Reaktionen 

Reaktionen (2014)

[gepostet und mit Fußnoten versehen 02 2015]

Die REAKTIONEN auf die Texte der partei Marx haben erfreulicherweise zugenommen, was ich als ein positives Zeichen werte, daß die Diskussion nicht völlig eingeschlafen ist. Einzelne Begriffe wurden mit zusätzlichen Erläuterungen versehen.
Ulrich Knaudt

 

Ulrich Knaudt an H.B. (16.01.2014)

Betreff: NF II

Lieber H., ich vermute, Du meintest unter dem Link ‚Lectures‘ den Vortrag von Christof Lieber: ‚Das Eigentum in der Theorie und Politik der Linken‘, im November in der Hellen Panke. [1] Allerdings fand ich darin keinen Bezug zur N[ationalen]F[rage]; dafür einige interessante Bemerkungen zur Bauernfrage. Obwohl er darüber nur kursorische Ausführungen macht, scheint er nicht mehr seine frühere Position zur 2. Revolution Stalins im Sinne Stalins zu vertreten, sondern er spricht nun eher vage von den Schwächen der Bolschewiki, den es nicht gelungen sei, die Eigentumsverhältnisse so aufzulösen, daß dabei ein einziges großes Eigentumsverhältnis übrig bleibt. Worin aber bestünde dieses: im Kommunismus der commune rurale oder der Lohnsklaverei oder beidem? Und welches wäre dann das größere von beiden?

Jedenfalls bis bald und viele Grüße

Ulrich

[1] Pankower Vorträge 187 Die Eigentumsfrage heute Christoph Lieber: Das Eigentum in Theorie und Politik der Linken. Hinweise und Anregungen aus der Marx‘schen ‚Kritik der politischen Ökonomie‘.

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Franz Witsch an Ulrich Knaudt e.a. (27.01.2014)


Liebe FreundeInnen des politischen Engagements, es gab in den letzten Tagen ein Vielzahl von Reaktionen auf die „Petition gegen Markus Lanz“, die mittlerweile über 200.000 Unterschriften zusammen bekommen hat. Ich möchte dem internen Blindverteiler (500 Unterschriften) drei Reaktionen zur Kenntnis geben. [Es folgen drei Links:]

(1) Georg Diez, Umstrittenes Lanz-Interview: Der Pesthauch des Konformismus, Spiegel Online vom

24.01.2014.

Link: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/das-undemokratische-zdf-markuslanz-und-sahra-

wagenknecht-a-945361.html

(2) Markus Ehrenberg, Matthias Meisner, Online-Petitionen um Markus Lanz: Alles nur Show, Tagesspiegel

vom 27.01.2014.

Link: http://www.tagesspiegel.de/medien/online-petitionen-um-markuslanz-alles-nur-show/

9390110.html
(3) Uwe Ebbinghaus, Aufruhr gegen Markus Lanz: Die neue Quotenkeule, Faz.net vom 24.01.2014.

Link: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/aufruhr-gegen-markus-lanz-dieneue-quotenkeule-

12768066.html

Die meisten Kommentare zur Petition weisen auch nicht mehr Niveau auf als die LANZ-Sendung. Mit dem Kommentar von Georg Diez, siehe Link (1), kann ich mich allerdings anfreunden.

Es ist sehr wichtig, dass Bürger sich endlich mal zu sozial-politischen Themen äußern, ihren Ärger nicht nur herunterschlucken. Damit haben einige Meinungsmacher ganz offensichtlich so ihre Probleme, Leute als da sind: Markus Ehrenberg, Matthias Meisner, Dieter Nur, siehe Link (2), oder Uwe Ebbinghaus von der FAZ, siehe Link (3).

Es gehört es sich ganz offensichtlich nicht, wenn Bürger sich öffentlich äußern, noch dazu kritisch gegen gut bezahlte Meinungsmacher, obwohl jene Bürger dafür noch nicht einmal bezahlt werden.

Herzliche Grüße

Franz Witsch

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Ulrich Knaudt an Franz Witsch (28.01.2014)


Lieber Franz Witsch, vielen Dank, für Deine Bemühungen, die Du Dir in dieser Angelegenheit machst. Was ich nicht verstehe, ist warum der Gebührenzahlerin aus Leipzig gerade diese Sendung aufgestoßen ist. Könnte es nicht sein, daß darin ausgerechnet eine Ikone (vermutlich) ihrer Partei (auf eine zweifellos sehr oberschülerhafte Tour und daher vergeblich) abgewatscht werden sollte? [1] Wären, einen Schritt weiter gedacht, dann solche Sendungen wegen ihres darin zutage tretenden ‚Antikommunismus‘ zu verbieten? Dieser Talkmaster war einfach unfähig, einer Politikerin dieses Schlages Paroli zu bieten, während die Gegenseite ([die] Jörges oder so ähnlich hieß) auch nur moralisch argumentierte. Talksendungen sind eigentlich für mich Zeitverschwendung. Ich habe auch hier nur ein Drittel geschafft.

Ein Freund des politischen Engagements


[1] Gemeint ist Sahra Wagenknecht.

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Franz Witsch an Ulrich Knaudt (29.01.2014)


Danke für Ihre Stellungnahme.

Die Talksendungen, nicht nur LANZ, sind in der Tat eine Zumutung.

Herzlichst

Franz Witsch


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Ulrich Knaudt an Franz Witsch (30.01.2014)

Betreff: Re: Reaktionen auf die Petition gegen Markus Lanz: meist niveaulos.


Sehr geehrter Herr Witsch, Sie sind leider auf den politischen Kern meiner Stellungnahme nicht eingegangen, der in einem Satz lautete: ob neben den bereits bestehenden eine weitere Tabuzone in der Bundesrepublik einrichtet werden soll, in der die Kritiker von linken Berufspolitikern öffentlich gemobbt werden und deren (zweifellos unprofessionelle) Kritik an einem einzelnen Exemplar dieser Berufsgruppe als gefühlte Majestätsbeleidigung an den Internet-Pranger gestellt und dem Populismus (welcher Couleur auch immer) zum Fraß überlassen wird?

Mit freundlichen Grüßen

Ernst-Ulrich Knaudt

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Ulrich Knaudt an H.B. (08.02.2014)

Betreff: Bauern III


Lieber H., zu der Bauernproblematik habe ich beim Durchstöbern meines Archivs außer dem gesuchten noch weitere Artikel zu dem Thema gefunden, die ich Dir in zwei Tranchen schicken werde. BAUERN III enthält als Anhang ein Exzerpt aus Harbach zum Gothaer Programm. Ich habe es ein wenig lesbarer gemacht, aber darüber hinausgehend nicht überarbeitet. [1]

Der Titel zu dem Buch, das ich Dir genannt habe: David R. MONTGOMERY: Dreck. Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert, München 2010. Zu den Masch-Vorträgen bin ich noch nicht gekommen, da ich selbst an etwas Längerem sitze. …

Herzliche Grüße

Ulrich


[1] parteimarx.org REAKTIONEN 2014 ANHANG 1.


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Ulrich Knaudt an H.B. (02.04.2014)

Betreff: Fwd: Dokument.pdf


Lieber H.,

[…]

Es ist schon seltsam, daß ich auf den politischen Text (Busch) [1] bisher wenig Lust hatte, dafür das marxologische Zeug (Sgro) sehr interessant fand. [2]

Wahrscheinlich habe ich zuviel ND gelesen in der letzten Zeit, sodaß mich diese Schreibe ziemlich anödet. Aber ich werde ihn lesen. Sgros Fehler ist i.w., daß er sich mit den G[und]R[issen] zur Kritik der politischen Ökonomie] nicht explizit beschäftigt. Ich kann das im Augenblick auch nicht.

