EINspruch 

01.07.2015

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Für den 19. Juni melden die Nachrichtenagenturen, daß der griechische Ministerpräsident Alexander Tsipras anläßlich seines Besuchs des Wirtschaftsforums in St. Petersburg [1] am Denkmal von Ioannis Kapodistrias einen Blumenstrauß niedergelegt und sich dabei mit in Rußland lebenden Griechen hat ablichten lassen. [2]

Wer war dieser Kapodistrias? Und welche Verdienste haben ihm die Ehre verschafft, in St. Petersburg ein Denkmal errichtet zu bekommen?

Ionnis Kapodistrias war während der Regierungszeit Alexander I. politischer Berater und zeitweise Außenminister des russischen Zaren. Er hatte, wie Friedrich Engels 1890 schrieb, [3] jenem »Jesuitenorden« der russischen Diplomatie angehört, der »ursprünglich und vorzugsweise aus Fremden, Korsen wie Pozzo di Borgo, Deutschen wie Nesselrode, Ostseedeutschen wie Lieven« rekrutiert wurde, die wie die Stifterin dieses Ordens, Katharina II, in Rußland auch Fremde waren. [4]

Was aber veranlaßt einen erklärtermaßen linken griechischen Politiker heute dazu, dieses griechischen Diplomaten in russischen Diensten öffentlichkeitswirksam zu gedenken? Wie wir die Regierung Tsipras inzwischen kennengelernt haben, vermutlich dies, daß diese politischen Berater des Zaren die ihnen verliehene Machtstellung und ihren Einfluß, wie Engels schreibt, auch dazu verwendet haben, sich an den Befreiungskämpfen gegen die fremden Unterdrücker ihrer Heimatländer zu beteiligen oder gar wie Kapodistrias sich an deren Spitze zu stellen. Diese Unterdrücker waren in Griechenland wie auch auf der übrigen Balkanhalbinsel die Osmanen, die gleichzeitig den Weltherrschaftsambitionen Alexanders I. im Wege standen. Denn wer den Bosporus beherrschte, kontrollierte auch den Weg des russischen Getreides nach Westeuropa und die Durchfahrt russischer Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer. Das war damals nicht anders als es dies heute immer noch ist.

Nach dem Ausbruch des Griechischen Aufstands (1822-1832) quittierte Kapodistrias seinen Dienst, um den Aufstand zu unterstützen und sich schließlich an dessen Spitze zu stellen, worüber Alexander I. nicht besonders traurig gewesen sein wird. 1827 wurde Kapodistrias Präsident in der auf dem Peloponnes gebildeten provisorischen Regierung und noch vor der Niederschlagung des Aufstandes durch die Osmanen von dem Anführer eines rivalisierenden griechischen Clans 1831 ermordet.

In Friedrich Engels‘ Aufsatz finden wir, nachdem die heutige russische Außenpolitik für jeden erkennbar in die alten Geleise einer Hegemonialmacht des frühen 19. Jahrhunderts zurückgekehrt ist, d.h. seit der Annexion der Krim 2014, viele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten mit heutigen politischen Verhältnissen. So brauchte Rußland gegenüber den Balkanvölkern, die mit den Russen religions- oder stammesverwandt sind, damals nur »seinen Beruf zum Schutz der unterdrückten Kirche und des gefesselten Slawentums zu proklamieren«, und schon war »das Terrain für die Eroberung – unter dem Deckmantel der Befreiung – … hier vorbereitet.« [5] So ist auch der Rassenkrieg, der in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts von panslawistischen Serben im auseinanderbrechenden Jugoslawien mit russischer Unterstützung unter ähnlichen Auspizien losgetreten wurde, den meisten Europäern gleichfalls in schlechter Erinnerung geblieben.

Und daher paßt sehr vieles, was man über die auswärtige Politik des russischen Zarentums bei Engels nachlesen kann, bis aufs i-Tüpfelchen auf die heutige russische Geheimdiplomatie, deren Kontinuität, kurzzeitig unterbrochen durch die Oktoberrevolution, spätestens mit dem 18. Brumaire des Joseph Stalin im Jahre 1932, wiederhergestellt wurde. Nicht umsonst wird der im Krieg der Völker der Sowjetunion gegen den deutschen Faschismus errungenen und 1990 verlustig gegangenen hegemonialen Weltmachtstellung Rußlands von Putin so laut und vernehmlich als der größten »geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts« hinterhergeweint.

