Reaktionen 

Reaktionen (2005)

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Die an dieser Stelle wiedergegebenen feedbacks zum Projekt Partei Marx haben im Augenblick nur archivalischen Wert, da die eingangs geäußerte Faszination an demselben, bis auf die nachstehend dokumentierten Ausnahmen, fast auf Null gesunken ist.

Daher verweisen wir auf die REFLEXIONEN, KRITIK und DEBATTE, worin wir uns mit unseren Kritikern und Autoren kritisch auseinandersetzen, die zu der Thematik, mit der wir uns zu beschäftigen haben, in, wie wir meinen, besonderer Weise hervorgetreten sind.

Zu Dokumentationszwecken wurden einige Briefe aus der Zeit vor 2001 aufgenommen.

In der letzten Zeit (seit dem Frühjahr 2007) haben die REAKTIONEN den einseitigen Charakter einer Art ‚Flaschenpost’ angenommen, die, so ist zu hoffen, wieder einem regeren Meinungsaustausch Platz machen wird.

[Korrekturen sinnentstellender Fehler sowie Kürzungen werden in eckige Klammern gesetzt und folgen der klassischen Deutschen Rechtschreibung.]

Dieser Text ist auch als PDF-Datei verfügbar

 


An Partei Marx (21.08.2005):

Hallo Ernst Ulrich Knaudt,

habe deine schöne Parteikritik erst gerade zur Kenntnis genommen (Referat in Frankfurt) [1] und muß mir in den nächsten Tagen deine Ausführungen auf der Webseite genauer zu Gemüte führen.

Ich bin ja immer wieder neu überrascht, wenn bei allen möglichen sogenannten RevolutionärInnen – die sich untereinander bekanntlich überhaupt nicht grün sind – der positive Bezug auf das Gespenst aus dem K[ommunistischen] M[anifest] als einzigartiger, gemeinsamer Nenner sichtbar wird. Es ist ja geradezu ein Manko in ihrem Selbstbewußtsein, dieses Gespenst nicht selbst darstellen zu können. Ein kritischer Bezug auf die Bewegungsgeschichte, die die Umkehrung der wirklichen Gespenstbedeutung ermöglicht, ist aus meiner Sicht kaum vorhanden. Mich interessiert daher, ob Du beim Vorstellen deines Referates in Frankfurt damit bei diesen anecktest.

Es ist ja in der Tat so – wenn man die marxschen Veränderungsbestimmungen von ihrem Ende her begreift (Aufhebung der Wertvergesellschaftung mit Aufhebung des Geldes bei gleichzeitiger Vergesellschaftung ohne äußeren Zwang), daß der Leninsche Revolutionsweg gar nicht funktionieren kann – oder?

so weit erstmal und beste Grüße

Hubert

1)KRITIK 1, ANHANG 2


An Hubert (01.09.2005):

[…]
Ein positiver Bezug auf das K[ommunistische] M[anifest] ist recht einfach herzustellen und zugleich sehr kompliziert. Es ist immer relativ einfach gewesen, den darin entwickelten Anspruch deklamatorisch in die Welt hinaus zu posaunen, wie etwa aus Anlaß des 150. Jahrestages in Paris. Da es sich um die Programmatik einer ganzen Menschheitsepoche handelt, wird der Zitatensucher kaum das nötige Kleingeld für seine Tagespolitik darin finden. Ihre Vermittlung durch den politischen Klassenkampf hat Marx in Form der ‚Partei Marx‘ exemplarisch vorgeführt. Dies wird in den STREITPUNKTEN auf der Homepage gleichen Namens an bestimmten Beispielen vorgeführt. Dort geht es vor allem um die Beziehung Lenin-Marx, die für die Bewältigung unserer ‚Bewegungsgeschichte‘ von entscheidender Bedeutung ist. Was von dem ‚Leninschen Revolutionsweg‘ dann übrig bleiben wird, und zwar ohne der Sozialdemokratie und dem linken Sozialimperialismus Konzessionen zu machen, wird sich dabei herausstellen. Das Verhältnis zwischen Werttheorie und politischem Klassenkampf ist dabei neu zu bestimmen, weil weitgehend unterbestimmt.

Falls Du Dich mit den STREITPUNKTEN auseinandersetzen willst, wäre Deine Kritik sehr willkommen.

[…]
Was Deine Frage zu der Frankfurter Veranstaltung betrifft, so kann ich mich an keine ernstzunehmenden Einwände erinnern. Dazu waren die wenigen Zuhörer politisch zu heterogen, bzw. das Thema scheinbar zu theoretisch. (Siehe auch: Wozu die Auseinandersetzung über die elementaren Streitpunkte?)

