Reaktionen 

Reaktionen (2010)

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Die an dieser Stelle wiedergegebenen feedbacks zum Projekt Partei Marx haben im Augenblick nur archivalischen Wert, da die eingangs geäußerte Faszination an demselben, bis auf die nachstehend dokumentierten Ausnahmen, fast auf Null gesunken ist.

Daher verweisen wir auf die REFLEXIONEN, KRITIK und DEBATTE, worin wir uns mit unseren Kritikern und Autoren kritisch auseinandersetzen, die zu der Thematik, mit der wir uns zu beschäftigen haben, in, wie wir meinen, besonderer Weise hervorgetreten sind.

Zu Dokumentationszwecken wurden einige Briefe aus der Zeit vor 2001 aufgenommen.

In der letzten Zeit (seit dem Frühjahr 2007) haben die REAKTIONEN den einseitigen Charakter einer Art ‚Flaschenpost’ angenommen, die, so ist zu hoffen, wieder einem regeren Meinungsaustausch Platz machen wird.

[Korrekturen sinnentstellender Fehler sowie Kürzungen werden in eckige Klammern gesetzt und folgen der klassischen Deutschen Rechtschreibung.]

Dieser Text ist auch als PDF-Datei verfügbar

 

 


Ulrich Knaudt an H.B. (13.01.2010)

Lieber H.

[…] Deine Kritik an D. W[olf]s Gleichsetzung von abstrakt menschlicher Arbeit = menschliche Arbeit wird ihn nicht gerade ergötzen, weil er schon von mir eins dafür übergebraten bekommen hat. Deine Erwähnung unseres gedanklichen Austausches erst recht nicht.

»Die allgemeine Eigenschaft« ist eine contradictio in adiecto. Eigenschaften beziehen sich (weil konkreten Dingen eigen) immer auf spezifische Attribute eines Gegenstands. Die »allgemeine Eigenschaft« von Metallgeld ist, daß die Münzen in 99% der Fälle aus Metall bestehen. D.h. es handelt sich um eine leere Bestimmung. In Wirklichkeit versteckt D.W. hinter der Formel von den »allgemeinen Eigenschaften« seine Tautologien vom »Gleichsein der Arbeitsprodukte«. Wenn die Arbeitsprodukte alle gleich sind, bedarf es keines Werts mehr, um sie zu vergleichen… Hier höre ich auf und stelle erneut fest, daß sich D.W. in seiner Interpretation der ersten Kapitel von [Karl Marx:] KAP[ital] [Bd.]I von Anfang an verrannt hat und nun versucht, anstatt das zuzugeben, höchst subtile theoretische Rechtfertigungen dafür zu finden. Deine Sätze: »Wenn und solang Theorieaneignung…« sprechen mir aus der Seele, über anderes muß ich, wenn ich mehr Luft habe, nachdenken.

Generell: für mich ist noch nicht geklärt, welchen Stellenwert »die Dialektik« für die Kritik der politischen ökonomie hat. Ist sie nur ein Hilfsmittel, eine Methode oder etwas, was sich nicht vom Inhalt trennen läßt. Egal. Sie steht jedenfalls nicht für sich. Meiner Meinung hat Marx im Fetischkapitel mit der Hegelschen Mystik endgültig abgerechnet und nur das behalten, was für seine große Synthese benötigt wurde. Zwischen den Grundrissen und dem KAP liegt eine kopernikanische Wende. Daher meint [Helmut] Reichelt auch, Marx hätte die Dialektik im KAP »versteckt«. Das kann man nur behaupten, wenn man, mitsamt der Phalanx der Werttheoretiker diese Wende nicht zur Kenntnis nimmt.

Jetzt ist aber wirklich Schluß!

Herzlich

Ulrich

 


Ulrich Knaudt an H.B. (18.06.2010)

Betreff: STELLENWERT DER DIALEKTIK

Lieber H., daß es jemanden gibt, der den NACHTRAG [1] verstanden hat und einiges mehr, hat mich wie gesagt riesig gefreut. Denn es ist in unseren Kreisen eigentlich so, daß das, was den meisten nicht in den Kram paßt, einfach totgeschwiegen wird. Dann kann sich der Autor aussuchen, ob das aus Gleichgültigkeit, Ablehnung oder Entsetzen geschieht. Daher sind Lebenszeichen wie Deines für die weitere Arbeit am Projekt p[artei]M[arx] enorm wichtig. Sonst kommt man sich auf die Dauer vor wie der Fisch auf dem Trockenen, und nicht wie der Fisch im Wasser. Und wir wissen ja, daß es eine beliebte Methode der Konterrevolution ist, bestimmten Fischen das Wasser abzugraben (und das ist auch in akademischen Kreisen sehr beliebt).

Ich schreib Dir diese Mail, um einige Ergänzungen und Illustrationen zu unserer Debatte anzufügen. Das betrifft die Marxsche Reduktion in, erstens, der Kritik der Rechtsphilosophie [2] und, zweitens, in KAP I.

1. In der Kritik der Rechtsphilosophie heißt es auf Seite 231:

»In der Monarchie ist das Ganze, das Volk, unter eine seiner Daseinsweisen, die politische Verfassung, subsumiert; in der Demokratie erscheint die Verfassung selbst nur als eine Bestimmung, und zwar Selbstbestimmung des Volks. Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen. Hier ist die Verfassung nicht nur an sich, dem Wesen nach, sondern der Existenz, der Wirklichkeit nach in ihren wirklichen Grund, den wirklichen Menschen, das wirkliche Volk, stets zurückgeführt und als sein eignes Werk gesetzt.« [Unterstr. v. m.]

Marx stellt also der feudalen Verfassung nicht einfach die demokratische Verfassung gegenüber, sondern bestimmt die Demokratie als Selbstbestimmung des Volks und das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen. Weil sich aber Hegel bei der Bestimmung der Verfassung auf ihr Wesen beschränkt und nicht zu ihrer Existenz durchdringt (das meinte ich mit ‚Differenz zwischen Wesens- und Seinslogik’), kann diese nicht auf ihren wirklichen Grund reduziert werden: den wirklichen Menschen und das wirkliche Volk, das die Verfassung als ihr eigenes Werk, d.h. selbsttätig (man könnte vielleicht auch sagen:) produziert. Das ist, was ich als eine der Sache auf den Grund gehende Reduktion bezeichnen würde, die bei Marx nicht mehr spekulativ ist (Leibniz), sondern den Grund der Verfassung wirklichkeitsnah bestimmt (wirklicher Grund). Wahrscheinlich (soweit habe ich das noch nicht durchdacht) steckt in dieser Dynamik, die auf die Reduktion auf das jeder wirklichen Verfassung Zugrundeliegende hinausläuft, das, was Du als Spaltung des Wesens, wenn ich Dich richtig verstanden habe, bezeichnest, ohne die eine solche Reduktion inhaltsleer wäre oder gar nicht stattfinden könnte (?).

2. Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich nach meiner Einschätzung [in] der ‚Ableitung’ des Werts in KAP I, wie ich sie in den »Einäugigen«-Thesen II (siehe Texte auf der Website der Marx-Gesellschaft), Seite 7 analysiert habe. [3] Die Polemik gegen D.W[olf]. lasse ich hier weg (die Seitenangaben [aus KAP I] in Klammern) [4]:

Bei der Frage, in welchen quantitativen Verhältnissen verschiedene Gebrauchswerte miteinander ausgetauscht werden, erscheint der Tauschwert als ein der Ware intrinsischer Wert, der auf ein ihnen Gemeinsames zu reduzieren ist, wovon die verglichenen Tauschwerte »ein Mehr oder Minder darstellen«. Das Problem besteht aber darin, daß dies »Gemeinsame nicht eine geometrische, physikalische, chemische oder sonstige natürliche Eigenschaft der Waren sein (kann)« (51), d.h. körperliche Eigenschaften, die sie als Gebrauchswerte charakterisieren, von denen aber gerade in Hinblick auf das Austauschverhältnis zu abstrahieren ist. Worin hat aber dann dieses Gemeinsame zu bestehen? »Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedener Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedener Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert« (52) [Unterstr. v. m.]. Das ist der Ausgangspunkt für den Reduktionsprozeß der »abstrakt menschlichen Arbeit«.

Dieser erfolgt in mehreren Schritten:

Erstens als Reduktion der Warenkörper auf Arbeitsprodukte: wenn man vom »Gebrauchswert der Warenkörper« absieht, »so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten«.

Zweitens als Reduktion von einer auf das Produkt verwandten bestimmten produktiven Arbeit auf abstrakt menschliche Arbeit.

Dieser Reduktionsschritt wird nach zwei Abstraktionen vollzogen:

a. der Abstraktion vom Gebrauchswert des Arbeitsprodukts, durch die alle sinnlichen Beschaffenheiten des Gebrauchswerts ausgelöscht werden: »Abstrahieren wir von seinem Gebrauchswert, so abstrahieren wir von seinen körperlichen Bestandteilen und Formen, die es zum Gebrauchswert machen«, von seiner Eigenschaft als nützlichem Ding, sodaß alle »seine sinnlichen Beschaffenheiten …ausgelöscht« sind.

b. der Abstraktion von der bestimmten produktiven Arbeit, die in dem Arbeitsprodukt verwirklicht ist, wodurch der nützliche Charakter und die konkreten Formen der Arbeiten verschwinden: »Es ist nicht länger das Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit.«

Mit diesen schrittweise vorgenommenen Abstraktionen sind wir auf dem Bodensatz des Reduktionsprozesses angekommen, den Marx so zusammenfaßt: »Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte [erster Reduktionsschritt] verschwindet der nützliche Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also die verschiednen konkreten Formen dieser Arbeiten [zweiter Reduktionsschritt], sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allzusamt reduziert auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit« (52).

Im Gegensatz zum berühmten ‚Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten’ handelt es sich hier um einen Abstieg vom Konkreten zum Abstrakten, bei dem Marx aber nicht stehenbleibt. Denn als »Residuum« dieses Reduktionsprozesses ist von den Arbeitsprodukten nichts übriggeblieben als »eine bloße Gallerte« (vielleicht zu übersetzen mit ‚strukturlose Masse’) »unterschiedsloser menschlicher Arbeit…« Wohlgemerkt: von den Arbeitsprodukten, nicht von der Arbeit! Arbeitsprodukte, die allerdings das Produkt menschlicher Arbeit sind, die sich als »Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung« (Reduktionsschritt 2 b) in dem Arbeitsprodukt vergegenständlicht hat. (Dieser Unterschied ist für die ‚Physiologie’-Debatte von entscheidender Bedeutung!) Daher kann von »diesen Dingen«, (als Ergebnis des ersten Reduktionsschritts) oder diesen Arbeitsprodukten nur noch gesagt werden, »daß in ihrer Produktion menschliche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Als Kristalle dieser ihnen [den Dingen!] gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte – Warenwerte« (52). Dann kehrt Marx rückblickend zum Ausgangspunkt des ganzen bisher analysierten Wertbildungsprozesses zurück: im Austauschverhältnis der Waren sei ursprünglich »ihr Tauschwert als etwas von ihren Gebrauchswerten durchaus Unabhängiges« erschienen. Durch die Abstraktion vom Gebrauchswert der Arbeitsprodukte erhält man nun ihren Wert als das »Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt. … Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist« (53) Diese »abstrakt menschliche Arbeit« ist also keine ‚physiologische’, sondern zu einer »gesellschaftlichen Substanz«, zum »valeur intrinsique« des nun als Ware geltenden Arbeitsprodukts kristallisiert, also in eine »contradictio in adjecto« (51).

Durch diesen Reduktionsprozeß hat Marx ein theoretisches Problem gelöst, das von den ‚Klassikern’ nicht gelöst werden konnte, »weil die klassische politische ökonomie nirgendwo ausdrücklich und mit klarem Bewußtsein die Arbeit, wie sie sich im Wert, von derselben Arbeit, wie sie sich im Gebrauchswert ihres Produkts darstellt«, unterscheidet, obwohl sie durchaus zwischen einer qualitativen und einer quantitativen Betrachtung der Arbeit einen Unterschied mache. »Aber es fällt ihr nicht ein, daß bloß quantitativer Unterschied der Arbeiten ihre qualitative Einheit oder Gleichheit voraussetzt, also ihre Reduktion auf die abstrakt menschliche Arbeit« (94, Anm. 31). Marx beginnt also nicht, wie es ein guter Ricardianer täte, das Kapital mit der Analyse der Arbeit, sondern mit der Analyse der Waren als Arbeitsprodukte und der Frage, wie man von deren Gebrauchswert auf den Wert kommt.

Soweit diese beiden Reduktionsformen. In beiden sehe ich eine ähnliche Vorgehensweise. Dabei will ich es erst einmal belassen. […]

Abschließend etwas (nicht) ganz anderes: wie würdest Du diese ganze Gender- und Ethno-Nomenklatur in der Schreibweise der Linken einordnen, ich meine nicht nur politisch (Ethnizismus), sondern auch theoretisch? Dabei geht es um die Vermischung von Gattungs- mit Art- bzw. Geschlechtsbezeichnungen, die bewußt miteinander vertauscht werden. Mir hat das von Anfang an gestunken. Aber eine gute theoretische Erklärung (eine politische schon) habe ich nicht. Wir sollten der Linken nicht mehr alles aus Gleichgültigkeit oder Opportunismus durchgehen lassen. Mir fiel das wieder auf, als ich im jüngsten express las, daß es inzwischen auch keine Arbeiterklasse mehr gibt, sondern nur noch Arbeiter_Innen, obwohl der Klassenbegriff logisch/syntaktisch einen vergleichbaren Status wie der Gattungsbegriff (anthropos, homo sapiens sapiens) hat, mit dessen Nennung jeweils beide Geschlechter diskriminierungsfrei unterstellt sind, wenn man nicht aus lauter Borniertheit bereits in der Sprachregelung des Ethnizismus steckte… Vielleicht hast Du dazu eine Idee.

Soweit erst mal meine Ergänzungen zu … unserem Gespräch, das wie immer höchst informativ und lehrreich war.

Herzliche Grüße

[1] DEBATTE 3 Nachtrag.

[2] Gemeint ist Karl Marx: Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts MEW 1 (203-333).

[3] marx-gesellschaft.de/Texte. Ulrich Knaudt: Zwischen zwei Einäugigen kann nur der Blinde König sein. (Frühjahr 2005; Frühjahr 2006).

[4] Karl Marx: Das Kapital Band I MEW 23.

 

 


H.B. an Ulrich Knaudt (26.06.2010)

Lieber Ulrich,

wie gesagt, in aller Kürze zu Deinem Brief vom 18.6.: zu Deinem ersten Absatz:damit sprichst Du auch mir aus der Seele – über das Leiden an der unserer existentiellen Vereinzelung […]

[…] Die ganze Art und Weise der Diskurse innerhalb und zwischen ‚Linken’, ihr Gehabe in Stil und insbesondre inkl. der (Aus-)Wirkung auf Inhalte reproduziert in sich und unter sich nichts andres als das bürgerliche, das kapitalistische, das privateigentümlich individualistisch – egomanisch – narzistische Konkurrenzsystem, den Wahnsinn, Widersinn, Unsinn, Blödsinn desselben selbst ….

Richtiges, Gutes etc. pp. wird beiseite gelassen, um sich auf das Fehlerhafte am Anderen zu stürzen, es, ihn runterzumachen, um selber als Krösus zu brillieren, weil Einsicht und Anerkennung des ersteren den eignen Wert, Selbstwert schmälern, gefährden, beschädigen könnten, ich / Ich damit auf der Strecke bleiben würde und (lies dazu Kritik d[es]. H[egelschen]. St[aats]R[echts] S. 291 u., 292: ab »Wie sollte er das untereinander vermitteln … wechselseitige Bekomplimentierung …« = Schein! [1]) damit aber auch jegliche Gemeinsamkeit, Gemeinschaftlichkeit, die damit übergangslos und untrennbar verbunden ist mit Deiner Fragestellung unter bzw. zu »1. In der Kritik der Rechtsph[philosophie]…«  und zu »2. Eine ähnliche Vorgehensweise …«: auf der Strecke mit »…das Ganze, das Volk, …Verfassung…. Demokratie …« als »Daseinsweisen«, als (politische Ober-) Begriffe, Kategorien sowie »Arbeit« (abstrakt gesellschaftliche), »Substanz«, […] die Unterschiedliches, Verschiedenes auf sich reduzieren, zugleich, gleichzeitig von deren Besonderem, Besonderheiten abstrahieren, d. h. als Abstraktion, deren Essenz, ‚positiv’ gefasst, und als solche realisiert werden, Realität konstituierend– und (in / nur) soweit (nur reicht auch überhaupt die ganze Analogie zwischen der Hegelschen mit der Marxschen Logik und v.v.), auf der Strecke mithin bleibt der Widerspruch, »nämlich« der »wesentliche Widerspruch«, jener also, wie ihn Marx im StR, lies auf S. 295 u. 296 als »Hegels Hauptfehler« … charakterisiert.

Er ist in allem, bedingt, bewirkt alles, ist an und in allem, was erscheint, durch alle Erscheinungsformen hindurch und ohne Berücksichtigung dessen, der Auslöschung, Annihilation dessen Wirksamkeit, »Daseinsweise« an und in allem mittels der Allgemeinbegriffe = gleich das Hegelsche (abstrakte) »Wesen«, ist alles nichts, Essig – unwahr, falsch, verfälscht, hohl, abstrakt, Schein, kurz – die Realität, die Totalität der Realität, unsereins, an uns, in uns, durch uns; er macht die Gemeinsamkeit, ja die Gemeinschaftlichkeit unsrer Existenz aus, ausnahmslos (ursprünglich), ursächlich (historisch) beginnend mit dem »Doppelcharakter« der von einfachen Arbeitsprodukten zu »Waren« in denselben vergegenständlichten bzw. verdinglichten »Arbeit« = Allgemeinbegriff; s. Kap[ital]. Bd. 23, S. 56 ff., dadurch die »zwieschlächtige Natur der … Arbeit« selbst, qua Entwicklung von »gesellschaftlicher Arbeitsteilung«, welche »Existenzbedingung der Warenproduktion« ist, »obgleich …. nicht umgekehrt«! (ebenda); (Tauschwert also nicht ohne Gebrauchswert, aber Möglichkeit, Gebrauchswert ohne Tauschwert!), und dessen überwindung ein Bewusstsein, ein Begreifen desselben an sich selbst voraus-setzt, Voraussetzung, dass das »Arbeitsprodukt« als »Gebrauchswert« – ohne Tauschwert – in Bewusstsein und Sein der Menschen in seiner »Daseinsweise« den ‚Charakter‘ eines »gemeinschaftlichen« angenommen hat (Marx, [MEW] Bd. 19, Kr[itik] an Lehrb[uch]. Wagner) [2], welcher bewusst gemeinschaftlich organisierte und gestaltete Arbeit voraussetzt, durch sie, die Menschen (wen sonst), also durch ihre Wirklichkeit gewordne »gemeinschaftliche Arbeit« versus »gesellschaftlicher Gebrauchswert« / »ges[ellschaftliche] Arbeit«, […] diese, »positiver als aller Positivismus«, und, damit »der Gebrauchswert nicht am Tauschwert stirbt« (Adorno, nach H.J. Krahl), und s. dazu »Gemeineigentum«, Marx’, Dein[e] »commune rurale«»Briefe an Sassulitsch…« im selben Band – ich denke, nicht zufällig!) [3] damit letztlich also die eigentlich menschliche Arbeit beginnt, menschheitlich, die Menschen im Bewusstsein ihrer selbst als »Gattung«, »Gattungswesen« (Marx, ökphM) [4], als notwendige Bedingung, um sich als solches, als »Teil«, als »Wesen der Natur« »zu bewähren« (ebenda));lies bitte noch mal, Satz für Satz: »Gesetzt den Fall, wir hätten als Menschen produziert…« = Resümee von EB 1, ökphM und »Auszüge aus Mills…«, S. 445-463, wenigstens ab S. 459). [5]

Bis dahin: »… riesenhaft ist der Zwiespalt, der ihre Einheit ist”« (Marx, EB 1, Diss., [6] um die Seiten 200 ff.) – gegen die Verabsolutierung und zugleich Affirmation/Positivierung von Abstrakta, (Ober-) Begriffen, Kategorien (Platon, Sokrates, Spinoza bis Hegel), mit dessen Annihilation an sich, Mensch selbst, stets zugleich unweigerlich dessen praktische Liquidation – und diese wirklich, real, ganz praktisch gegenüber dem Anderen, seinesgleichen Mensch – einhergeht (s.o.: beileibe nicht nur die „beliebte Methode der Konterrevolution”, sondern die ganz gewöhnliche, stinkgewöhnliche des herrschenden Verkehrs der Individuen in jeder bürgerlichen Gesellschaft).

Ich muß jetzt einfach Schluß machen.

Zu Deinem letzten Absatz, S. 3 „Abschließend etwas (nicht) ganz anderes ….” In der Tat.

Lies dazu bitte in [MEW] EB 1, zu »Privateigentum und Kommunismus«, »roher Kommunismus«, S. 533 ff., S. 535: Abs. »…Gemeinschaft der Arbeit …«, Abs.  »In dem Verhältnis zum Weib…«.

Damit dürfte die Frage geklärt sein – Du siehst daran, es gibt auch eine positive Reduktion, einen positiven Reduktionismus, ohne Abstraktion, auf der Grundlage der Anerkennung und Achtung von wirklicher (Arten-) Vielfalt, auf der Grundlage der überwindung bzw. des gemeinsamen, gemeinschaftlichen überwindens jenes Marxschen »wesentlichen Widerspruchs«, insofern,

auf dieser Grundlage, alle (100) unterschiedlichen, ja verschiedenen »Blumen zum Blühen« gebracht werden könnten.

Bis ein ander mal

grüß’ Dich ganz herzlich,

H.

[1] Die im Original gesperrten Wörter im Folgenden kursiv. {H.B. hat mich gebeten,die die Leser darauf aufmerksam zu machen, daß die gedrängte Form seiner Briefe dem Zwang geschuldet sind, zwischen spätem Feierabend und frühem Arbeitsbeginn, möglichst viel auf einmal formulieren zu wollen. Liest man die Briefe aber ein zweites Mal, wird manches klarer. EUK}

[2] Karl Marx: Randglossen zu Adolf WagnersLehrbuch der politischen ökonomie MEW 19 (355-383).

[3] Karl Marx: Entwürfe zu einer Antwort auf den Brief von Vera Sassulitsch MEW 19 (384-406).

[4] Karl Marx: ökonomisch-philosophische Manuskripte MEW EB 1 I (467-588).

[5] Karl Marx: Auszüge aus James Mills Buch „Élémens d‘économie politiqueMEW EB 1 I (445-463).

[6] Karl Marx: Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie MEW EB 1 I (259-375).

 


Ulrich Knaudt an H.B. (03.07.2010)

Betreff: nationaler Nihilismus vs. Stolz auf die eigene Leistung

Lieber H., spaßeshalber schicke ich Dir den Auszug aus dem Kommentar der Redaktion des ‚express‘ 5-6/2010 und meine Reaktion:

»Egal welche (politischen Abgänge) die nächsten sein werden, die Lenas, Löws und von der Leyen-Darstellerinnen harren ante portas! Ob das zu einer argentinischen Renaissance in Südafrika oder zum Untergang in und mit Berlin führt, wissen wir nicht. Die Redaktion legt sich jedenfalls nicht fest: Kein Sommermärchen, ob mit oder ohne Titel denn Eigentum ist und bleibt Diebstahl!«

Daraufhin mailte ich am 27.06. : »…Als letztes eine Bemerkung zum letzten ‚express‘: ist der Spruch am Schluß des Kommentars auf Seite 3: ‚Eigentum ist und bleibt Diebstahl‘, Euer wirklicher Ernst? Dann könnt Ihr Euch den ganzen Marx schenken und gleich zu Proudhon und Bakunin übergehen…! Gruß Ulrich.«

Aus der Antwort-Mail vom selben Tag: »Hallo Ulrich, …Ich würde sagen, ja und nein. Es ist einerseits ernst, andererseits nicht. Viele Grüße.«

Meine Antwort vom 28.06.: »Zu ‚Eigentum ist Diebstahl‘. Wenn ich diesen Satz lese, bekomme ich den Tunnelblick! Dabei ging der Zusammenhang verloren, der allerdings höchst ‚komplex‘ ist. Denn mir ist es keineswegs egal, ob Deutschland das nächste Spiel gewinnt oder, sagen wir, Argentinien. Im Zweifelsfall wäre ich jedenfalls nicht für Argentinien, sondern für Deutschland. Internationalismus, der auf nationalem Nihilismus basiert, ist selbst in einem solch banalen Fall ein schlechter Ratgeber. Ob der Joke aber so gemeint ist, bleibt, jedenfalls für mich, unklar. Denn Deutschland ist nicht amtierender Weltmeister, ist also nicht Besitzer dieses Titels, der ihm daher auch nicht genommen werden könnte. Wenn das damit gemeint war, paßt der Spruch nicht, in den ich unter dem Alarmzeichen ‚Proudhon‘ darüber hinaus mal alles mögliche hineingelesen habe… Viele Grüße.«

Daraufhin folgte tiefes Schweigen. Inzwischen hat Deutschland Argentinien in einem hochklassigen Spiel geschlagen. Die »argentinische Renaissance« wurde von der Truppe junger deutscher Spieler zunichte gemacht. Darf man darauf im sportlichen Sinne nicht stolz sein? Natürlich teilen eine Menge Leute, die wir überhaupt nicht mögen, diesen Stolz. Darf das ein Hindernis dafür sein, daß auch wir stolz darauf sind, gleichgültig, welch ein Schindluder auch sonst noch, wie nicht anders zu erwarten, damit betrieben wird? Oder sollen wir vielleicht die Taliban bitten, uns in ihre Gemeinde aufzunehmen oder auf andere Art nationale Selbstaufgabe betreiben? Offenbar verwechselt der nationale Nihilismus der Linken  Internationalismus mit nationaler Selbstaufgabe zugunsten einer x-beliebigen anderen Nation, Glaubensgemeinschaft oder Rauschgift-Mafia. An diesem Strickmuster eines linken Sozialimperialismus hat sie seit Generationen geübt! Ich lasse hier einmal offen, woher dieses ursprünglich stammt…

Vielleicht bist Du ja in der Lage, in dem ‚express‘-Zitat überhaupt einen Sinn zu entdecken und möglicherweise einen anderen als den von mir vermuteten.

