Reaktionen 

Reaktionen (2004)

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Die an dieser Stelle wiedergegebenen feedbacks zum Projekt Partei Marx haben im Augenblick nur archivalischen Wert, da die eingangs geäußerte Faszination an demselben, bis auf die nachstehend dokumentierten Ausnahmen, fast auf Null gesunken ist.

Daher verweisen wir auf die REFLEXIONEN, KRITIK und DEBATTE, worin wir uns mit unseren Kritikern und Autoren kritisch auseinandersetzen, die zu der Thematik, mit der wir uns zu beschäftigen haben, in, wie wir meinen, besonderer Weise hervorgetreten sind.

Zu Dokumentationszwecken wurden einige Briefe aus der Zeit vor 2001 aufgenommen.

In der letzten Zeit (seit dem Frühjahr 2007) haben die REAKTIONEN den einseitigen Charakter einer Art ‚Flaschenpost’ angenommen, die, so ist zu hoffen, wieder einem regeren Meinungsaustausch Platz machen wird.

[Korrekturen sinnentstellender Fehler sowie Kürzungen werden in eckige Klammern gesetzt und folgen der klassischen Deutschen Rechtschreibung.]

Dieser Text ist auch als PDF-Datei verfügbar

 


An Django (12.01.2004):

Hab vielen Dank für Deine Neujahrs-Mail, die ich mit einiger Verzögerung, die Du entschuldigen mögest, beantworte.

[…]
Du siehst die Dinge zu schwer (oder wie man hier sagt, nicht locker genug). Das betrifft auch die Sache mit dem „Proletariat“: Ich gehe zwar davon aus, daß es damit genauso steht, wie zu Marxens Zeiten, nur daß sich das ganze Phänomen global auseinandergezogen hat und zwar gerade so, daß die deutsche Arbeiterklasse auseinanderdividiert werden müßte in eine, gemessen am Weltmaßstab, hoch qualifizierte und entsprechend bezahlte ‚Arbeiteraristokratie‘ und eine wachsende Schicht von prekären Arbeitern und Nicht-Mehr-Arbeitern, die aber alle irgendwie ’sozial abgesichert‘ sind. Die deutsche Arbeiterklasse produziert zweifellos weiterhin ‚ihren‘ Mehrwert für das Kapital (oder ist an dessen Realisierung beteiligt), aber verglichen mit dem übrigen Proletariat, das im Weltmaßstab über die sog. Niedrig- und Niedrigstlohnländer verteilt ist, fällt es schwer, hier noch von einem Proletariat im ursprünglichen Sinn zu sprechen (obwohl die deutsche Arbeiterklasse Teil der weltweit sich herausbildenden Klasse an sich ist). Die Sache ist also höchst verwickelt, und, bevor diese Klasse an sich nicht einmal ansatzweise existiert, scheint es geradezu utopisch zu sein, heute einfach so von „dem Proletariat“ zu sprechen. Wenn ich dieser Ansicht wäre, müßte das zu Recht kritisiert werden.

Wenn in Zukunft überhaupt von „dem Proletariat“ die Rede sein wird, müßten wir heute von vornherein von dem Weltproletariat ausgehen, allein schon, weil sich die Weltbourgeoisie, um zu überleben, am Weltmarkt orientieren muß und ihr Kapital (mit oder ohne linke Moralpredigten) dort entsprechend profitabel ‚disloziert‘ hat, und daher sollten wir die ’nationale‘ Arbeiterklasse in Relation zu dem sich real herausbildenden Welt-Proletariat in China, Indien oder Brasilien (?) bestimmen. Was dann noch an der deutschen Arbeiterklasse als revolutionär übrigbleibt, wird wahrscheinlich ’nicht die Welt sein‘, auch wenn diese bittere Wahrheit den politisch auf Dummenfang ausgehenden ‚Arbeiter’parteien links von SPD und PDS vermutlich nicht in den Kram paßt, weil der Glaube an die Existenz eines ‚revolutionären deutschen Proletariats‘ nun einmal zu ihrer raison d’être gehört, während auf der anderen (mehr oder weniger sozialdemokratischen) Seite der „Abschied vom Proletariat“ schon lange eine vollendete Tatsache ist, an dessen Stelle das neue kosmopolitische Kleinbürgertum (im Gegensatz zum untergehenden alten bildungsbürgerlich-handwerklich-großbäuerlichen, das keinen Anschluß an den Weltmarkt findet) getreten ist (die bürgerliche Linke jenseits der Arbeiter-Partei-‚Kommunisten‘: PDS, Grüne, Jusos, Julis und wie sie alle heißen), die sich und ihren globalisierungskritischen Anhang zum neuesten Antipoden der Weltbourgeoisie erklären… Die Frage nach dem „Proletariat“ sollte niemandem einen schweren Kopf machen, weil einfach niemand die Antwort wissen kann, es sei denn, er hält sich für einen Propheten. Sie wird ganz konkret beantwortet werden, wenn es soweit ist.

