrupte, verbrecherische und barbarische ‚antiimperialistische’ Oligarchie ‚entwickelt’. Der Weg der anti-‚westlichen’ Gotteskrieger vom 11.09. führt ebensowenig, wie sie naive Gemüter glauben machen wollen, zurück zum archaischen Kommunismus und traditioneller Stammessolidarität, sondern unter dem Kommando ethnizistischer Oligarchien direkt in die archaische Barbarei der Hitlerschen, die nur auf einem höheren gesellschaftlichen Niveau angesiedelt war, stark wesensverwandt. Übrig bleibt vorerst nur der Weg der ehemaligen ‚Dritten Welt’ in den ‚westlichen’ Kapitalismus, der früher oder später die Totengräber hervorbringen wird, die diese Produktionsweise dort, wie in Europa, den USA, Rußland, China usw. würdig bestatten werden.

Quellen: (1) FAZ 06.08.2009. (2) FAZ 08.08.2009. FTD 07.08.2009 (3) FAZ 14.07.2009. (4) Einen höchst illustrativen Einblick in den Kampf um Gazprom liefern die beiden russischen Journalisten Waleri Panjuschkin und Michail Sygar: Gazprom. Das Geschäft mit der Macht, München 2008. (5) FAZ 12.08.2009. (6) FAZ 19.07.; 31.07.2008. spiegel.de/international/world/0,1518,druck-572686,00… zeit.de/online/2008/34/georgien-russland-konflikt-steinmeier-samstag (7) FAZ 30.06.2009. (8)FAZ 29.06.2009.

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BLogbuch 2 2009: Was die deutsche Linke mit dem Iran zu tun hat! »

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Nur einen Tag »nach der wahrscheinlich größten Demonstration der Opposition seit der islamischen Revolution in Iran« meldete die Presse, daß der durch seinen wohl organisierten Wahlbetrug am 12. Juni an die Macht geputschte Diktator zu dem »Treffen der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) im russischen Jekaterinburg« reisen werde. (1)


Die SCO, in der der Iran zunächst noch einen Beobachterstatus innehat, war Mitte der 90er Jahre von Rußland, China und verschiedenen mittelasiatischen Erdöl-Despotien zur Wahrnehmung gemeinsamer wirtschaftlicher und militärischer Interessen gegründet worden. In Jekatarinenburg (im Ural = das ehemalige Swerdlowsk) verkündete Ahmadineschad vollmundig:
»Amerika sei geschwächt, der Kapitalismus auf dem Rückzug und die Ära der Weltmächte demnächst vorbei.« (2) Offensichtlich wollte er damit sagen, daß nach dem Ende der ‚westlichen’ »Weltmächte« der Aufstieg einer oder mehrerer asiatischer oder (halb-)asiatischer »Weltmächte« denkbar wäre, wenn auch zunächst nur innerhalb einer anti-‘westlichen’, d.h. gegen die USA und das kapitalistische Europa gerichteten Einheitsfront aus potentiellen »Weltmächte(n)«.


Da aber eine ‚anti-kapitalistische’ Einheitsfront in dieser radikalen Form nur von Ahmadineschad und Chávez vertreten wird und die SCO aus Ländern besteht, die, ebenso wie ihre ‚westlichen’ Geschäftspartner, hauptsächlich an ‚gesunden’ Geschäftsbeziehungen interessiert sind, werden diese ihr Verhältnis zum ‚Westen’ wohl vorerst nicht gegen eine ‚anti-kapitalistische’ Einheitsfront eintauschen wollen. Dieser Pragmatismus fände aber darin seine Grenze, wenn z.B. ein ‚westlich’ orientierter oder zumindest ein dem ‚Westen’ gegenüber neutraler Iran, wie er der iranischen Opposition in verschiedenen Ausprägungen vorschwebt, politische Wirklichkeit würde. Ein Iran ohne Schah, Chamenei und Ahmadineschad würde das ‚bunte’ Band, das sich um den verbliebenen Rumpf der ehemaligen Sowjetunion gelegt hat (von der ‚orangen Revolution’ in der Ukraine über die ‚Rosen-Revolution’ in Tiflis) um eine ‚grüne Revolution’ bereichern und nicht nur beim Putinschen Gazprom-Rußland Atemprobleme verursachen, sondern auch weit über Mittelasien hinweg bis ins ‚sozialistische’ China ausstrahlen. Wie überhaupt die ‚grüne Revolution’ in so vielem an die 1989 von der chinesischen Armee auf dem T’ien An-men-Platz zusammengeschossene Studentenrevolte erinnert und beide wiederum an die 4.-Mai-Bewegung in China im Jahre 1919.