Gruß Ulrich

 


Ulrich Knaudt an H.B. (04.07.2010)

Betreff: KOSTPROBEN

Lieber H., nachträglich noch zwei Kostproben, die meine Kritik am ‚express‘ noch als ziemlich harmlos erscheinen lassen, aber auf der anderen Seite bestätigen. [1] Heißt die deutsche Regierungspartei immer noch NSdAP, die es als notwendig erscheinen ließe, alles heutige Deutsche grundsätzlich zu diskreditieren? Auch wenn es sich um dieses ziemlich banale, aber unterhaltsame Fußballgeschäft handelt? Es hat diesen Anschein.

Gruß Ulli

[1] Neues Deutschland 03.07.2010 Einwürfe, Fußnoten (Hans-Dieter Schütt):

»HEUTE GEGEN ARGENTINIEN! Joachim Löw sagte „Ja”. … Löw sprach so zu Journalisten – auf die Frage, ob Deutschland heute siegen würde. Vor dieser Antwort hatte er eine winzige Pause gemacht. Sie war die eigentliche Antwort. … Das ist die Hälfte der Wahrheit. Jetzt nämlich darf man das Lächeln nicht missachten, das Löw aufsetzte. Es erhob das „Ja” in den Hochadel der Ironie. JA! zu Löw. … Die deutsche Elf der Siebziger setzte man ins Verhältnis zur entspannenden Europapolitik Brandts. Vogts verkörperte das aussitzerische System Kohl. Soll man bei Löw nun Merkel mitdenken? Jetzt weiß ich, was diesem Text hier fehlt. Ein entschiedenes, ganz ironiefreies „Nein”«.

Völlig ironiefrei dagegen titelt die junge Welt am selben Tag:

»Alles ist möglich, Diego! Für den Fall, daß Argentinien diese Weltmeisterschaft nicht gewinnt: Offener Brief an Herrn Diego Armando Maradona«.

Dieser Aufruf des argentinischen Journalisten Carlos Malbrán endet mit den pathetischen Sätzen:

»Danke, daß du Maradona bist. Danke, Champion!«

 


Ulrich Knaudt an H.B. (10.07.2010)

Betreff: GEMEINSCHAFT & GESELLSCHAFT

Lieber H., diesen Aufsatz fand ich beim Durchstöbern meines Zeitungsstapels.[1] Unsere Diskussion berührt den Nerv der Linken stärker, als wir das vielleicht bis dahin annehmen konnten. Wir müssen nur noch ein wenig weiterbohren – dann wird das Geschrei groß sein! Den Brief an Dich schreibe ich morgen zu Ende. Gleich muß ich gemeinsam mit unserer Kanzlerin ein letzten Mal die Daumen drücken. Außerdem reduziert sich die Denkleistung bei diesen marokkanischen Temperaturen um mindestens 50 %.

[…]

Entweder verschmelzen Gemeinschaft und Gesellschaft auf den beiden Stufen zum Kommunismus (‚…Gothaer Programm‘) oder dieser ist ein großer Betrug. Genau das meine ich mit ‚Politisierung der Kritik der politischen ökonomie‘. Ruben macht exakt das Gegenteil: er ‚soziologisiert‘ Gemeinschaft und Gesellschaft. Lies selbst. Du wirst dabei viele alte Bekannte wieder entdecken!

über das Verhältnis von politischer ökonomie und Klassenkampf bei Marx empfehle ich: REFLEXIONEN 1 [2005] über Uwe-Jens Heuers ‚Marxismus und Politik‘. Daran läßt sich auch ermessen, daß sich Die Linke ständig im Kreis bewegt. Dort findet sich passendes Bohrmaterial.

Ernst Ulrich Knaudt

[1] Neues Deutschland 26.06.2010 Peter Ruben: „Nur da herrscht völlige Gleichheit”. Von der Notwendigkeit exakter Begriffe und warum auch der Vatikan eine kommunistische Institution ist.


 


H.B. an Ulrich Knaudt (11.07.2010)

Re: GEMEINSCHAFT & GESELLSCHAFT

Lieber Ulrich,

[…]

Ich freu mich auf das morgige Spiel. Die Leistung der dt. Mannschaft fand ich z.T. wirklich Klasse, hab mich sehr erfreut an tollen Spielzügen …, bis hin zu einzigartiger geradezu künstlerischer Perfektion.

Aber »stolz darauf« kann ich irgendwie nicht sein und weiß noch gar nicht so recht, warum eigentlich nicht; muß wohl noch ein wenig »weiterbohren« in mir: vielleicht, weil‘s mir selbst – ich stolz darauf – irgendwie äußerlich, hohl erscheint, vielleicht, weil eine Leistung von Nationalspielern/-Mannschaften heutzutage mehr denn je nicht ohne die weltweiten Leistungs- bzw. Wettbewerbsvergleiche denkbar ist, die über die Glotze schon die Kinder der Welt inhalieren, abschauen, trainieren, will sagen, dies Gefühl des „Stolzseins darauf“ besondert mir zu sehr bzw. schneidet von etwas ab, abstrahiert sozusagen von wesentlichen Entwicklungen, was übrigens auch [für] Wissenschafts-/Forschungs- oder sonstigen Produktivitätsleistungen, sei‘s von Individuen, Unternehmen oder Staaten/Nationen gilt, ohne damit die Leistung als solche von je einzelnen sowie meine Freude darüber im geringsten geschmälert zu empfinden; sie ist an eine noch andere Sichtweise, Dimension geknüpft, jene im Grunde, jener schlichten, wirklichkeitsgemäßen Grundtatsache, wie sie Marx im Abschnitt »Privateigentum und Kommunismus« beschreibt unter »VI. Die gesellschaftliche Tätigkeit … Allein auch wenn ich wissenschaftlich etc. tätig bin…« ([MEW] EB 1, S.538, 539). Bis bald wieder, herzlichen Gruß H.

 


Ulrich Knaudt an P.T. (12.07.2010)

[…] Ich schicke Dir ein paar Notizen […] zu: Orlando Figes: Peasant Russia, Civil War.The Volga Countryside in Revolution (1917-1920), Oxford 1989, 192, die uns in der Sache vielleicht weiterbringen: »But the failure of the комбеды [kombedy = „Komitees der Dorfarmut”] to unite the poor peasantry can not be simply put down to the influence of the „kulaks”. The ”proletarian class-consciousness” of the poorest peasantry failed to express itself in the комбеды not because it was repressed, but because it did not exist: the natural-patriarchal bonds of the poorest farmers in the village were still much stronger than the socio-economic divisions between them.«

Dazu meine Notiz:

»Aber selbst unter dieser, wenngleich übertriebenen, Voraussetzung sagte den armen Bauern der Klasseninstinkt, daß sie von den „reichen Bauern” im Dorf gegen die Sowjetmacht vorgeschoben wurden und dadurch zwischen die Fronten geraten konnten, wo ihnen niemand mehr raushelfen würde. D.A. geht von dem üblichen linken Klassenschema (entweder „Proletariat oder Bourgeoisie”) aus, das aber hier nicht direkt anwendbar ist. Die Bolschewiki waren wegen eben dieses abstrakten Schemas nicht in der Lage, das industrielle Proletariat mit dem archaischen Kommunismus der Dorfgemeinde (der von den reichen Bauern zu ihren eigenen Gunsten instrumentalisiert wurde, so wie ihn bereits der Zarismus für sich instrumentalisiert hatte), zu einer Klassenfront zu verbinden. In China hat Mao im Gegensatz dazu explizit die Position der Bauern eingenommen, obwohl oder weil er nach sowjetischen Maßstäben aus einer Kulakenfamilie stammte. Das Problem bestand aber darin, daß es in China nicht mal eine mit den russischen Verhältnissen vergleichbare Arbeiterklasse gab, aber genauso wenig eine der russischen entsprechende Dorfgemeinde, sondern nur Pächter der (zumeist beamteten) grundbesitzenden Feudalkaste, denen aber eine kapitalistische Entwicklung wie in England versagt war. (Dengs Linie: anstatt alle Pächter ärmer zu machen, sollen einzelne Pächter reicher werden, von deren Reichtum dann die armen profitieren sollen.) Daher steckte China in einer Sackgasse. War der Bauernaufstand unter chinesischen Verhältnissen nicht viel eher ein Aufstand mit dem Ziel, freier Pächter und freier Parzellenbauer zu werden, eine Entwicklung, die aber durch die asiatische Produktionsweise verhindert wurde? Karl Marx: „im Orient gibt es keinen privaten Grundbesitz”.[1] Daher führt Mao die Staatsfarmen, die, verwaltet von einem beamteten Gutsbesitzer, dem Staat (der Partei) als einzigem Grundbesitzer gehören, ein, um auf dieser Grundlage den Sozialismus aufzubauen. (Sollte die Partei durch die Schaffung von Parzelleneigentum, wie in Frankreich 1789 den Kapitalismus aufbauen?) Der Versuch scheitert, nicht nur weil er sich an das Vorbild der Stalinschen Staatssklaverei anlehnt, sondern weil die Pächterfamilien und Kleinbauern keinen Kommunismus, sondern freie Marktwirtschaft wollen. Dazu hätten ihnen aber privat der Boden gehören müssen, was bis heute nicht der Fall ist. Privaten Grundbesitz gibt es heute nur in der Stadt. Der Jakobinismus des heutigen chinesischen Staates gegenüber den Bauern äußert sich in der Enteignung der Pächter und Parzellenbauern durch den sozialistischen Staat (vertreten durch das lokale Parteikomitee), die tatsächlich rein juristisch betrachtet auch gar keine Enteignung ist, weil der Boden eh dem Staat gehört, und die Basis für die Entwicklung des asiatischen Staatsmonopolismus in der Stadt liefert. …Wenn in China der Bubble platzt, gibt es Bürgerkrieg oder Weltkrieg – oder die Partei tritt als Staatsmonopolist ab und eröffnet den jakobinischen Weg in die Parzellenwirtschaft und einen europäischen Kapitalismus, was sehr unwahrscheinlich ist.«

Soweit meine Notizen. Ich habe dann in meine Exzerpte aus Reinhard Kößler: Dritte Internationale und Bauernrevolution. Die Herausbildung des sowjetischen Marxismus in der Debatte um die „asiatische” Produktionsweise, Frankfurt/M; New York 1982. (Quellen und Studien zur Sozialgeschichte Band 3) geschaut und gefunden, daß d. A. die Marxsche Einschätzung vom Fehlen des Privateigentums in Asien bestätigt, was der Komintern 1920 große Mühe bereitete, Kommunismus und Bauernfrage unter einen Hut zu bringen.

So zitiert Kößler den Punkt 9 aus den Leitsätzen des 2. Kongresses der Komintern 1920:

»9. In der ersten Zeit wird die Revolution in den Kolonien keine kommunistische Revolution sein; wenn jedoch von Anfang an die kommunistische Vorhut an ihre Spitze tritt, werden die revolutionären Massen auf den richtigen Weg gebracht werden, auf dem sie durch allmähliche Sammlung von revolutionärer Erfahrung das gesteckte Ziel erreichen werden. Es wäre ein Fehler, die Agrarfrage sofort nach rein kommunistischen Grundsätzen entscheiden zu wollen. Auf der ersten Stufe ihrer Entwicklung muß die Revolution in den Kolonien nach dem Programm rein kleinbürgerlicher reformistischer Forderungen, wie Aufteilung des Landes usw. durchgeführt werden. Daraus folgt aber nicht, daß die Führung in den Kolonien sich in den Händen der bürgerlichen Demokraten befinden darf. Im Gegenteil, die proletarischen Parteien müssen eine intensive Propaganda der kommunistischen Ideen betreiben und bei der ersten Möglichkeit Arbeiter- und Bauernräte gründen. Diese Räte müssen in gleicher Weise wie die Sowjetrepubliken der vorgeschrittenen kapitalistischen Länder arbeiten, um den endgültigen Sturz der kapitalistischen Ordnung der ganzen Welt herbeizuführen.«

Die Komintern hatte schlichtweg kein Konzept hinsichtlich der sozialen Verhältnisse in Asien. Und da das nicht der Fall war, wurde statt dessen ein kommunistisch-kleinbürgerlich-reformistisches Konglomerat mit dem Anspruch einer revolutionären Strategie nach dem Muster der Oktoberrevolution zusammengebraut. Ihren Protagonisten war vermutlich nicht mal klar, daß der Staat Grundbesitzer und Inhaber des Gewaltmonopols in einem war, sodaß nach Kößler, 48, die Ausbeutung der chinesischen Bauern »das Bild einer Einheit von Steuer, Rente, Handelsprofit und Wucher« bot. »Staatliche Gewalt und grundherrlicher Apparat fielen so entsprechend der faktischen Identität von Rente und Steuer zusammen.«

Hierbei bezieht sich d.A. auf Marx, [Das] KAP[ital] III [MEW 25], 799: »Es ist ferner klar, daß in allen Formen, worin der unmittelbare Arbeiter „Besitzer” der zur Produktion seiner eigenen Subsistenzmittel notwendigen Produktionsmittel und Arbeitsbedingungen bleibt, das Eigentumsverhältnis zugleich als unmittelbares Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis auftreten muß, der unmittelbare Produzent also als Unfreier; eine Unfreiheit, die sich von der Leibeigenschaft mit Fronarbeit bis zur bloßen Tributpflichtigkeit abschwächen kann. Der unmittelbare Produzent befindet sich hier der Voraussetzung nach im Besitz seiner eigenen Produktionsmittel, der zur Verwirklichung seiner Arbeit und zur Erzeugung seiner Subsistenzmittel notwendigen gegenständlichen Arbeitsbedingungen; er betreibt seinen Ackerbau wie die damit verknüpfte ländlich-häusliche Industrie selbständig. Diese Selbständigkeit ist nicht dadurch aufgehoben, daß, etwa wie in Indien, diese Kleinbauern unter sich ein mehr oder minder naturwüchsiges Produktionsgemeinwesen bilden, da es sich hier von der Selbständigkeit gegenüber dem nominellen Grundherren handelt. Unter diesen Bedingungen kann ihnen die Mehrarbeit für den nominellen Grundeigentümer nur durch außerökonomischen Zwang abgepreßt werden, welche Form dieser auch immer annehme. Es unterscheidet sie dies von der Sklaven- oder Plantagenwirtschaft, daß der Sklave hier mit fremden Produktionsbedingungen arbeitet und nicht selbständig. Es sind also persönliche Abhängigkeitsverhältnisse nötig, persönliche Unfreiheit, in welchen Grad immer, und Gefesseltheit an den Boden als Zubehör desselben, Hörigkeit im eigentlichen Sinn. Sind es nicht Privateigentümer, sondern ist es wie in Asien der Staat, der ihnen direkt als Grundeigentümer und gleichzeitig als Souverän gegenübertritt, so fallen Rente und Steuern zusammen, oder es existiert vielmehr dann keine von dieser Form der Grundrente verschiedene Steuer. Unter diesen Umständen braucht das Abhängigkeitsverhältnis politisch wie ökonomisch keine härtere Form zu besitzen als die, welche aller Untertanenschaft gegenüber diesem Staat gemeinsam ist. Die Souveränität ist hier das auf nationaler Stufe konzentrierte Grundeigentum. Dafür existiert dann auch kein Privateigentum, obgleich sowohl Privat- wie gemeinschaftlicher Besitz und Nutznießung des Bodens.«

Wenn also der Staat Souverän und Grundeigentümer in einem ist, ist die Form der bäuerlichen Produktion, Gemeinwirtschaft wie in Indien, Familienwirtschaft wie in China, relativ gleichgültig. Dies im Unterschied zur russischen Dorfgemeinde…

[…] Was das mit den chinesischen Gewerkschaften zu tun hat, wäre die nächste Frage. Denn auch in diesem Fall ist der Staat Souverän und Arbeitgeber in einem. Die Kommunistische Partei müßte den Kampf zwischen der Lohnarbeit und dem Kapital als Selbstgespräch führen, was einigermaßen schizophren ist…

[1] Karl Marx an Friedrich Engels 02.06.1853 MEW 28 (250-254), 253: »Bernier findet mit Recht die Grundform für sämtliche Erscheinungen des Orients – er spricht von Türkei, Persien, Hindostan – darin, daß kein Privateigentum existiert. Dies ist der wirkliche clef selbst zum orientalischen Himmel. …«


 


Ulrich Knaudt an H.B. (12.07.2010)

Betreff: HISTORISCHES

Lieber H.,

da ich mir vorgenommen habe, die Kritik des [Hegelschen] Staatsrechts [1] bis zu Ende durchzuarbeiten, bin ich noch nicht bis zur berühmten Seite 295ff. durchgedrungen, und daher stellen meine bisherigen überlegungen auch nur nicht zu Ende Gedachtes dar.

Bevor ich auf Deine Kommentierung eingehe, etwas zu dem Thema: ‚Fisch auf dem Trockenen’. Es wäre ein großes Mißverständnis, meine Einlassungen dazu als Gejammer über meine existentielle Vereinzelung, Isolation o.ä. zu verstehen und nicht vielmehr als zwangsläufige Reaktion auf den nicht erklärten Krieg der Linken gegen alles, was ihr an uns nicht in den Kram paßt. Von daher verstehe ich das Wasserabgraben als eine Art Kriegsführung, auf die mit den vorhandenen Mitteln zu antworten ist. Was ihnen 1989 als reale wirtschaftliche und politische Macht abhanden gekommen ist, versuchen sie durch politische Eroberungen zunächst in der westdeutschen Restlinken wettzumachen und gestützt auf diese bei der Bevölkerung zu punkten. Nun besteht ja eines der ‚Geheimnisse’ dieser westdeutschen Linken von vor 1989 darin, daß es ihr nur selten oder im Grunde gar nicht gelang, bei der Bevölkerung anzukommen, was nicht nur an jener, sondern auch an der Bevölkerung lag. Vielleicht ein Indiz dafür, daß Die Linke mit der West-Linken auf das falsche Pferd gesetzt haben könnte. Zu gönnen wär’s ihr.

Die ethnizistische Gender-Nomenklatur ist dafür ein beredtes Beispiel, das durch die Einführung der neudeutschen Rechtschreibung ergänzt wird. Da in den 90er Jahren von der Linken anstelle des Grundgesetzes keine Verfassung durchgesetzt werden konnte (und wieso denn auch — eine Verfassung setzt einen souveränen Staat voraus, das Grundgesetz nicht!), versuchte man es auf Seiten der Linken eine Etage tiefer, wofür die ethnizistische Schreibweise der geschlechtsbestimmten Wortverdoppelungen das herausragende Indiz ist (man/frau). Auch hat Die Linke bisher kein Programm vorgelegt, in dem in Klartext zu lesen wäre, was sie im Vergleich zur DDR eigentlich anders machen will. In Ermangelung dessen wird an allen möglichen Stellschrauben peu à peu in dieser Richtung, hier mal bißchen, da mal bißchen, weitergedreht. Der neueste Clou ist die 2011 wieder ins Haus stehende (kannst Du wörtlich nehmen – bei uns kam keiner über die Schwelle!) Volkszählung. Auch hier wird mal geschaut, ob sich da nicht vielleicht was drehen läßt…

Ich werde Dich nicht länger mit dieser Sch… langweilen und kehre zurück zum eigentlichen Thema:

Die aus S. 231 zitierten Passage sollte von meiner Seite verdeutlichen, was mir bis dahin an diesem Text besonders aufgefallen ist. Mein Eindruck ist, daß Marx die Hegelsche Dialektik nicht einfach 1:1 kommentiert und philosophisch interpretiert, sondern diese zu durchdringen versucht. Das gelingt ihm, indem er die Widersprüche nicht so nimmt, wie sie sich ihm philosophisch darstellen, sondern indem er als erstes zwischen spekulativen und wirklichen Gegensätzen unterscheidet. Diese Unterscheidung ist für mich auf diesem Gebiet etwas radikal Neues, da die Mao’sche Dialektik etwa so wie oben verfährt. Aber nicht mal von diesem Maoschen, bzw. Stalinschen Hegel hatte sich bei der Linken mehr festgesetzt als daß jeder Widerspruch eine ‚Haupt’- und eine ‚Nebenseite’ haben muß, und daß man in allen Widersprüchen die ‚Hauptseite’ herausfinden soll. So wie heute von links bis in die obersten Etagen der veröffentlichten Meinung der herrschenden Klasse sich Unterschiede, Differenzen, Gegensätze immer häufiger auf verschiedenen ‚Ebenen’ abspielen sollen (das horizontale ‚Hauptseite‘/‘Nebenseite‘-Schema wurde durch ein hierarchisches ‚Ebenen’-Schema ausgetauscht – übrigens auch in der Marx-Gesellschaft), so schwafelte die Linke in den 70er Jahren von der in allen Dingen zu bestimmenden ‚Hauptseite’. Welch ein Fortschritt: von der ‚Hauptseite’ zur ‚Ebene’!

Die o.g. Unterscheidung zwischen spekulativen und wirklichen Widersprüchen findest Du weder bei Stalin noch bei Mao, wodurch bei beiden die wirklichen Widersprüche notgedrungen wieder zu spekulativen werden. Um aber zu dem wirklichen Widerspruch zu gelangen, muß dieser auf seinen wirklichen Grund reduziert werden. Dieser Grund ist im o.g. Fall bei der Unterscheidung zwischen der ständischen und der republikanischen Verfassung das souveräne sich selbst bestimmende Volk. Oder, um es mit den Mitteln der Hegelschen Logik auszudrücken: das Wesen muß auf die Existenz zurückgeführt werden (was einem eingefleischten Hegelianer vermutlich gegen den Strich gehen wird).

Das ist es erst mal alles, was mir bis zur S. 231 aufgefallen ist: der Marxsche Röntgenblick! Daher würde ich auch nicht von einer »Analogie zwischen der Hegelschen« und der »Marxschen Logik« sprechen, weil wir dann wie Stalin und Mao die Spekulation nicht wirklich verlassen und ihr nur einen ‚besseren’ Sinn unterlegen, anstatt, wie Marx dies tut, die Hegelsche Metaphysik bis auf ihren existentiellen Kern zu durchdringen.

Szenenwechsel: Von der Hegelschen Spekulation ist bei dem deutschen ökonomieprofessor A. Wagner nur noch das magere begriffliches Gerüst des gewöhnlichen Alltagsverstands übriggeblieben [2] (364): »Es ist „das natürliche Bestreben” eines deutschen ökonomieprofessors, die ökonomische Kategorie „Wert” aus einem „Begriff” abzuleiten, und das erreicht er dadurch, daß, was in der politischen ökonomie vulgo „Gebrauchswert” heißt, „nach deutschem Sprachgebrauch” in „Wert” schlechthin umgetauft wird. Und sobald der „Wert” schlechthin gefunden ist, dient er hinwiederum wieder dazu, „Gebrauchswert” aus dem „Wert schlechthin” abzuleiten. Man hat dazu nur das „Gebrauchs”fragment, das man fallen ließ, wieder vor den „Wert” schlechthin zu setzen.« Im Gegensatz dazu geht Marx (368) »nicht aus von ”Begriffen”, also nicht vom ”Wertbegriff”«, und hat »diesen auch in keiner Weise ”einzuteilen”. Wovon ich ausgehe, ist die einfachste gesellschaftliche Form, worin sich das Arbeitsprodukt in der jetzigen Gesellschaft darstellt, und dies ist die „Ware”.« Gegenüber D.W[olf]. wäre also die Betonung auf »in der jetzigen Gesellschaft« zu legen, eine Unterscheidung, die er eindeutig nicht trifft! Da für ihn alle Waren als Arbeitsprodukte ausgetauscht werden, sind alle Arbeitsprodukte auch immer schon Waren. D.h. er hat von der Marxschen Vorgehensweise, bei der sich sein [Marx‘] analytischer Röntgenblick hier erneut bewährt, nix mitbekommen!

Ausgehend von der Unterscheidung, daß der G[ebrauchs]wert der Träger des T[ausch]werts, der Twert aber nur eine Erscheinungsform des Werts ist, stellt Marx (375) fest, daß der Twert der Waren nur existiert, »wo Ware im Plural vorkommt«, während der »Wert« sich »hinter dieser Erscheinungsform« finde. Und jetzt die spannendste Stelle in puncto ‚contemporäre Geschichte’ [3]: Bei der Analyse der Ware komme heraus (ebenda), »daß der „Wert” der Ware nur in einer historisch entwickelten Form ausdrückt, was in allen andern historischen Gesellschaftsformen ebenfalls existiert, wenn auch in andrer Form, nämlich gesellschaftlicher Charakter der Arbeit, sofern sie als VerausgabunggesellschaftlicherArbeitskraft existiert. Ist „der Wert” der Ware so nur eine bestimmte historische Form von etwas, was in allen Gesellschaftsformen existiert, so aber auch der „gesellschaftliche Gebrauchswert”«, wie Rodbertus den Twert charakterisiert. Dieser habe zwar mit Ricardo die Wertgröße untersucht, aber ebenso wenig wie jener »die Substanz des Werts selbst erforscht oder begriffen…« Der Wert gehört also einer historischen Gesellschaftsform an, und dessen Substanz sei zu erforschen, um den spezifischen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit zu bestimmen, der in allen Formen existiert. Dieser ist aber bei D.W. unspezifisch und übergeschichtlich, zumal er (siehe 370 unten), »den zweifachen Charakter der Arbeit« systematisch ignoriert und auch ein Problem hat damit, »daß sich der Wert einer Ware darstellt im Gebrauchswert der anderen, d.h. in der Naturalform der andern Ware« usw. Aber dazu später.

Wenn aber bei der Analyse des Werts von seiner besonderen historischen Form abgesehen wird – und ich wüßte keinen heutigen Werttheoretiker, bei dem das nicht der Fall ist! –, dann bewegen sich solche Analysen in dem Zustand ewiger bürgerlicher Geschichtslosigkeit. Dann können die gemeinschaftlichen Produktionsformen keinen historischen Kontrast zur Warenproduktion bilden, ebenso wie diese gegenüber den Produktionsformen, in denen die unmittelbaren Produzenten ihre Lebensbedingungen in Form von Gwerten vorgeschichtlich selbst reproduziert haben oder künftig selbst reproduzieren werden, verewigt wird. Um diese Pattsituation zu beenden, muß die Werttheorie daher unmittelbar politisch werden!