Aber mir ist zumindest an seinem Papier klar geworden, daß der Unterschied zwischen der Marxschen Herangehensweise (Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten) und der bürgerlichen der ist, daß darin ein Abstieg vom Abstrakten zum Konkreten stattfindet: Wir gehen aus von einem Land, seinen Bewohnern, ihrer Geographie, Ökonomie usw., wie es in den GR[undrissen zur Kritik der politischen Ökonomie] über die herkömmliche Herangehensweise (in etwa) heißt. Darauf geht Sgro aber nicht im einzelnen bezogen auf den Text ein und daher kann er den Unterschied auch nicht beim Schopfe packen. (Vielleicht will er das auch gar nicht!) Obwohl er richtig herausarbeitet, daß es diese Theorie-Anwendung[s]-Dialektik in diesem schematischen Sinn bei Marx nicht gibt, sondern dessen Kritik der ökonomischen Theorien nicht unmittelbar auf eine solche hinausläuft (die einzige ‚Anwendung‘ wäre seit Lohnarbeit und Kapital die Politik der Marxschen Partei in den Klassenkämpfen und deren Analysen usw., aber das würde ich eher als Orientierung bezeichnen), zitiert d.A. unkritisch Wygodski (Fn. 27) [3], für den sich aus der Marxschen Theorie »die Notwendigkeit zur Ausarbeitung einiger vermittelnder Kettenglieder« ergeben habe, »die es ermöglichen, die abstrakte Theorie auf die konkrete Wirklichkeit anzuwenden«. Daraus habe Fineschi seine ‚Kugellager-Theorie‘ abgeleitet. Die kenne ich zwar nicht (wohl aber Fineschi) [4], aber wie man das Ding auch dreht und wendet, heraus kommt genau die Herangehensweise, die K.[arl]M.[arx] in den GR als die übliche bürgerliche Methode seiner eigenen Herangehensweise gegenüberstellt, nur jetzt mit dem Marxismus als dem Abstrakten, von dem ausgehend der Marxist zum Konkreten absteigt. Also entweder Aufstieg (Marx) oder Abstieg vom Abstrakten zum Konkreten (Marxisten)!

Ich habe in den letzten Monaten einen Haufen Material zu Syrien, Rußland, China gesammelt, stelle aber fest, daß ich das im Grunde alles vergessen kann, wenn ich nicht vom Abstrakten ausgehe, von dem aufsteigend, ich zum Konkreten, daß dieses Abstraktum jeweils konkret ausdrückt, gelange. Also weiter im Text.

[…]

Herzliche Grüße Ulrich

[1] Ulrich Busch: Die ökonomische Theorie von Marx und die Irrtümer der DDR, in: Ökonomie und Gesellschaft Jahrbuch 24, Marburg 2012 (183-205).
[2] Giovanni Sgro: Vom Abstrakten zum konkreten historischen Milieu. Die An- und Verwendbarkeit der Marxschen Analyse der kapitalistischen Produktionsweise; in: Ökonomie und Gesellschaft Jahrbuch 24, Marburg 2012 (167-182).
[3] W. Wygodski: Die dialektische Einheit von Forschungs- und Darstellungsmethode im politikökonomischen Schaffen von Karl Marx und ihre schöpferische Anwendung durch W.I. Lenin, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 1978 (57-72).
[4] parteimarx.org DEBATTE 3 ANHANG 3 Ulrich Knaudt: Offener Brief an Roberto Fineschi.

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Ulrich Knaudt an GdS (25.05.2014)


Hallo (ehemaliges) Buchladen-Kollektiv,

vielen Dank für GdS 11-12/2013 [I] 1-2/2014 [II], deren Zusendung ich als ein Anzeichen dessen interpretiere, daß Ihr die in meinem Brief vom 23.09. vorigen Jahres geäußerte geharnischte Kritik an ‚Eurer‘ Asylpolitik nicht ‚persönlich‘ nehmt. Die darin zum Thema Syrien geäußerte vernichtende Kritik an der ‚gesamtdeutschen Linken‘ findet Ihr jetzt auch auf meiner Web Site im BLogbuch 1 2014, womit Eure Frage: »Warum entwickeln sich Klassenkämpfe in einem Land wie Deutschland so schwer?« auch teilweise beantwortet wird. Es kommt halt immer drauf an, was man unter Klassenkampf in der konkreten Situation versteht.

Dazu hatte ich in BLogbuch 1 2013 das Verhältnis soziale politische Revolution bei Marx und Engels ausgehend von dem Satz im K[ommunistischen]M[anifest]: ‚Die Arbeiter haben kein Vaterland‘ einer vom Linken Mainstream abweichenden Interpretation unterzogen. Der Kern meiner Überlegungen ist, daß bei Marx zwischen den Klassenkämpfen in Frankreich und England, dem damaligen Beherrscher des Weltkapitalismus, und der Revolution gegen das Ancien Regime in den übrigen europäischen Nationen, in denen sich die kapitalistische Produktionsweise nur marginal (kaum industrielles, vorherrschend zinstragendes Kapital) durchsetzen konnte, ein prinzipieller Unterschied, aber auch eine Gemeinsamkeit besteht, die Marx und Engels seitdem nie aus den Augen verloren haben: »Die Entwicklung des industriellen Proletariats ist überhaupt bedingt durch die Entwicklung der industriellen Bourgeoisie. Unter ihrer Herrschaft gewinnt es erst die ausgedehnte nationale Existenz, die seine Revolution zu einer nationalen erheben kann, schafft es selbst erst die modernen Produktionsmittel, welche ebenso viele Mittel seiner Befreiung werden. Ihre Herrschaft reißt erst die materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft aus und ebnet das Terrain, worauf allein eine proletarische Revolution möglich ist.« (MEW 7,18) [1]

Abgesehen davon, daß es die industrielle Bourgeoisie ist, unter deren Herrschaft das »industrielle Proletariat« erst seine nationale Existenz gewinnt (davor hat es entweder überhaupt nicht existent oder nur in einem lokal beschränkten Sinn), ist der Halbsatz: »schafft es selbst erst die modernen Produktionsmittel…« meiner Ansicht nach von ganz entscheidender Bedeutung. Denn darin ist jene in der ML-Bewegung (Die Linke konzentriert sich eher auf die Unterwanderung und Übernahme des bürgerlichen Gewerkschaftsapparats) gängige Dichotomie von ‚Draußen‘-‘Drinnen‘, wir hier draußen blicken nach dort drinnen, in die Betriebe, mit der sehnsüchtigen Erwartung, daß das da drinnen ein von Streik zu Streik immer revolutionärer voranschreitende Proletariat schließlich in einem Generalstreik die Bourgeoisie stürzt, aufgehoben, weil das »industrielle Proletariat«, welches das Kapital produziert, zugleich mit der Schaffung der »modernen Produktionsmittel« die »Mittel seiner Befreiung« erzeugt; es schafft eigenhändig und in persona die Voraussetzungen für die eigene Existenz als revolutionäre Klasse (an sich) in einer Art work in progress, worin es zugleich die Bedingungen dafür erzeugt, die kapitalistische Produktionsweise aufzuheben.