Außerdem vertritt die ‚grüne Revolution’ gegenwärtig Forderungen, die, wenn sie zuweilen auf Rußlands Straßen erhoben werden, die Sicherheitskräfte für gewöhnlich mit brutaler Gewalt an ihrer Ausbreitung hindern. Auch ist dem ‚System Putin’ das Verschwinden- und Umbringenlassen unliebsamer Kritiker nicht weniger fremd als dem ‚System Ahmadineschad’. Zudem erinnern die Schauprozesse, die jetzt in Teheran gegen angebliche ‚Drahtzieher’ der revolutionären Massenbewegung inszeniert werden, (3) in Stil und Ausdrucksform an jene Schauprozesse, die in den 30er Jahren in der Sowjetunion und Ende der 40er Jahre im Sozialistischen Lager (d.h. der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn u.a.m.) vom sowjetischen Geheimdienst organisiert wurden. (4) Und schließlich ist es nicht das erste Mal, daß Wahlmanipulationen das Faß zum Überlaufen gebracht und dazu geführt haben, daß sich die
Bevölkerung eines staatsterroristischen Überbaus zu entledigen wußte. Denken wir nicht zuletzt an die ehemalige DDR.


Gerade wegen all dieser traumatischen Erfahrungen und schmerzlichen Erinnerungen waren große Teile der deutschen Linken zunächst wenig geneigt, und wenn, dann auch nur mit halber Kraft bereit, gegen den Wahlbetrug des iranischen Terrorregimes, anders als sie für gewöhnlich gegen Verfehlungen oder Verbrechen des ‚Westens’ vorgehen, entschlossen Position zu beziehen. Sehen wir einmal von pro-israelischen Gruppierungen wie den sog. ‚Anti-Deutschen’ ab, deren Solidarität für Israel über diejenige unserer Bundeskanzlerin, die das Existenzrecht des Staates Israel zur deutschen Staatsraison erklärt hat, noch weit hinausgehen, indem sie einen präventiven atomaren Angriff gegen den Iran befürworten. (Welchen Wert das Solidaritätsversprechen eines Nicht-Atomstaats für einen Atomstaat wie Israel haben soll, bleibe hier einmal dahingestellt.)


Daher ist es schon bemerkenswert, wenn ein der ‚globalisierungskritischen Linken’ eher politisch zugetaner linker Sozialwissenschaftler in seinem
»Offenen Brief an ‚die Linke’« (vom 19.06.2009) »leider mit Verbitterung feststellen« muß, daß selbige Linke ihre »Solidarität mit dem großartigen Widerstand der Menschen gegen die Theokratie in der Islamischen Republik Iran« vermissen lasse. (5) Er könne zwar für »die Verunsicherung mancher angesichts der enttäuschten Erwartungen von damals im Iran [gemeint ist der Aufstand des iranischen Volkes gegen das Schahregime 1979], der Versuche der CIA in den letzten Jahren, in Osteuropa ‚orangene Revolutionen’ zu entfachen und der erklärten Ansicht der Neokonservativen, im Iran einen Regime Change herbeizuführen … Verständnis haben.« [4] Gleichwohl offenbare sich darin das Grunddilemma der Linken und das sich ständig wiederholende Scheitern an ihrem, wie er es nennt, eindimensionalen Anti-Kapitalismus. Gegen dessen Verfechter, gegen die »eindimensionalen Antikapitalisten«, richtet sich die Kritik des Autors, der ihnen vor allem ankreidet, daß sie »den ganzen Marx, ja die ganze Welt, auf Lohnarbeit und Kapital und den Kapitalismus darauf (reduzieren), daß er auf Ausbeutung beruht und daß erst durch seine Abschaffung alle Probleme der Welt beseitigt und dadurch für die Menschheit die Epoche des ewigen Glücks anbrechen würde«. [1] Durch eine derartige reduktionistische Vereinfachung würden jedoch »Machtbeziehungen, kulturelle Potentiale, Einfluß von Tradition, Religion« etc. ausgeblendet und »die Gegenwart und Geschichte ahistorisch nach eigenen Vorstellungen« zurechtgebogen. [1]


Daß sich überhaupt ein mutiger linker Professor dazu aufrafft, den Quietismus der deutschen Linken an diesem Punkt auf- und anzugreifen, ist zunächst durchaus ein Positivum. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß sich der Kritiker und die von ihm kritisierte
»Linke« in demselben Dilemma befinden. Denn was die Linken zu »eindimensionalen Antikapitalisten« macht, besteht ja nicht primär in ihrer theoretischen Reduktion des »ganzen Marx« auf »Lohnarbeit und Kapital«, sondern in ihrer politischen Reduktion der Widersprüche der »ganze(n) Welt« auf einen von Chávez und Ahmadineschad propagierten »eindimensionalen«, nämlich ausschließlich anti-‚westlichen’ Anti-Kapitalismus.