Hier hatte ein weiterer Szenenwechsel zu J. St. Mill stattfinden sollen. [4] Inzwischen studiere ich den Text in einem zweiten Durchgang erneut und bin damit noch nicht fertig. Genaugenommen handelt es sich um die ‚Grundrisse’ in ihrer Urform, sodaß man, wenn man diesen Text studiert hat, besser versteht, was sich dann in den ‚Grundrissen’ abspielt.

[…] Zu guter Letzt noch eine Rezension zum Thema: Linke und Faschismus.[5] Zu diesem kann man einen deutsch-nationalen bis NS-Standpunkt einnehmen bzw. den der Alliierten und darunter wiederum ihrer westlichen bzw. sozialimperialistischen Fraktion. Wenn man die »foreign policy der working class«, wie sie Marx und Engels verstanden haben, vertreten wollte, würde sich diese »policy« mit keinem der genannten Standpunkte decken. Was auch immer Wehler und Ali u.a.m. aus dieser Geschichte gemacht haben, diese Position vertreten sie jedenfalls nicht, sondern diejenige irgendeiner Bourgeois- oder »middle class«. Das wird an Hand der wirtschaftlichen Untersuchungen, um die es in der Rezension geht, überdeutlich, an Hand derer sich die Wehlerschen und Alischen Aussagen wahrscheinlich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil als Ideologie erweisen.

Der Hauptjob der deutschen Nachkriegslinken scheint darin zu bestehen, auf gut chauvinistisch die Deutschen mit der faschistischen Elite, die sich an den Eroberungszügen des NS gemästet hat, in einen Topf zu werfen und als eine solche zu verteufeln… Ein ziemlich trauriger Job!

Soweit erst mal.

Mit herzlichen Grüßen

Ulrich

[1] Karl Marx: Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts MEW 1 (203-333).

[2] Karl Marx: Randglossen zu Adolf WagnersLehrbuch der politischen ökonomie MEW 19 (355-383). [Seitenangaben in Klammern.]

[3] Dieter Wolf: Qualität und Quantität des Werts. Makroökonomischer Ausblick auf den Zusammenhang von Warenzirkulation und Produktion, 55: Bei der Erforschung der bürgerlichen Gesellschaft handelt es sich nach D. Wolf um »die aus dem prozessierenden Zusammenhang von Forschung und Darstellung resultierende „Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten”, eine Methode, die logisch-systematisch ist, weil sie in der „contemporären Geschichte” des Kapitals als einem ökonomisch gesellschaftlichen System, das durch eine historisch spezifische Selbstorganisation charakterisiert ist, ihre reale Basis hat.« Diese von Marx nicht ohne eine gewisse Ironie verwendete contradictio in adiecto soll verdeutlichen, daß, betrachtet man das Kapital für sich, es als eine geschichtslose Gesellschaftsformation erscheint. Jedoch steht selbstverständlich auch die kapitalistische Produktionsweise in einem historischen Zusammenhang. Um sie aber systematisch analysieren zu können, muß sie unter der absurden Voraussetzung einer »contemporären Geschichte« betrachtet werden, die D.W. in Verkennung dieser absurden Situation zu einem ernstzunehmenden wissenschaftlichen ‚Ansatz‘ deklariert. Siehe www.dieterwolf.net

[4] Gemeint ist James Mill. Siehe: Karl Marx: [Auszüge aus James Mills Buch „Èlémens d‘économie politique] MEW EB 1 I (445-463).

[5] FAZ 10.07.2010 Adolf Normalverbraucher? Das ‚Dritte Reich‘ drückte den Lebensstandard der Zivilbevölkerung von Kriegsbeginn 1939 an.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (14.07.2010)

Betreff: Richtigstellung?

Lieber H., in der FAZ von morgen fand ich folgende Richtigstellung.[1]

Wenn diese Daten doch so allgemein bekannt waren, wie Götz Ali behauptet, warum findet man davon so wenig in seinem Buch?

Bis nächste Woche

Ulrich

[1] Vgl. Ulrich Knaudt an H.B. (12.07.2010).

Leserbrief FAZ 14.07.2010: Paketsendungen von der Front.

Zu „Adolf Normalverbraucher?“ (F.A.Z. vom 10. Juli):

»Die Statistiken zur deutschen Kriegsernährung, die Rainer Blasius nach einem postum veröffentlichten Aufsatz des Historikers Christoph Buchheim zitiert, sind seit langem bekannt. Sie finden sich in den deutschen Stadt- und Landesarchiven zu Dutzenden. Und sie widerlegen auch mein Buch „Hitlers Volksstaat“ (2005) nicht. Ich schreibe darin über die exorbitant hohe Löhnung deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg, über die beispiellose materielle Ausplünderung der besetzten Länder und über die Enteignung der europäischen Juden zugunsten aller Deutschen. Die so erstmals herausgearbeiteten Fakten zeigen, dass die Kriegsernährung in den meisten deutschen Familien nicht allein von den amtlich zugeteilten Lebensmittelkarten abhing, sondern in erheblichem Maße von den individuellen Paketsendungen von der Front in die Heimat.

Millionen Soldaten taten es dem Soldaten Heinrich Böll gleich, der hundertfach an seine Braut und spätere Frau Annemarie Zeilen wie diese schrieb: „Nach dem Essen habe ich mich auf meine Gemächer zurückgezogen und habe im Schweiße meines Angesichts gepackt, gepackt, elf Pakete, wirklich 11 Pakete: 2 für einen Kameraden, eines für den Feldwebel und 8 für mich, ja zwei für Dich, eins mit Butter und eins mit viel Schreibpapier, 2 für Alois’ Familie und 4 für zu Hause; die Eier habe ich in dieser Woche in ein Paket gepackt, weil ich für zwei nicht ausreichend hatte, Du wirst dann von zu Hause welche bekommen.“” Kaum war das erledigt, fand sich Böll schon wieder auf dem Weg ins Glück: „”In Paris könnte ich dann überhaupt noch manches Schöne kaufen, ganz gewiss Schuhe für Dich, und auch Stoff.”

Hermann Göring förderte das ununterbrochene Hamstern vieler Millionen deutscher Soldaten zugunsten ihrer Familien im Oktober 1940 mit seinem –von deutschen Historikern lange beschwiegenen sogenannten Schlepperlass. Nicht umsonst bezeichnete der französische Volksmund die Wehrmachtsoldaten als „Doryphores“ (Kartoffelkäfer). Ähnlich wie in Frankreich machten sich die insgesamt 18 Millionen deutschen Soldaten über alle besetzten Länder Europas her. Deshalb trägt mein Buch nicht den Untertitel „Die liebe Not von Otto Normalverbraucher“, sondern „Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“.«

Götz Aly, Berlin

 


Ulrich Knaudt an H.B. (25.07.2010)

Betreff: ZWISCHENSTAND

Lieber H., mit einiger Verzögerung melde ich mich auf Deine Mails von vorletzter Woche, die ich bei meinem Zwangsaufenthalt auf der Flucht vor Bochum Total mit Interesse gelesen habe und für deren Zusendung ich mich herzlich bedanke. Eine umfassende Einschätzung möchte ich erst abgeben, wenn ich die Texte, die Du mir empfohlen hast, zu Ende studiert habe. Denn davon ausgehend läßt sich auch D.W[olf].s Vortrag fundierter kritisieren.[1] Zuvor einige vorläufige Thesen:

1. D.W. systematisiert seine früheren Fehleinschätzungen von KAP I 1-3 (siehe meine beiden Aufsätze auf der Web Site der Marx-Gesellschaft) auf eine Weise, daß man nun von einer offenen Revision sprechen muß (Begründung folgt).

2. Wenn Marx in einem Vorwort zu KAP I davon spricht, daß er den rationalen Kern der Hegelschen Dialektik bewahrt habe, dann wird dieser durch D.W.s Feldzug gegen den Hegelschen Mystizismus und verschiedene hegelianisierende Marx-Interpretationen wie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: von dem rationalen Kern bleibt nichts mehr übrig als ein ziemlich eindimensionaler kritischer Rationalismus.

3. D.W. springt ausgehend von der einfachen Wertform sowohl über die Reduktion des Werts, die Metamorphosen der Wertform als auch (was das größte Manko ist) über das Fetischkapitel hinweg und beginnt unmittelbar mit dem Austausch(prozeß) der Waren. Diesen macht er zum Ausgangspunkt seiner Interpretation der Werttheorie, die von ihm zu einer Geld-Wert-Theorie gemacht wird. Wenn aber der Austausch Ausgangspunkt der Werttheorie sein soll, dann frage ich mich, worin sich diese Interpretation von den marktzentrierten Theorien eines Keynes oder Samuelson oder von weniger intelligenten bürgerlichen ökonomen unterscheidet?

4. D.W. hat sich von Dir zur Marxschen Kritik am Hegelschen Staatsrecht anregen lassen. Allerdings wirkt das wie ein Fremdkörper in seinem Vortrag, ebenso seine aktuellen antikapitalistischen Ausführungen im Schlußteil. Er hat, wie ich meine, überhaupt nicht kapiert, worum es Marx in seiner Hegel-Kritik überhaupt geht. Es geht ihm [Marx] jedenfalls nicht darum, die Hegelsche ‚Mystik‘ kritisch-rationalistisch totzuschlagen…

Soweit mein erster Eindruck von diesem Vortrag. Da ich D.W.s letzte Bücher und Aufsätze zur Werttheorie nicht gelesen habe, kann ich nicht sagen, ob das alles fürchterlich neu bei ihm ist. Aber die von mir unter 1. vermutete offene Revision scheint in dieser systematischen Form durchaus neu zu sein. Wenn das zuträfe, wäre das schon ein ziemlicher Hammer! Es ist eine Sache, ob jemand wie Reichelt Marx an bestimmten Punkten fehlinterpretiert, um ihn für die eigene Interpretation passend zu machen. Ein anderes Ding ist es aber, wenn die Werttheorie von vornherein ausgehebelt und durch eine systematisch entwickelte eigene bürgerliche Werttheorie ersetzt wird. Das scheint hier der Fall zu sein.

Ich hoffe in den nächsten Tagen die Fortsetzung meines letzten ausführlichen Briefes fertig zu bekommen, um davon ausgehend eine Begründung meiner Thesen zu liefern.

Bis dahin

herzliche Grüße

Ulrich

[1] Dieter Wolf: Ende oder Wendepunkt der Geschichte. Zur Einheit von Darstellung und Kritik bei Hegel und Marx.www.dieterwolf.net

 


H.B. an Ulrich Knaudt (25.07.2010)

Betreff: AW: ZWISCHENSTAND

[…] Vielleicht kommst Du beim Bearbeiten der Marxschen Kr[itik]. d. H[egelschen] St[aats]R[echts] bis zu den 292 ff. Scheint mir notwendig, um D. Wolfs Positionen kritisch würdigen zu können, zumal er sich mit diesen Seiten so explizit auseinander-setzt wie ich‘s sonst, soweit ich die Literatur dazu überschau, von niemandem außer ihm kenne (in [Dieter Wolf:] „Der dialektische Wi[derspruch] im K[apital].“).

[…] Bis dann, Du lieber ‚Klassenkämpfer‘, eingedenk, daß das Verharren dessen Position bzw. Logik in einer bloßen Gegenüberstellung / Entgegensetzung gegenüber der sog. Wertlogik schlicht (und gelinde gesagt) dumm und töricht ist, ebenso v.v., also weder ‚Entweder/Oder‘ noch nur ein ‚Sowohl … als auch‘ hinreicht, und damit aber zugleich positiv die Aufgabe gestellt bzw. das Ziel definiert [wird], die beiden Seiten zuallererst erkenntniskritisch auf den Begriff zu bringen, logisch, widerspruchsfrei, indem – um mit Marx nach »Privateigentum und Komm[unismus].«, »roher Komm[unismus].« ([MEW] EB 1, 533 ff.) in seiner »Kritik der H[egelschen] Dialektik und Ph[ilosophie] überhaupt« zu sprechen, zu einem Begriff beider zu gelangen, der »zugleich ihre beide vereinigende Wahrheit ist« (S. 577)

Ganz herzlichen Gruß,

in Eile,

H.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (28.07.2010)

Lieber H.,

ich setze den abgebrochenen Brief vom 04.07. fort [1] und orientiere mich hinsichtlich der Gliederung an dem Dir zugesandten ZWISCHENSTAND.

Zuvor ein Satz zum Gesamteindruck des Vortrags [2] auf Grund der Materialien […]: der Aufbau ist sehr uneinheitlich, weil d.A. die vom Veranstalter gemachten Vorgaben nicht in seine Marx/Hegel-Kritik + Werttheorie integriert, und am Schluß irgendeinen populären Antikapitalismus an das ganze dranklatscht. Außerdem fällt, wie schon erwähnt, seine Hegelkritik hinter die Kritik bereits des frühen Marx an Hegel zurück und wird dadurch zur Afterkritik; so auch gegen Ende seine Behandlung der Hegelschen Extreme. Ebenso ist er auch nicht in der Lage, den rationalen Kern der Hegelschen Dialektik zu würdigen. (Daher kann Reichelt auch nur über D.W. schmunzeln!) Davon abgesehen werde ich mich nur mit dem zweiten Teil seines Vortrags (Seite 12+) befassen, weil es hier nicht nur um Afterkritik, sondern offene Marx-Revision geht, die ich versuchen will, nachzuweisen.

1. D.W. hat das »gesellschaftliche Verhältnis der Sachen« mißverstanden.

Das Andere (Natur und endlicher Geist) erscheint dem absoluten Geist als Mittel, um zu sich selbst und zu seiner absoluten Wirklichkeit zu gelangen. In Analogie dazu vermitteln nach D.W. die Geldformen den Warentausch und verschwinden im Endresultat der Bewegung (allerdings nur, was die Bewegung W-G-W anlangt, wo das zweite W in die individuelle Konsumtion eingeht), während in der Bewegung G-W-G das Geld nicht verschwindet, sondern sich diese Form in ein automatisches Subjekt verwandelt (siehe Marx-Zitat Seite 13).[3]

Bereits in diesem Fall ist es nichts mehr mit der Analogie Kapital – Weltgeist, da G-W-G sich als perpetuum mobile verselbständigt (an dessen reale Existenz die Aktionäre der Wall Street einander zu glauben vormachen, solange zumindest, bis diese Kette reißt), von dem aber niemand wirklich glaubt, daß es zwecks Lösung des Energieproblems tatsächlich funktioniert, weil im Grunde jeder Spekulant weiß, daß, ohne die Produktion von Mehrwert zugrunde zu legen, keine Verwertung seiner Werte stattfinden wird. Die Analogie, die D.W. bemüht, hört also schon an dieser Stelle auf, eine zu sein, kaum daß er sie hergestellt hat.

D.W. geht im Sinne der Neuen Marx-Lektüre von den Ersten Drei Kapiteln [des Kapital] aus. Aber was ist deren Inhalt? Ist der entscheidende Ausgangspunkt die (einfache) Warenzirkulation oder der Wert? Wenn der Wert (der Ware, dessen Formen und deren Metamorphosen) der Ausgangspunkt ist, erledigt sich schon an dieser Stelle D.W.s Frage, ob es sich dabei um eine »logisch systematische« oder »logisch historische …Darstellung« handelt, ganz von selbst, weil nach Marx der Wert der Ware »so nur eine bestimmte historische Form von etwas (ist), was in allen Gesellschaftsformen existiert« ([MEW] 19,375) [4]. [Unterstr. v.m.]

Dagegen soll in Abschnitt II von Teil II des Vortrags »auf die Warenzirkulation unter dem Aspekt der Erklärung des Werts, der Wertform und des Waren- und Geldfetischs« [Unterstr. v. m.] eingegangen werden und nicht etwa [nach Marx] auf den Wert, die Wertform, den Waren- und Geldfetisch unter dem Aspekt der Warenzirkulation. Nur wenn man vom Wert ausgeht, hat das zur Folge, daß, wie es bei Marx heißt, den Menschen anstelle »unmittelbar gesellschaftlicher Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst« ein »gesellschaftliche(s) Verhältnis von Sachen« in der Warenwelt aufgedrängt wird ([MEW] 23,87). Diese Absurdität meint D.W. dadurch umschiffen zu können, indem »auf die abstrakt allgemeinste Weise die Menschen im kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozeß« (sollte es nicht zunächst nur um die einfache Warenzirkulation gehen?) »ihre gesellschaftlichen Beziehungen zueinander vermittels der gesellschaftlichen Austauschbeziehung der Arbeitsprodukte her(stellen)«. (Seite 14)

Wenn ein »Arbeitsprodukt« eine »gesellschaftliche Austauschbeziehung« herzustellen in der Lage wäre, würde das ungefähr dasselbe bedeuten, als wenn sich der Tisch zu Beginn des Fetischkapitels, »sobald er als Ware auftritt, …in ein sinnlich übersinnliches Ding« verwandelte und die »Arbeitsprodukte« dann »aus freien Stücken zu tanzen« begännen ([MEW] 23,85). Um dieser Absurdität zu entgehen, macht D.W. auf die bemerkenswerte Tatsache aufmerksam, »daß es sich dabei um etwas Besonderes handelt, insofern es den Arbeitsprodukten, die als ebenso viele Stücke umgeformter Natur Sachen sind, von Hause aus nicht zukommt, sich zueinander in einer gesellschaftlichen Beziehung zu befinden«. (Seite 14) (Wer hätte das gedacht!) Sondern es sind nach seinem Dafürhalten vielmehr die Menschen, »die Arbeitsprodukten eine ihnen als Sachen fremde äußerliche gesellschaftliche Beziehung gleichsam aufzwingen.« (Seite 15) [Unterstr. v. m.]

Wie es scheint, haben die Arbeitsprodukte bei D.W. den gleichen Status wie das Tier, die, weil dieses juristisch als Sache figuriert, hier ebenfalls als ein zu schützendes Wesen verstanden werden. »Es wird von den Menschen eine eigenständige gesellschaftliche Beziehung zwischen den Sachen hergestellt…«, was so klingt, als hätten die Sachen dafür von den Menschen erst um Erlaubnis gefragt werden müssen. Eine Absurdität, die entsteht, weil D.W. die Marxsche Ironie, die in der absurden Formulierung des »gesellschaftliche(n) Verhältnis(ses) von Sachen« ([MEW] 23,87) steckt, offenbar nicht wahr-, sondern für bare Münze nimmt. Allerdings kann auch er nicht umhin einzuräumen, daß diese Sachen »als Arbeitsprodukte auch [!] von Menschen geschaffen worden sind«. Von wem denn bitte sonst – den Schöpfer des Himmels und der Erden einmal beiseite gelassen?

Also, zunächst drängen die Menschen den Arbeitsprodukten ihre gesellschaftlichen Beziehungen auf, während sie aber gleichzeitig einräumen müssen, daß diese Bankerte doch schließlich »auch« von ihnen »geschaffen worden sind«. Aber dennoch besitzt diese »Beziehung der Arbeitsprodukte zueinander … als eine gesellschaftliche Beziehung eine Eigenständigkeit, durch die sie von der gleichzeitig mit dem Austausch gegebenen gesellschaftlichen Beziehung der Menschen zu einander verschieden ist«. Daraus lese ich mit Hilfe meiner letzten Verstandeskräfte heraus, daß hier offensichtlich zwei Beziehungen parallel zueinander existieren: die »gesellschaftliche Beziehung … der Arbeitsprodukte« und die »gesellschaftliche Beziehung der Menschen zu einander«.

Wenn aber beide Beziehungen, die »der Menschen« und die »der Arbeitsprodukte«, von einander getrennt ablaufen, werden sich die »Arbeitsprodukte« nach menschlicher Logik ebenso wie die o.g. »tanzenden Tische« ihrerseits auf die Hinterbeine stellen müssen, um sich als Waren eigenhändig zu Markte zu tragen. Oder wie stellt sich das D.W. sonst vor? Doch auch dafür scheint er mit Hilfe seiner verknotet-verknorpelten Satzkonstruktionen eine Lösung gefunden zu haben: »Das Besondere der gesellschaftlichen Beziehung der Arbeitsprodukte zueinander tritt noch mehr hervor, wenn man bedenkt, was ihre gerade erfolgte Charakterisierung bedeutet: Es spielt sich in der gesellschaftlichen Beziehung der Arbeitsprodukte hinsichtlich der Bestimmung des Gesellschaftlichen der Arbeit Wesentliches ab, das außerhalb der Reichweite des Bewußtseins der als Wirtschaftssubjekte sich verhaltenden Menschen liegt, und nur von dem durch Marx repräsentierten wissenschaftlichen Bewußtsein aufgedeckt und erklärt wird.«

Die »als Wirtschaftssubjekte sich verhaltenden Menschen« tauschen zwar seit urdenklichen Zeiten erfolgreich Waren miteinander aus. Das dürfen sie aber gar nicht, solange sie nicht über das »durch Marx repräsentierte wissenschaftliche Bewußtsein« verfügen und dann wissen werden, was sich alles »in der gesellschaftlichen Beziehung der Arbeitsprodukte hinsichtlich der Bestimmung des Gesellschaftlichen der Arbeit Wesentliches (abspielt)«. Marx würde dieses »Wesentliche« wie gesagt als die »tanzenden Tische« verstehen. Um diese dingfest zu machen, bedarf es aber nicht zuletzt eines großen Sinns für Satire und eines noch vorhandenen Rests an gesundem Menschenverstand. D.W. dagegen leitet in Ermangelung dessen aus diesem »Wesentliche(n)« eine ganz neue Werttheorie ab: »In welcher Hinsicht sind die Arbeitsprodukte in und durch ihre Austauschbeziehungen zueinander in Waren verwandelte Werte Um die Antwort vorwegzunehmen: sie sind es in der »Hinsicht«, wie alle für den Austausch produzierte Arbeitsprodukte Waren und folglich Wert sind! Um das zu verstehen, hält es Marx für sinnvoll, sich bei anderen Produktionsformen umzusehen, dort, wo nicht privat, sondern gesellschaftlich produziert wird und folglich keine Waren produziert werden!

Hier müßte ich im einzelnen begründen, warum D.W. die Verselbständigung der Formen im Ersten Kapitel nicht versteht, warum die im gesellschaftlichen Verkehr sich verselbständigt habenden Gedankenformen von dessen Teilnehmern wie reale Gegenstände be- und gehandelt werden und warum er aus diesem Grund einem neuen Fetischismus aufsitzt! Denn was ist die [=D.W.s] »gesellschaftliche Beziehung der Arbeitsprodukte« anderes als solch ein Fetischismus in Reinkultur? Da mag D.W. noch so lauthals das »durch Marx repräsentierte wissenschaftliche Bewußtsein« hochleben lassen! Dieses allein reicht nun mal nicht hin, um mit den Tango tanzenden Tischen fertigzuwerden.

Ich müßte außerdem darauf eingehen, warum D.W. und H.R[eichelt]. mit ihrer Interpretation des Zweiten Kapitels eine eigenständige Geldform-Soziologie begründen, die darauf beruht, daß beide, je auf ihre Weise selbst im Fetischismus befangen, nicht einsehen wollen, daß sich an dieser Stelle die Wertformen inzwischen so stark verselbständigt haben, daß das Verhältnis der Warenbesitzer zu ihren Waren auf dem Kopf steht. Statt dessen werden von W. und R. ernsthaft überlegungen angestellt darüber, was sich die Warenbesitzer so alles durch den Kopf gehen lassen, wenn sie auf den Markt gehen und das Geld erfinden. Bei Marx lesen wir dagegen:  »Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenhüter [sic!] sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert.« ([MEW] 23,99)[Unterstr. v. m.]

Die »Warenhüter« müssen, damit der wechselseitige Austausch der Waren funktioniert, sich ausnahmsweise »als Personen verhalten«! Offenbar verhielten sie sich bisher nicht so! Ein Sachverhalt, der die ganze Sozialethik durcheinanderbringt. Auch unsere Geldform-Soziologen hätten es ziemlich schwer zu erklären, was nach der Verwandlung dieser mit einem eigenständigen menschlichen Willen ausgestatteten Personen in »Warenhüter, … deren Willen in jenen Dingen haust«, von diesen ‚persönlich’ übrigbleibt? Mit dem Personenbegriff steht und fällt die gesamte bürgerliche Gesellschaft ideologisch in sich zusammen. Aber mit eben solchen ‚Untoten’ haben wir es im ganzen Zweiten Kapitel zu tun:  »Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikation der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.« ([MEW] 23,100) »Träger« ist in diesem Stadium der »Entwicklung« der Geldform wortwörtlich zu nehmen: Warenträger! Also: der du in das Zweite Kapitel einsteigst, laß alle Gedanken an irgendeine Geld-Soziologie, ob von Simmel oder frisch von D.W. erfunden, fahren!

2. Warum D.W. aus diesem Grund auch die einfache Wertform nicht versteht

D.A. kaschiert sein Unverständnis der einfachen W[ert]F[orm] dadurch, daß er eine neue Werttheorie, in Gestalt einer Sachentausch-Theorie zusammenstrickt. Niemand bestreitet, daß die Analyse der einfachen Wertform zu den kompliziertesten Dingen gehört, die die politische ökonomie zu bieten hat. Nicht umsonst hat Marx immer neue Erklärungsversuche erprobt, die ihn am Ende nicht befriedigt haben. Das Erste Kapitel in der Zweiten Auflage ist daher nicht nur sein letztes Wort in dieser Angelegenheit, es zeichnet sich auch wegen seiner Abgeklärtheit in der Darstellung als ein Meisterwerk aus. Anstatt es zu verhunzen, sollte man es erst mal komplett zu verstehen versuchen!