Es grüßt herzlich Ernst-Ulrich Knaudt


An Partei Marx (07.09.2005):

Hallo und vielen Dank Ernst Ullrich,

für deine Antwort und die Einladung zur Kritik, ich werde gerne darauf zurückkommen. Wie angekündigt habe ich mir ja inzwischen die Webseite näher angesehen und finde die Betonung der Marxschen Position zu Rußland in Diskrepanz zu Lenin aber auch zu Engels sehr interessant. Ich kannte die Briefe zwar, aber bis zu dieser grundsätzlichen Bedeutung habe ich die Sache nicht zu Ende gedacht. Unabhängig von der Richtigkeit der Position im engen Sinn, etwa bezogen auf die Jahre 1917 ff, kommt hier m. E. aber auch ein Problemzugang zum Ausdruck, der quer zu den Ambitionen der Bolschewiki steht, die mit ihrem Minderheitenkonzept über gar keinen wirklichen Problemlösungsansatz verfügten, weil die Gesellschaft als Akteur, d.h. die vielen Individuen die die Gesellschaft im Zusammenhang bilden, gar nicht handlungsrelevant war. Marx dagegen versuchte die von ihm gesehene Gesellschaftlichkeit des russischen Dorfes sozusagen als Keimform der sozialistischen Gesellschaftlichkeit zu nutzen, die damit definitiv in der Handlungshoheit der direkt betroffenen Menschen gelegen hätte. Vielmehr mußte ja alles durch das Revolutionaritätsfilter der Partei: was hier nicht in den Kram paßte wurde ausgeschlossen. M. E. ist deine positive Affinität zu Lenin (meine eigene Abkehr hier ist noch nicht sehr alt) überholt. Die Beurteilung der Realitäten gelingt schwerlich vor dem isolierten Hintergrund der Leninwerke und fängt man erstmal an, die Realitäten in den Blick zu nehmen, wird man von den Diskrepanzen erschlagen.

M. E. ist hier aber auch immer der Widerspruch in der Parteikonzeption zwischen Marx und Lenin übersehen oder als Weiterentwicklung verstanden worden, was sie m. E. sicherlich genau nicht ist. Die marxsche Warnung vor der Modelung ist vielmehr im Leninschen Konzept das eigentliche Programm (insbesondere real, die Formulierungen sind dagegen zweitrangig). Für Marx ist die Partei der Kommunisten (in deinem Sinn die Partei Marx) in der Gesellschaft für die Gesellschaft als eine unter vielen tätig, als militärische Kampforganisation aus meiner heutigen ! Sicht völlig untauglich. Die andere Bestimmung der Gesellschaft durch die Partei ist hinreichend bekannt. Denkt man diese Zusammenhänge von ihrem Ziel her an (Vergesellschaftung ohne Geld und ohne Zwang) so erledigt sich das Minderheitskonzept aus meiner Sicht per se, weil der Zwang nur durch die Eigenmotivation der vielen, vielen Individuen zu umgehen ist. Steht die Frage erst mal auf dem Tablett, wie die „ungeheure Mehrzahl“ (K[ommunistisches] M[anifest]) sich die dazu notwendige Gesellschaftlichkeit aneignen soll, so bleibt i. A. offensichtlich nur die Feststellung übrig, daß die bisherige revolutionäre Bewegung nicht das war, was sie bis heute vorgibt zu sein. Ein Lösungszugang ist hier weit und breit nicht mal im Ansatz zu sehen.

So weit erst mal auf die Schnelle.

[…]
Hubert

PS selbstverständlich beinhaltet diese Sicht „Konzessionen“ an die Sozialdemokratie: Sie waren und sind nicht das konterrevolutionäre Element, wozu der Leninismus sie gemacht hat. Unter dem Stichwort „trial and error“ muß der gesamten Gesellschaft materialistisch die Entwicklungsmöglichkeit offen gehalten werden, anstatt eine scheinbare Wahrheit zu monopolisieren. Nur unter dem Vorbehalt der Nichtberücksichtigung des voluntaristischen Revolutionarismus dieser Bewegung kann dieser Vorwurf bis heute einen ‚Sinn‘ machen. Sobald der Voluntarismus hier ins Blickfeld und in die Kritik gerät, müssen diese Vorwürfe fallen.

Als Grundlage oder Medium einer weiteren Diskussion über diese historischen Zusammenhänge könnte vielleicht die Schrift von Gerd Koenen „Utopie der Säuberungen“ dienen?!