Diese
politische Eindimensionalität will der Kritiker dadurch überwinden, daß er sie um »Machtbeziehungen, kulturelle Potentiale, Einfluß von Tradition, Religion und viele anderen Faktoren« kulturalistisch erweitert. Bei einem Therapievorschlag wie diesem fällt aber die (halb-) orientalische Despotie, die in diesen ‚anti-westlichen’ Regimes für gewöhnlich herrscht (Cuba) oder die sich mit großer Wahrscheinlichkeit dort entwickeln wird (Venezuela), unter den Tisch. Kaum anders übrigens als seinerzeit der konterrevolutionäre Charakter des Realen Sozialismus vom gemeinsamen ‚anti-kapitalistischen Kampf’ verdeckt, bzw. von der Linken als ‚Diktatur des Proletariats’ (in Ermangelung der tatsächlichen Herrschaft des Proletariats) mißverstanden wurde.


Und daß der Kritiker, die
politische Eindimensionalität der Linken, wenn es sich nicht gerade um den Iran handelt, durchaus teilt, zeigt sich an der von ihm vorgenommenen Einordnung der ‚orangen Revolution’ in das Weltbild der jungen Welt. Für die eine wie den anderen war diese im wesentlichen ein Machwerk der CIA, ohne daß der Kritiker zur Kenntnis nehmen würde, daß auch in der Ukraine, wie jetzt im Iran, die Mehrheit der Bevölkerung, gegen einen Wahlbetrug aufstand, weil sie nicht länger gewillt war, von einer Marionette Putins regiert zu werden.

Welche Konsequenzen die kulturalistische Eindimensionalität nach sich zieht, wird an der Kritik an den »eurozentristischen Feministinnen« deutlich, »die im Namen der Frauenemanzipation von kopftuchtragenden moslemischen Frauen verlangen, sich europäisch zu kleiden und so auszusehen wie sie selbst aussehen«. [4] War es nicht gerade dieses vielleicht für einen Islamisten als unziemlich erscheinende Verlangen, »sich europäisch zu kleiden«, das iranische Frauen mit ihrer Hinrichtung auf offener Straße oder ihrer Vergewaltigung in den Kerkern des Regimes in den letzten Wochen bezahlen mußten? War nicht genau dies ein entscheidender Grund für die Entstehung einer zutiefst antiautoritären und antipatriarchalischen Massenbewegung, daß sich die Frauen überhaupt so kleiden und so aussehen wollen, wie sie es wollen und nicht, wie ihnen bärtige islamische Machos auf ihren Motorrädern das nach ihrer sexistischen Kleiderordnung vorschreiben?


Offenbar sprechen wir hier nicht mehr von derselben revolutionären Massenbewegung im Iran und statt dessen von der Bewegung einer von Ahmadineschad mit Geldgeschenken bestochenen und aufgeputschten Massenarmut, die aus den Elendsvierteln und Dörfern mit Bussen zu seinen Propagandaveranstaltungen gekarrt wird? Wenn der Kritiker die Motive für den Mord an einer Kopftuch tragenden jungen Frau in einem Dresdner Gerichtssaal als von
»eurozentristischen Feministinnen« ausgehende »Frauendiskriminierung« und als einen Zwang zur Verwestlichung mißinterpretiert, dann muß er eine andere als die gerade im Iran stattfindende kulturrevolutionäre Massenbewegung vor Augen haben, (die sich, was den Import kulturrevolutionärer Elemente aus dem Westen betrifft, nicht sonderlich von unserer ‚Studentenbewegung’ in den 60er Jahren unterscheidet…). Den »europäischen Frauenbewegungen« wäre viel eher vorzuwerfen, daß sie aus kleinbürgerlich bornierter und kulturrelativistischer ‚Rücksichtnahme’ (von der auch der Autor befallen zu sein scheint) recht wenig gegen die Versklavung und Verstümmelung europäischer Frauen in moslemischen Familien unter der Herrschaft des euro-islamischen Machismo einzuwenden haben. Da ist leider auch dort Fehlanzeige!