D.W. kann die einfache Wertform nicht verstehen, weil in seiner Sachentausch-Theorie die Waren nicht als Wert (+Gwert), sondern als Arbeitsprodukte ausgetauscht werden: »Indem eine Austauschbeziehung zwischen den Arbeitsprodukten hergestellt wird« (warum eigentlich?) »geht es um sie in der Hinsicht, in der sie austauschbar, d.h. einander ersetzbar und insofern untereinander gleich sind.« (Seite 15) Schaut man sich diesen durch leere Floskeln (»in der Hinsicht«, in der »es um xy geht«) aufgeblasenen Satz genauer an, entpuppt er sich als wunderschöne Tautologie, die da lautet, daß es in der Austauschbeziehung (zwischen den Arbeitsprodukten!) um ihre Austauschbeziehung in der Hinsicht geht, in der sie austauschbar und insofern gleich sind. Die Arbeitsprodukte sind also gleich, weil sie austauschbar, und sie sind austauschbar, weil sie gleich sind. Aber warum sind sie überhaupt gleich? Ganz einfach! Weil »es um … Arbeitsprodukte … geht« und Arbeitsprodukte Gebrauchswerte sind: »Es geht von vornherein um Gebrauchswerte, die Arbeitsprodukte sind, abgesehen davon, daß auch alles, was in den Austausch eingeht, ohnehin Produkt von Arbeit ist.« Fein! Aber wozu brauchen wir dann noch den Tauschwert?

Anstatt uns diese Frage zu beantworten, fährt D.A. in seiner Sachentausch-Theorie munter fort: »Die Arbeitsprodukte werden in der Hinsicht, [sic!] in der sie die allgemeine Eigenschaft besitzen, überhaupt ein Arbeitsprodukt zu sein, auf die anderen Arbeitsprodukte bezogen und zwar in der Hinsicht [sic!], in der sie ebenfalls die allgemeine Eigenschaft besitzen, ein Arbeitsprodukt überhaupt zu sein.« Wenn ich [auch] (eigentlich überflüssigerweise) diese Tautologie auf ihren leeren Sinn hin untersuchen wollte, käme heraus: Das Arbeitsprodukt, das überhaupt ein Arbeitsprodukt ist, wird mit einem anderen Arbeitsprodukt gleichgesetzt, das ein Arbeitsprodukt überhaupt ist. Die Beziehung zwischen beiden Arbeitsprodukten reduziert sich im Endeffekt auf die unterschiedliche Stellung des Wörtchens »überhaupt« in den beiden Teilsätzen der Tautologie! Aus dieser tautologischen Identität der zwei Arbeitsprodukte, die einander von vornherein gleichen wie ein Ei dem anderen, leitet d.A. sein neu gewonnenes Verständnis der Werttheorie ab: »Indem die Arbeitsprodukte auf diese Weise im Austausch gesellschaftlich in ihrer allgemeinen Eigenschaft eines Arbeitsproduktes schlechthin gesellschaftlich aufeinander bezogen werden, sind sie Werte (Seite 15) Sie sind »Werte«, weil sie »in ihrer allgemeinen Eigenschaft … Arbeitsprodukte« sind! Und was wären sie in ihrer besonderen Eigenschaft? Auf Seite 17 gibt uns D.W. eine in jeder »Hinsicht« erstaunliche Antwort.

Zunächst jedoch ist festzustellen, daß D.W. nicht kapiert, daß die Arbeitsprodukte, solange diese als Arbeitsprodukte, d.h. ausschließlich als Gebrauchswerte (denn vom T[ausch]wert war bisher überhaupt nicht die Rede!) aufeinander bezogen werden, sie ebenso gut oder schlecht mit einander verglichen werden können, wie äpfel mit Birnen. Wenn aber, ohne den Twert ins Spiel zu bringen, die Ware A mit der Ware B verglichen werden soll, um ausgetauscht zu werden, dann geht das nun mal nicht ohne die einfache Wertform (x Ware A ist y Ware B wert). Ohne den Gebrauchswert der andersgearteten Ware B als Wertspiegel zu benutzen, kann sich die Ware A nur mit ihrer eigenen Warengattung vergleichen (x Ware A ist y Ware A wert), »eine Tautologie, worin weder Wert noch Wertgröße ausgedrückt ist« ([MEW] 23,82).

Der Nutzen dieser Gleichung beschränkt sich darauf, die Quantitäten gleicher Warenarten zu bestimmen. Mit seiner Sachentausch-Theorie erreicht D.W. noch nicht mal das Niveau der modernen Freihändler, die nach Marx im Unterschied zu den Merkantilisten nur auf die »quantitative Seite der relativen Wertform« erpicht sind und für die »folglich weder Wert noch Wertgröße der Ware außer in dem Ausdruck durch das Austauschverhältnis, daher nur im Zettel des täglichen Preiscourants (existiert)« ([MEW] 23,75). Die Freihändler wissen aber zumindest, daß man äpfel und Birnen nicht zusammenzählen sollte.

Erst jetzt, nachdem er seine Sachentausch-Theorie in trocknen Tüchern hat, stellt sich auch für D.W. die Frage, die mir, wenn auch anders formuliert, schon die ganze Zeit aufder Zunge liegt: »Inwiefern gibt es einen dialektischen Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert?« (Seite 16) Gute Frage!Nur, welchen Widerspruch »gibt es« in einer Tautologie? Für gewöhnlich, so auch hier, einen Scheinwiderspruch. Um einen solchen zu umgehen, stellt D.W. den moralischen Imperativ auf: »Die Ware kann nicht selbst als Gebrauchswert auftreten und zugleich selbst als davon total verschiedener Wert erscheinen Warum kann sie das nicht? (Von dem Fetischismus des ‚Auftretens’ mal abgesehen!) Weil: »Als Wert erscheinen und gleichzeitig an den Gebrauchswert gebunden zu sein, realisiert sich in der Austauschbeziehung der Ware zu einer anderen Ware.« [Unterstr. v. m.] Bei Marx besteht der Widerspruch zwischen Gwert und Wert u.a. darin, daß Arbeitsprodukte, die als Waren produziert werden, einen Gwert und einen Twert haben, bei D.W. »realisiert sich« dieser Widerspruch »in der Austauschbeziehung« zwischen den Waren, wofür dem Autor jeder soziale oder asoziale Marktwirtschaftler freudig um den Hals fallen wird!

Marx beschränkt sich bei der Bestimmung des Widerspruchs grade nicht auf die »Austauschbeziehung« zwischen den Waren, sondern setzt für diese das Bestehen einer ‚Arbeitsbeziehung’ voraus: »Als Werte sind alle Waren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit« ([MEW] 23,54). »Wie die Gebrauchswerte Rock und Leinwand Verbindungen zweckbestimmter, produktiver Tätigkeiten mit Tuch und Garn sind, die Werte Rock und Leinwand dagegen bloße gleichartige Arbeitsgallerten, so gelten auch die in diesen Werten enthaltenen Arbeiten nicht durch ihr produktives Verhalten zu Tuch und Garn, sondern nur als Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft« ([MEW] 23,59). Marx reduziert den Gwert auf den Wert durch dessen Bezeichnung als »bloße gleichartige Arbeitsgallerten« und die darin »enthaltenen Arbeiten« auf (im anonymisierenden Plural!) »Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft«. D.W. meint zur Bestimmung des Widerspruchs zwischen Gwert und Wert ohne eine solche Reduktion  »zweckbestimmter produktiver Tätigkeiten« auf »Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft« auszukommen. [Unterstr. v. m.]

Genau wie im Widerspruch Gwert-Wert zeige sich für D.W. auch im Doppelcharakter der Arbeit, »daß der Gegensatz … konkret-nützliche – abstrakt menschliche Arbeit jeweils einen Gegensatz bzw. eine Differenz innerhalb eines Wesens, d.h. der menschlichen Arbeit ist, die eine konkret nützliche Arbeit ist, und zugleich [hier folgt das Explikandum der Tautologie:] die allgemeine Eigenschaft besitzt, überhaupt menschliche Arbeit zu sein.« (Seite 16 Fn.) D.h. der Widerspruch zwischen abstrakt menschlicher und konkret nützlicher Arbeit wird (als »Differenz innerhalb eines Wesens« – ‚old Hegel’ wird sich im Grabe umdrehn!) in eine Tautologie verwandelt bestehend aus: »der menschlichen Arbeit« = »konkret nützlichen Arbeit« = »überhaupt menschlichen Arbeit«, unter Wegfall der »abstrakt menschlichen Arbeit«. Fertig ist die Laube!

Ohne die Reduktion der konkret nützlichen auf die abstrakt menschliche Arbeit, der zweckbestimmten produktiven Tätigkeit auf Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft ist nun mal keine Bestimmung des Werts möglich. Ohne Bestimmung des Werts ist die einfache Wertform nur als Tautologie möglich.

3. Von der Sachentausch-Theorie zur monetaristischen Wert-Theorie

In der bereits hinlänglich bekannten »gesellschaftlichen Beziehung von Ware zu Ware« werden [bei D.W.], wie ebenfalls hinlänglich bekannt ist, zum einen »die Waren als Werte, in ihrer allgemeinen Eigenschaft, überhaupt Arbeitsprodukte zu sein, auf einander bezogen und gleich gesetzt«. Diese »gesellschaftliche Beziehung«, in der streng tautologisch »die in Waren verwandelten Arbeitsprodukte in der Hinsicht, in der sie Werte sind, gleichgesetzt werden, ist nach der anderen Seite zugleich eine gesellschaftliche Beziehung auf [?] den Gebrauchswert der anderen Ware, der kein Wert ist«. (Seite 16) Auf der einen Seite werden, wie gehabt, die Arbeitsprodukte qua Arbeitsprodukte, so als wären es Werte, gleichgesetzt, auf der anderen Seite besteht eine »gesellschaftliche Beziehung« (von wem/was?) zum Gwert der anderen Ware, der schon per definitionem kein Wert ist: sonst wäre er nicht das Gegenteil des Werts! Der Gegensatz zwischen Wert und Gwert ist hier nicht ein inhaltlich‚ sondern ein logisch spitzfindig begründeter. Nach dem Muster dieser logischen Spitzfindigkeit (A non est non-A) wird nun von D.W. die einfache Wertform nachgebildet: »Die Austauschbeziehung bewirkt über die Gleichsetzung der Waren als Werte hinaus[!], daß der Gebrauchswert der anderen Ware als das, was er nicht selbst ist, d.h. als Wert der ersten Ware gilt Anstelle von ‚non est’ also: »gilt«! Das ‚non est’ wird als ‚gelten’ geadelt.

In der Marxschen Werttheorie ist D.W.s »gesellschaftliche Beziehung von Ware zu Ware« ein »Wertverhältnis einer Ware zu einer einzigen verschiedenartigen Ware, gleichgültig welcher«  ([MEW] 23,62), das sich nur bestimmen läßt, nachdem der Gwert auf den Wert reduziert wurde und in einem nächsten Schritt Rock und Leinwand auf ihre »Wertgegenständlichkeit« ([MEW] 23,80) reduziert worden sind. Erst danach lassen sie sich überhaupt als kommensurable Größen mit einander vergleichen ([MEW] 23,64). D.W. hat aber von Anfang an den feinen Unterschied übersehen, daß menschliche Arbeit zwar Wert bildet (= Arbeitsprodukte), aber nicht Wert ist, und genausowenig als Wert »gilt«: »Um den Leinwandwert als Gallerte menschlicher Arbeit auszudrücken, muß er als eine „Gegenständlichkeit” ausgedrückt werden, welche von der Leinwand verschieden ist und zugleich mit anderer Ware gemeinsam ist.« (23,66) Diese von Marx dadaistisch formulierte und exakt so gemeinte »Wertgegenständlichkeit« ermöglicht überhaupt erst die Herstellung der Kommensurabilität, platt gesagt, zwischen äpfeln und Birnen, nicht aber die menschliche Arbeit, soweit sich diese in als Gebrauchswerte produzierten Arbeitsprodukten realisiert. Wenn deren Kommensurabilität für D.W. aber bereits mit dem Vorhandensein einer Austauschbeziehung zwischen zwei Waren a priori gegeben sein soll, erübrigt sich sowohl die einfache Wertform („20 Ellen Leinwand sind 1 Rock wert”), als auch die äquivalentform, worin »die Naturalform der Ware B zur Wertform der Ware A oder der Körper der Ware B zum Wertspiegel der Ware A« geworden ist ([MEW] 23,67).

Allein die Tatsache, daß im Ersten Kapitel [von KAP I] der Gwert der Ware B darauf reduziert wird, ausschließlich als »Wertspiegel der Ware A« herzuhalten, drückt die ganze Absurdität dieser Beziehung aus, an die D.W.s logische Spitzfindigkeiten nicht heranreichen. Das einzige, worin diese ihm weiterhelfen, ist, daß er nun im Besitz eines Geltungsbegriffs ist, auf dem sich eine ‚monetäre’ in Konkurrenz zu H.R[eichelt].s ‚prämonetärer Werttheorie’ aufbauen läßt. Wenn der Gwert der Ware B, nachdem [bei D.W.] die umweglose Gleichsetzung der Waren als »Arbeitsprodukte«vollzogen ist (denn nichts anderes bedeutet die Formel: »über die Gleichsetzung der Waren als Werte hinaus«!), angeblich »als Wert der ersten Ware gilt«,dann ist der Erklärungswert von D.W.s logischer Spitzfindigkeit, selbiger Gwert (der Ware B) sei = dem Wert der Ware A, weil er »als das, was er nicht selbst ist, ...gilt«, erstens ein schlechtes Imitat der äquivalentform (s.o.) + = 0; zweitens läßt sich damit mühelos die Marxsche Werttheorie in eine Geldwerttheorie transformieren, die fast so aussieht wie das Original.

Dazu liefert die folgende Nominaldefinition den entscheidenden übergang:»Die Austauschbeziehung ist [wie ununterbrochen behauptet wurde] eine Gleichheitsbeziehung und [nun mit Hilfe des neuen Geltungsbegriffs] eine Repräsentationsbeziehung (Geltungsbeziehung), wobei die letztere [d.h. die Geltungsbeziehung] auf Basis der ersteren[der Gleichheitsbeziehung] dafür verantwortlich ist, daß es eine vom Wert verschiedene Erscheinungsform (Tauschwert, einfache Wertform) gibt, welche zugleich auf rationale Weise das Gebrauchswert und Wert zusammenfassende Dritte bzw. die vermittelnde Mitte istWie sich unschwer erraten läßt, ist diese »vermittelnde Mitte« das Geld. Und deshalb verwundert es nicht, daß D.W. auf Seite 17 flugs »zum leichteren Verständnis … die Geldform unterstellt«. Um das Geld »auf rationale Weise« zum Mittelpunkt seiner Werttheorie zu machen, müssen jener all die Irrationalitäten, mit denen Marx den Hegelschen Mystizismus auf die Spitze treibt, wie zu weiland Gottscheds Zeiten der Narr aus dem deutschen Trauerspiel, ausgetrieben werden und dem bürgerlichen ökonomen-Bierernst weichen.

Für die von ihm lautstark beklagte »mystisch irrationale Vermischung von Gebrauchswert und Wert« hat D.W. durch seine Erklärungsversuche dieses Widerspruchs mit Hilfe von logischen Spitzfindigkeiten selbst genügend Zündstoff geliefert, um sich über den Splitter im Auge anderer noch beklagen zu dürfen. Wieweit D.W. diese »mystisch irrationale Vermischung« bis an die Grenzen der menschlichen Verstandesmöglichkeiten vorantreibt, zeigt seine eigene Entwicklung der allgemeinen Geldform (Seite 17-18). Diese beruht, wie schon die Wertform auf Tautologien und leeren Satzfloskeln.

»Beim wirklichen, d.h. rationalen und rational erklärbaren dialektischen Widerspruch sind die Hinsichten, in denen die Ware jeweils Gebrauchswert und Wert ist, so voneinander verschieden wie gesellschaftlich Allgemeines vom stofflich Einzelnen bzw. vom konkret nützlichen Ding mit konkret nützlichen Eigenschaften. Es ist die gesellschaftliche Austauschbeziehung, die vom Gebrauchswert und Wert verschieden ist, durch die beide in einen Widerspruch geraten. Die verschiedenen Hinsichten müssen sich in ein und derselben aus der Austauschbeziehung bestehenden Hinsicht, als gesellschaftlich Allgemeines und zugleich als einzelnes konkret nützliches Ding realisieren. Jede Ware, einzeln in Gestalt des Gebrauchswerts auftretend, ist als Wert ein gesellschaftlich Allgemeines. Bei jeder Ware ist ihr Wert an ihre Existenz als einzelner bestimmter Gebrauchswert gebunden, so daß jede Ware jede andere davon ausschließt, ein gesellschaftlich Allgemeines zu sein, solange die Austauschbeziehung nicht realisiert wird.«

Der Gebrauchswert wird durch das »einzelne konkret nützliche Ding«, der Wert durch das »gesellschaftlich Allgemeine« repräsentiert, bzw. ersetzt. Der Widerspruch zwischen Gwert und Wert kehrt zurück in die metaphysischen Urgründe der Hegelschen Logik als Widerspruch zwischen Allgemeinem und Einzelnem. Eine Satzfloskel (»Hinsicht«) wird hier zum harten Kern der Neubestimmung des »rationalen und rational erklärbaren dialektischen Widerspruch(s. Den eigentlichen Widerspruch bilden nicht mehr Gwert und Wert, sondern dieser liegt zwischen diesem Gegensatzpaar einerseits und der gesellschaftlichen Austauschbeziehung als solcher andererseits, die als Widerspruch zwischen einzelnem und dem Allgemeinen und dargestellt wird. Dadurch geraten die Widersprüche untereinander in infinitum in Widerspruch und verlieren durch diesen Regreß in jeder »Hinsicht« jegliche Bodenhaftung.

Die Reise endet bei der Allgemeinen Wertform, nachdem D.W. die Wertformanalyse in Trümmern hinter sich zurückgelassen hat. Die Geldform wird wiederum durch eine Tautologie erklärt: »In der wirklichen gesellschaftlichen Beziehung der Waren zu einander gibt es [sic! Fällt dieses »es« vom Himmel?] ein gesellschaftliches Allgemeines, wenn von allen Waren eine Ware ausgeschlossen wird, die für alle Waren das ist, was sie kraft ihres Wertcharakters als gesellschaftlich Allgemeines sind. [Schöne Tautologie: die Sachen sind, was sie sind!] Die ausgeschlossene Ware muß für alle Wert sein [nach welcher Wertträger-Ethik muß sie das?]. Diese ist wie gezeigt damit gegeben, daß alle Waren gemeinsam ihren Wert im Gebrauchswert der ausgeschlossenen Ware darstellen. Hiermit ist der dialektische Widerspruch gelöst, wobei die Hinsicht, in der die Waren Werte sind und die Hinsicht, in der sie Gebrauchswerte sind, klar voneinander getrennt sind.« Die »Hinsichten« können aber die Frage nicht beantworten; warum die Warenwerte und die Gwerte überhaupt voneinander getrennt sind, nachdem sie im Austauschprozeß als Widerspruch gar nicht vorkamen?

Abschließend wird durch den Rekurs auf die logische Spitzfindigkeit auf Seite 16 die Wolfsche monetäre Werttheorie kreiert: »Das aus der unmittelbaren Austauschbarkeit bestehende gesellschaftlich Allgemeine, das die äquivalentware für alle Waren als Werte ist, kommt in der Lösung des Widerspruchs dadurch zustande, daß sich der Wert aller Waren in ihrem Gebrauchswert darstellt, der dadurch nicht in mystisch irrationaler Weise Wert ist, sondern als Wert gilt.«

Zusammenfassung

Der Kern des Problems, an dem D.W. bereits im Ansatz scheitert, besteht in dem oben genannten kleinen Unterschied dazwischen, daß nach Marx menschliche Arbeit Wert schafft aber nicht Wert ist. Damit sie Wert ist, muß sie auf abstrakt menschliche Arbeit reduziert werden, was die von Marx davon ausgehend losgelassenen Wertform-Phantasmagorien zur Folge hat, die D.W. komplett »rational« ausblendet. Während Marx die Hegelsche Mystik ad absurdum führt, indem er ihre Unmöglichkeit an den Formen der bürgerlichen ökonomie vorführt, nimmt D.W. all diese sich verselbständigen Formen für bare Münze. Klassisches Beispiel: ‚das gesellschaftliche Verhältnis von Sachen‘. Auf dem Mißverständnis dieser für bare Münze genommenen contradictio in adjecto basiert im wesentlichen seine Sachentausch-Theorie, die er mit Hilfe von logischen Spitzfindigkeiten und leeren Tautologien zur Entfaltung bringt und dabei von Anfang an mit der Marxschen Werttheorie in Konflikt gerät. Dieser Konflikt ist unvermeidlich. Etwas sichereren Boden unter den Füßen bekommt er erst, nachdem er den Sprung in die Geldtheorie vollzogen hat, allerdings nur unter Hinterlassung der Marxschen Werttheorie als Trümmerfeld. Hier serviert uns D.W. am Ende seine »rationale« Werttheorie, eine, in Analogie zur prämonetären von H.R[eichelt]. [und] H.-G. B[ackhaus]., monetäre Werttheorie. Darin verflüchtigt sich der Widerspruch zwischen Gwert und Wert zum klassischen Widerspruch der Hegelschen Logik zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen. Das Allgemeine steht hier für die allgemeine Wertform, woraus bei Marx das Geld abgeleitet wird, das Einzelne für den Gebrauchswert der konkret nützlichen Einzeldinge.

Es ist letzten Endes nicht ersichtlich, worin sich der Wolfsche Revisionismus von den vielen anderen, die sich an den ersten Drei Kapiteln schon versucht haben, unterscheidet. Vielleicht nur in einem: er ist noch humorloser…

[1] Gemeint sind Ulrich Knaudt an H.B. vom 18.06. und 25.07.2010.

[2] Dieter Wolf: Ende oder Wendepunkt der Geschichte. Zur Einheit von Darstellung und Kritik bei Hegel und Marx.www.dieterwolf.net

[3] Karl Marx: Das Kapital. Band I (MEW 23), 168: »Die selbständigen Formen, die Geldformen, welche der Wert der Waren in der einfachen Zirkulation annimmt, vermitteln nur den Warentausch und verschwinden im Endresultat der Bewegung. In der Zirkulation G – W – G funktionieren dagegen beide, Ware und Geld, nur als verschiedne Existenzweisen des Werts selbst, das Geld seine allgemeine, die Ware seine besondre, sozusagen nur verkleidete Existenzweise. Er geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. Fixiert man die besondren Erscheinungsformen, welche der sich verwertende Wert im Kreislauf seines Lebens abwechselnd annimmt, so erhält man die Erklärungen: Kapital ist Geld, Kapital ist Ware. In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier.«

[4] Karl Marx: Randglossen zu Adolf WagnersLehrbuch der politischen ökonomie MEW 19 (355-383).

 


Ulrich Knaudt an H.B. (13.08.2010)

Betreff: Abendstund‘

Lieber H., für unsere heute abendliche Diskussion möchte ich was Grundsätzliches zu unserer weiteren Politik sagen, weil das in unseren umfassenden theoretischen Debatten verloren gehen könnte:

1. […] Generell ist es so, daß je mehr ich mich in die Bauernfrage vertieft habe, desto weiter hat sich mein Verhältnis zu dem, was die Linke von früher + die heutige Linke heute ist, bzw. nicht mehr ist, „entfremdet”.

2. Mein Verhältnis zu D.W[olf].: ich habe vor zig Jahren einen spontanen Einwurf gegen D.W.s Referat gemacht, weil ich von diesem Revi-Geschwätz, das den Marx auf einen ökonomistischen Wissenschaftler und wissenschaftlichen ökonomisten reduziert, spontan die Nase voll hatte. Das Ergebnis sind zwei Aufsätze von meiner Seite und eine Antwort von seiner Seite, die ich mich zu beantworten verpflichtet habe. [1] Das ist eigentlich zunächst mal alles. Es geht mir also in erster Linie um Marx, und dessen gebrochenes Verhältnis zu Hegel und nicht umgekehrt. Für letzteres betrachte ich mich als Nicht- Hegelianer auch gar nicht für kompetent. Für das, worauf es mir ankommt, sind die frühen Texte, die wir diskutieren, aber äußerst wichtig. […] Fazit: mein ‚Hauptanliegen‘ besteht darin, u.a. auf der Grundlage meines letzten Briefes die ausstehende Antwort an D.W. endlich abzuschließen. Dafür leistet mir unsere Diskussion wertvolle Hilfe.

Bemerkung: In § 299 der Rechtsphilosophie [2] (MEW 1, 261 f.), wird das Geld (Anlaß: Steuererhebung) wie folgt von Hegel gekennzeichnet: »Das zu Leistende aber kann nur indem es auf Geld, als den existierenden allgemeinen Wert der Dinge und der Leistungen, reduziert wird, auf eine gerechte Weise … vermittelt werden.« Wäre es allzu bösartig zu sagen, daß sich die Wolfsche Werttheorie letzten Endes in dieser Hegelschen Definition des Geldes erschöpft?

Tschüß Ulrich Knaudt

[1] marx-gesellschaft.de/Texte. Ulrich Knaudt: Zwischen zwei Einäugigen kann nur der Blinde König sein. (Frühjahr 2005; Frühjahr 2006).

Dieter Wolf: Qualität und Quantität des Werts. Makroökonomischer Ausblick auf den Zusammenhang von Warenzirkulation und Produktion. www.dieterwolf.de

[2] Zit. in: Karl Marx: Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts MEW 1 (203-333).

 


H.B. an Ulrich Knaudt (17.08.2010)

Betreff: AW Abendstund‘

Lieber Ulrich,

Zu 1.) […] Auch meinerseits hat mich bislang nichts mehr erschüttert und zugleich nichts mehr „entfremdet” von „Linken“ überhaupt als die seinerzeitigen Erkenntnisse (Ende der 70er Jahre) zum Thema Nationalismus bzw. Sozialchauvinismus/-imperialismus und Sozialfaschismus in Hinblick auf die Gründung der Sowjetunion (Widerspruch zwischen Lenin und Stalin, soweit Lenin das Marxsche politisch-kommunistische Prinzip verfocht: „Der Arbeiter hat kein Vaterland” und „ein Volk, das andere unterdrückt, kann nicht frei sein”).