Für die russische Geheimdiplomatie bildet die europäische Bourgeoisie, vorneweg die deutsche, auch heute das geeignete Objekt ihrer Korruptions- und Manipulationsversuche, mit dem Ziel, die öffentliche Meinung in Europa für russophile Vernünfteleien empfänglicher zu machen. Dazu gehören auch Putins Versuche, sowohl linke wie rechte politische Parteien und Bewegungen gegen ihre Regierungen zu mobilisieren und gleichzeitig diese Regierungen zu ermuntern, im eigenen Hause Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Auch dieses Manipulationsmuster wird bereits von Engels beschrieben: »Die russische Diplomatie hat es fertiggebracht, beide große bürgerlichen Parteien Europas einzuseifen. Ihr und nur ihr erlaubt man, legitimistisch und revolutionär, konservativ und liberal, orthodox und aufgeklärt in einem Atemzug zu sein.« [6] Die Reihe der hier aufgezählten Gemeinsamkeiten zwischen der russischen Außenpolitik im frühen neunzehnten und einundzwanzigsten Jahrhundert ließe sich beliebig fortsetzen.

Vor diesem Hintergrund steht Tsipras‘ symbolträchtige Erinnerung an einen großen Griechen in den Diensten Moskaus durchaus nicht im Widerspruch zu der erklärt linken anti-kapitalistischen und anti-westlichen Politik der von Syriza und ihrem national-chauvinistischem Koalitionspartner Anel gebildeten griechischen Regierung. Schon bereitet sich deren spanischer Ableger Podemos auf den auch von der deutschen Linken mit heißem Herzen herbeigewünschten nächsten großen Wahlsieg vor, durch den ein weitere Dominostein des sog. ‚Neoliberalismus‘ in Europa zum Kippen gebracht werden würde. Durch das Doppelspiel des Putinschen neuen Zarentums soll die unter ihren inneren Widersprüchen ächzende EU langfristig von dem Großraum des stetig wachsenden eurasischen Imperiums angezogen werden, was den Wünschen der deutschen Bourgeoisie und ihrer Kanzlerin durchaus entgegenkommt. Dazu benötigt Putin, wie schon Alexander I., rechte und linke, rebellische und gewiefte Politiker und Manager der politischen Desinformation an seiner Seite, treue Diener seines neuen Zarentums, genau solche, wie bereits Kapodistrias einer war.

Daß sie dieser Rolle und ihren Anforderungen durchaus in der Lage ist gerecht zu werden, hat die griechische Regierung bei der Uraufführung ihres Narrenspiels vor den Gläubigern des bankrotten griechischen Staates bereits in Brüssel hinreichend bewiesen. Ob es ihr dabei aber auch weiterhin gelingen wird, die europäische Öffentlichkeit und die Masse der lohnabhängigen europäischen Steuerzahler zum Narren zu halten und Europa im Interesse russischer und griechischer Oligarchen und der Wallstreet auseinanderzudividieren, um die Europäer nach der Devise ‚beggar thy neighbor‘ um weitere Milliarden zu erleichtern, sodaß die ‚neoliberale‘ EU schließlich an die Wand fährt, das wird letztlich das griechische Volk als die Hauptleidtragenden der linken Possenreißereien seiner Regierung selbst zu entscheiden haben.

-euk

[1] FAZ 19.06.
[2] Foto WIKIPEDIA s.v. Kapodistrias.
[3] Friedrich Engels: Die auswärtige Politik des russischen Zarentums, MEW 22 (13-48), 14.
[4] Diese illustre Reihe wäre noch durch den ‚großen Reformer‘ Freiherr vom Stein zu ergänzen.
[5] Friedrich Engels, a.a.O., 17.
[6] Friedrich Engels, a.a.O., 23.

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