Fazit: Für eine radikale Kritik an dem
»eindimensionalen« Anti-Kapitalismus der deutschen Linken reicht es nicht aus, diesen kulturalistisch überbieten zu wollen; dazu wäre es notwendig gewesen, dessen politische Dimension zu erfassen. Da dies nicht der Fall ist, verbleibt der Kritiker mit der von ihm gemaßregelten ‚Linken’ weiterhin in der gemeinsamen anti-‚westlichen’ Einheitsfront, deren Grundlagen gegenwärtig von kulturrevolutionären Massenbewegungen wie der im Iran in Frage gestellt werden. Damit hat er gemeinsam mit der deutschen ‚Linken’ leider auf der Gegenfahrbahn der Geschichte Aufstellung genommen, auf der Seite jener (halb-) orientalischen Despoten, die jeden Anflug von westlicher Zivilisation, soweit er nicht ihren Geschäftsinteressen dient, mit Stumpf und Stil auszurotten versuchen. Man vergleiche dazu etwa die Aussage des engsten geistlichen Vertrauten Ahmadineschads, Ajatollah Mesbah Yasdi: die Iraner müssen Ahmadineschad denselben Gehorsam leisten wie dem Gott der Muslime… (6)


Am Vorabend des Krim-Krieges schrieb Karl Marx in der
New York Daily Tribune vom 12.08.1853: »Der Kampf zwischen Westeuropa und Rußland um den Besitz von Konstantinopel führt zu der Frage, ob der Byzantinismus der westlichen Zivilisation weichen wird oder ob der Antagonismus zwischen beiden in noch schrecklicheren und gewalttätigeren Formen als je zuvor wieder aufleben soll. Konstantinopel ist die Brücke zwischen Ost und West, und die westliche Zivilisation kann nicht der Sonne gleich die Welt umkreisen, ohne diese Brücke zu passieren; und sie kann die Brücke nicht passieren ohne Kampf mit Rußland. Der Sultan hält Konstantinopel nur noch für die Revolution in Verwahrung, und die jetzigen nominellen Würdenträger Westeuropas, die ihrerseits das letzte Bollwerk ihrer ‚Ordnung’ an den Ufern der Newa sehen, können nichts anderes tun, als die Frage so lange in der Schwebe zu lassen, bis Rußland sich Aug’ in Aug’ seinem wahren Gegner gegenübersteht, der Revolution. Die Revolution, die das Rom des Westens niederwerfen wird, wird auch den dämonischen Einfluß des Roms des Ostens überwinden.« (7)


Die strategische Bedeutung des von Karl Marx charakterisierten Kampfes zwischen dem »Byzantinismus« und der »westlichen Zivilisation« hat sich im Prinzip nicht geändert; er findet nur nicht mehr in einer europäischen, sondern in einer globalen Dimension statt, wobei die USA die Rolle Englands übernommen haben und Rußland wahrscheinlich nur innerhalb der anti-‚westlichen’ Einheitsfront wieder zu seiner alten Weltmachtposition zurückfinden wird. Auch heute wird »die westliche Zivilisation nicht der Sonne gleich die Welt umkreisen« können, ohne diese »Brücke zwischen Ost und West« zu passieren; auch heute wird die reaktionäre ‚anti-kapitalistische’ Einheitsfront mit den Herren Ahmadineschad und Chávez an der Spitze, die den Platz des alten zaristischen Rußland einnehmen könnte, in letzter Instanz mit der Revolution konfrontiert werden. Deren Vorboten erleben wir gegenwärtig in Gestalt der kulturrevolutionären Massenbewegung im Iran.