Allein an diesen Kriterien wird auch klar, daß die ganze Geschichte und Politik der 3. Internationale wie der KPD, der SED/DDR, der ganzen K-Gruppen von diesen Ismen durchtrieben war…, wobei damals allerdings der unmittelbare Zusammenhang „Sowjets und Bauernfrage” unterbelichtet blieb, auch in Verbindung mit China, was uns zwar bewußt war, jedoch nicht mehr mit der notwendig analytischen Gründlichkeit in Angriff genommen wurde – bis ich schließlich über Dich, lieber Ulrich, offenen Ohrs und mit offenen Armen, der Marxschen commune rurale wieder begegnet bin, um weiter, auf dem Boden der Marxschen Erkenntnisse, mit vergangenheitsbewältigenden Arbeiten zugleich zu zukunftsträchtigen Gegenwartsanalysen, zu politischen Verhaltensperspektiven, zu konkreten Positionierungen zu gelangen. Gewisse Einsichten, seien sie noch so schmerzhaft, sind so notwendig so wie der damit verbundne Bruch mit Vergangnem, als Voraussetzung – ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten, für einen Neuanfang, insbesondere in einer Zeit, in der die Realität des weltbeherrschenden Systems in seinen Wesenszügen zur Erscheinung treibt und damit allerorts erkennbar Stimmen sich erheben zum Schrei nach Einhalt, Umkehr, Auswegen, Alternativen.

Zu 2.) Es ist, denke ich, in der Tat nicht falsch, was Hegel zum »Geld« sagt: in seiner»imaginären „organischen Einheit”«, aufgrund dessen, daß in ihm »Ein Geist ist, der das Allgemeine festsetzt«, er bzw. es »sich zu der äußerlichkeit des Daseins produziert«, er bzw. es sich sozusagen als »der Wert« über seine »Erscheinungsform« des »Tauschwerts« vermittelt (»…wenigstens deren 2 existiert« als »etwas ihnen Gemeinsames«, [MEW] Bd. 19, 358) in dies, das Geld, quasi ‚inkarniert‘, quasi als eine Emanation des »absoluten Geistes« = reine Mystik, nichts als »leere mystische Ausflucht« vor den »wirklichen Konflikten« ([Kritik des Hegelschen] St[aats]R[echts], [MEW 1] S. 261), dem »Tieferen«, dem ihnen zugrundeliegenden »wesentlichen Widerspruch« ([ebenda,] S. 295, 296, »Hegels Hauptfehler …«), und etwa nicht zugleich die Realität der Welt, die Totalität der Realität!? »…das eine Vermögen«, das Arbeitsvermögen, Produktivvermögen des je einzelnen Subjekts, des Individuums oder das von Subjekteinheiten wie einzelner Unternehmen oder ganzer Nationen, Staaten, welches »als Geld erscheint« (S. 262), in welchem bzw. welchen verborgen, annihiliert jener »wirkliche«  »wesentliche Widerspruch« (295/296) »entgegengesetzter Wesen« (292) haust, west…, und der sich als »Widerspruch der Erscheinung« in dem Gegensatz – »Jedes Extrem ist sein andres Extrem«– von »abstraktem Spiritualismus« (Idealismus) und »abstraktem Materialismus« als »ungelöste Antinomie« (204) an sich, »in sich« und »mit sich selbst« (295) manifestiert, realisiert, und »dieselbe phantastische Abstraktion«, derselbe »Mystizismus«, dieselbe »mystische Substanz« im »reellen Subjekt« (S. 224) sowohl im »Staatsbewußtsein« (vgl. S. 263) wie in jedem »Unternehmens-« sowie auch in jedem Individual-Bewußtsein als »Allgemeines«, als allgemeines Selbst-Wert-Bewußtsein sich konstituierend, ihre Existenz bedingend, »wiederfindet« … Was also, wenn die »Wolfsche Werttheorie letzten Endes … dieser Hegelschen Definition« entspricht und diese zugleich dem Hegelschen »Einen Geist«, dem menschlichen, endlichen, der ihm wie die Natur als Ausfluß, als Selbstentäußerung des »absoluten Geists« gilt– dieser das substantialistische »Subjekt« Hegels ist und dieses, also das ‚Objekt‘ der Marxschen Kritik im Hegelschen StR, die »mystische Substanz« zugleich das ist, darstellt, was den Marxschen »Wert« im ‚Kapital‘ ausmacht, der in Form der »Ware«, »zwieschlächtig«, in »Gebrauchswert und« „Wert”/”Tauschwert”« gespalten, wodurch der Gebrauchswert tauschwert- und damit [als] wertbestimmt erscheint, als solcher wahrlich real ist, materialisiert, ist, formell, reell, und rückbezüglich insbesondere ebenso die in sich gespaltene, entzweite »zwieschlächtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit« selbst als dem Ausgangspunkt, der Grundlage, dem »Springpunkt« der ganzen Marxschen Explikation seiner »Kritik der politischen ökonomie«  ([Das] Kap[ital I]., S. 56, 65, 75), gipfelnd im »Wert« als sog. »Automatischen Subjekt«, der in der Entäußerung, im Anderssein seiner selbst zunächst als Ware, dann sich verdoppelnd in Ware und Geld und schließlich der Verwandlung beider in ‚Gebrauchswerte‘ des Kapitals, derjenigen Form des »Werts«, die in seiner ‚Ausdehnung‘, in der Verwertung und Vermehrung seiner selbst analog der Selbstentäußerung des »absoluten Geist[es]« stets in seinem Anderssein bei sich bleibend zurückkehrt zu sich selbst (Eflux/Reflux). Wenn Marx die Kategorien seiner Analyse der Wertformen in ihrer Widersprüchlichkeit zwischen Gebrauchswert und Wert, den Wertformen zugleich als die »objektiven Gedankenformen« der Individuen, der Subjekte bzw. Subjekteinheiten bezeichnet, dann beweist sich dies schlicht am empirischen Blick auf deren Bewußtseinsgehalte, deren ebenso ganzen »Zwieschlächtigkeit« bestimmenden, konstituierenden Bewußtseinsinhalte – »… so ist also die Totalität der Welt überhaupt dirimiert in sich selbst, … auf die Spitze getrieben … und erst total, wenn ihre Seiten Totalität sind …, denn riesenhaft ist der Zwiespalt, der ihre Einheit ist.« ([MEW] EB 1, S. 215, 217), Folge der Verabsolutierung, der Affirmation, der Positivierung und Realisierung von Abstrakta (lies da weiter, zur Logik der Mystik, bis S. 235), u.a. Begriffe wie »Arbeit«, »Volk«, »Demokratie« etc. pp., sind allesamt »Schein einer wirklichen Identität« (S. 297), die auf ihre abstrakte Identität reduziert als solche realisiert werden, Realität konsituierend sind und d. i. stets unter Abstraktion von ihrem zugrundeliegenden  »wesentlichen Widerspruch« (StR, 296), der allen »Antinomien«, der Abstraktionen an sich, in sich und mit sich charakteristisch ist (s. »abstrakter Mat[erialismus]/»abstrakter Spir[itualismus].«).

Wie sie »gelöst« werden, nach welcher Logik, einerseits plump »in echt theologischer Weise« oder in subtil »mystischer« Manier, ist schön nachzuvollziehen in »Die hl. Fam[ilie]« [MEW] Bd. 2 unter »Kritische Randglosse Nr. II«, S. 35-37 und zum anderen in der ganz besonders dezidierten Hegelschen Weise unter »2. Das Geheimnis der spekulativen Konstruktion«, ebenda, S. 59-63; Du kannst für »die Frucht« auch den monistischen »Gott« oder das »mystisch Eine« setzen, ob Hegels »Subjekt« oder Spinozas »Substanz« oder »göttlicher Urgrund« oder wie auch immer und so aber auch »den Wert«  – allemal Verselbständigungen von Abstraktionen, von Begriffen, von eigentlichen Prädikaten, Adjektiven, Attributen oder Verben zu Ideen, Begriffen (vgl. StR, S. 210 ff., 224f), der Verabsolutierung derselben zu Allgemeinheiten, dadurch deren Verkehrung, deren Ontologisierung oder Naturalisierung zu Demiurgen dessen, was ist, als ihre Erscheinungen, Erscheinungsformen und alles, buchstäblich Alles scheint selbst-verständlich, selbst-verständig, gelöst, erlöst, versöhnt …

Wollt, lieber Ulrich, einfach mal kurz skizzieren, was es mit Dieters Analysen zur Analogie von »absolutem Geist« und »Wert« auf sich hat, diese an Verständnis-, Erkenntnismöglichkeit der Realität in sich birgt – und übrigens über die ökonomie hinaus in Bezug auf Wissenschaft generell –, weswegen Marx wohl zu recht sagen konnte, daß ihm die Hegelsche Logik/Dialektik »große Dienste leistete«.

Allerdings, alle ‚Werttheorie‘ zu dieser Analogie sowie alle ‚Werttheoretiker‘ inkl. derer, die mit ihr nichts am Hut zu haben scheinen, ist eines, soweit mein Auge reicht, gemeinsam, gemeinsam mit aller bürgerlichen Nationalökonomie: sie gehen wie selbstverständlich »vom Faktum des Privateigentums aus. Sie erklärt uns dasselbe nicht. Sie faßt den materiellen Prozeß des Privateigentums, den es durchmacht, in allgemeine, abstrakte Formeln, die ihr dann als Gesetze gelten. Sie begreift diese Gesetze nicht, d.h. sie zeigt nicht nach, wie sie aus dem Wesen des Privateigentums hervorgehn.«“ (EB 1, S. 510 ff.), aus dessen exklusiven Wesen in Bezug auf das Verhalten, auf dieses bestimmte Verhältnis der Menschen zur Natur und damit, dadurch desselben zu seinesgleichen; daß all den im Marxschen ‚Kapital‘ untersuchten Kategorien dieses ebenfalls vorausgesetzt ist, insofern es keinen »Tausch«, keinen »Austausch« von Ware gibt, ohne daß sich die tauschenden Subjekte in Bezug auf ihr Objekt, sei‘s irgendein Arbeitsprodukt Ware oder das Betätigen ihres eigenen Arbeitsvermögens als Ware, als Privateigentümer derselben sich zu gerieren, zu funktionieren haben, in Konkurrenz gegeneinander um ihrer je eignen Existenz willen…

Ich brech‘ jetzt einfach ab – wieder Mal in aller Kürze, heut‘ Früh ist die Nacht gleich um.

Herzlichen Gruß, H.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (18.08.2010)

Betreff: LOGIK & DIALEKTIK

Lieber H.

zu aller erst hab vielen herzlichen Dank für Deinen langen Brief. […]

Bevor ich auf Deinen Brief näher eingehe, dies vorweg: ich werde den Teufel tun, Hegels Bestimmung des Geldes zu kritisieren, mit der er als dem »existierenden Wert der Dinge und der Leistungen« die Marxsche Analyse bis zu einem gewissen Grad antizipiert. Was Marx aber unter dieser Voraussetzung veranstaltet, ist eine radikale Kritik der bürgerlichen ökonomen (von denen vermutlich auch Hegel schöpft) und ihren Versuchen, das Geld zu erklären. Die Frage, die ich am Ende meiner Mail vom 13. [08.] gestellt hatte, war nur die: ob sich die Wolfsche Werttheorie … in der Hegelschen Definition … erschöpft, wobei mit der Frage bereits unterstellt ist, daß sie nicht darüber hinausgeht, d.h. hinter der Marxschen Kritik der politischen ökonomie hinterherhinkt und damit das Umschlagen in eine neue Qualität verpaßt, die dann unterschlagen werden muß. Und diese Kritik schließt die Auseinandersetzung Marxens mit dem »ideologischen Mystizismus der Hegelschen und überhaupt spekulativen Philosophie« mit ein (K.M. an Danielson 07.10.1868), deren erste entscheidende Versuche er mit der Kritik des Staatsrechts vollzieht.

[…] …ich hatte mir vorgestellt, wir würden uns detailliert mit meiner Kritik an D.W. (in meinem 2. Brief an Dich [vom 28.07.]) auseinandersetzen, nachdem du zuvor angedeutet hattest, daß Du meinen Text ganz in Ordnung fändest, aber hier und da einiges anzumerken hättest: so etwa meine übertreibungen hinsichtlich Humor, Paradoxien u. ä. Das hätte ich gern etwas genauer erfahren wollen.

Was nun Deine kurze, aber inhaltlich kompakte Skizze betrifft, stehe ich vor folgendem Dilemma. Ich bewege mich mit Volldampf auf die 290er Seiten des Staatsrechts [1] zu, werde aber auf Deine Skizze frühestens eingehen können, wenn ich dieses Ziel erreicht habe. Dann werde ich meine Notizen zu Colletti und Warnke wieder hervorkramen und meinerseits zu skizzieren versuchen, was ich daran auszusetzen habe, möglichst in Auseinandersetzung mit Deinem Text.

Es kommt noch ein weiteres „Dilemma” (ein sehr produktives!) hinzu: seit der Entdeckung von gewissen starren Einseitigkeiten bei Lenin lese ich diesen mit anderen Augen, als ich ihn bis dato gelesen habe. Ich müßte ihn eigentlich von A bis Z neu lesen. So ähnlich geht es mir, ausgelöst durch unsere Diskussion auch mit den Frühschriften (abgesehen davon, daß ich ohnehin nicht alles gelesen habe.)

Zu Deiner Skizze werde ich daher nur punktuell Stellung nehmen. Da ist z.B. Dein Verweis auf die Wagner-Randglossen [2], von denen ausgehend Du am Anfang Deines theoretischen Abschnitts die Frage stellst, ob »das Geld quasi ‚inkarniert’, quasi als eine Emanation des „absoluten Geistes” … und etwa nicht zugleich die Realität der Welt, die Totalität der Realität!?« sei. Ich bin der Ansicht, daß dieser Schluß vom Geld auf den Weltgeist mit Hilfe der Wagner-Randglossen nicht funktioniert. Bekanntlich entwickelt Marx die Geld-Theorie aus der Werttheorie (in nuce: aus der einfachen Wertform); zugleich hat er aber mit dem Fetisch-Kapitel jeden Rückweg von der Geldtheorie zur Werttheorie abgeschnitten. Deshalb muß D.W[olf]., um diese Blockade, die ihn an der Ableitung der Werttheorie durch seinen Rückschluß auf die Geldtheorie (2. Kapitel) hindert, rückgängig zu machen, das Fetisch-Kapitel fein säuberlich aus dem 1. Kapitel raustrennen. Den Rest kennst Du bereits.

In den Wagner-Randglossen ist in erster Linie vom Wert, Tauschwert, Gebrauchswert die Rede, vom »Hin- und Herräsonieren [der bürgerlichen ökonomen Wagner und Konsorten] über die Begriffe oder Worte „Gebrauchswert” und „Wert”« ([MEW] 19, 371), vom Geld aber erst zu guter Letzt. (»Auch vergißt Herr Wagner, daß weder ”der Wert” noch ”der Tauschwert” bei mir Subjekte sind, sondern die Ware {358}) Und wenn schließlich vom Geld die Rede ist, dann von der »Geldform«, die Marx aus der einfachen Wertform ableitet (und das folgende Zitat kann sich D.W. hinter den Spiegel stecken!): »Andrerseits hat der vir obscurus übersehn, daß schon in der Analyse der Ware bei mir nicht stehngeblieben wird, bei der Doppelweise, worin sie sich darstellt, sondern gleich weiter fortgegangen wird, daß in diesem Doppelsein der Ware sich darstellt zwiefacher Charakter der Arbeit, deren Produkt sie ist [!]: der nützlichen Arbeit, i. e. den konkreten Modi der Arbeiten, die Gebrauchswerte schaffen, und der abstrakten Arbeit, der Arbeit als der Verausgabung der Arbeitskraft, gleichgültig in welcher „nützlichen” Weise sie verausgabt werde (worauf später die Darstellung des Produktionsprozesses beruht); daß in der Entwicklung der Wertform der Ware, in letzter Instanz [!!!] ihrer Geldform, also des Geldes, der Wert einer Ware sich darstellt im Gebrauchswert der andern, d.h. der Naturalform der andern Ware; daß der Mehrwert selbst abgeleitet wird aus einem „spezifischen” und ihr exklusive zukommenden Gebrauchswert der Arbeitskraft etc. etc.«. (370) Um nur einen Gesichtspunkt hervorzuheben: Marx bleibt nicht einfach bei dem Widerspruch Wert-Gwert stehen, um aus diesen gegensätzlichen reinen Begriffen seine Werttheorie abzuleiten, sondern geht sofort zu dem Doppelcharakter der Arbeit über (»der nützlichen Arbeit, i. e. den konkreten Modi der Arbeiten, die Gebrauchswerte schaffen, und der abstrakten Arbeit, der Arbeit als der Verausgabung der Arbeitskraft, gleichgültig in welcher „nützlichen” Weise sie verausgabt werde…«), wobei die Geldform diejenige Wertform ist, worin in letzter Instanz sich der Wert der Ware darstellt. In D.W.s Vortrag geschieht dies aber in erster Instanz: ‚ich werde jetzt der Einfachheit halber zur Geldform übergehen‘ oder so ähnlich… usw. Soviel zur Geeignetheit der Wagner-Randglossen für die Analogie Geld-Weltgeist, hinter der ich einen einfachen Kurzschluß vermute, der aber ausgehend von der Marxschen Analyse nicht möglich wäre!

Du fragst auf Seite 2 nach überlegungen zu dem Stichwort: »Extreme«: »Was also, wenn die „Wolfsche Werttheorie letzten Endes …dieser Hegelschen Definition entspricht” und diese zugleich dem Hegelschen „Einen Geist”, dem menschlichen, endlichen, der ihm wie die Natur als Ausfluß, als Selbstentäußerung des „absoluten Geists” gilt…« usw. Ehrlich gesagt, habe ich diese Frage nicht ganz verstanden. Willst Du eine Erklärung (von wem auch immer?) dazu, was die Wolfsche Werttheorie mit der Hegelschen Definition des Geldes zu tun oder dazu, was diese Definition mit der Marxschen Analyse gemein hat und was beide voneinander unterscheidet? Soviel ist sicher: Die Marxsche Analyse setzt zwar die Hegelsche Definition voraus; sie setzt sich aber zugleich kritisch über ihre Beschränktheit hinweg. Damit weiß man dann nur, daß zwischen der Hegelschen Definition des Geldes und der Marxschen Analyse der Ware zwar philosophische ‚Strukturähnlichkeiten‘ bestehen, die vielleicht durch die Zurückführung der Marxschen Kategorien auf Hegelsche hervortreten mögen. Was aber habe ich damit bewiesen? Allenfalls »Bewußtseinsinhalte«! (Seite 3 oben)

Es geht aber Marx, wie gesagt im Zweiten Kapitel nicht um Bewußtseinsinhalte, sondern das von den Waren den Warenträgern diktierte Verhalten, die in dieser Situation nichts weiter sind als Charaktermasken. Was diese Charaktermasken sich bei Ausführung ihres Jobs denken, ist völlig zweitrangig, es geht nur darum, daß sie ihre Funktion für das Zustandekommen des Austauschs der Waren erfüllen und solange alle möglichen Waren zur allgemeinen Ware erklären, bis sich eine einzige als die allgemeine Ware herauskristallisiert hat. Das ist (so auch bei Reichelt) kein Bewußtseinsakt, sondern das Ergebnis jahrelanger Gewohnheit, woraus wie aus einer creatio ex nihilo plötzlich eine bestimmte Ware als das Geld hervorgeht. Plingh! macht es wie beim Urknall. Und dazu erfüllen die Warenträger quasi automatisch wie Zombies, die sich auch ohne Bewußtsein durch die Welt bewegen können, ihre Rolle. Das ließe sich nur dann als »Bewußtseinsinhalte« bezeichnen, wenn wir die Bewußtseinsfunktionen ausschließlich ins Rückenmark verlegen. Dann treten aber Gattungsprobleme auf. Jedenfalls trifft das ganz und gar nicht die luzide Ironie, mit der Marx den ganzen Vorgang analysiert und schon gar nicht auf die Frage der Verselbständigung der Geldform im gesellschaftlichen Verkehr zu!

Das Verfahren und das Beweisziel im Staatsrecht ist, soweit ich das bisher überblicke, ein anderes: hier geht es Marx darum, unter Verwendung der Hegelschen Kategorien und des rationalen Kerns der Hegelschen Logik die Hegelsche Staatsauffassung in ihrer ganzen Doppeldeutigkeit einer radikalen Kritik zu unterziehen. Und zwar auf eine Weise, daß er dieser nicht einfach eine gängige republikanische Bourgeoisauffassung als republikanische ‚Alternative‘ entgegensetzt, sondern mit Hilfe seiner ‚immanent-revolutionären Methode‘ haarklein § für § die politische Rückwärtsgewandtheit der Hegelschen Staatsauffassung demonstriert, worin zwar die republikanische vorauszusetzen ist, ohne jedoch einen abstrakten Republikanismus zu predigen. (In diesem Zusammenhang wäre die Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie als Resümee aus diesen Exzerpten zu lesen, ebenso wie die Kritischen Randglossen zu dem Artikel eines Preußen. [3]) Im Kern geht es in allen genannten Texten um die Trennung der menschlichen Gemeinschaft vom Gemeinwesen, die Marx in den Kritischen Randglossen zuspitzt auf die Trennung des proletarischem Gemeinwesens vom politischen Staat, wie er in Ruges Bourgeois-Republikanismus vertreten wird, »von welchem der Arbeiter isoliert ist« und an dessen Stelle »ein Gemeinwesen von ganz anderer Realität und ganz andrem Umfang als das politische Gemeinwesen« zu setzen wäre« (MEW 1, 407,408). Die Identität der Stände des Mittelalters im Widerspruch des Allgemeinen und Besonderen sucht Marx nicht mehr, wie die Historische Rechtsschule (vergeblich) im Mittelalter, sondern in der Aufhebung der modernsten Form dieser Trennung zwischen dem politischen Staat und dem Gemeinwesen des Proletariats.

Wenn Marx nach Seite 4 oben Deiner Skizze gesagt hat, daß ihm die Hegelsche Dialektik große Dienste leistet, sollten wir dann nicht auch zu dieser, damit sie diesen Dienst weiterhin verrichtet, ein möglichst rationales Verhältnis entwickeln und vermeiden, in Hegelianismus zu verfallen? So wie ich die Sache sehe, sind wir dabei noch nicht sehr weit gekommen. Von der Marxschen Methode lernen mit dem Hegelianismus umzugehen, läßt sich nur, wenn wir sein Verfahren, wie das im einzelnen geschieht, durchschauen. Da aber Form und Inhalt einander ständig durchkreuzen, wäre es aber das Letzte, wie von Großtheoretikern in der Vergangenheit vorgeschlagen, daraus so eine Art Baukastensystem zusammenzustellen mit Gebrauchsanweisungen, die auf kleinen Zetteln an die Gegenstände geheftet werden. Pantharai! Alles ist im Fluß; ein Fluß, der auch all die schönen Zettel mit samt Baukästen mit sich fortreißt. Soweit erste überlegungen zu Deiner Skizze.

Als Anhang schicke ich Dir einen interessanten Reisebericht eines vielleicht auch Dir nicht ganz unbekannten ‚kommunistischen‘ Professors aus Italien. [4] Was er da zu China zum besten gibt, ist schon recht bemerkenswert. Sobald dieser Typus eines ‚Kommunisten‘ die Witterung eines neuen staatsmonopolkapitalistischen Sozialismus aufgenommen hat, sind all die Schwüre der Linken aus der Vergangenheit auf den Schutz der Umwelt, den Groschen für das Teewasser der Arbeiter, den Tierschutz und den Schutz der Landwirtschaft vor der bösen Gentechnik vergessen und vergeben! Mögen auch in dem neu entdeckten sozialistischen Nirwana die Gefängnisse und die Todeslager überquellen: endlich läßt sich doch wieder was Handfestes für die Zukunft der Menschheit tun…!

Der italienische Professor hat, wofür ihm nicht genug gedankt werden kann, mit sicherem Instinkt ein neues Kapitel in der Auseinandersetzung über die Frage aufgeschlagen, ob wir primär davon auszugehen haben, daß das Kapital die Menschheit vernichtet oder daß die Menschheit bereits im Proletariat vernichtet ist oder von beidem gleichermaßen (wozu eine Menge Dialektik erforderlich wäre, die uns aber vor der politischen Entscheidung in dieser Frage nicht befreit. Davon hängt z.B. ab, ob die Beschäftigung mit der »commune rurale« [5] zu einer rein akademischen Angelegenheit wird, oder den Springpunkt bildet dafür, welche Konsequenzen sich aus der Beantwortung der zweiten Frage ergeben?). Er hat im Klartext formuliert, was die Linke wegen ihrer sozialdemokratischen Beflaggung bisher nur selten offen auszusprechen wagte (oder höchstens ihre Stasi-Abteilung von der jW). Das ist jetzt nicht mehr so einfach möglich. Sie muß sich entscheiden!

Nach dem Untergang der SU hatte sich die Linke wie ein Ertrinkender an ihre Globalisierungstheorien geklammert und in ihrer Verzweiflung die Konfrontation des Kapitals mit der Menschheit in den Vordergrund gestellt (das ganze nannte sich bekanntlich Anti-Globalisierungsbewegung und ist bereits offizielle Regierungspolitik). Diese Festlegung war schon immer eine Ausflucht vor der Konfrontation der Marxschen Parteigänger (ich würde eigentlich lieber sagen: Kommunisten, wenn diese Bezeichnung nicht so in den Dreck getreten wäre!) mit den Schandtaten der Pseudokommunisten gegen das Proletariat (verübt von der eigenen Regierung, die sich an die Stelle einer Regierung der Produzenten gesetzt hatte). Der bescheidene Widerstand der partei Marx entsprach dieser Aufgabe nur minimal und ordnete sich ein in das bekannte deutsche Sektenwesen.

Mit der Wiederentdeckung Chinas in einer Rolle, die einst die Stalinsche Sowjetunion verrichtete, muß die Linke sich entscheiden und wird, wenn sie konsequent ist, die Globalisierungsphrasen und den kleinbürgerlichen Antikapitalismus auf den Müll werfen und sich wieder ganz ihrem ursprünglichen sozialfaschistischen Geschäft zuwenden, das sie die ganze Zeit ohnehin schon auf Sparflamme betrieben hat. Dieses hat nun wieder eine feste Postanschrift. Wenn Du diese mit ‚Sozialfaschismus‘ bezeichnest, wird das wohl stimmen. Ich jedenfalls stimmte mit Dir darin voll überein.