Wie aber paßt das mit dem folgenden Satz zusammen, in dem die Herrschaft der industriellen Bourgeoisie als Wegbereiter der proletarischen Revolution gekennzeichnet wird, d.h. daß »erst« durch das Herausreißen der »materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft … das Terrain, worauf allein [!] eine proletarische Revolution möglich ist«, dieser der Weg von der industriellen Bourgeoisie geebnet wird? Zwischen dem Ancien Régime, der Herrschaft der industriellen Bourgeoisie und der proletarische Revolution bestehen bei Marx keine mechanistisch getrennten Stadien (erst muß das eine Stadium sich erfüllen, bevor das andere Stadium eintreten kann = Histomat), sondern diese Voraussetzung bereitet sich unter der Bedingung des ständigen Zersetzungsprozesses der Feudalgesellschaft vor. Die Warenbeziehungen untergraben Tag für Tag die ständische Idylle des fleißigen Handwerkers in seinem Familienbetrieb (die in ihrer modernen Form des ‚Existenzgründers‘ usw. fortexistiert), bis der Punkt erreicht ist, da die industrielle Bourgeoisie bei den schlesischen Webern an die Tür klopft, um sie vor selbige zu setzen und sie in Proletarier zu verwandeln, in denen wiederum die Feudalklasse die individuell werkelnden Handwerksfamilien plötzlich als Leidensgenossen entdeckt, obwohl sie zuvor deren Weg an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds gebahnt und sie auf die ‚andere‘, die himmlische ‚Welt, die möglich ist‘, vertröstet hat. Dieser Kampf zwischen industrieller Bourgeoisie und Feudalklasse, in dem sich diese mit dem Handwerksstand gegen die industrielle Bourgeoisie verbrüdert (siehe auch Lassalles Kooperativen mit Staatskredit), ist auch Klassenkampf. Allerdings führt er im besten Fall über eine politische Revolution zur Ersetzung der einen Klassenherrschaft durch die andere, während der Klassenkampf des Proletariats über die Klassenherrschaft des Proletariats zum Kommunismus führt. Die Februarrevolution [in Paris] 1848 ließ in Marxens Resümee schließlich »die Bourgeoisherrschaft rein hervortreten, indem sie die Krone abschlug, hinter der sich das Kapital versteckt hielt.« Nicht mehr und nicht weniger.

Aber mit diesem Resultat begnügt sich Marx nicht, sondern er untersucht den Entwicklungsprozeß, der auf seiten des Proletariats zu diesem Ergebnis geführt hat:

1. Die Bourgeoisie erlaubt dem Proletariat nur eine einzige Usurpation: den Kampf (vgl. den Maidan in Kiew).

2. Das Proletariat erkämpft darin das Terrain, auf dem seine revolutionäre Emanzipation stattfinde.

3. Auf diesem Terrain tritt die Bourgeoisherrschaft, die bisher von irgendwelchen feudalen Institutionen kaschiert wurde, rein hervor. (Dies ist exakt die Bestimmung des Proletariats in der Arabischen Revolution und auf dem Kiewer Maidan.)

4. Die Lohnarbeit ist die in der bürgerlichen Gesellschaft einzig vorhandene Organisation der Arbeit und die Forderung der Arbeiterführer nach einer ‚anderen‘ (ein Lieblingswort Der Linken) Organisation der Arbeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft eine nebelhafte Vorstellung von einem sozialistischen Paradies.
5. Die Pariser Arbeiter glauben, sich
neben der Bourgeoisie und neben den übrigen Bourgeoisnationen, die zusammen den Weltmarkt bilden, emanzipieren zu können. (‚Eine andere Welt ist möglich‘.)

Diese Vorstellung von einer sich »neben der Bourgeoisie« emanzipierenden oppositionellen Bewegung dominiert heute die gesamte Linke (von der Arbeiterklasse ist nur noch in den seltensten Fällen die Rede). »Wie die Arbeiter glaubten, neben der Bourgeoisie sich emanzipieren, so meinten sie, neben den übrigen Bourgeoisnationen innerhalb der nationalen Wände Frankreichs eine proletarische Revolution vollziehen zu können. Aber die französischen Produktionsverhältnisse sind bedingt durch den auswärtigen Handel Frankreichs, durch seine Stellung auf dem Weltmarkt und die Gesetze desselben; wie sollte Frankreich sie brechen ohne einen europäischen Revolutionskrieg, der auf den Despoten des Weltmarkts, England, zurückschlüge? Eine Klasse, worin sich die revolutionären Interessen der Gesellschaft konzentrieren, sobald sie sich erhoben hat, findet unmittelbar in ihrer eigenen Lage den Inhalt und das Material ihrer revolutionären Tätigkeit: Feinde niederzuschlagen, durch das Bedürfnis des Kampfes gegebene Maßregeln zu ergreifen; die Konsequenzen ihrer Taten treiben sie weiter. Sie stellt keine theoretischen Untersuchungen über ihre eigenen Aufgaben an. Die französische Arbeiterklasse befand sich nicht auf diesem Standpunkte, sie war noch unfähig, ihre eigene Revolution durchzuführen.« (MEW 7,19) M.a.W. ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Bewegung (Lenin), keine »eigene Revolution« der Arbeiter.

Wenn Ihr also die Frage stellt, warum »sich Klassenkämpfe in einem Land wie Deutschland so schwer (entwickeln)?«, was eine berechtigte Frage ist, zumal darin eine Reflexionshaltung eingenommen wird, mit der von Euch die Bewegung, die darauf verzichtet, und auf die Ihr Euch bezieht, in Frage gestellt wird (wofür sich bei Euch einige zarte Ansätze finden lassen), dann wäre dazu die Beziehung zwischen der »Entwicklung des industriellen Proletariats« und dem Herausreißen der »materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft« zur Schaffung des Terrains, »worauf allein [!] eine proletarische Revolution möglich ist« in Anlehnung an die Vorgehensweise der von Marx analysierten Klassen- und Produktionsverhältnisse als Voraussetzung und Bedingung der heutigen Klassenkämpfe konkret zu untersuchen. Siehe dazu mein neuestes BLogbuch, das ich nicht weiter kommentieren will. [2] Unter dem Strich ist dabei herausgekommen, daß die Klassenverhältnisse auf der Welt (was, wenn auch isoliert und ohne Zusammenhang mit dem, was sonst auf der Welt passiert, in dem Bericht über Streiks in Kampuchea zum Ausdruck kommt) dominiert werden von der Großen Wirtschaftskrise, einer Jahrhundertkrise, in der die kapitalistische Produktionsweise kräftig durchgerüttelt wird und bürgerliche Ideologen sich selbst fragen, wie die bürgerliche Gesellschaft diese Krise eigentlich noch aushalten und überstehen soll. Hier kommen dann die modernen Vertreter der oben genannten »feudalen Gesellschaft« ins Spiel, die den Kapitalismus auf vorkapitalistische Verhältnisse zurückdrehen wollen. Der große Trick besteht u.a. darin, daß sie das mit ‚antikapitalistischen‘ Parolen tun, die bei den Wähler- und Volksmassen in dieser verfahrenen Situation verfangen, weil sie darin einen Ausweg zu finden hoffen.

Der junge Arzt aus Kreta (FAZ vom 24.05.) steht vor der Wahl, Deutsch zu lernen, damit er in Deutschland einen Job findet oder sich Syriza oder der Morgenröte anzuschließen, um diese bürgerliche Gesellschaft abzuschaffen und durch einen linken oder rechten Faschismus auszutauschen, von dem er von der Not getrieben annimmt, daß dieser ihm sein persönliches Fortkommen sichert. Die politischen Folgen solcher Gedankenspiele sind bekannt. Dabei steht außer Frage, daß die erste Alternative, also Deutsch lernen, auf den Boden der Realität der kapitalistischen Produktionsweise zurückverweist, die zweite an dieser Realität verzweifeln läßt und auf eine rückwärtsgewandte Utopie hinausläuft, worunter ich letzten Endes auch den N[ational]S[ozialismus] einordnen würde. Davon lese ich bei Euch kein Sterbenswörtchen, d h. ausgehend vom Marxschen ‚Kapital‘ und der Politik der ‚Marxschen Partei‘ diese Verhältnisse politisch zu analysieren. Dieses Manko würde ich an folgendem konkret festmachen:

1. Steht Ihr so hoch erhoben und erhaben über dem politischen Alltagsgeschehen, daß Ihr es nicht nötig habt, Eure Kritik an der konkreten Widerlegung konkreter Ansichten exemplarisch zu demonstrieren und zu beweisen. Ihr zitiert Was tun?, [3] dann schaut Euch an, wie Lenin dort detailliert und konkret und immer wieder auf die Argumente jedes einzelnen seiner Gegner eingeht. In allen seinen Artikeln und Aufsätzen ist seine Kritik immer an einen konkreten Adressaten gerichtet. Solche kann ich bei Euch nur sporadisch finden. Die Kritik an Der Linken (I,3 Kasten) [4], die ich grundsätzlich unterschreibe (dort werden zumindest Gysi und Wagenknecht konkret genannt verbunden mit einem Zitat) ist eine rühmliche Ausnahme. Der Haupttext wimmelt aber eher von Gemeinplätzen, Befindlichkeitserklärungen, leeren Parolen.
2. Zur Frage, warum sich in D[eutschland] die Klassenkämpfe so schwer entwickeln, stellt sich die Gegenfrage, von welchem Begriff des Klassenkampfes Ihr überhaupt ausgeht. Auch da wäre wiederum an Lenin und
Was tun? zu erinnern, der gerade in diesem Text unter Klassenkampf nicht nur ein Teewasser-Problem versteht, sondern damit unbedingt die politischen Verhältnisse im zaristischen Rußland in Verbindung bringt. Wie sähe das heute in D[eutschland] und Europa aus? Nach meiner These gehört zum entscheidenden Inventar bürgerlicher Ideologie in der momentanen Weltwirtschaftskrise der Versuch des Zurückdrehens der kapitalistischen Verhältnisse auf vorkapitalistische. Oder weshalb kann die CDU in Hessen so prima mit den Grünen koalieren? Wahrscheinlich weil dort ähnlich wie bei Rotgrün in den 80er Jahren, an einer schwarz-grünen Koalition für 2017 herumexperimentiert wird. Die Bourgeoisie findet immer einen Dreh, um den Konsequenzen, die sich, wie jeder glaubt, aus dem Bankrott des Kapitalismus ergeben müßten, wie ein angeschlagener Boxer nach rückwärts auszuweichen und dann auf den faschistischen Vorwärtsgang umzuschalten. So würde ich auch den N[ational]S[ozialismus] historisch interpretieren. Aber das ist eine andere Diskussion. Lenin ist dem Marxschen Klassenkampf-Konzept gefolgt, während das Stalinsche dieses verengt und in die Integration der Arbeiterklasse in ein umfassendes Knastsystem und ein System freiwilliger Zwangsarbeit mündet. Das Marxsche geht von der revolutionären Selbstbestimmung der Klasse bei der Organisierung der Diktatur des Proletariats aus. Das Stalinsche stülpt der Klasse unterstützt von ihrer Arbeiterelite (Stachanow als Pendant zur heutigen westlichen Arbeiteraristokratie) die Diktatur des Proletariats über und organisiert den Schutz der Errungenschaften seiner neuen Bourgeoisie durch Parteibürokratie und Geheimpolizei.

3. Die optisch hervortretende Plazierung des Berichts über ökonomischen Klassenkämpfe in Kampuchea ist zu begrüßen (II,1 Kasten) [5]. Wenn ihr diesen Bericht auch [noch] rein optisch unter die Fragestellung der Klassenkämpfe in Deutschland gestellt hättet, dann hätte man zumindest andeuten können, wie Ihr das Verhältnis zwischen der deutschen und der kambodschanischen Arbeiterklasse interpretiert? So steht der Hauptartikel und der Kasten ohne innere Beziehung einfach nebeneinander. Da würde ein Blick auf das Marxsche Kapital weiterhelfen, wenn man versucht, die Frage zu beantworten, warum a. die Arbeiterinnen in Kampuchea trotz der Hungerlöhne verglichen mit den mageren Erträgen der Landwirtschaft in der Lage sind, ihre Familie vor dem Verhungern zu bewahren und b. warum sich die Spitzengruppen der deutschen Arbeiterfamilien ein Eigenheim, einen Zweitwagen und mehrere Urlaube im Süden leisten können? Sind die deutschen Kapitalisten so spendabel, daß sie auf ihre Profite verzichten oder ist die Produktivkraft der Arbeit so enorm, daß damit verglichen die Arbeitslöhne auch hier Peanuts bleiben!? Und wie hängt beides zusammen, wenn in beiden Fällen doch wohl Mehrwert produziert wird? Oder nicht? Ohne einen solchen Vergleich verfällt Eure Kritik an den kampucheanischen Verhältnissen in eben jene Tränendrüsen-Agitprop der Linken, mit deren Unterstützung das deutsche Kapital in Kampuchea von den Zuständen in den dortigen Sweatshops prima ablenken kann. (Ich behaupte nicht pauschal, daß Ihr auch so argumentiert, sehe aber auch nicht , wie Ihr diese Tendenz vermeiden wollt.)

4. Ihr erklärt die Arbeiteraristokratie zu einer Schicht innerhalb der Arbeiterklasse, die »sich höchstwahrscheinlich nahezu vollständig auf die Seite der Konterrevolution stellen wird.« (II.4c) [6] Ob dies der Fall sein wird, hängt im Grunde davon ab, wie die zu erwartende revolutionäre Situation bestimmt wird. Auf jeden Fall ist festzuhalten, daß die Arbeiter sich nicht nur deshalb zurückhalten, weil sie einfach manipuliert sind. Auf der einen Seite zieht es das Kapital bei Massenproduktion in die Länder, in denen der niedrigste Lebensstandard herrscht, in denen aber die Gesellschaft noch einigermaßen konsistent ist (Landwirtschaft), während es in den ‚Metropolen‘ eher eine ‚werthaltige‘ Produktion betreibt, d.h. wo die gesamte Mehrwertmasse in wenigen Einzelprodukten (Flugzeug, Werkzeugmaschine, Rakete, Panzer) steckt.

Ich habe in dem neuesten BLogbuch dazu einige Überlegungen angestellt, die darauf hinauslaufen, daß die revolutionäre Situation in Europa in Zukunft durch die neue imperialistische Außenpolitik Rußlands dominiert werden wird und der von Marx und Engels analysierten Lage in Europa seit 1848 (siehe Krim-Krieg 1854) ziemlich ähnlich sieht. Wenn Europa von einer imperialistischen Invasion mit Rückendeckung Chinas bedroht wird, dann entspricht das etwa der Konstellation, die Friedrich Engels in Die auswärtige Politik des russischen Zarentums analysiert hat, worin er im übrigen völlig mit der Marxschen Analyse übereinstimmt. [7] Verkürzt formuliert: sollten etwa Rußland und China einen faschistischen Krieg gegen Europa führen, dann stellt sich der Klassenkampf und die Bestimmung des Hauptfeindes und seiner Verbündeten anders dar als bisher. Dann muß auch die Rolle der Arbeiteraristokratie neu bestimmt werden, wie übrigens auch [die] der Linken, die darin vorhersehbar als Quislings-Partei auftreten bzw. sich daran spalten wird. Ich will damit nur sagen, es gibt keine ewig richtige Bestimmung der Rolle der Arbeiteraristokratie. Diese hängt heute von der in Europa neu entstandenen Situation seit der Annexion der Krim und davon ab, ob sie sich mit dem größten Teil der Linken auf die Seite des neuen Faschismus schlägt oder sich gegen diesen positioniert. Die deutsche Arbeiterklasse wählt bürgerlich, das steht fest. Le Pen hat ihre Hochburg in den Industrierevieren im Norden, die früher komplett von der KPF dominiert wurden. Eine kommunistische Organisation, die zu diesen alles Bisherige umstürzenden Wendungen der Geschichte nichts zu sagen weiß, sollte sich besser in die Sozialdemokratie oder Die Linke auflösen oder es ganz sein lassen. Der Kasten auf Seite 1 (I.1) [8] über die Ukraine ist gemessen daran ein ziemlich unartikuliertes politisches Gestotter. Ja, gut, »…die Wahrheit ist hier sehr, sehr konkret«, dann macht Euch schnellstens an die Arbeit, sie zu analysieren!