Der ‚Marxismus’ der Linken, um noch mal darauf zurückzukommen, ist vor allem nicht deshalb so »eindimensional« und abstrakt, weil diese, wie sie es u.a. bei dem marxistischen russischen Ökonomen Jewgenii Preobraženskij gelernt hat, (8) den »ganzen Marx, ja die ganze Welt auf Lohnarbeit und Kapital und den Kapitalismus« reduziert hat, sondern weil sie genau umgekehrt nicht in der Lage ist, das Ausbeutungsverhältnis von Lohnarbeit und Kapital, nun, da es in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise im eigentlichen Marxschen Sinne erst wirklich wahr wird, radikal auf die Beziehungen der verschiedenen Klassen zu diesem Widerspruch auszudehnen. Statt dessen reduziert sie ihren Anti-Kapitalismus politisch darauf, unter der Fahne des ‚Sozialismus des 21. Jahrhunderts’ hinter ‚sozialistisch’ aufgemöbelten »eindimensionalen«, nämlich feudalen »Anti-Kapitalisten« herzulaufen, der naiven oder vielleicht auch berechnenden Strategie folgend, daß durch ihren Kampf gegen den ‚Westen’ und dessen Kapitalismus die Menschheit befreit werden möge. Dabei wollen sie doch alle nur das eine: den gesellschaftlichen Reichtum der armen und reichen kapitalistischen Länder in den eigenen oder den Taschen ihrer Familien-Clans und politischen Seilschaften verschwinden zu lassen. Das heißt: Was uns als der ‚Marxismus’ und abstrakte Antikapitalismus einer »eindimensional antikapitalistische(n) Linke(n)« gegenübertritt, ist die vom Marxschen Kommunismus gestellte, aber hier politisch entstellte Eigentumsfrage: der alten Bourgeoisie zu nehmen, um der neuen zu geben. Darauf beschränkt sich in der Quintessenz der Antikapitalismus jener »eindimensionalen Antikapitalisten«.


Daran gemessen reichen unsere bisherigen Überlegungen nicht mehr aus festzustellen, daß dieser Antikapitalismus eigentlich nichts mehr mit Marx und dem Marxschen Kommunismus zu tun habe. Viel eher trifft in diesem Fall zu, was Friedrich Engels bereits zu den ‚revolutionären’ Praktiken des russischen Zarentums festgestellt hat:
»Rußland kennt keine Skrupel in der Wahl seiner Mittel. Man sagt, daß der Krieg Klasse gegen Klasse etwas äußerst revolutionäres sei; Rußland brach in Polen einen solchen Krieg vor ungefähr 100 Jahren vom Zaun, und es war ein schöner Klassenkrieg, als russische Soldaten und kleinrussische [= ukrainische] Leibeigene gemeinsam darangingen, die Schlösser der polnischen Adligen niederzubrennen, nur um die russische Annexion vorzubereiten; sobald diese vollbracht war, führten dieselben russischen Soldaten die Leibeigenen unter das Joch ihrer Herren zurück.« (9)


So ähnlich haben wir uns, geht es nach den Herren Chávez und Ahmadineschad, auch die von ihnen ins Leben gerufenen ‚antikapitalistischen’ Bewegungen vorzustellen. Als Muster dient ihnen der ‚Reale Sozialismus’, dessen ‚Marxismus’ eine hervorragende Blaupause dafür abgab, um im Namen der Arbeiterklasse die alte Bourgeoisie zu enteignen und an deren Stelle die Arbeiter härter zu drangsalieren und auszubeuten als je zuvor. (Von den Bauern reden wir erst gar nicht…) In diesem Zusammenhang könnte auch Stalins Kunststück von Nutzen sein, wie durch eine ‚revolutionäre’ Konterrevolution die (halb-)asiatische Herrschaft des alten Zarentums wiederhergestellt wird und wie sich diese gegen einen wirklichen revolutionären Umsturz durch das Proletariat ‚marxistisch’ und im Stile Louis Bonapartes immunisieren läßt…


Quellen
: (1) FAZ 16.06.2009. (2) FAZ 17.06.2009. (3) FAZ 03.08., 05.08, 06.08., 10.08., 15.08.2009. (4) Großajatollah Montazeri verglich die Schauprozesses mit denjenigen Stalins und Saddam Husseins. FAZ 06.08.2009.

(5) htttp://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30830/1.html Mohssen Massarrat: Offener Brief an „die Linke“ anläßlich ihrer mangelnden Solidarität mit der Volksbewegung im Iran. Seitenangaben in eckigen Klammern. (6) FAZ 15.08.2009. (7) MEW 9, 236 f. (8) parteimarx.org DEBATTE 3. (9) MEW 16, 162.

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BLogbuch 1 2009: Was haben die Arbeiterklassen mit dem Iran zu tun? »

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1863 gab es in Polen einen Aufstand gegen das russische Zarentum, das dieses Land nach dem Sieg der Heiligen Allianz über Napoleon 1815 bis auf einige schmale Happen, die an die Komplicen Österreich und Preußen gingen, komplett dem großrussischen Imperium einverleibt hatte. Es war nicht der erste, es sollte aber für längere Zeit der letzte Aufstand dieser Art gewesen sein.