Herzliche Grüße

Ulli

[1] Karl Marx: Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts MEW 1 (203-333).

[2] Karl Marx: Randglossen zu Adolf WagnersLehrbuch der politischen ökonomie MEW 19 (355-383).

[3] Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung MEW 1 (378-391); ders.: Kritischen Randglossen zu dem Artikel „Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen” MEW 1 (392-409). Vgl. REFLEXIONEN 1.

[4] junge Welt 14./16.08.2010 Domenico Losurdo: Zwei Züge, ein Ziel. Eine aufschlußreiche Reise nach China. Bemerkungen eines Philosophen.

[5] Vgl. DEBATTE 3 und DEBATTE 4.

 


H.B. an Ulrich Knaudt (21.08.2010)

Betreff: AW: LOGIK & DIALEKTIK

Bin durch.

Da mein Schwerpunkt (noch) auf der Auseinandersetzung mit D. W[olf]. liegt, d.i. in seiner wie ich meine abstrakten Borniertheit Hegels (Marx‘ Kritik), war mir im Moment noch hilfreicher, mich ‒ umgekehrt ‒ nochmal vor allem D.‘s Kritik an an Dir (u.a.), die ich ja im wesentlichen »ganz in Ordnung« finde, […] zu widmen, um dessen Logik, d. i. der Hegelschen an seinem Verständnis der Marxschen kritischen Begriffe der pol[itischen ök[onomie], herauszuextrahieren, in der Konsequenz ‒ weshalb ich, die Ironie auf die Spitze getrieben, zugleich aber auf den Punkt gebracht, […] mal äußerte, daß es herauszuarbeiten gelte, was D.W. mit Joseph Ratzinger / Hegel gemein ist. Will sagen, ich bin noch zu sehr bei Dieter ‒ mit Dir ‒ und noch nicht ganz bei Dir, da, wie Du selbst sagst, noch nicht durch die 290 ff. bist; [1] für mich die Crux überhaupt.

Mißversteh‘ das bitte nicht als überheblichkeit. Ich selbst hab mich immer, unentwegt auf den Prüfstein dieser Passagen gestellt und tu dies nach wie vor. Um die Quintessenz kurz vorwegzunehmen: Der ganze Widerspruch im Kapital, in D.‘s Verständnis von G[ebrauchs]W[ert] und Wert bewegt sich innerhalb, auf dem Boden der »Dialektik« der »Extreme« des »abstrakten Materialismus« / »abstrakten Spiritualismus« (Idealismus)!!! (s. S. 293), was heißt, daß die ganzen kritischen Begriffe [in] Marx‘s [Kritik der] pol[itischen]. ök[onomie]. in Bezug auf ihre Gegenstände sowie diese selbst aufzuheben, wir sie an sich, d.i. an uns abzuarbeiten haben, um sie zu überwinden, abzuschaffen und das scheint mir haben alle sog. ‚Werttheoretiker‘ sowie alle ‚Klassenkämpfer‘ welche sich auf jenem Boden gegenseitig bedingen, nicht begriffen; und, in der Tat, der Ursprung liegt im Verständnis der Einheit des Wi[derspruchs] von G[ebrauchs]W[]ert und Wert = die Ware = Subjekt ‒ als die eine Seite der Totalität, der Realität, unsres Daseins in der Form realisierter Abstraktionen / Begriffe, unsrer Existenz, die sozusagen als zweite Natur zur ersten gewordne.

Es ist auffällig, daß D. in seinem [Buch] „Der dial[ektische]. W[iderspruch]. i[m]. K[apital].” gerade diese Passage nicht expliziert und damit sich auf dem Boden des sog. ‚Diamat‘ bewegt, der den Marxschen Wi[derspruch] auf S. 292, 295/296 in der Einheit von GW und Wert, in der Ware selbst angesiedelt sein läßt.

Der Clou, daß er damit nicht ganz Unrecht, insofern Ware = Subjekt, wo sonst also wenn nicht im  Subjekt sollte er überhaupt existieren. Doch D.s ontische ‚Logik‘ von ‚allgemein menschlicher abstrakter Arbeit‘ bleibt mit ihr, seiner Verewigung in den Austausch zwischen Mensch und Natur ‚schlechthin‘, ‚überhaupt‘, nämlich über sie, was dem Denken schlechthin eigen ist, insofern es ‚die Abstraktion nicht aufgibt‘ (s. Kritik Marx an Hegel), der Hegelschen treu ‒ was dessen präexistenter ‚absoluter Geist‘ = D.‘s ‚immer schon allgemein menschliche abstrakte Arbeit‘ ‚ bzw. v.v. = die Marxsche ‚Substanz des Werts‘, sich entäußernd, wirksam, wirklich werdend (Hegels ‚Werden‘) seiner selbst stufenweis in der Erscheinungsform von zunächst ‚wenigstens 2er Tauschwerte‘ / ‚Ware‘, Gebrauchsgegenstände der (be-/verarbeiteten) Natur als Gebrauchswerte sich einverleibend, dann in Geld, dann in Kapital kulminierend, womit und worin Mensch Natur und sich selbst vollständig ‚mißbraucht‘, seiner „eigentlichen” Würde, Dignität beraubt, zu deren an sich wechselnden Formen als ‚Gebrauchswert‘ sich degradiert, Ausdruck bei Marx findend in seinem ‚Widerspruch zwischen Wesen und Existenz‘ des Menschen ‒ als ‚Gemeinwesen‘/‘Gattungswesen‘ der Natur, ‚Produktivkraft‘ der Natur (objektiv) und seinen ‚Produktionsverhältnissen‘, ‚Verkehrsverhältnissen‘. Kein Tausch ohne Privatbesitz/-Eigentum

(-Produktion) an der Natur, am Arbeitsprodukt, wodurch zugleich der Andere seinesgleichen Mensch ausgeschlossen …

Daher, s. Marx in Kritik an Wagner: »Gebrauchswert … in seinem (gemeinsamen) gemeinschaftlichen Charakter« (= füreinander!) versus  »WareGebrauchswert für andere, gesellschaftlichen Gebrauchswert« ([MEW] 19, S. 370).

Dieser Widerspruch / Antagonismus (entsprechend = Pol / Nichtpol = wirklicher, wesentlich gegenseitig sich ausschließender [Kritik am Hegelschen] St[aats]R[echt], S. 292!), dessen Aufhebung beginnt (umgekehrt: »die Aufhebung der Entfremdung geht den Weg der Entfremdung zurück«, ([MEW] EB 1, S. 534/535 = den der »Menschwerdung«) mit der bewußten Gestaltung der »gesellschaftlichen« tauschvermittelten, privateigentümlichen Verhältnisse der Menschen zu einander in »gemeinschaftliche«, die tatsächlich, in der Tat, objektiv, seit Menschengedenken, Mensch eigentümlich, ebenfalls ‚immer schon‘ existieren und sich »naturwüchsig« entwickelten in der »Trennung« (nichts andres erklärt Marx, wie er selbst sagt) des Menschen von der Natur, von seinem Gemeinwesen, von seinesgleichen und von sich selbst (»Selbstentfremdung«).

Die Aufhebung der Trennungen antizipiert, setzt ein Bewußtsein voraus, wie es Marx in »Auszüge aus Mills…« [2] oder am Beispiel »Verhältnis zum Weib« ([MEW] EB [1 I], S. 535 und 536) oder »Das menschliche Wesen der Natur ist erst da …« (ebenda, 537,538) oder zu »gemeinschaftliche Organe … « (S. 539 u./540) oder s. 540, 541, 542, 543, 540 oder zur »Kreisbewegung …/ Denke nicht, frage mich nicht…/Abstraktion von … keinen Sinn../ Kommunismus (als) … Prinzip« oder in »D[eu]t[sche]. Ideol[ogie] s. [MEW 3, S.] 60-65/65-70/71 und lies dort S. 69, 1. Abs.: »Die Individuen, die nicht mehr …,« haben die Philosophen sich als Ideal unter dem Namen »der Mensch« vorgestellt (!), und den ganzen (lies: in Gegensatz zu uns !) von uns entwickelten entwickelten Prozeß als den Entwicklungsprozeß »des Menschen« (lies: »der Arbeit«) gefaßt, so daß den bisherigen Individuen auf jeder geschichtlichen Stufe »der Mensch« untergeschoben und als die treibende Kraft der Geschichte dargestellt wurde.

Der ganze Prozeß wurde so als Selbstentfremdungsprozeß »des Menschen« gefaßt, und dies kommt wesentlich daher, daß das Durchschnittsindividuum der späteren Stufe immer der früheren und das spätere Bewußtsein den früheren Individuen unterschoben (!) wurde. Durch diese Umkehrung (!), die von vorneherein von den wirklichen Bedingungen abstrahiert (!), war es möglich, die ganze Geschichte in einen Entwicklungsprozeß des Bewußtseins zu verwandeln.

Das macht Hegel mit »Geist«, »absolut«, »abstrakter Spiritualismus«; der ‚Diamat‘ als »sein andres Extrem« mit »Materie« (StR, S. 293, 2. Abs.: »Andererseits…«; und Dieter zusammen mit Hegel mit »abstrakter Arbeit«: einerseits »Das Große an der Hegelschen „Phän.[nomenologie des Geistes]” und ihrem Endresultate der Dialektik der Negativität ist einmal … als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift«; andererseits: »…die abstrakt geistige…« ([MEW ]EB 1 S. 574 ff.).

Und daran ‒ insbesondere auf diesen Text von Marx‘ Kritik an Hegel geht Dieter so gut wie nirgends ein ‒ ist seine Position noch weiter kritisch zu analysieren, geht es doch hier um das Wesen von Gegenständlichkeit und um die Abstraktion von demselben qua Denken überhaupt, um die Differenzierung von Bewußtsein in Bewußtsein und Selbstbewußtsein (s. letztes Mail als Selbst-‘Wert‘-Bewußtsein à la Bewußtsein seiner selbst), »geborgen« in »abs. Geist«/»Gott«, mal als »Idee«

(Platon), mal als »Substanz« (Spinoza), mal als »Subjekt«/»abs. Wissen« (Hegel) oder »Urgrund-« / »Ursprungs-« / »Identitäts-« Philosophie, wonach, wodurch alles was ist, ist, und alles, was erscheint, durch es/ihn erscheint, ist …, ergo alles [in] einem Einen ist und auf ein solches Eines (Absolutum) reduziert ist ‒ allemal abstrahiert von sich, Mensch, Natur, wirklicher Gegenständlichkeit, in Marx‘ Kritik »der Wert« als der vollständigen Umkehrung, Verkehrtheit, in seiner »Substanz«, »der menschlichen abstrakten Arbeit« an sich, in sich selbst gespalten, in Zwiespalt, in Widerspruch mit sich selbst, der die Realität des Menschen ausmacht, die ‚Einheit‘ der Menschen, der Menschheit als als Ganzer an sich, in sich und mit durch sich und die sich auf allen Ebenen und in allen Sphären der menschlichen Existenz, durch sie hindurch, reproduzieren, als Antinomien (vgl. St[aats]R[echt]), als solche wirksam und damit wirklich, real sind, ausweglos, aporetisch, eine Einheit in »Illusion«, der »Illusion«, »ridicule« (ebenda), die, solange sie denkend, qua Abstraktion von sich, an sich, auf sich in Begriffslogik sich verewigen, statt sie »aufzugeben« zugunsten des ihnen tieferliegenden, ihnen gemeinsamen, uns alle subordinierenden »wesentlichen Widerspruchs« (StR, S. 292, 295/296).

Das ganze Quid pro quo der Vermengung, Vermischung von »Antinomie«, deren abstrakter Lösung und damit deren Verallgemeinerung = Scheinlösung, mit dem Marxschen »wesentlichen Widerspruch«, solange dieser nicht wirklich, nicht richtig bestimmt ist, reproduziert Hegel, Hegels Logik der Mystik, und zwar ganz und gar »rational«, auf dem Boden von Abstraktion.

Wie der »rationale Kern« derselben Bedeutung für die Marxschen Erkenntnisse hat, nämlich positiv, nämlich ohne ein tertium comparationis als Abstraktum, das ist herauszuarbeiten, was zugleich Hegel wirklich zu würdigen ermöglicht, und so übrigens auch Dieters Arbeiten zur Analogie jener.

Ich bin schon längst überfällig, terminlich und brech‘ einfach wieder ab, ohne es noch mal durchzulesen.

Gruß,

H.

[1] Gemeint sind hier und im folgenden: Karl Marx: Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts MEW 1 (203-333).

[2] Karl Marx: [Auszüge aus James Mills Buch „Èlémens d‘économie politique] MEW EB I (445-463)

 


Kommunitäres Arbeiten (H.B.)

(23.08.2010)

»Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert:

Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den anderen doppelt  bejaht.

Ich hätte

1. in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher

sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen, als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegenständliche, sinnlich anschaubare

und darum über allen Zweifel erhabene Macht zu wissen.

2. In deinem Genuß oder deinen Gebrauch meines Produkts hätte ich unmittelbar den Genuß, sowohl

des Bewußtseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, also das menschliche

Wesen vergegenständlicht und daher dem Bedürfnis eines andren menschlichen Wesens seinen entsprechenden

Gegenstand verschafft zu haben,

3. für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine

Ergänzung deines eignen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden

zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen,

4. in meiner individuellen Lebensäußerung unmittelbar deine Lebensäußerung geschaffen zu haben,

also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres Wesen, mein menschliches, mein

Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben.

Unsere Produktionen wären ebenso viele Spiegel, woraus unser Wesen sich entgegenleuchtete.

Dies Verhältnis wird dabei wechselseitig, von deiner Seite geschehe, was von meiner geschieht.

Meine Arbeit wäre freie Lebensäußerung, daher Genuß des Lebens.

In der Arbeit wäre daher die Eigentümlichkeit meiner Individualität, weil mein individuelles Leben

bejaht. Die Arbeit wäre also wahres, tätiges Eigentum…«

([MEW] EB 1, S. 462,463)

»… Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist sie Lebensentäußerung, denn ich arbeite,

um zu leben, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen. Mein Arbeiten ist nicht Leben.«

(ebenda)

 


Ulrich Knaudt an H.B. (24.08.2010)

Betreff: MARX-GESELLSCHAFT

Lieber H., ich würde Dich bitten, zum nächsten Mal auf der home page der pM DEBATTE 2 Marx und „Marxismus” in Deutschland – An die Marx-Gesellschaft, zu lesen, um darüber ‚außer der Reihe‘ zu diskutieren. […]

Die Partei Die Linke ist eine Staatsveranstaltung, nicht anders als die Neonazis eine Staatsveranstaltung sind! Beide treten für einen ‚anderen Staat‘ in diesem Staat ein. Uns Kommunisten reicht schon dieser eine Moloch! Ob der Nazi-Staat oder der ‚marxistische‘ Staat ‚Unrechtsstaaten‘ sind oder nicht, ist nur von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, daß, wie die Geschichte (Bonapartismus) zeigt, die Bourgeoisie in Krisenzeiten immer wieder mit solchen Parallelstaaten liebäugelt (hinzuzufügen wären dem noch der Islamismus und die lateinamerikanische Mafia: mit beiden scheint Die Linke gute Kontakte zu haben) und im Extremfall vorübergehend Parallelstaaten der sonst üblichen staatlichen Legalität vorzieht.  Die einzigen, die den Staat abschaffen wollen, sind die Anarchisten und wir (wobei das eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit ihnen ist).

Es wäre also völlig hirnrissig, mit ‚marxistischen‘ Staatsanbetern theoretisch darüber zu diskutieren, ob und wie nach Marx der Staat abzuschaffen und wie das theoretisch zu begründen sei, nachdem sie programmatisch kundgetan haben, daß sie ihren alten Staat in neuer (vergrößerter) Gestalt zurückhaben wollen. (Siehe Anhang meiner letzten Mail [1]). Auf der anderen Seite zeigt sich daran, daß eine Diskussion über die Marxsche Theorie unter Auslassung der Staatsfrage heute nicht mehr möglich ist. Das demonstriert uns Die Linke Tag um Tag in ihrer Politik. (Organisierung der Plebs und des islamistischen Mobs gegen die alte Bourgeoisie, um sich im Staatsapparat breit zu machen.)

Wenn sich die M[arx]-G[esellschaft] lediglich als Konkurrenzunternehmen von Leuten, die im Vergleich mit Der Linken ‚auch etwas anzubieten haben‘, begreift, wäre sie ohne die von mir angedeutete Diskussion über die Staatsfrage als Organisation in der Tat völlig überflüssig. Dann sollte sie ihr sinnloses Unterfangen schleunigst aufgeben, sich auflösen und dieser Staats-Partei beitreten, um sich ihr zukünftig als staatlich geprüfte ‚Marxismus‘-Theoretiker zur Verfügung zu stellen.

Oder sie finge endlich an, über die […] Frage eines politischen Marx-Verständnisses […], das der heutigen Krise des Kapitals und derjenigen der bürgerlichen Gesellschaft entspricht, zu diskutieren. Eine Neue Marx-Lektüre, die keine Legitimationsveranstaltung für Die Linke wäre, kann es nur unter diesen politischen Voraussetzungen geben. (Das richtet sich übrigens auch an unseren gemeinsamen Freund D.W[olf].) Nur so kann verhindert werden, daß die Marxsche Theorie noch einmal zur Legitimationswissenschaft eines runderneuerten Staats-Marxismus wird.

[…]

Gruß Ulli

[1] Darin Hinweis auf Neues Deutschland 21.08.2010: Jörg Roesler, Plan und Markt als organische Einheit. Die sechziger Jahre: das wirtschaftshistorisch interessanteste Jahrzehnt der DDR.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (29.10-31.10.2010)

Bemerkungen zur: Marx-Herbstschule in Berlin zum III. Band des „Kapital”[1]

Erster Tag (Freitag Abend)

Einführungsvorträge

1. Ingo Stützle: Einführung in KAP[ital] [Band] I-III. Kann man abhaken.

Auf Fragen, was denn der Unterschied zwischen den Drei Bänden sei, kommt er nicht darauf: − gerade für die Newcomers wäre der Hinweis wichtig gewesen − daß in KAP I der Prozeß der Entstehung des einzelnen Kapitals und darin der Widerspruch Lohnarbeit – Kapital, in KAP II der Zirkulationsprozeß der Kapitale, wobei der Zeitfaktor die entscheidende Rolle beim Umschlagen derselben spielt und der Produktionsprozeß ausgeklammert bleibt und in KAP III der Gesamtprozeß ausgehend von KAP I und KAP II behandelt werden usw.

2. Rolf Hecker referiert aus seinem Spezialgebiet: Entstehung und Zustand der verschiedenen Manuskripte seit den 50er Jahren. (Du merkst, der Marx vor 1848 spielt keine Rolle).

3. Fritz Fiehler referiert KAP III [Abschnitt] V im besonderen, wobei er in seiner A[rbeits]G[ruppe] auf die darin geäußerte Kritik an Proudhon eingehen will.

4. Da die AGs nach dem Grad des Vorbereitetseins und Gelesenhabens verteilt werden und nicht bekannt ist, wer welche AG leitet, hoffe ich nur, nicht bei Fritz Fiehler zu landen.

Zum Glück lande ich bei Nadja [Rakowitz] und Thomas Gehrig.

Die AG besteht aus lauter Altlinken, vielleicht 1/3 sind jüngere Leute. Erstere haben alle ihren Marx gelesen, das aber ist meistens lange her. Auffällig ist, daß sie ständig mit irgendwelchen Beispielen aus dem aktuellen Wirtschaftsleben herumkommen, um mit deren Hilfe den Text zu interpretieren. Ich bestehe darauf, daß wir versuchen sollten, uns eng am Marxschen Darstellungsprozeß zu orientieren, weil wir sonst die Kategorien, die hier zum Einsatz kommen, wie z.B. »…daß hier Kapital als Kapital zur Ware geworden ist« ([KAP III,] 420, 359), die den Gebrauchswert hat, Profit zu erzeugen usw., nicht wirklich in ihrer Bedeutung verstehen werden und schon gar nicht die sich daraus ergebenden Widersprüche, Verselbständigungen, Paradoxien. Noch besser wäre gewesen, einen problemorientierten Durchgang durch den Text mit Krätke und Heinrich als Ausgangspunkt zu starten. [2] Das aber ist nicht durchzusetzen (es fehlten wohl auch die Voraussetzungen dafür).

Gelächter erregt mein Insistieren darauf, daß das bürgerliche Recht, das in den »juristischen Formen, worin diese ökonomischen transactions« (412, 352) zwischen dem monied capitalist, der 100 Pfund als Kapital investiert und dem funktionierenden (F. E[ngels]. überträgt: »fungierenden«) Kapitalisten vorausgesetzt wird, »aus den Produktionsverhältnissen als natürliche Konsequenz entspringen«, aber als »bloße Formen diesen Inhalt nicht bestimmen. Sie drücken ihn nur aus« (413, 352). Und jetzt der entscheidende Satz, der, als ich ihn mit der Bemerkung zitiere, daß Marx sich mit diesem Gerechtigkeitsbegriff nicht identifiziert habe, brausendes Gelächter hervorruft: »Dieser Inhalt ist gerecht, soweit [!] er der Produktionsweise adäquat ist. Er ist ungerecht, sobald er derselben widerspricht« (z.B. Sklaverei, Betrug usw.). Gelacht wurde darüber, daß ich darauf bestand, daß Marx mit diesem Gerechtigkeitsbegriff nur operiert, insofern dieser den bürgerlichen, nicht aber seinen eigenen Vorstellungen von Gesellschaft entspricht.

Zur Klärung dieses Problems mache ich sie auf die Seiten 451-452, 393, aufmerksam: »über der gegensätzlichen Form der beiden Teile, worin der Profit, also der Mehrwert zerfällt, wird vergessen, daß beide bloß Teile des Mehrwerts sind und daß seine Teilung nichts an seiner Natur, seinem Ursprung und seinen Existenzbedingungen ändert. Im wirklichen Prozeß vertritt der funktionierende Kapitalist das Kapital als fremdes Eigentum gegenüber den Lohnarbeitern, und nimmt der monied Kapitalist, als vertreten durch den funktionierenden Kapitalisten an der Exploitation der Arbeiter teil.« Und dieser wirkliche Prozeß der Ausbeutung von Lohnarbeitern läßt sich ja wohl nicht an Kategorien wie Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit messen!?

Ein Teilnehmer kommt dann (sie sind ja alle sehr belesen!) und auch zutreffend auf Marxens Kritik am Gothaer Programm zu sprechen. Diese Bezugnahme wiederum verhilft ihm aber nicht zu der Einsicht, daß die Marxsche Position zur bürgerlichen Gesellschaft in der Kritik am Gothaer Programm sich von der in KAP III zitierten um keinen Deut unterscheidet. (Der Verweis sollte eher demonstrieren, auf welch altmodischen Ansichten mein Einwand beruht.) Ein anderer kommt auf die tolle Idee, daß der funktionierende Kapitalist, da er das zinstragende Kapital + Zins zurückzuzahlen muß, letzteren den Arbeitern durch Erhöhung des Mehrwerts zusätzlich abknapsen würde. Das geht auch Nadja [Rakowitz] und Thomas Gehrig zu weit. Ein wunderschönes Beispiel für die tiefe Verwurzeltheit des ökonomismus bei dieser Linken, die nicht über die bürgerliche Vorstellung des ‚Lohnraubs‘ hinauskommt: ‚das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!‘ Sie begreift nicht, daß unter der Voraussetzung des bürgerlichen Rechts es im Verhältnis zwischen Lohnarbeiter und Kapitalisten durchaus ‚mit rechten Dingen zugeht‘; den Unterschied zwischen dem Recht, das man de lege hat und dem Recht, das man tatsächlich bekommt, eingeschlossen.

Daran siehst Du schon, wie schizophren diese Kerle sind: sie kennen sich im KAP prima aus, wollen es auch noch besser verstehen lernen, und verstehen es aber dann doch nur im Sinne des bürgerlichen Rechts. Ich habe ihnen die oben zit[ierte]. Stelle um die Ohren gehauen und empfohlen, sich die Sache bis morgen noch mal zu überlegen. – Soweit diese subjektive Impression aus meiner AG am Freitag Abend. Unseren Disput über die Interpretation von »erscheint« als ‚zur Erscheinung kommen‘ oder als ‚realer Schein‘ haben wir bereits […] abgehakt. […]

Samstag Abend

Ich habe meinen Text durchgesehen, aber noch keine Fortsetzung geschrieben. Das mache ich morgen. Gleich fahre ich zur Podiums-Diskussion mit Robert Kurz u.a. (das ist der ML-Zirkeltheoretiker mit der ‚Hausschweinisierung‘ der Arbeiterklasse – inzwischen auch Professor…) unter dem einladenden Motto: „…hier bricht das Manuskript ab.” Klasse und Krise: Wie geht es weiter?

Zweiter und dritter Tag (Samstag Abend und Sonntag)

Es würde wohl ein ganzer Roman daraus, wollte ich im bisherigen Stil fortfahren. Was ich vermitteln wollte, war so ein erster Eindruck von der Veranstaltung, soweit dies für uns relevant ist. An Stelle dessen, werde ich nun die ganze Sache von hinten aufrollen:

1. Ausgehend von der Ansicht der partei Marx gehört die SED-Nachfolgerin zur Bourgeoisie und sollte daher nicht im Sinne einer bürgerlichen Strömung innerhalb der Linken ‚kritisiert‘ werden, so wie es ihre linken Kritiker für gewöhnlich tun, die, je linker sie verpackt sind, diese Partei lediglich als eine andere Variante der Sozialdemokratie einschätzen (d.h. als zweite bürgerliche Arbeiterpartei). Die PDL ist keine bürgerliche Arbeiterpartei, wie es die SPD bisher war, sondern eine revisionistische Partei. Revisionistisch im Sinne der Wiedergewinnung der alten DDR, so wie die Nazis die Revision der Nachkriegsregelungen über Deutschland anstreben, um zum Hitlerschen Deutschen Reich zurückzukehren. Zwecks Verbesserung ihrer Position im ‚wiedervereinigten‘ Deutschland bedient sich die Partei Die Linke aller möglichen traditionellen linken Strömungen, um über diese auch in der Gesellschaft der alten BRD Fuß zu fassen und mit deren Hilfe ihr politisches Projekt (den ‚Sozialismus des 21. Jahrhunderts‘) in Deutschland durchzusetzen.