An Hubert (14.09.2005):

Lieber Hubert,

Du assoziierst Bolschewiki (‚Mehrheitler‘) mit „Minderheitskonzept“. Das ist nicht unbedingt zwingend. Im Oktober 1917 besaßen sie auf dem Sowjetkongreß durchaus eine Mehrheit. Das änderte sich erst Anfang Januar 1918, als die ‚Minderheitler‘ und die rechten Sozialrevolutionäre die Konstituierende Versammlung einberufen und die Bolschewiki diese auseinander gejagt hatten. Aber auch das hätte kein Fehler sein müssen, wenn Lenin sich am Marxschen ‚Programm‘ zur Bauernfrage orientiert hätte, was die Masse der russischen Bauern zuvor handgreiflich vollzogen hatten: Verjagung der Profiteure von 1861 und den Stolypinschen Reformen, die nach der Bauernrevolution von 1905 in Rußland ein westeuropäisches Einzelbauerntum hervorbringen sollten, worauf sich nur die Allerwenigsten einlassen wollten, und Rückkehr zur Wirtschaft der alten Bauerngemeinde.

[…]
Was die Bolschewiki auf dem Land zustande gebracht haben, war durchweg Stückwerk. Die Nationalisierung des Bodens war für die Bauern kein Problem, da sie Privatbesitz gar nicht kannten. Diese hätte also ergänzt werden müssen durch Investitionen in den archaischen Bauernkommunismus. Dazu war die Mehrheit der Sozialrevolutionäre und schon gar nicht der ‚Minderheitler‘ bereit. Damit aber hätten sie in die Enge getrieben und an ihrem Fall klar gemacht werden können, daß die K[onstituierende] V[ersammlung] nur diese Tatsache verschleiern sollte.

Gleichzeitig wären die Sowjets aufgewertet worden und durch Neuwahlen die aktivsten Bauernelemente hätten kooptiert werden müssen. Stalins (und nicht nur Stalins) Kollektivierung ist eine demagogisch aufgezogene Veranstaltung ganz im Sinne der Menschewiki und Sozialrevolutionäre vom Januar 1918, nur, anstelle des Parlamentarismus eine neue Autokratie. In dieses Bild paßt die von Dir benutzte Gegenüberstellung von „Individuum“ und „Gesellschaft“ nicht so recht. Das wäre nur der Fall, wenn die Stolypinschen Reformen nicht gescheitert wären. „Handlungshoheit der direkt betroffenen Menschen“ stimmt bis zu einem gewissen Grad, aber gerade in dem angesprochenen Konflikt standen sich eindeutig Klassen gegenüber (einmal beiseite gelassen, woraus sich die russische Arbeiterklasse zu jenem Zeitpunkt konstituiert haben konnte). Meine „positive Affinität zu Lenin“ halte ich insofern aufrecht, weil Lenin glaubte, den Lassalleanismus seiner Zeit und den linken Sozialimperialismus im Sinne der ‚Partei Marx‘ zu bekämpfen, mit der er auf der anderen Seite wegen der Bauernfrage und, wie ich gezeigt habe, der nationalen Frage seine eigenen Probleme hatte. (Die Menschewiki hatten dagegen keine Probleme mit derselben, weil die Bauernfrage für sie gar nicht existierte) Insofern ist meine „Affinität zu Lenin“ durchwachsen und nicht endgültig geklärt. (Das wird sich mit der Fortsetzung des STREITPUNKTs zur ‚Nationalen Frage‘ vielleicht ändern). Grundsätzlich abzulehnen ist der Lenin-Kult, den die DDR-Wurmfortsatz-Parteien und Publikationsorgane veranstalten. Aber auch diese haben ihre Probleme mit Lenins Imperialismus-Theorie, die sich weder mit den sonnigen Vorstellungen der anti-globals noch dem Sozialdemokratismus der PDS vereinbaren läßt. Du schreibst, Konzessionen an denselben seien notwendig. Es mag Situationen geben, wo Konzessionen an die Bourgeoisie notwendig sind, aber dazu ist eine Vermittlungsinstanz wie die Sozialdemokratie überflüssig, weil die, wie ein Rechtsanwalt von seinen Klienten, von ihren eigenen Konzessionen lebt. Deinen Literaturhinweis nehme ich dankend zur Kenntnis. Das Buch habe ich noch nicht in meiner Sammlung. Beim Durchblättern von „Das rote Jahrzehnt“ fiel mit spontan ein: ach wenn doch dieser geistreiche Autor seinen Sarkasmus und seine Ironie schon zu Zeiten des KBW so entwickelt hätte, wie er das jetzt tut. Was für interessante Diskussionen hätten wir schon damals führen können anstatt uns ständig bei der Lektüre des Sozialistischen Einheitsbreis der „Kommunistischen Volkszeitung“ den Magen zu verderben…

In diesem Sinne grüßt herzlich

Ernst-Ulrich Knaudt

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