Aber vielleicht reden wir schon wieder aneinander vorbei; denn für den Fall, daß Deine Probleme mit dem „Proletariat“ eher prinzipieller Natur sind, müßte ich mich für nicht zuständig erklären und wie ich in einem meiner letzten Briefe erwidert habe, Dich auffordern, Deine prinzipiellen Bedenken an die Gründungsväter der „Partei Marx“ zu richten und Dich in die lange Reihe der (zumeist akademischen) Marx-Kritiker einzuordnen in der Hoffnung vor der dort versammelten Öffentlichkeit Deine Kritik plazieren zu dürfen. Aber das lassen wir einmal dahingestellt…

Nächster Punkt: ich halte Deine ironische Schreibweise nicht für einen Nachteil. Unsere „Mißverständnisse“ sind eher politischer Natur, genauer, sie beruhen darauf, daß wir unsere sehr unterschiedlichen politischen Sichtweisen aus unserem Diskurs vorerst ausgeklammert haben. Und daher treten wir auch auf der Stelle. Um in unserer Diskussion weiter zu kommen, müßten wir versuchen, unsere politischen Differenzen konkret zu bestimmen. Ich erinnere mich, daß Du anläßlich meiner Überlegungen zum Kirow-Attentat sinngemäß schriebst: das wäre eine Angelegenheit für die Historiker, zu der Du Dich nicht konkret äußern wolltest. Das finde ich ganz und gar nicht: wo es um die Rekonstruktion des Verlaufs einer weltrevolutionären Bewegung geht (und nicht nur um die „Stalinfrage“ als solche), besteht für jeden daran direkt oder indirekt Beteiligten die unbedingte Notwendigkeit, sich darüber seine eigenen Gedanken zu machen und diese zu diskutieren, weil das nicht nur für die Einschätzung der damaligen Entwicklung der UdSSR und der zukünftigen Entwicklung des Weltproletariats von entscheidender Bedeutung ist. Den bürgerlichen Historikern ist dieser Gesichtspunkt natürlich ‚Schnuppe‘, die Arbeiter-‚Kommunisten‘ reden häufig salopp von gewissen „Fehlentwicklungen“, während sie aus demselben „fehlentwickelten“ Irgendwie-Sozialismus in der SU (DDR) die Existenzberechtigung ihrer eigenen Partei ableiten. Eine Frau ist bekanntlich nicht irgendwie schwanger… Um unsere Differenzen konkret zu bestimmen, müßten wir uns von all diesen Irgendwie’s verabschieden.

Davon abgesehen habe ich generell den Eindruck, daß ich mit meinem Anspruch an eine konkret bestimmte Redeweise in meinem Umfeld, das ich auf meine Texte aufmerksam gemacht habe, eher lähmendes Entsetzen auslöse. Es ist als ob in einem großen Kreis von Gesprächsteilnehmern jemand eine Peinlichkeit von sich gegeben hat, zu der sich niemand konkret äußert, um nicht in das Schwarze Loch, das durch die angebliche Peinlichkeit aufgerissen worden ist, selbst mit hineingezogen zu werden. Oder es ist wie mit des Kaisers neuen Kleidern, wo nur die Nichteingeweihten noch ihren Realitätssinn bewahrt haben! Die deutsche Linke geht nackt (oder in Bourgeois-Klamotten!) und alle Welt hat sich über die Jahre an den Gedanken gewöhnt: es muß doch noch irgendwas Kommunistisches an ihr dran sein. – Die Wahrheit ist konkret, also laß uns konkret werden und unsere politischen Einschätzungen zusammenrasseln lassen. Entweder bricht dann unsere Diskussion zusammen oder wir schaffen uns eine Grundlage für eine zukunftsgerichtete Fortsetzung derselben.

[…]
Hier beende ich erst mal meinen Monolog und hoffe für uns auf baldige „Konkretisierungen“…

Ulrich

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