ähnliches hatte auch schon die SED in unseren revolutionären 60er und 70er Jahren versucht, wenn es auch den Allerwenigsten bewußt war und fleißig verdrängt wurde; der Sozialismus hatte nur einen anderen Namen. Das Problem der ehemaligen westdeutschen Linken besteht folglich darin, daß sie die SED-Nachfolgerin als eine bürgerliche (‚sozialdemokratische‘, ‚reformistische‘) Strömung innerhalb der (fiktiven) gesamten ‚Linken‘ versteht. Wollte man die Partei Die Linke ausgehend von einem ernstzunehmenden revolutionären Anspruch kritisieren, wäre das so ähnlich, als wenn Marx und Engels zu Beginn der 50er Jahre mit jenen Strömungen, die von der 48er Revolution übrig geblieben waren und sich mit der mit dem Feudalismus paktierenden Bourgeoisie (ihrem ‚linken‘ Flügel) vereinigt hatten, wie Mazzini, Kossuth, Herzen etc., gemeinsame Sache gemacht hätten. (Marx weigerte sich z.B., zu einer Veranstaltung zu gehen, wo er mit Herzen hätte zusammentreffen können. Die beiden Freunde [Marx und Engels] waren Anfang der 50er Jahre daher die einsamsten Gestalten innerhalb der Londoner Emigration.)

Sich auf die Politik, wie sie die Linke gegenüber der PDL betreibt, einzulassen, wäre daher auch in unserem Fall ziemlich tödlich. Die Neue Bourgeoisie befindet sich unter aller Kritik (siehe BLogbuch 1 2010), sie kann daher nicht, nur weil sie den ‚Marxismus‘ ‚hochhält‘, ernsthaft theoretisch kritisiert werden. Sie kann nur wie die alte Bourgeoisie politisch bekämpft werden. Worin bestünde denn die gemeinsame Grundlage, auf der sie zu kritisieren wäre? Dagegen sollte – und das wäre eine Schlußfolgerung, die ich aus dem Wochenende ziehe – die mit der Neuen Bourgeoisie paktierende Neue Linke (also die Linke, die vom 02.06.1967 übrig geblieben und nicht unter die Fittiche der Alten Bourgeoisie gekrochen ist) durchaus kritisiert werden, zumal dann, wenn sie sich der Marxschen Theorie im Interesse der Neuen Bourgeoisie und für deren politische Zwecke bedient.

Grundlage einer solchen Kritik wäre das von der Neuen Linken vertretene Marx-Verständnis, das, wie wir festgestellt haben, in der Regel mit dem unsrigen nicht übereinstimmt. Aber selbst wenn es uns gelänge, uns mit ihr über ein gemeinsames Marx-Verständnis auch nur punktuell (KAP) zu einigen, würde das noch längst nicht bedeuten, daß sie deshalb auch ihre politische Einschätzung der Neuen Bourgeoisie aufgeben, sondern trotz großer Bauchschmerzen weiterhin mit dieser paktieren würde. Da wir unsererseits über so gut wie kein politisches Potential verfügen (wozu bestenfalls die pM als eine nur virtuelle Partei gehört), können wir der Neuen Bourgeoisie bei ihrem Versuch, sich des Potentials der ehemaligen Neuen Linken zu bemächtigen, wenn es hochkommt ein paar Knüppel zwischen die Beine werfen. Dabei werden wir wahrscheinlich nicht verhindern können, daß sie sich auch unseres Marx-Verständnisses bedient, wenn es ihr in den Kram paßt, um uns dann mit einem ‚Danke vielmals!‘ zu marginalisieren.

2. Da wir bereits gestern Abend das Entscheidende geklärt haben, kann ich mich kurz bzw. unser Gespräch noch einmal zusammenfassen. Krätke weist bei all seinem hochtrabenden professoralen Gelaber auf einen wichtigen Punkt hin, der von entscheidender Bedeutung ist: die Scharnierfunktion, die die Geldware in KAP II für die gesamte Architektur des KAP einnimmt. […] Worin Krätke völlig richtig liegt, ist, daß die Geldware zugleich Warenkapital ist und daher Michael Heinrichs Kritik an Marx (dieser sei als ‚Kind seiner Zeit‘ dem Metallismus verfallen) widerlegt ist. Heinrichs ‚Kritik‘ an Marx erweist sich auch in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise als ziemlich lächerlich, weil es kein ökonomisches Werk gibt, das diese trotz seines fragmentarischen Charakters nicht nur besser, sondern eindeutig erklärt. Daß Krätke den Doppelcharakter des Goldes als Geldware und Warenkapital nur zu dem Zweck betont, um den Kapitalfetisch und die Dialektik der Ersten Drei Kapitel von KAP I zu kippen, indem seine Deutung der in den Londoner Schaufenstern ausgelegten Waren als Warenkapital von ihm für ausreichend erachtet wird, um uns den Rest der Ersten Drei Kapitel zu ersparen, ändert an der Korrektheit seiner Interpretation der Geldware und deren Bedeutung für KAP I-III erst mal nichts. Entscheidend ist seine Beobachtung, daß die linken KAP-Leser immer einen großen Salto über KAP II hinweg gemacht haben, und ihnen daher die Voraussetzungen für das Verständnis der Architektonik von KAP I-III fehlen.

Warum ist die Architektonik so wichtig? Weil nur im Zusammenhang mit der großen Metamorphose des Kapitals verständlich wird, wie das KAP als negative Blaupause für die neue Produktionsform einzusetzen wäre, in der die Produzenten die neuen Produktionsverhältnisse zu beherrschen lernen müssen: Ware – Wert – dessen Verdopplung als Geld – Kapital – Arbeit – Produktion von Mehrwert (= KAP I), Umschlag des Warenkapitals auf der Basis der Geldware und Entstehung des Kredits als Vehikel zur Beschleunigung des Umschlagprozesses (= KAP II), Verdoppelung des Kapitals als funktionierendes und zinstragendes Kapital, Verdrängung des ersten durch das zweite, Verselbständigung als fiktives Kapital, Paradoxien, Antinomien, Selbstaufhebung der Logik des Kapitals als ganzem (= KAP III). Das unter den neuen Produktionsverhältnissen von den Produzenten angeeignete Verständnis der Architektonik hätte nicht mehr der Optimierung der Kapitalverwertung, sondern zu ihrer Beseitigung zu dienen. Um diese zu beseitigen, muß man wissen wie sie bisher funktioniert hat, sonst setzt man sich wie in der SU oder in China neue Läuse in den Pelz. Soweit aber die Architektonik bisher analytisch zur Geltung kam, hatte sie in erster Linie philologische Bedeutung (Rosdolsky etc. [3]).

Mit der Marx-Philologie verfügte die SED und verfügt ihre Nachfolgerin über den entscheidenden Schlüssel, um nach Ausrufung einer Endlosdebatte über das Marxsche ‚Kapital‘ den Zugang zum Heiligen Schrein des ‚Marxismus‘ zu kontrollieren. Nicht umsonst hat Stalin die Arbeit an den ‚Grundrissen‘ [zur Kritik der politischen ökonomie] nicht etwa gestoppt (während Engels als Feind der Außenpolitik des russischen Zarentums ein zweites Mal beerdigt wurde [4]). Denn die Grundrisse enthalten, wenn man so will, eine durchaus schlüssige theoretische Begründung für die Notwendigkeit der Enteignung des Privateigentums – in diesem Fall zugunsten des großrussischen Staates. Was Hitler mit Hilfe seines Blut-und-Boden-Sozialismus und seiner Rassentheorie zu legitimieren versuchte, dafür sorgte der ‚Marxismus‘  im Namen der Herrschaft der Produzenten in viel eleganterer Form und zu dem Zweck, diese endgültig zu beseitigen.

Betrachtet man die Dialektik innerhalb des architektonischen Zusammenhangs des KAP, ergibt sich daraus die überfälligkeit der kapitalistischen Produktionsweise auf dem Gipfelpunkt ihrer Entfaltung und maximalen Steigerung ihrer Produktivkräfte; sie ergibt sich aber gerade nicht in erster Linie aus ‚der Armut‘ und deren Gegensatz zum Reichtum von ein paar Millionären, wie es von Seiten Der Linken sozialpopulistisch tönt. Die Armut ist eine Erscheinungsform für die Folgen der auf der Mehrwertproduktion beruhenden Ausbeutung des Menschen und der Natur… Das muß ich nicht weiter ausführen. Daher sind als weiteres Resümee Hegel und die Marxsche Hegel-Kritik so wichtig! Krätke und Heinrich ist bei all ihren Differenzen eines gemeinsam, daß sie letztlich die Durchgängigkeit der Werttheorie vom ersten bis zum letzten Satz des KAP jeder auf seine Weise torpedieren, wie überhaupt unter bürgerlichen ökonomen die Werttheorie als eines der von ihnen am meisten verabscheuten Brechmittel gilt. Und dies aus gutem Grund.

Von der Verteidigung oder Torpedierung der Durchgängigkeit der Werttheorie hängt die Politik ab, wie sie Die Linke heute betreibt, mit dem ganzen daran hängenden sozialpopulistischen und ökofaschistischen Rattenschwanz, worauf ich nicht näher eingehen werde. Entweder, das KAP wird verstanden als Blaupause, an der sich die Produzenten überlebensnotwendig zu orientieren haben, wenn sie die kapitalistische Produktionsweise aufheben oder es wird (in bester Stalinscher Tradition) zum Legitimationsinstrument bei der Ersetzung der Herrschaft der einen Bourgeoisie durch die andere und der Einführung des ökofaschismus und linken Sozialpopulismus. So steht die Sache. Und das bildet auch den Hintergrund für die bevorstehende Auseinandersetzung in der M[arx]G[esellschaft].

3. Die theoretische Durchgängigkeit des Wertgesetzes ist also nicht nur von ausschlaggebender Bedeutung für das Verständnis der Architektonik des ‚Kapital‘, sondern auch für die auf der Selbstbestimmung des Produzenten beruhenden politischen Herrschaft derselben. Gerade dazu wären die [von Marx] nicht mehr geschriebenen Kapitel über den Staat und den Weltmarkt eine unersetzliche Hilfe. Statt dessen hat sich Marx mit der Grundrente und der russischen Dorfgemeinde befaßt, weil ihm die [unmittelbare] strategische Bedeutung klar war, die eine revolutionäre Entwicklung in Rußland für die proletarischen Revolutionen in Europa und Amerika gehabt hat. Das russische Kapitel einschließlich der Oktoberrevolution kann man heute als erledigt betrachten, aber den Staat und den Weltmarkt ganz und gar nicht.

Wer diese Kapitel fortschreiben will, hätte sich an der Architektonik des KAP und der Durchgängigkeit des Wertgesetzes zu orientieren. Die Versuche aus den 70er und 80er Jahren unter dem Stichwort der ‚Staatsableitung‘ krankten daran, daß sie einseitig am ‚westdeutschen Imperialismus‘ und dem Gegensatz zwischen dem US-Imperialismus und dem Realen Sozialismus orientiert waren. Der Weltmarkt wurde nicht unter dem Aspekt seiner Ausdehnung, sondern seiner Einengung bei gleichzeitiger Ausdehnung des Sozialistischen Lagers betrachtet (siehe Stalin: ökonomische Probleme des Sozialismus). Dadurch gab es mindestens zwei Weltmärkte, den ‚westlichen‘ und den ‚sozialistischen‘, die beide in die ‚Dritte Welt‘ um die Wette expandierten.

Für eine solche Betrachtungsweise gibt es keinerlei Beschäftigungsgrundlage mehr. Rußland und vor allem China versuchen zwar in ihrem Umkreis hegemoniale ‚Weltmärkte‘ zu etablieren bzw. wiederherzustellen, aber sie kommen nicht drum herum, auf dem globalen Weltmarkt mit einander und mit dem ‚Westen‘ zu konkurrieren. Die Versuche linker ökonomen und Politologen, den globalen (‚multipolaren’ Weltmarkt unter der früheren anti-‘westlichen‘ Perspektive zu analysieren, sind mit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zu Makulatur geworden. Je länger die Krise andauert, desto stiller wird es in diesen Kreisen. Für die Fortschreibung der Marxschen Werttheorie wäre jedenfalls festzuhalten, daß es auf dem heutigen globalen Weltmarkt keine ‚guten‘ oder ‚bösen‘ Kapitalisten (mehr) gibt, daß die Herrschaft des Kapitals politisch dagegen in demokratischen oder oligarchischen Formen ausgeübt wird, ganz so wie im 19. Jahrhundert die bürgerlichen Regierungen monarchisch oder demokratisch waren…

Solange die Linke sich allein an einer bestimmten Gattung bürgerlicher Regierungen, d.h. an den ‚guten‘ Kapitalisten gegenüber den ‚bösen‘ Kapitalisten orientiert, wobei die ‚guten‘ sich rückwärtsgewandter Regierungsformen bedienen, die sie zwecks Verteidigung des ‚Sozialismus des 21. Jahrhunderts‘ in kauf nimmt (Venezuela, Bolivien, Kuba), wird sie zu diesem Thema weiterhin nur Makulatur produzieren. Gerade weil die Architektonik des KAP trotz all ihrer Lücken mit dem heutigen ‚multipolaren‘ Weltmarkt analytisch übereinstimmt, ergeben sich auch ganz neue Fragen:

§  Ob z.B. die bewußte Beschränkung der Marxschen Analyse auf die zu seiner Zeit am weitesten entwickelte kapitalistische Nation noch aufrechtzuerhalten ist, da es einen herausragenden Phänotyp, wie ihn England im europäischen Zusammenhang darstellte, eigentlich nicht mehr gibt. Die gleichförmige Entwicklungslinie mit der Großen Französischen Revolution als Ausgangspunkt, die für alle europäischen Nationen maßgeblich war, ist spätestens mit der Oktoberrevolution und ihren Folgen ‚durcheinandergeraten‘. Die bekannte Reihenfolge: bürgerliche Revolution, Sturz des Feudalismus, Demokratie, proletarische Revolution, Sturz des Kapitalismus, Sozialismus, hat eine Vielzahl an Staatsformen hervorgebracht, deren politischer Charakter aus einer beliebigen Mischung bestehen kann, die nur eines nicht sind: sozialistisch. Ob demokratisch oder oligarchisch (mit oder ohne sozialistischen Anspruch) die Bourgeoisien haben sich auf diejenige Mischung festgelegt, von der sie annehmen, daß sie am besten zu ihrer Stellung auf dem Weltmarkt und ihren Weltmachtambitionen paßt…

§  Um zum KAP zurückzukehren, ließe sich auch fragen, ob der Ausgleich der Profitrate heute eigentlich im regionalen oder globalen Maßstab stattfindet und ob er eher in diesem Zusammenhang analysiert werden muß?

§  Ebenso, ob der tendenzielle Fall der Profitrate nicht inzwischen zu einem Mittel der Konkurrenz zwischen den Weltmarktakteuren geworden ist, nach dem Motto: beggar thy neighbour? Denn da dieser für das einzelne bzw. nationale Kapital nun einmal unvermeidlich ist, könnte dieses bestrebt sein, die notwendigen Kompensationen vor allem auf Kosten seiner Weltmarkt-Konkurrenten vorzunehmen. Das deutsche Beispiel zeigt, wie das Kapital sowohl die heimische Produktivkraft der Arbeit steigert, aber zugleich von den enormen Mehrwertraten, die mit den chinesischen Lohnarbeitern zu erzielen sind, profitiert. In umgekehrter Richtung wird das italienische Kapital, daß sich die chinesischen sweat shops ins Land geholt hat (Bekleidung, Mode, Accessoires) kein Glück damit haben, diese als Kompensationsmittel gegen den tendenziellen Fall der Profitrate einzusetzen. Die USA exportieren heute hauptsächlich Schrott, Waffen und Geld. Dem us-amerikanischen geht es nicht nur bei der Autoproduktion ähnlich wie dem italienischen Kapital. Beide werden sich früher oder später am ‚gelungenen‘ deutschen Beispiel orientieren müssen, um zu überleben. Wenn meine Analyse stimmt, scheint es so zu sein, daß Weltmarkttiger wie gegenwärtig Deutschland nicht mehr auf eine einzige typische Nation festgelegt sind, sondern diese Rolle ständig wechselt.

Wenn ich zu der Aussagekraft dieser Beispiele auch noch wenig Zutrauen habe, so besagen sie doch zumindest eins: daß der Weltmarkt des Kapitals der Architektonik des Marxschen KAP heute ziemlich genau entspricht. Als jahrzehntelanger Verehrer und Vertreter der Leninschen Imperialismustheorie muß ich mir heute eingestehen, daß das Weltkapital über diese (unter Hinterlassung einer gewaltigen Zahl menschlicher Schlachtopfer) einfach hinweggegangen ist und daß sie keine politische Resonanz mehr hervorruft. Die Imperialismustheorie war trotz ihrer vielen Meriten (aber auch wegen ihres Mißbrauchs durch Sozialimperialisten aller Art) in letzter Instanz eine revolutionäre Zusammenbruchstheorie, die sich von ihrem reformistischen Pendant nur durch den mit ihr verbundenen revolutionären Aktivismus unterschied. Gegen die Weltmarktkrise des Kapitals läuft aber jeglicher radikaler Aktivismus ins Leere, der nicht zugleich die Unverträglichkeit des Wertgesetzes mit dem Sozialismus thematisiert und theoretisch erklären kann, was es heißt, unter seinem Diktat zu leben und zu arbeiten.

Stalin war dagegen hinsichtlich der SU der Ansicht, daß »unsere Warenproduktion keine gewöhnliche Warenproduktion« darstelle, »sondern eine Warenproduktion besonderer Art, eine Warenproduktion ohne Kapitalisten, die es hauptsächlich mit Waren vereinigter sozialistischer Produzenten (Staat, Kollektivwirtschaften, Genossenschaften) zu tun« habe, sei, und er dachte darüber nach, daß es notwendig sei, neben Begriffen wie Ware Arbeitskraft, Mehrwert, Kapital, Profit, Durchschnittsprofitrate »auch einige andere Begriffe über Bord zu werfen, die dem „Kapital” von Marx entnommen sind, wo Marx sich mit der Analyse des Kapitalismus beschäftigt hat, und die unseren sozialistischen Verhältnissen künstlich angeheftet werden. … Jetzt bei unserer Ordnung, klingen die Worte von der Arbeitskraft als Ware recht absurd: als ob die Arbeiterklasse, die die Produktionsmittel besitzt, sich selbst dingt und an sich selbst ihre Arbeitskraft verkauft. … Ich denke, unsere Wirtschaftswissenschaftler müssen dieses Mißverhältnis zwischen den alten Begriffen und der neuen Sachlage in unserem sozialistischen Lande beseitigen und die alten Begriffe durch neue, der neuen Lage entsprechende, ersetzen«. [5]

Vielleicht hatten die sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler die alten Marxschen Begriffe auch deshalb durch neue ersetzen sollen, weil das Proletariat diese alten Begriffe als theoretische Waffe nicht nur gegen die alte, sondern auch die neue Bourgeoisie hätten einsetzen können. Schon aus diesem Grund wird das Wertgesetz auch im Sozialismus benötigt werden, um den Produzenten einen theoretischen Maßstab an die Hand zu geben, der es erlaubt zu ermessen, ob der Sozialismus dabei ist, wieder in die alten Verhältnisse zurückzuverfallen.

[1] Die u.a. von der Marx-Gesellschaft und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum dritten Mal hintereinander veranstaltete Herbstschule beschäftigte sich dieses Mal mit dem Dritten Band des „Kapital” (KAP III) für Teilnehmer mit unterschiedlichen Vorkenntnissen, die auf verschiedene Arbeitsgemeinschaften aufgeteilt wurden. Näheres siehe: http://www.marxherbstschule.net

Diese Bemerkungen geben ausschließlich die persönlichen Eindrücke und Einwände eines einzelnen Teilnehmers dieser Veranstaltung wieder.

Die ältere Rechtschreibung der Marx-Zitate wurde ein wenig modernisiert, was die Aktualität der Marxschen Analysen unterstreicht.

[2] Zur Vorbereitung waren von den Veranstaltern u.a. folgende Texte empfohlen worden: Michael Heinrich:Kritik der politischen ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 22004. Daraus das 8. Kapitel: Zins, Kredit und »fiktives Kapital« und Michael R. Krätke: Geld, Kredit und verrückte Formen, in: MEGA Studien 2000/1, 64-99.

Zu den Seitenangaben in Klammern: erste Seitenangabe = MEGA II/4.2; zweite Seitenangabe = MEW.

[3] Roman Rolsdolsky: Zur Entstehungsgeschichte des MarxschenKapital, Frankfurt/M. 1968 2 Bde.

[4] DEBATTE 1 Die unscharfe Relation Marx/”Marxismus”.

[5] J.W. Stalin: ökonomische Probleme des Sozialismus, 1952, 18 ff.

 

 


Ulrich Knaudt an H.B. (20.11.2010)

Betreff: MILCHWIRTSCHAFT

Lieber H., dieser interessante Artikel über die Fließband-Milchwirtschaft [1] erinnerte mich an […] ‚Deine‘ Milchbauern. Diese scheinen nur die Chance zu haben, soviel Kapital aufzubringen, daß sie sich so eine Maschine kaufen können, um am Fließband Milch zu produzieren oder aber eine Nische zu finden, in der sie verwandte Produkte unter dem Wert ihrer Arbeitskraft, der Abschreibungen und Löhne herstellen können, mit denen sie einen entsprechenden Nischen-Markt beliefern. Spannende Frage: sollte der Sozialismus hinter diesen Grad der Automatisierung zurückfallen oder aber moderne Technik und einen menschlichen Umgang mit den Tieren verknüpfen? Die Frage ist rhetorisch, weil nur konkret zu beantworten…

Ulli

[1] FAZ 18.11.2010 Die Milchkuh braucht keinen Bauern mehr. (Zwischenüberschrift:) »Als letzter Bereich der Landwirtschaft wird jetzt auch die Milcherzeugung automatisiert. Roboter können 1000 Kühe am Tag melken, wie Besucher der Messe Eurotier erfahren. Denn niemand will mehr melken.«


 


Ulrich Knaudt an H.B. (18.11.2010)

Betreff: Mit dem Bus aus Berlin zum …Ums Ganze-Kongreß 3.-5.12.2010 in Bochum

Bochum ist eine Reise wert. Einige Referenten werden Dir bekannt vorkommen. Dies nur zur Information.

[1]

Gruß Ulli

[1] Siehe den Link: ‚Um Ganze‘.

 


H.B. an Ulrich Knaudt (27.11.2010)

AW: Mit dem Bus aus Berlin zum …Ums Ganze-Kongreß 3.-5.12.2010 in Bochum

Lieber Ulrich –

ich hab‘s gelesen und,

verdammt noch mal,

ich wär‘ gern mitten drin – noch dazu vor Deiner Haustür, um mir weiteren überblick über die Bewegung zu verschaffen, mitzumischen, zumal uns ja einige Referenten gut bekannt sind. […]

Ich bitte Dich sehr, zu berichten, im Detail, wo‘s drauf ankommt – Du weißt schon!

Es ist gut, zu jemandem, zu Dir so sprechen zu können, qua wachsender substantieller Gemeinsamkeiten.

Ich hör‘ von Dir.

Einstweilen schon danke,

H.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (04.12.2010)

Betreff: UMS HALBE

Lieber H.,

Für UMS GANZE [1] fehlt ihnen in ihrem Puzzle der wichtigste Baustein: die Marxsche Parteilichkeit.

Ich schicke Dir vorab meine ersten Eindrücke vom ersten Abend, da sie noch frisch sind. Reflektieren kann man darüber immer noch.

Stelle Dir die Marx-Gesellschaft vor – erweitert um das autonome politische Themenspektrum (siehe Samstag Nachmittag: Krise & Naturbeherrschung, Arbeit & Reproduktion, Sozialchauvinismus & Integration, Kapitalismus, Demokratie & Nation) – und dann hast Du einen angemessenen Eindruck von dieser Veranstaltung. Das durchweg studentische Publikum (Grauköpfe = 1 Promille + Hausmeister) ist hoch interessiert, um für seinen antikapitalistischen Spontaneismus ein theoretisches Hilfsgerüst erbaut zu bekommen (von theoretisch erfahrenen linken Sozial- <und verwandten> Wissenschaftlern), so daß sie auch den kompliziertesten theoretischen Aufbauten willig folgen.

Damit bin ich auch schon bei der Abendveranstaltung (»Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus«). Auf dem Podium Michael Heinrich, Gerhard Stapelfeld und ein (antideutscher) Ersatz für K.H. Roth. Heinrich referiert die Marxsche Krisentheorie mit der bekannten Kritik am Tendenziellen Fall der Profitrate (hier sei  »Marx historisch überholt«) und bringt eine Zusammenfassung der Weltwirtschaftskrise, deren Chronologie und Fakten ich in dieser Qualität auch z.B. bei Hans-Werner Sinn nachlesen könnte. Die Marxsche Krisentheorie (wobei wir uns fragen, ob es eine solche, wie auch eine Marxsche Werttheorie überhaupt gibt) dient ihm eher als gut gearbeitete Krücke für seine ökonomischen Analysen… Stapelfeld stellt den Liberalismus im 19. Jahrhundert dem Neoliberalismus seit den 30er Jahren des 20. einander gegenüber und lobt den aufklärerischen Charakter des ersteren: Utopie, Revolution und Rationalität; diese seien im Neoliberalismus vernichtet. Denn Utopie = »Faschismus«, »Unerkennbarkeit der Gesellschaft« (beides siehe Hayek) = Gegenaufklärung. »Das emanzipatorische Potential« des klassischen Liberalismus (bis 1870) sei im Neoliberalismus untergegangen. Ein Teilnehmer, mit dem ich danach sprach, meinte, durch diese Entgegensetzung hätte sich der Vortragende in eine Dualismusfalle begeben, aus der er nur schwer wieder herausfindet. Würde ich auch so sehen. Vor allem wird jeder Bezug auf Marx dadurch entbehrlich. Heinrich ist da etwas dialektischer, obwohl in seinem Abschluß-Statement dieser Dualismus auch durchklang. Er tendiert bei der Leugnung des Tendenziellen Falls der Profitrate aber wohl eher in Richtung auf eine Unterkonsumtionstheorie auf dem Niveau von Rosa Luxemburg (Nichtobereinstimmung von Produktion und Konsumtion). Der Antideutsche betrieb die übliche autonome Phänomenologie des Kapitalismus, die sich an irgendwelchen politischen Oberflächenphänomenen festmacht.