Das heißt nicht, sonst würden wir nicht mehr miteinander reden, daß wir in bestimmten Positionen nicht punktuell übereinstimmen, wozu Eure Kritik am Antiamerikanismus des ‚imperialistischen Kleinbürgertums‘, der ob von rechts oder links kommend mit dem Antiamerikanismus der Nazis übereinstimmt, gehört. (Übrigens las ich in einer Rezension zu einem Buch über den jungen Hitler aus seiner Zeit unmittelbar nach 1918, daß dieser zunächst gar nicht primär Antisemit, sondern Antikapitalist war und in erster Linie die USA haßte. [9) In sofern stimme ich mit Eurer Kritik am Antiamerikanismus, ob von links oder rechts kommend, und Eurer Erwägung, daß die USA im Zweiten W[elt]K[rieg] als Alliierte gemeinsam mit der Sowjetunion gegen Hitler gekämpft haben (aus welchen Motiven auch immer), überein. Allerdings bleibt auch festzuhalten, daß sich darin unsere Ansichten ausgehend von den zwei extremen Gegenpositionen bei der Einschätzung der Entwicklung der SU von der Revolution zur Konterrevolution sozusagen in der Mitte treffen. Aber auch das könnte sich in bestimmten veränderten Situationen als zweitrangig erweisen.

[1] Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 MEW 7 (11-107).
[2] parteimarx.org
BLogbuch 1 2014: Revolution und Konterrevolution in Europa.
[3] GdS 1-2/2014, 5.
[4] GdS 11-12/2013, 3:
Die Partei ‚Die Linke‘ nationalistische Vorreiter für die ‚Souveränität‘ des deutschen Imperialismus.
[5] GdS 1-2/2014, 1:
Mehrere Hunderttausend Textilarbeiter Innen in Kampuchea kämpfen militant für höhere Löhne.
[6] GdS 1-2/2014, 4:
Fakten zu den unterschiedlichen Schichten der Arbeiterklasse und der anderen arbeitenden Menschen.
[7]
Friedrich Engels: Die auswärtige Politik des russischen Zarentums MEW 22 (13-48).
[8] GdS 11-12/2013, 1:
Ukraine und der deutsche Imperialismus.
[9] FAZ 14.03.2014
Die Quellen seines Hasses. Bahnbrechende Erkenntnisse: Vorbeben einer neuen Hitler-Biographie. Rezension eines Beitrags des Historikers Brendan Simms: Against a ‚World of Enemies: The Impact of the First World War on the Development of Hitler‘s Ideology, in: International Affairs. Der Rezensent: »Der künftige Diktator vertrat zwar seit dem Sommer 1919 einen Antisemitismus, der in seiner Heftigkeit und in seiner rassistischen Radikalität seinem Judenhass der frühen vierziger Jahre in nichts nachstand. Hitlers Begründung für seinen Antisemitismus war aber zu dem Zeitpunkt, an dem er zum radikalen Antisemiten mutierte, beinahe ausschließlich antikapitalistisch motiviert. Simms’ Grundthese erscheint auf den ersten Blick provokativ: Zunächst habe sich Hitler zu einem Feind der angloamerikanischen Welt entwickelt, den er bald mit einem ausgeprägten Hass auf einen internationalen Kapitalismus verbunden habe. Erst dadurch sei im nächsten Schritt Hitlers antikapitalistischer Antisemitismus durchgebrochen. Hitlers späterer antisemitischer und antislawischer Antibolschewismus war nach Simms hingegen Mittel zum Zweck, um auf die angloamerikanische Herausforderung erfolgreich reagieren zu können. Es galt, ein deutsches Großreich entstehen zu lassen und so eine globale Parität zwischen der angloamerikanischen und der germanischen Welt herzustellen. Mit anderen Worten: Hitler sah die angelsächsische Welt als Feind, bevor er Juden als Feinde entdeckte, und er sah Juden als Feinde an, bevor er Slawen

und Bolschewisten als Feinde identifizierte.«


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Ulrich Knaudt an H.B. (26.05.2014)

Betreff: AW BL114


Lieber H., im Anhang der Grund, warum Du lang nichts mehr von mir gehört hast. [1] Ich hätte nicht gedacht, daß mich die Beschäftigung mit diesem Ding so lange in Atem halten wird.

Viel Spaß bei der Lektüre. Die F[uß]N[oten] 23-26 lege ich Dir besonders ans Herz. Ich denke, ich bin da im KAP[ITAL] auf etwas gestoßen, was uns in absehbarer Zeit weiter beschäftigen sollte.

Viele Grüße erst mal.

Ulrich

[1] parteimarx.org BLogbuch 1 2014: Revolution und Konterrevolution in Europa.

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Ulrich Knaudt an H.B. (02.06.2014)

Betreff: AW: BL2014


Danke,

lieber Ulrich

für Deine Mitteilung, für die übersandte Arbeit.

[…]

Werde den Text dann durcharbeiten.

Bin schon neugierig darauf,

sicherlich mit dem Brennpunkt Ukraine.

Mir fällt dazu einiges Wesentliches auf,

u.a. auf phänomenologischer Ebene der gegenseitige Ausschluss von Prinzipien, auf die man sich beruft als Vorwand, zwecks Umhangs eines demokratische Mäntelchens:

territoriale Integrität von Staaten (Völkerrecht, der Westen)

versus Selbstbestimmungsrecht (Rußland)

in Verbindung mit der

Frage nach der Etappe von Revolution bzw. Transformation

demokratische Revolution à la Ägypten etc.

Die Falle: den Westen gegen den Osten, den Osten gegen den Westen

rechtfertigen, verteidigen;

insofern veränderte, neue nationale, internationale Bündnis-Koalitionen […]

[…]

Bis dann,

herzlichen Gruß

H.
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H.B. an Ulrich Knaudt (14.06.2014)

Betreff: WG: EU-Politiker haben die Hosen (noch) gestrichen voll


Eine ‚ l i n k e ‘ Empfehlung zur „Neuorientierung“ / „-Justierung“ der europäischen

Politik…

Bin Deinen Blog noch nicht durch.

Bis bald,

H.

Anhang:
Von:Franz Witsch (13.06.2014)

Betreff: EU-Politiker haben die Hosen (noch) gestrichen voll


Liebe FreundeInnen des politischen Engagements,

es ist schon ein Kreuz: die Politiker der EU, allen voran Merkel und Steinmeier, haben die Hosen den USA gegenüber gestrichen voll. Sie wagen es kaum, eigene, vor allem wirtschaftliche Interessen der EU, ins spiel zu bringen, solche, die in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen auf eine noch engere politische Kooperation mit Russland setzen.

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt die meisten Leser-Briefe den Texten der Online-Leitmedien zum Teil massiv widersprechen.

Nunmehr könnte sich eine Entspannung zwischen Leitmedien und ihren Lesern anbahnen, tut sich zumindest in den Online-Leitmedien doch etwas, das außenpolitisch in eine etwas andere Richtung zeigt. Dazu möchte ich den interessierten LeserInnen zwei Texte zur Kenntnis geben. Titel und Links lauten wie folgt:

(1) Eine neue Grand Strategy, german-foreign-policy vom 13.06.2014

Link: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58889

(2) Außenpolitik: Europa muss seine Beziehungen zu den USA neu justieren, Zeit Online vom 06.05.2014

Link: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-06/europaeische-interessenpolitik

Die Texte sprechen für sich selbst. Ein Absatz aus Text (1) sei an dieser Stelle wiedergegeben. Unter der Überschrift „Die alte Schaukel“ heißt es:

Die Strategie, in einer Art Schaukelpolitik zwischen Ost und West die eigene Position beständig aufzuwerten, reicht in der deutschen Geschichte ebenso weit zurück wie die von Luenen zitierten

Befürchtungen angloamerikanischer Strategen, Einfluss auf dem europäischen Kontinent zu verlieren

(german-foreign-policy.com berichtete [3]). Sie ist darauf angewiesen, zu beiden jeweiligen

Machtzentren Washington und Moskau tragfähige Beziehungen zu unterhalten. Teile des deutschen

Außenpolitik-Establishments, darunter Personen aus dem politischen Umfeld der „Zeit“, haben immer

wieder gegen die aktuelle Ukraine-Politik der Berliner Regierung protestiert und eine Wahrung der

deutschen Sonderbeziehungen zu Moskau verlangt. So hat Theo Sommer, einstiger Planungschef im