Rußland grenzte damit direkt an Deutschland. Dort hatte der Zar in Preußen einen verläßlichen Haushund gefunden, der ihm die revolutionären Bestrebungen, die von Deutschland hätten ausgehen können, vom Leib hielt.


Marx und Engels hatten frühzeitig erkannt, daß der Sieg der
Heiligen Allianz unter Führung des russischen Zarentums über Napoleon ohne die Beherrschung Polens nur die Hälfte wert gewesen wäre. Für sie war damit die sog. Polenfrage von vornherein mit der revolutionären Situation in Deutschland und Europa verkoppelt. Anläßlich der 20. Wiederkehr des Aufstandes von Krakau (gegen die Teilungsmacht Österreich) hielt Friedrich Engels 1867 auf einer Solidaritätsveranstaltung in London einen Vortrag unter der Überschrift: »Was hat die Arbeiterklasse mit Polen zu tun?«.


Ließe sich die gleiche Frage nicht auch in Bezug auf die gegenwärtigen Demonstrationen im Iran stellen?


Ein Unterschied zu damals besteht im positiven Sinne darin, daß der Iran heute kein von einer fremden Macht besetztes Land ist, ein anderer dagegen, daß es in Europa keine revolutionäre Arbeiterbewegung gibt, die sich mit der während des polnischen Aufstands 1864 gegründeten und von Marx und Engels entscheidend mit vorangetriebenen
Internationalen Arbeiterassoziation vergleichen ließe.


Eine Gemeinsamkeit gibt es dennoch: wie schon das russische Zarentum seit Peter I. seine sozialen Widersprüche (Leibeigenschaft der Bauern) durch den Export von ‚Revolutionen’ nach Westeuropa zu kompensieren hoffte, versucht auf ähnliche Weise das heutige Regime im Iran wegen der unaufhebbaren politischen und gesellschaftlichen Rückständigkeit dieses Landes die Flucht nach vorn in eine islamistische soziale Revolution anzutreten und diese in die Nachbarländer zu exportieren. In dem ‚neuen kalten Krieg’ zwischen der angeblich anti-kapitalistischen ‚Dritten Welt’ und dem kapitalistischen ‚Westen’ setzt die iranische Führung auf eine Konfrontation mit der westlichen Zivilisation Europas und den USA, die wegen der mit der kapitalistischen Produktionsweise einhergehenden Widersprüche bei den rückständigsten Massen im Iran und der muslimischen Welt bisher auf gewisse Sympathien treffen konnte.


Dieser ‚neue kalte Krieg’ wurde 2001 durch den Angriff von wahabitischen Gotteskriegern auf ein Symbol des Kapitalismus in den USA eingeleitet. Die Wahabiten eint mit dem Führer der iranischen Massenarmut, Ahmadineschad trotz der erbitterten Gegnerschaft ihrer Sekten zueinander der gemeinsame Wunsch, die bürgerliche Gesellschaft von der Erdoberfläche zu tilgen und an deren Stelle die Weltherrschaft des Islam zu setzen.


Als Vorwand für den von beiden Regimes praktizierten Staatsterrorismus dient der Kampf gegen das hauptsächlich von den USA finanzierte kolonialistische Projekt Israel, dem jedoch diese Barbaren trotz aller verurteilenswerten Verbrechen, die der Zionismus gegen das arabische Volk der Palästinenser begangen hat, in zivilisatorischer Hinsicht nicht das Wasser reichen können. Für diese islamistischen Regimes sind die Völker, denen sie sich in den Nacken gesetzt haben und aus denen heraus einzelnen Privilegierten die hohe Gnade zuteil wird, als Kamikaze ihr Leben zu opfern, nicht mal den Dreck wert, den sie sich nach der Verwirklichung ihrer Welteroberungspläne von der Chalaba klopfen würden.


Dagegen ist die Mehrheit der iranischen
Bevölkerung, die sich um den Wahlsieg ihrer Kandidaten betrogen sieht, aufgestanden. Sie haben meine Stimme gestohlen! rufen die Demonstranten. Und einer erzählt einem westlichen Korrespondenten: Und Ahmadineschad kanzelte uns alle als unbedeutende Staubkörner ab, (aber) heute sind wir so viele Staubkörner, daß wir einen Berg bilden.