Mein Gesamteindruck geht dahin, daß die Studentenbewegung von 1967, soweit sie nicht in dieser oder jener Form zur Bourgeoisie übergelaufen ist, sich in der Theorie ihrer heutigen führenden theoretischen Köpfe keinen Millimeter weiterentwickelt hat. Wenn man dazu etwas beitragen wollte, müßte man z.B. die politischen Sozialgerechtigkeitsapostel und den Sozialpopulismus Der Linken beim Namen nennen. Aber da herrscht vornehme akademisch geprägte Zurückhaltung. Nun entwickelt eine Theorie sich nur an dem weiter, was sie kritisiert, auf jeden Fall nicht an phänomenologischer Allerweltskritik am Kapitalismus, der mit samt seinen Politikern mit Hilfe von antikapitalistischen Allerweltsphrasen aufs Korn genommen wird.

Eingangs hatte ich die Einleitung von Christian Frings in das Marxsche KAP ([unter der überschrift] »Lohnarbeit und Kapital«) aufgesucht, worüber dieser, als ich ihn vor dem Hörsaal traf, nicht sehr erbaut war. Es handle sich um eine Einführung, die nicht für hochtheoretische Einwände tauge. Ich versprach ihm, mich geschlossen zu halten. Seine Zusammenfassung der Drei Bände [des „Kapital”] war, bis auf seine Anbiederung an die blutjungen Zuhörerschar (worin besteht der Gebrauchswert eines Joint [?]) gar nicht so schlecht. Einen kleinen Fehler machte er bei der Trinitarischen Formel am Schluß von KAP III: wo er von einer Aufteilung der Produkte und nicht der Einkommen von Arbeitern, Kapitalisten und Grundbesitzern sprach (Lohn, Mehrwert, Grundrente). Aber wohl aus dem Grund, um von da aus auf KAP I [Kapitel] 1-3 (verkehrte Welt, Fetischcharakter, auf die er sehr viel Wert legte) zu gelangen. Das mochte aus pädagogischen Gründen angemessen sein, ist aber dennoch falsch. Viel gravierender fand ich aber sein Statement in einem Nebensatz, daß Marx viel zu viel Zeit damit verplempert hätte, sich um alle möglichen politischen Angelegenheiten zu kümmern, anstatt bei seinem Leisten zu bleiben. […] …

Danach unterhielt ich mich mit einem Linkskommunisten (Pannekoek, Gorter) an seinem Büchertisch. Auch er fand die Einführung gelungen und bemängelte ebenso den nicht berücksichtigten Stellenwert, den das KAP im Parteikonzept von Marx und Engels einnimmt. Das sind aber wohl Mindermeinungen der Oldies, die mit den Jahren aussterben werden, wenn wir nicht ordentlich gegen den Mainstream Druck machen.

Bis bald

Ulli

[1] SO, WIE ES IST, BLEIBT ES NICHT! Der …ums Ganze! – Kongreß zu Arbeit und Krise 03. bis 05.Dezember 2010 Ruhr-Universität Bochum.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (05.12.2010)

Betreff: DIE ZWEITE HäLFTE

Lieber H., ich habe mir wie gesagt, die heute Nachmittag diskutierte Phänomenologie des heutigen Kapitalismus aus autonomer Sicht geschenkt und bin zum abendlichen Podium gefahren, an dem auch Christoph Lieber teilnahm, unter dem Titel »Transformation des Sozialen und linke Strategie in der Krise«. Christoph brachte eine Synthese aus Gramsci und Keynes. Den Grabenkrieg um die Erringung »emanzipatorischer« Positionen in der Zivilgesellschaft auf der Grundlage des vom Kapitalismus geschaffenen Reichtums voranzutreiben, sei eine Frage des Bewußtseins, das sich dabei oder darin entwickeln soll. Die Krise sei keine Mangel-, sondern eine überschuß-Krise. Das wurde bereits von anderer Seite (Heinrich) thematisiert und ist nicht so fürchterlich neu. Die Produktivität des Kapitals sei so gewaltig, daß man nur noch 4 Tage arbeiten müßte und den gewaltigen Surplus auf z.B. Verschönerung der Städte, für Bildung und Kultur verwenden könnte. Der Kapitalismus der 70er Jahre sei ein inkludierender Kapitalismus gewesen. Heute ist er ein exkludierender mit der Folge von Prekarisierung. Dabei sei zu bedenken, daß die Prekarisierten kein Machtpotential darstellen, weil sie Transferleistungen empfangen: von 60 Mio Wählern gehörten 40 Mio zur Lohnarbeit und 20 Mio zum Potential der Transferempfänger und Rentner. Es bestehe eine starke Tendenz zum Ressentiment, die mit der Krise zunehme: dieses richte sich gegen die zu alimentierenden Gruppen der Gesellschaft und drücke eine »Verrohung des Bürgertums« (Sarrazin) aus. Die Referentin über die Frauenfrage im Kapitalismus, Andrea Truman, befaßte sich mit dem Problem, daß es innerhalb des Kapitalismus keine Lösung der Privatisierung dieses Widerspruchs geben kann, der vom Kapital nicht wieder integriert würde. Aus der ‚Studentenbewegung‘ sei deutlich geworden, daß es ohne revolutionäre Bewegung keine emanzipatorische Frauenbewegung gebe. Der Vortrag von Karl Rauschenbach war ziemlich bekifft und ist nicht zu referieren.

Die Diskussion war ohne Niveau und blind umhertastend antikapitalistisch, ohne daß jemand verdeutlichen konnte, warum man eigentlich antikapitalistisch sein sollte. Kapitalismus ist Scheiße! Das kann meiner Ansicht nach eigentlich nur jemand von sich geben, der unmittelbar praktische Erfahrung mit diesem gemacht hat. Und dann stellte sich die Frage, was die, die sich zum Sprachrohr des Kampfes gegen den Kapitalismus machen, in diesem Kampf politisch vorhaben. Das aber wurde ‚demokratisch‘ oder anarchistisch (?) umschifft.

[Schlußfolgerungen:]

—Diese Bewegung, die eine antikapitalistische sein will, hat keinerlei historisches Bewußtsein, weil sie keine Klassenbewegung ist, aber auch nicht weiß, worin denn der historische Sinn jener politischen Bewegungen bestand, die sich aus den gesellschaftlichen post-faschistischen Widersprüchen in Europa, den USA und Asien entwickelt haben.

—Diese Bewegung möchte gern eine Fortsetzung oder Erneuerung der 2.-Juni-Bewegung (‚Studentenbewegung‘) sein, weiß aber gar nicht, warum es die überhaupt gegeben hat.

—Diese Bewegung hat keinen revolutionären Rückenwind wie die 2.-Juni-Bewegung, deren Marxismus in einem künstlich geschaffenen Vakuum eine ungeheure Kraft entfalten konnte, weil das von der US-Hegemonie ausgehaltene westeuropäische (und <ost>asiatische) Bürgertum die in diesem Vakuum entstandene revolutionäre Welle zunächst nicht so leicht verkraften konnte. Den Allerwenigsten ist bis zum heutigen Tag klar, daß aus dieser Implosion heraus (zumindest in Westdeutschland) eine Vollendung der 48-Revolution verbunden mit der an den amerikanischen Unis hochkochenden Kulturrevolution hervorging. Erst mit der Erfüllung dieser politischen Rolle und dem »Bewußtsein« (Chr. Lieber) von dieser Sache wäre der nächste Schritt möglich gewesen: die ‚studentische‘ Kulturrevolution in die Fabriken (und in die DDR!) zu tragen. Aber der Rückenwind brachte nur einen Haufen politischer Sekten und individueller Karrieremacher und Politiker hervor, die diesen für ihre individuellen Zwecke ausnutzten und an deren Subjektivismus er sich sozusagen brach.

—Der Rückenwind dieser [‚sozialen‘] Bewegung, die irgendwie meint, an der alten ‚Studentenbewegung‘ anzuknüpfen zu können, entstammt heute keiner revolutionären, sondern einer konterrevolutionären Situation, die geprägt ist vom Aufstand unterschiedlicher, d.h. linker und rechter Oligarchien gegen den westlichen Kapitalismus, an dessen Stelle sie ihren oligarchischen Kapitalismus setzen wollen, den sie ‚antiimperialistisch‘ (Iran, Venezuela) oder gar ‚sozialistisch‘ (VR China) tarnen oder in dem der alte Panslawismus wieder zum Vorschein kommt (Jugoslawien-Krieg, Georgien-Krieg etc.). Dieser Aufstand gegen den westlichen Kapitalismus bildet heute die Hauptfrontlinie zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitals (vielleicht war nicht die Dimitroff-Formel falsch, sondern ihre reaktionäre inhaltliche Bestimmung!)

Fazit: Der Antikapitalismus dieser Linken richtet sich zwar gegen das Kapital, aber nur gegen das westliche, so wie sich Hitlers Antikapitalismus nur gegen das ‚jüdische‘ Kapital gerichtet hat. Gestützt auf Marx, Gramsci und Keynes, will Chr. Lieber den Grabenkrieg gegen dieses Kapital vorantreiben und dafür sorgen, daß diese Bewegung Schritt für Schritt die Zivilgesellschaft an die Stelle der westlichen bürgerlichen Gesellschaft setzen möge. »Die Eroberung des Winterpalais funktioniert nicht«, meinte er. Er vertritt (wie weiland Kautsky) in dem antiwestlichen Antikapitalismus der heutigen Linken eine zentristische Position. Lenin war immer der Meinung, Kautsky sei gefährlicher als ein rechter Sozialdemokrat mit seiner Klassenzusammenarbeit. Vielleicht trifft das auch hier zu.

Soweit erst mal. Ich schicke Dir die Mail, ohne sie noch mal überschlafen zu haben.

Für morgen stünde noch »Was heißt radikale Kritik organisieren« mit Frieder Otto Wolf, der FAU und der Krahl-Gesellschaft und Christian Frings an. Ehrlich gesagt, reicht mir bereits der heutige Abend, da ich nicht der Meinung bin, dort [noch] sehr viel Anderes und Neues zu erfahren. Wenn Du anderer Meinung bist, laß es mich rechtzeitig wissen.

Gruß Ulrich

 


H.B. an Ulrich Knaudt (06.12.2010)

Betreff: AW: DIE ZWEITE HÄLFTE

Danke, lieber Ulrich,

für Deine Berichte – was soll ich dazu, zu diesen, dieser „Linken” sagen?

Vielleicht mit Marx (was er irgendwann/-wo mal in Hinblick auf den Zerfall von herrschenden Klassen gesagt hat), daß die ‚Tragik‘, ‚Tragödie‘ solcher historischer Prozesse in ‚Komik‘, in, mit ‚Komödien‘ endet.

Müßte schon dahin sein.

Frage, hast Du Dir das gestrige Geschehen auch noch angesehen?

U.a. mit dem Beitrag von HJKI (vermutlich wieder von Carsten Prien),

wovon ich mir doch etwas erwartet haben würde ?

Erstmals noch mal Danke.

Gruß

H.

 


Ulrich Knaudt an H.B. (10.12.2010)

Betreff: DIE BAKUNISTEN OHNE ARBEIT

Ob UMS HALBE oder GANZE, eigentlich müßte sich die interventionistische Linke als bakunistische Linke  bezeichnen. Aber die meisten wissen wohl kaum, wer Bakunin eigentlich war, und von seinen Intrigen gegen die IAA werden sie schon gar nichts gehört haben. Dafür verehren sie aber gerade jenen Autor, der gemeinsam mit Engels unter den Bakunisten am meisten gelitten hat, indem sie für DAS KAPITAL schwärmen. Wie paßt das zusammen? Wahrscheinlich nur durch den, auch in den Reihen der M[arx]-G[esellschaft] gepflegten Politischen ökonomismus, den sie aus der Marxschen Kritik der Politischen ökonomie herauszulesen meinen.

Ja, ich habe mich auch am Sonntag Nachmittag durch den Schneematsch auf den Hügel der RUB geschleppt. Auf dem Panel saßen: die FAU, das Krahl-Institut und Christian Frings. Um mit dem Krahl-Institut zu beginnen: Karsten Prien überragt die jüngere Generation von Anarchosyndikalisten durch eine theoretisch reflektierte Variante desselben Gewerkschaftskonzepts. Im Großen und Ganzen trug er den Inhalt der Broschüre vor, zu der ich ja meinen Teil gesagt habe (REAKTIONEN Teil 4 [1]). Wenn er z.B. den ‚Arbeitsfelder‘-Ansatz des SB als Ausgangspunkt revolutionärer Gewerkschaftsarbeit hervorhebt, kommt mir das reichlich von gestern vor. So was war zur Zeit der 2.-Juni-Bewegung ein interessanter Versuch, der sogar an die Narodniki erinnern mochte. Das Drama besteht aber nun mal darin, daß die 2.-Juni-Bewegung nicht über sich selbst in Richtung Kommunismus hinausgewachsen ist. (DKPismus, RAF und Maoismus waren Sackgassen!) Und daß sich daher nicht einfach bruchlos an die ‚StudentInnenbewegung‘, wie sie jetzt so schön genderistisch heißt, anknüpfen läßt, (was von verschiedener Seite auf dem Kongreß vorgeschlagen wurde).

Nach Karsten Prien besteht die Beschränktheit des anarchosyndikalistischen Ansatzes lediglich darin, daß die Spaltung zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen organisatorisch nicht zu überwinden sei, weil Arbeitslose einen anderen Status haben als Beschäftigte (siehe meine Kritik in [1]). Diese Dichotomie sei auch nicht durch die Subkultur kritischer Konsumenten und Konsumenten von Kritik (eine gelungene, weil zutreffende Verkehrung), d.h. als organisierte Gegenkultur, zu überwinden. Der Klassenkampf der interventionistischen Linken sei in zwei Hälften gespalten. Auf der subkulturellen Seite herrsche tendenziell Massenverachtung und auf der Seite der werktätigen Massen Ohnmacht. Anstelle einer freien Diskussion als Selektionsprozeß für das beste Argument werde symbolische Politik betrieben, um gemeinsame Interessen zu bündeln. Die überwindung der Fremdbestimmung finde in der Selbstorganisation von Autoren, Verlagen und im Versuch der Einflußnahme durch politische Forderungen statt. Ob es sich dabei wirklich um gemeinsame Interessen handelt, sei die Frage. Ein neues „Sozialistisches Büro” müßte die Diskussion über Arbeitsfelder, den gesellschaftlichen Gesamtarbeiter u.a. organisieren. Der „Praktische Sozialismus” unterscheide sich vom SB durch die Forderung nach Enteignung der Betriebe, Aufhebung des Gegensatzes Arbeitslose/Lohnarbeiter, der Umwandlung der kapitalistischen Produktion in Kooperativen, der Umwandlung des kapitalistischen Betriebes in ein Kooperativsystem, Dynamisierung der Rätestruktur in Rätevereinigungen – all dies [soll] wie Legosteine zusammengebaut werden. Jetzt gehe es darum, die Bedingungen für die Möglichkeit einer Strategiedebatte zu schaffen.

Christian Frings befaßte sich mit dem Unterschied zwischen Utopie und Theorie und orientierte sich dabei an der Kantischen Unterscheidung von Wille und Wunsch. Der Wille zum Kommunismus als Utopie gehe heutzutage über das bloße Wünschen wie im 19. Jahrhundert hinaus. Theorie dagegen sei nicht im Besitz des Schlüssels zur Weltveränderung. Denn die Frage sei nicht beantwortet: wer erzieht die Erzieher? Veränderungen seien ohne selbstkritische Selbstveränderung unmöglich. Strategie sei entweder Strategie von oben oder von unten. Als Strategie von oben skizzierte er die Epoche des Kapitalismus seit dem 15. Jahrhundert, die durch Gewalt und Entwicklungsschübe gekennzeichnet sei; letzteres hervorgerufen durch Zugeständnisse des Kapitalismus (Aufhebung der Sklaverei o.ä.). Heute befinde sich dieser in einer Systemkrise mit Aufständen von China über Bangla Desh, Südafrika bis nach Griechenland, d.h. in einer Krise der Arbeit und des Staates. Ein heute noch gültiger Ansatzpunkt sei der Bruch der ‚Studentenbewegung‘ mit dem Etatismus. Die Strategie von unten sei dagegen kaum entwickelt und äußere sich in subversiven Kämpfen, die häufig totgeschwiegen werden. Die Taktik der Gewerkschaften bestehe darin, Konflikte aus der Produktion heraus auf Sonntagnachmittagsspaziergänge zu verlegen. Auf der anderen Seiten würden von ihr sog. ‚unsichtbare Konflikte‘ wie wilde Streiks boykottiert oder gar unterdrückt.

Der Vertreter der FAU stellte seine Minigewerkschaft vor, die sich bei einem Streik im Berliner Kino „Babylon” aus der Auseinandersetzung mit dem Linken Kinobesitzer gebildet hat. Ihr Konzept lautet: »Vom Lohnkampf zur Autonomie und zur Abschaffung der Lohnarbeit«. Daß sie ihr Koalitionsrecht arbeitsgerichtlich erstritten haben, ist aller Ehren wert, paßt auch gut zu dem momentanen Konflikt zwischen Tarifeinheit und Koalitionsfreiheit. Dazu fällt ihnen allerdings nichts ein, da es sich um eine Verfassungsfrage handelt und Syndikalisten, wie schon zu Marxens Zeiten jeglichen Sinn für Politik vermissen lassen. Dieses Problem wurde zwar von Karsten Prien thematisch angesprochen; dessen Lösung soll aber darin bestehen, daß das Politische nicht durch Adressen an den Staat in Gestalt von Demos usw., sondern durch »den langen Marsch durch die Institutionen« (Dutschke) in die Kämpfe hineinzutragen sei.

Einen sehr interessanten Aspekt warf Chr. Lieber in der anschließenden Debatte auf: die Parole von der ‚Zerschlagung des Staates‘ sei kontraproduktiv, weil das Kapital heute selbst dabei sei, den Staat abzuschaffen (Privatgefängnisse, Privatbullen etc.). Ziehe ich für einen Moment sein Kautskyanisches Staatsverständnis von alledem ab, muß ich ihm in diesem Fall recht geben. Das Kapital könnte durchaus ein Interesse daran haben, den teuren Staatsapparat in private Hände zu legen und den Staat zu oligarchisieren. Den braucht man dann nicht mehr zu stürzen, weil es ihn tendenziell gar nicht mehr gibt. Und die Oligarchen wissen ohnehin, wie man solche Bestrebungen im Zaum hält.

Auf dem Weg zum Bahnhof hatten wir noch einen freundlichen small talk. Wenn er nicht so ein fürchterlicher Kautsky wäre, könnte er einem ganz sympathisch vorkommen.

Abschließend wäre festzustellen, daß im Vergleich zu ihrer heutigen Generation die historischen Bakunisten zumindest gestandene und theoretisch beschlagene Opportunisten waren. Das kann man von den heutigen Vertretern des Bakunismus nicht behaupten. Sie bilden eine Unterabteilung Der Linken, ohne jedoch Die Linke als Partei der oligarchischen Barbarei überhaupt wahrzunehmen oder gar politisch zu bekämpfen. Weniger ihr Spontaneismus als diese politische Blindheit erscheint mir als ihr Hauptfehler.

Mein Fazit:

1. Da die Anarchosyndikalisten über keinen materialistischen (so nenne ich das mal) und keinen historischen Klassenbegriff verfügen, haben sie auch keine klare Einschätzung der ‚real existierenden‘ trade-unionistischen Gewerkschaften als Arbeitsagenturen für die Zusammenarbeit von Lohnarbeit und Kapital.

2. Folglich ist auch ihr Verhältnis zu den politischen Parteien, die vorgeben, Arbeiterinteressen zu vertreten indifferent bis nicht vorhanden. Ihr Proudhonismus verbietet ihnen eine politische Stellungnahme und damit jede Klassenpolitik. Das Marxsche Elend der Philosophie [2] ist die Scheidemünze, an der sich ihr wohlfeiles Bekenntnis zu Marx und seinem wissenschaftlichen Hauptwerk ablesen läßt. Bei genauerer Betrachtung würde sich ihr Klassenbegriff mit großer Wahrscheinlichkeit als ein zutiefst ständischer erweisen. Warum sie den nationalsozialistischen ‚Klassenbegriff‘ nicht übernehmen, ist eher zufällig und hat rein moralische Gründe: »KEIN TAG FüR DIE NATION! KEIN TAG FüR DEUTSCHLAND! STAAT. NATION. KAPITAL. SCHEISSE«. Solche Parolen lassen sich (bei passender Gelegenheit) problemlos in ihr Gegenteil verwandeln.

Soweit mein Bericht…

Herzliche Grüße

Ulli

P.S.: Ich stimme mit Dir nicht in der Interpretation des 2. Absatzes auf Seite 298 überein: [3] »Stände und fürstliche Gewalt« können nicht einfach mit heute: Volk und Regierung gleichgesetzt werden, weil es hier Marx vorerst ‚nur‘ um die Feststellung ihrer historisch vorgefundenen Nichtübereinstimmung geht und um die Bestimmung der Situation, die aus dieser Nichtübereinstimmung politisch entstanden ist, also letztlich darum, daß die Hegelsche Staatsphilosophie keine Lösung für dieses Problem anbietet. Nach Hegel sollen die Stände »”Vermittlung” zwischen Fürst und Regierung einerseits und Volk andererseits sein, aber sie sind es nicht, sie sind vielmehr der organisierte politische Gegensatz der bürgerlichen Gesellschaft« (297). Die von Hegel gesetzte Möglichkeit der übereinstimmung von Ständen und Staat ist nach Marx eine »gesetzte Illusion von der Einheit des politischen Staates mit sich selbst … von dieser Einheit als materiellem Prinzip…« (298). Dieses Moment bezeichnet er als die Romantik des politischen Staats in seiner allegorischen Existenz. Daraus ergeben sich zwei Arten von Illusionen: die wirksame Illusion und die bewußte Selbsttäuschung; die wirksame Illusion in dem Fall, daß sich Stände und Staat vertragen und die bewußte Selbsttäuschung, wo das nicht mehr der Fall ist.

Dann kommt es, so wäre zu ergänzen nicht etwa zu einer Revolution, sondern zur Satire, zur Komödie, in der die bewußte Unwahrheit sich bis zur Lächerlichkeit entlarvt.

Du überinterpretierst diese Absätze, wenn Du sie unvermittelt auf die heutigen deutschen Zustände anwendest. Marx geht es hier lediglich um den negativen Beweis der Unfähigkeit des Hegelschen Staatsrechts, eine Lösung für die deutschen Verhältnisse parat zu haben. Letzten Endes zeigt sich darin nur deren ganze Absurdität.

Mit eigenen Vorschlägen geht Marx in dieser Kritik äußerst sparsam um: sie könnten sowohl in der übereinstimmung von Staat und Ständen liegen, wie sie noch im Mittelalter existiert hat (»der

Einheit des politischen Staates mit sich selbst« ) oder im konstitutionellen Staat wie in Frankreich oder England. Dazu äußert sich Marx konkret erst in der »Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie«, die man parallel zu diesen Text heranziehen sollte. [4] Hier dagegen handelt es sich um eine rein immanente Kritik in ihrer maximalen dialektischen Zuspitzung, dort bereits um die Kritik der deutschen Zustände, die sich für die von Dir gezogenen Parallelen sehr viel besser eignen würde. Dort findet sich übrigens auch eine klare Distanzierung von der Historischen Rechtsschule (380), aber auch eine Kritik an den Deutschen, deren Berechtigung sich bis zum heutigen Tag nicht geändert hat: »Das Verhältnis der Industrie, überhaupt der Welt des Reichtums zu der politischen Welt ist ein Hauptproblem der modernen Zeit. Unter welcher Form fängt dies Problem an, die Deutschen zu beschäftigen? Unter der Form der Schutzzölle, des Prohibitivsystems, der Nationalökonomie« (382). Diese charakterliche Eigenart haben sich die deutschen Mittelklassen und Teile der Bourgeoisie bis zum heutigen Tag („Stuttgart 21”) erhalten, obwohl dieses Land inzwischen eines der höchstentwickelten Industrieländer auf diesem Globus ist. Offenbar wollen sie die deutschen Verhältnisse in den ‚status quo‘ zurückversetzen, den der amerikanische Finanzminister [gegenüber] den Deutschen für ihren angeblichen Kollektivmord an den ‚minderwertigen Rassen‘ nicht durchsetzen konnte, weil die USA damals ein Exportland nicht nur, wie heute, von Waffen und Dollars waren. Offenbar wollen die Deutschen (mit Ausnahme der weltmarktorientierten alten Bourgeoisie) zu dem ‚status quo‘ zurückkehren, dem Marx den Kampf angesagt hat: »Damals (im 16. Jht.) scheiterte der Bauernkrieg, die radikalste Tatsache der deutschen Geschichte, an der Theologie. Heute, wo die Theologie selbst gescheitert ist, wird die unfreiste Tatsache der deutschen Geschichte, unser status quo, an der Philosophie zerschellen.« Ob die Philosophie, wie die Frankfurter Schule in den 30er Jahren und 1967 ff. diese Aufgabe noch einmal übernehmen wird, würde ich eher bezweifeln, zumal der neue ‚status quo‘, den es zu bekämpfen gilt, diesmal nicht ‚von oben‘, sondern ‚von unten‘ kommt und sich darin realisieren könnte, was Herrn Morgenthau noch versagt blieb. Darüber sollten wir weiter diskutieren!

[1] REAKTIONEN 2009 An H.B. (10.08.2009).

[2] Gemeint ist Karl Marx: Das Elend der Philosophie MEW 4 (65-182).

[3] Karl Marx: Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts MEW 1 (203-333).

[4] Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung MEW 1 (378-391).

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