Bundesverteidigungsministerium und heute „Editor at Large“ der „Zeit“, schon zu Beginn der Ukraine-Krise schwere Vorwürfe gegen die westliche Politik erhoben [4]; auch die Ex-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder oder zum Beispiel der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder haben sich für die Beibehaltung der Zusammenarbeit mit Moskau stark gemacht. In der aktuell aufgeheizten Stimmung, in der die eindeutig transatlantisch orientierten Kräfte der Berliner Außenpolitik den Ton angeben, wagt sich nun „Zeit Online“ mit einem Beitrag hervor, der den zur traditionellen „Schaukelpolitik“ neigenden Spektren des Establishments eine Stimme verleiht. Der Artikel ist freilich – wohl auch eine Vorsichtsmaßnahme ausdrücklich als „Gastbeitrag“ markiert und von einem Mitarbeiter nicht eines deutschen, sondern eines britischen Think-Tanks verfasst worden, der in größerer Distanz zu den innerdeutschen Kämpfen steht.“

Herzliche Grüße

Franz Witsch

www.film-und-politik.de


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Ulrich Knaudt an H.B. (15.06.2014)

Betreff: REAKTIONEN


Lieber H., wenn Du BL[ogbuch]114 gelesen hast, [1] wirst Du finden, daß es mit dem sich Umhängen »eines demokratischen Mäntelchens« als »Vorwand« (wofür?) nicht ganz so einfach beschaffen ist. Niemand hätte vor 1939 das Selbstbestimmungsrecht Nazi-Deutschlands in Frage gestellt, bis dieses von ihm selbst (Polen) in Frage gestellt wurde. Ich war auch lange der Ansicht, daß man den ‚Westen‘ nicht gegen dessen Feinde im ‚Osten‘ (zwischen denen es, wie der Irak jetzt zeigt, eklatante Widersprüche gibt) ausspielen sollte. Inzwischen sind die Ereignisse über derartige Reserven hinweggerollt. Marx macht in den Klassenkämpfen in Frankreich die proletarische Revolution von dem Vorhandensein einer industriellen Bourgeoisie abhängig. [2] Das ist auch weiterhin der Maßstab für die Einschätzung der Entwicklung eines Landes. In Osteuropa soll diese Entwicklung auf ein Gleis Richtung 19. Jahrhundert geschoben werden usw.

Ich freue mich auf eine spannende Diskussion.

Viele Grüße

Ulrich

P.S. Durch ein technisches Versehen, sind mir meine sämtlichen E-Mails aus 2013 abhanden gekommen. Falls Du noch im Besitz meiner (und Deiner) E-Mails … aus dieser Zeit bist, würde ich Dich bitten, diese mir demnächst mal zurückzuschicken. […]

[1] parteimarx.org BLogbuch 1 2014 Revolution und Konterrevolution in Europa.
[2]
Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 MEW 7 (11-107); siehe oben: Ulrich Knaudt an GdS (25.05.2014).

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Ulrich Knaudt an H.B. (15.06.2014)

Betreff: REAKTIONEN


Lieber H., ich habe erst jetzt Deine Mail und den Link (Witsch) gefunden. [1] Schon die Annexion von Teilen Georgiens und nun die der Krim stellt einen eindeutigen Völkerrechtsbruch dar, dessen faschistische Qualität erst recht mit dem zunehmenden Abstand zu diesen Ereignissen eher zu- als abnimmt. Witsch und Konsorten (ich empfehle als konkretes Beispiel Scharf Links.de unter die Lupe zu nehmen) stellen für mich die Vertreter jener Kräfte dar, die ich als linke Quislinge bezeichnet habe. Es gibt keine Neutralität gegenüber Putin und Assad, genauso wenig wie es sie gegenüber Hitler und Mussolini hätte geben dürfen. Wer für eine solche Politik zum gegenwärtigen Zeitpunkt eintritt, steht für mich nicht mehr auf der Seite der Feinde des Faschismus alter und neuer Provenienz. Ich bin auch gegen Schaukelpolitik, aber mit der genau zu der von Witsch entgegengesetzten Tendenz.

Gruß Ulrich

[1] H.B. an Ulrich Knaudt (14.06.2014).

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H.B. an Ulrich Knaudt (23.06.2014)

Betreff: WG: Mein Artikel


Lieber Ulrich,

[…]

Bin Deine Texte einmal durch ‒.

muss noch ein zweites Mal durch, da, wie Du selbst sagst, einiger Diskussionsstoff drin ist.

S. u.:

Hat mit dem Thema zu tun.

Schau rein in den Artikel von Stefan B. ‒ ‚mein‘ 16-jähriger Bekannter!

Bis bald,

H.

Anhang:
An: H. B. (17.06.2014)

[…]

Was steckt hinter den Montagsdemonstrationen? Von Stefan B.

Der eigentliche Begriff der „Montagsdemonstration“ entstammt den Protesten der Bürger der DDR im Herbst 1989 als Bestandteil der friedlichen Revolution. Doch seit jüngsten Vorkommnissen wird jener Begriff als Euphemismus für den Brennpunkt bürgerlicher Verschwörungstheorie und apodiktischem Antiamerikanismus verwendet.

Bereits seit Anfang April 2014 tummeln sich bürgerlich naive „Friedensaktivisten“, Esoteriker , Putinanhänger, Chemtrailidioten und weitere skurrile Gestalten auf den Straßen Deutschlands und demonstrieren vermeintlich unter der Kappe des Friedens explizit gegen EU, Nato und das vorgebliche „amerikanische Finanzkapital“. Aber auch eine große Anzahl von pseudokommunistischen Antiimperialisten nutzt diesen Menschenauflauf um ihren heißgeliebten Wladimir Wladimirowitsch Putin als großen „Antifaschisten“ zu inszenieren. Als ob das nicht ohne hin schon genug Grund zum Kotzen wäre, wird das gegenwärtige Faktum noch von bürgerlichem Antiamerikanismus und dem allseits bekannten Feindbild Israel gesteigert.

Die Mobilisierung erfolgt größtenteils durch mehr oder weniger Prominente dieser Bewegung. Ein nennenswertes Gesicht ist der Journalist, Demonstrationsmoderator und leidenschaftlich antisemitische Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen, der durch seine ehemalige Radiosendung „KenFM“ beim RBB und der damit verbundenen Internetpräsenz große Bekanntheit erlangte. Jebsen wurde jedoch 2011 vom RBB entlassen nachdem eine Textnachricht von ihm, in der er den Holocaust indirekt leugnete , durch Henryk M. Broder veröffentlicht wurde. Doch bereits seit geraumer Zeit führt er einen YouTube-Channel mit dem selben Namen und bereitet seiner menschenfeindlichen Propaganda Gehör. Er publiziert auf jenem

Kanal ebenso Interviews mit bekannten Persönlichkeiten wie etwa dem Kabarettisten Serdar Somuncu und versucht hierbei stets die Aufmerksamkeit durch gezielte Fragen auf den vermeintlichen „Genozid in Gaza“ zu lenken um bekannte Vertreter seiner Interessen zu offenbaren. (Im hierbei genannten Beispiel wurde Jebsens Antizionismus jedoch durch Somuncu ordentlich Paroli geboten)

Bekannte Kampfbegriffe Jebsens sind: „Klimalüge“, „Diebe aus Jerusalem“, „Die NATO-Marionetten Deutschland GmbH“; „Deutscher Frühling“ oder etwa „Aufhebung des Besatzungsstatus“ Ein weiterer namhafter Initiator ist Jürgen Elsässer, der momentan als Chefredakteur des rechtspopulistischen

Monatsmagazins Compact tätig ist.