Da die Propheten nicht zum Berg kommen wollen, kommt jetzt der Berg zu den Propheten: Die iranischen Studenten, die Intelligenz und nicht Wenige aus den südlichen Armenvierteln Teherans sowie Teile des westlich orientierten Klerus sind nicht mehr bereit, unter einem System Ahmadineschad weiterzuleben. Sie verlangen, und das nicht zum ersten Mal in der iranischen Geschichte, ein an westlichen Maßstäben orientiertes politisches System und darüber hinaus, daß die orientalische Erdöl-Despotie einer winzigen Clique, die den Reichtum des Landes unter sich aufgeteilt hat und die sich von ihren Wachhunden, den Pasdaran und der Basidsch-Miliz
gegen das Volk schützen läßt, beendet wird.


Die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gegen das Schah-Regime wirksame Parole ‚Allahu akbar‘ wird heute erneut des Nachts von den Dächern gerufen. Das erinnert an das Revolutionsjahr 1905, als sich vor dem Zarenpalast in St. Petersburg die Rufe der dort zusammengeströmten russischen Bauern ‚Gott schütze den Zaren!‘ für selbigen Zaren so bedrohlich anhörten, daß er befahl, auf die Bauern zu schießen. Leider wird die Ironie, die sich mit den Lobpreisungen Allahs in den nächtlichen iranischen Städten verbindet, nicht ständig vorhalten; das ist bedauerlich, weil sich dabei häufig die Gelegenheit bietet, das Übermaß an religiöser Wohlgefälligkeit mit dem Ruf: ‚Tod dem Diktator!‘ zu verbinden…


Von den im Iran noch verbliebenen westlichen Journalisten wurde übrigens noch eine weitere nächtliche Parole registriert: ‚Tod Rußland!‘

Quellen: FAZ 15.06. und 16.06.2009.

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BLogbuch zu den laufenden Klassenkämpfen »

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An dieser Stelle wird eine neue Seite der partei Marx aufgeschlagen

Bisher sahen wir es als unsere Hauptaufgabe an, die Differenz zwischen der ‚Partei Marx’ und dem ‚Marxismus’ zu untersuchen und die ‚Marxisten’ darauf aufmerksam zu machen, daß der Weg des ‚Marxismus’ schließlich zu einer ‚marxistischen’ Konterrevolution geführt hat und es daher empfehlenswert sei, diesen zu verlassen und zu den Wurzeln der Marxschen Strategie zurückzukehren. Jetzt ist es endgültig an der Zeit festzustellen, daß der Weg des ‚Marxismus’ ja durchaus erfolgreich war. Erfolgreich in dem Sinne, daß er heute als Ideologie von Teilen der herrschenden Klassen vertreten wird. Ihn daher als Abirrung von scheinbar immer noch gültigen und von uns allen als gemeinsame geteilten ‚marxistischen’ Grundsätzen zu kritisieren, ist mehr als absurd. Hier ‚wuchs’ vielmehr ‚zusammen, was zusammengehört’ und was trotz aller Scheingefechte zwischen ‚Kommunismus’ und Anti-‚Kommunismus’ eigentlich in der Unterdrückung der Völker und Nationen und der Ausbeutung der arbeitenden Klassen immer schon zusammengehört hat.


Würden wir die Revolutionen im 20. Jahrhundert bilanzieren wollen, so bliebe nur die Feststellung, daß diese unter dem Strich fast ausschließlich Pseudo-, Konterrevolutionen und eine große Barbarei hervorgebracht haben, wodurch die revolutionären Völker und Klassen nicht nur an der Nase herum geführt, sondern auch die revolutionäre Sache der Marxschen Partei um Generationen zurückgeworfen wurde. Was ist zu tun?


Es hat sich gezeigt,

  • daß die mutigsten und kühnsten revolutionären Erhebungen gegen die sich als revolutionär bzw. ‚antifaschistisch’ verkaufende Konterrevolution chancenlos waren (Berlin, Warschau Budapest), während die Konterrevolution in der Revolution immer wieder zum Erfolg geführt hat (Rußland, China, Kuba etc.);

  • daß es kein Gegenmittel gegen pseudorevolutionäre Gesellschaftssysteme gibt, außer daß sie unter ihrer ganzen Untragbarkeit und Unerträglichkeit, zwar verstärkt durch den Druck der Straße, aber eigentlich eher von selbst zusammenbrechen, um sich in den Kapitalismus, wie wir ihn alle kennen, zurückzuverwandeln;

  • daß die Massenbasis der Konterrevolution in der Revolution (Stalin) und der ‚Revolution’ in der Konterrevolution (Hitler) bestehend aus Opportunismus und Quietismus, unter der Fuchtel universeller Polizeiregimes, sich erst gegen diese erhebt, wenn deren Zusammenbruch als unmittelbar bevorstehend erkennbar ist;

  • daß alle Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, die aber bisher von den Klassenkämpfern, die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel, zwischenzeitlich für beendet erklärt und bis auf weiteres stillgestellt wurde.