Elsässer wandte sich jenem Gedankengut jedoch erst gegen 2005 zu. Zuvor war er wie etwa Justus Wertmüller oder Jürgen Reents Mitglied des Kommunistischen Bundes in den 80ern und 90ern. Er gilt als einer der maßgeblich ursprünglichen Protagonisten der „antideutschen“ Bewegung in den 90ern und verfasste eine große Anzahl von Artikeln für die Zeitschrift „konkret“ bis er 2002 vom Herausgeber Hermann L. Gremliza aufgrund eines Zerwürfnisses über den nahenden Irakkrieg entlassen wurde. Im weiteren Werdegang wandte Elsässer sich dem Antiamerikanismus, brauner Esoterik, Homophobie und Verschwörungstheorien zu und gründete die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ , die durch ihre Nähe zu Holger Apfel bzw. zur NPD bereits einige Schlagzeilen bewirkte. Zudem vertritt Elsässer ethnopluralistische Positionen wie eine Schädlichkeit des „Vermischen[s]“ von Völkern. Im Sarrazin-Skandal stellte er sich auf die Seite des sogenannten „Sarrazin-Blocks“ und vertrat zweifellos antisemitische Positionen. „Den Multikulti-Strategen um Wulff sei gesagt: Die Identität Deutschlands wurzelt in der ‚deutschen Leitkultur‘. Diese wird geprägt durch die großen Strömungen des Christentums im Land. […] Jüdische und islamische Einflüsse gab und gibt es zwar. Sie als gleichberechtigt daneben stellen zu wollen, ist aber in der Sache unsinnig und in der Intention zerstörerisch für die deutsche Nationalkultur.“

Im Bereich der Montagsdemonstrationen handelt es sich um eine Vielzahl eher bürgerlich geprägten Menschen (mit einigen Ausnahmen), die die verschiedensten politischen Ideologien haben. Sie haben jedoch eines gemeinsam: Sie sind alle Anhänger bestimmter weniger aber für sie umso bedeutenderer Interessen und bestimmter Verschwörungstheorien.

Die Sozialwissenschaftlerin Jutta Ditfurth spricht deshalb von einer sogenannten „Minimalplattform“. Der größte Teil der Verschwörungstheorien handelt vom „Ukraine-Konflikt“. Nach dem Verständnis der Demonstrationsteilnehmer ist Putin nämlich nicht als Kriegstreiber, der mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit um sich wirft zu verstehen, sondern die Vorwürfe gegenüber ihm seien nur „antirussische Propaganda“ der USA und den Banken. Der Zusammenhang lässt sich jedoch nur schwer oder überhaupt nicht erfassen. Fakt ist: Russland greift zu militärischen Mitteln um in die Ukraine einzumarschieren. Die Demonstranten hingegen sehen das nicht als Konflikt zwischen der Ukraine und Russland sondern als Krieg der USA, der NATO und der Federal Reserve Bank gegen die Weltbevölkerung. Jutta Ditfurth erkannte hierbei, dass die ideologischen Übereinstimmungen sich hierbei genau in der Feindschaft zur Federal Reserve Bank zeigen und die breite Masse einen. Die Rede ist von der „Jüdischen Weltverschwörung“. Dieser Typus von Antisemit äußert seinen Antisemitismus nicht mehr durch die Leugnung der Shoa und der gleichen, sondern sie sagen „FED ist schuld“. Auf den entsprechenden Internetpräsenzen lassen sich darauf auch noch weitere antisemitische Merkmale erkennen. Die Rede ist

von antisemitischen Karikaturen oder auch Texten in denen beispielsweise eine offene Feindschaft gegenüber den Rothschilds propagiert wird.

Der Kontext ist sehr schnell entschlüsselbar, man muss jedoch die entsprechenden Worte kennen“ Jutta Ditfurth

Nun stellt sich die Frage wie Mensch überhaupt erst dazu kommt, Theorien, die faktisch nur als kompletter Irrsinn aufzufassen sind und von wohl mehr als fragwürdigen Personen kommen, zu glauben und sich ein explizites Feindbild zu schaffen. Jede Verschwörungstheorie basiert auf dem gleichen Prinzip: Der Initiator wählt ein gesellschaftliches Ereignis, dass die gesellschaftliche Stellung der breiten Masse zu bedrohen scheint und stellt die Frage „Cui bono?“ zu deutsch „Wem zum Vorteil?“ In den meisten Fällen, wie auch in der aktuellen Thematik, sind die Ursachen allen Übels Amerika und die Zionisten. Diese Wahl der vorgeblichen Täter entspringt nicht kompletter Willkür, da diese beiden Gruppen zumeist den „Tauschwert“ gegenüber dem eher bürgerlich belegten „Gebrauchswert“ personalisieren. Im weiteren Verlauf einer Verschwörungstheorie wird seitens der Initiatoren und Anhängern eine symbolische „Rechtfertigung“ der vermeintlichen Täter gefordert. Doch wie beweist man, etwas nicht getan zu haben in Themenkomplexen, in denen man gar nicht involviert war? Egal wie man in solch einem Szenario agiert – man kann die Vorwürfe in den Augen der Anhänger jener Theorien nur bekräftigen.

Durch diese Mechanik gelingt es die offensichtlichsten Irrationalitäten und konfusesten Behauptungen als glaubwürdig darzustellen. Folglich ist hiermit eine große Gefahr für die Allgemeinheit zu erkennen. Viele gesellschaftliche Ereignisse in der Geschichte, wie etwa der Antisemitismus nach dem ersten Weltkrieg sind auf derartige Theorien zurückzuführen.

Im hier genannten Beispiel ist die Rede von der sogenannten „Dolchstoßlegende“, die die Sozialdemokraten und Juden für die Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg verantwortlich machen sollte. Auch der weitere Antisemitismus in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstammt zum Teil dem antisemitischen Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“, indem durch gefälschte Dokumente das Treffen jüdischer Weltverschwörer zu belegen versucht wird.

In der Thematik des Nahostkonflikts stößt man selbst heute noch auf jenes Pamphlet. Außerdem leugnen viele derer, die sich mit Hamas und Hisbollah solidarisieren, den Holocaust mittels der bereits genannten Frage „Cui bono?“.

Hiermit wird versucht die Shoa als Inszenierung der Zionisten darzustellen damit diese überhaupt erst den Staat Israel gründen konnten.

Hierbei wird klar um welche Elendsgestalten es sich bei den Wortführern dieser Bewegung handelt und welch große Gefahren mit Verschwörungstheorien verbunden sind. Es stellt sich nun die Frage was die Initiatoren im weiteren Verlauf mit ihrer Fähigkeit die bürgerlichen Massen zu mobilisieren bewirken können und vor allem wie man sich ihnen, ihren Verschwörungstheorien und Verschwörungstheorien im Allgemeinen in den Weg stellen kann.
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Ulrich Knaudt an H.B. (24.06.2014)

Betreff: Re: WG: Mein Artikel


Lieber H.,
gefällt mir gut, der Text. Es gibt ein Foto in der j[ungen]W[elt] aus den 90er Jahren, auf dem Elsässer und der kürzlich verstorbene Redakteur [der Rubrik] des ‚Schwarzen Kanals‘ (Werner Pirker) einträchtig lächelnd nebeneinander sitzen. [1] Also existiert da seit eh und je eine Arbeitsteilung zwischen den linken und rechten Quislingen. Putin möchte die Nato, die EU zerschlagen und diese von den Vereinigten Staaten trennen und gleichzeitig seinen Einfluß auf Deutschland verstärken, bis daraus wieder so was wie die DDR wird. Denn nur dann hat Rußland eine Chance, wieder Welthegemonialmacht zu werden. Im Dezember 1941 endete Hitlers russischer Blitzkrieg vor Moskau (welch ein Wahnsinn und welche Selbstüberschätzung!) und der Plan, den USA einen autarken eurasischen Kontinent entgegenzusetzen und in der Ukraine nach der Vernichtung der Juden durch eine zweite Ostkolonisation deutsche Bauern anzusiedeln. Die Wolga als deutscher Mississippi. Putin hat den gleichen Plan, nur diesmal in entgegengesetzter Richtung. Sein eurasisches Projekt ist kein Phantasiegebilde, sondern ist mit der Annexion der Krim höchst real geworden. Schön, daß Dein junger Autor seine eigenen grauen Zellen benutzt. Ich dachte schon, die ganze Welt wär‘ verblödet und dem Leningrader Hütchenspieler auf den Leim gegangen. …

Viele Grüße

Ulrich

[1] junge Welt 25.-26.01.2014 National? Antinational? International! Werner Pirker blieb bis zum Tode konsequenter Kommunist. (Bildunterschrift: Damals noch gemeinsam bei Marx: Werner Pirker und Jürgen Elsässer (rechts) auf dem ersten jW-Mitarbeitenden-Wochenende in Marxhagen.)