Alle 80 Jahre scheinen die Gesellschaften, in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht, von einer schweren Depression heimgesucht zu werden, in der die wiederkehrende konjunkturelle Wellenbewegung von Aufschwung, Hochkonjunktur, Niedergang und Krise sich zu einem finalen Tsunami zusammenzieht und riesige ökonomische und gesellschaftliche Verwüstungen anrichtet. In solchen Ereignissen kann dem Kapitalismus auf den Grund geschaut werden, woraus sich die Frage erhebt, ob Bewegungen wie diese, die ja anders als die ozeanischen von Menschen erzeugt werden, sich im Abstand eines Menschenalters unabwendbar wiederholen müssen?


Dies wäre nur zu verhindern, wenn z.B. Kapital und Lohnarbeit durch die »gesellschaftliche Produktion« abgelöst würden, wenn die menschliche Arbeitskraft aufhörte, eine Ware zu sein, usw. Das Problem ist nur, daß sich allen Versuchen der Lohnarbeit verrichtenden Klasse, ihre eigenen Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen, immer wieder ein vielfältig organisierter und tief gestaffelter Apparat professioneller ‚Klassenkämpfer’ an die Seite stellt, um ihr jede eigene Initiative mit freundlicher Bestimmtheit abzunehmen. Es sind daher nur wenige Beispiele überliefert, die bezeugen, daß die Lohnarbeiter ihre eigenen Klassenkämpfe selbst in die Hand genommen haben. All die hilfreichen Gewerkschaftsapparate, Parteien, Verbände, Kirchen u.a.m sorgen als Abteilungen der alten oder neuen Bourgeoisie lediglich dafür, die Lohnarbeiter zu domestizieren und sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen zu lassen, sich um ihre ureigensten Angelegenheiten und das heißt um ihre eigene Klasse und deren Zukunft selbst zu kümmern.


Angesichts der Weltwirtschaftskrise, die ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht hat, ist das eine höchst mißliche Situation.


In einer ähnlichen Situation (zwei globale Depressionen zurückgerechnet) haben Karl Marx und Friedrich Engels 1846 in Brüssel ein Kommunistisches Korrespondenten Komitee gegründet, dessen Aufgabe darin bestand, unter den damaligen Arbeitern (die in ihrer Mehrzahl Handwerker waren, weil Deutschland erst am Beginn der ‚Industriellen Revolution’ stand) den Sinn für die eigene Klassenorganisation zu wecken und zu stärken. Dazu sollte ein Korrespondentennetz organisiert werde, zu dessen Aufgabe es gehörte, von vergleichbaren Organisationsversuchen und Aktionen der Lohnarbeiter zu berichten und diese zu analysieren.


Da die Welt heute vielfältig vernetzt ist, müßte es eigentlich rein technisch nicht schwer fallen, ein solches Netz zu organisieren. Auch ist Internationalität der weltweiten Klassenkämpfe schon längst nicht mehr ein nur reines Ideal und rein abstrakte Forderung, sondern eine alltägliche mit der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Ausbreitung auf dem Weltmarkt einhergehende Realität. Gerade in den Ländern, wo pseudorevolutionäre Regimes, indem sie das Internet sperren, ihre Privilegien gegen die Masse der arbeitenden Bevölkerung verteidigen usw., zeigt sich dessen Gefährlichkeit als Kommunikationsmittel der widerständigen Bevölkerung.


Wie es so schön heißt: aller Anfang ist schwer oder: der erste Schritt auf dem langen Marsch ist der schwerste. Aber ein Anfang muß gemacht werden.


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Ulrich Knaudt:

Offener Brief an Roberto Fineschi

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Anhang 3 »

Vera Sassulitsch an Karl Marx

(Das französische Original und eigene Übersetzung)

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Anhang 2 »

Biographische Angaben zu  Evgenii Alexejewitsch Preobrashenskij (1886-1937)

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Anhang 1 ARBEITSPAPIER »

Arbeitspapier:

Das Wertgesetz und der Sozialismus im 20. Jahrhundert

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ZUSAMMENFASSUNG »

DEBATTE 3 Zusammenfassung als PDF-Datei

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