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Ulrich Knaudt an H.B.
(10.07.2014)

Betreff: WIEDER AN BORD


Lieber H., […]

Ich habe lange an dem diesjährigen BLogbuch gearbeitet und so einiges aus den Augen verloren. Was unvermeidlich ist. Ich würde zu gerne was über den Begriff des Monopols bei Marx machen. Unterscheidet sich gravierend von dem Leninschen. Aber gleichzeitig finde ich es sinnvoll, die Marxschen Frankreich-Texte noch einmal durchzuarbeiten. Was Marx unter Klassenkampf versteht, unterscheidet sich ziemlich stark von seinen späteren Schülern in Rußland. Vor allem, was die Autonomie und Selbstbestimmung des Proletariats als Klasse gegenüber den anderen Klassen betrifft. Zu den Bauern hat er eine realistische Einschätzung (abhängige Kleinproduzenten), die darauf hinausläuft, daß diese unter bestimmten Voraussetzungen zu einem revolutionären Faktor werden können, es aber nicht wurden, weil sie Louis-Bonaparte hinterherhechelten. Ähnlich auch das Kleinbürgertum. Marx geht nie von der Illusion aus, dies[es] werde sich problemlos in eine Einheitsfront mit dem Proletariat begeben. Je stärker jenes auf seine Selbständigkeit pocht, desto geringer sind die Chancen, daß es sich mit dem Proletariat in einer revolutionären Situation gegen die Bourgeoisie zusammenschließt. Für die republikanischen Parteien (Bourgeoisrepublikaner) hat Marx nur Verachtung übrig, da sie sich der Ordnungspartei angeschlossen haben und von ihrer Revolution nur mehr lauter konstitutionelle Phrasen übrig geblieben sind…

All diese Volks- und Einheitsfront-Überlegungen, die heute so grassieren, sind ohne einen eindeutigen Bezug auf das Marxsche Proletariat blutleer und inhaltsleer. Nur, worin besteht dieses? Und wodurch ist es sich als Klasse verloren gegangen, bzw. hat es sich als Klasse verloren (gegeben)? Um das (vor allem im Zusammenhang mit den beiden Konterrevolutionen der 30er Jahre) zu klären, ist das Studium dieser Texte notwendige Voraussetzung. Und in diesem Zusammenhang ist der Begriff des Monopols bedeutsam. Vergessen wir nicht die ‚anti-monopolistische Demokratie‘, (die von Anfang an zum theoretischen Grundbestand der DKP gehört hat) deren Programmatik heute von der deutschen Bourgeoisie Punkt für Punkt abgearbeitet wird, um Stalins ’sozialistische Warenproduktion‘ doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Ob unter einer rosa-schwarzen oder einer rosa-rot-grünen Koalition, ist eigentlich egal…

Ich freue mich auf eine deftige Diskussion.

[…]

Viele Grüße

Ulrich

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Ulrich Knaudt an P.T. (21.07.2014)

Betreff: Re: BL114 DIE ZWEITE


[…] Übrigens, daß die Zahl der BLogbücher von Jahr zu Jahr immer weniger wird, hängt erstens damit zusammen, daß die Sachverhalte immer komplexer wurden und zweitens damit, daß sich der BLog-Charakter hin zu einem längeren Politaufsatz verschoben hat. Insgesamt vor allem aber damit, daß ich mich fast ganz allein auf weiter Flur wiederfinde und drei mal messen muß, bevor ich einmal abschneide, d.h. eine Entwicklung [, die] von der (als ’solidarisch‘ geforderten) Kritik zur ungeschützten offenen Konfrontation stattgefunden hat.

Viele Grüße …

Ulrich

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Ulrich Knaudt an H.B. (07.08.2014)

Betreff: DEJA VU


Lieber H., schön, daß Du Dich gemeldet hast bei all dem Stress. Ich hatte ja ursprünglich überlegt, daß wir uns anläßlich von D.[ieter]W.[olf]s Vortrag in Berlin hätten treffen können. […] [1] Hast Du was über den Vortrag gehört oder ihn gar gelesen? Das Thema ist bekannt, vermutlich noch mehr Richtung linker Habermas. Ich hab jedenfalls das Papier nicht lesen können. Ich arbeite wieder an KAP III und über das Monopol. Kompliziert wird es bei der Grundrente.

Herzliche Grüße

Ulrich

[1] Dieter Wolf: Zur Architektonik der drei Bände des ‚Kapitals‘. Veranstaltung in der ‚Hellen Panke‘ am 29.08.2014; siehe auch: dieterwolf.net
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Ulrich Knaudt an P.T. (27.08.2014)

Betreff: MUGABE


Ich schicke Dir zwei FAZ-Artikel, die ich zumindest für nachdenkenswert erachte, obwohl sie für Dich wahrscheinlich nix Neues darstellen.

1. Dem Autor über die Bedeutung der Regionen stimme ich zu, wenn auch nicht seinen Patent-Rezepten, nämlich darin, daß dieser Konflikt ziemlich zukunftsträchtig ist. [1]

2. Das Buch der beiden Spanier [2] enthält einige Stereotypen, weist aber laut Rezension auf entscheidende Probleme hin. Letzte Woche besuchte Mugabe China und wurde dort als ‚alter Freund‘ willkommen geheißen. China setzt die alte Dritte-Welt-Politik der SU, nur sehr viel ‚realistischer‘, fort. Dafür brauchen sie keine Revolutionen in der Dritten Welt und keine Befreiungsbewegungen. Im Gegenteil: In Syrien sind sie Teil der von Assad und dem Islamismus betriebenen Konterrevolution. Aber gerade deshalb so ‚erfolgreich‘.

[…] Ich studiere erneut KAP III. Dort finden sich auch interessante Rückblicke auf KAP II. …

Ulrich


[1] FAZ 15.08.2014 Chengang Yu: Chinas Planwirtschaft stößt an ihre Grenzen – Chinas Regionen liefern sich einen erbitterten Wettbewerb um das Wachstum. Denn nur an die Wirtschaftsleistung werden die von der Zentralregierung kontrollierten Kader gemessen. Die Erfolge sind mit schweren Nebenwirkungen erkauft: starke Exportabhängigkeit, Ungleichheit, Korruption, Umweltverschmutzung. Mit dem autoritären System sind diese Probleme nicht zu lösen.
[2] FAZ 18.08.2014 Der Panda ist hungrig – Zwei Spanier übertreiben Chinas „Beutezug“
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Ulrich Knaudt an H.B. (27.08.2014)

Betreff: HELLE PANKE


Lieber H., ich habe mich gefreut, wieder von Dir zu hören. Vielen Dank für den in der Tat sehr interessanten Text. [1] Wie soll ich ihn verstehen? Als ein Beispiel, wie man sich nicht mit dem „Schicksalsjahr 1939“ auseinandersetzen sollte, oder als eine Kritik an BLogbuch 1 2014? Oder beides? Dann wäre ich auf Deine Kritik gespannt!

Viele Grüße

Ulrich

[1] Karl-Heinz Gräfe: So werden Kriege gemacht. Schicksalsjahr 1939: Weg in den Zweiten Weltkrieg, Berlin 2014.

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Ulrich Knaudt an H.B. (01.09.2014)

Betreff: LOUIS BONAPARTE


Lieber H., ich schicke Dir Auszüge aus meinen Exzerpten zu K.[arl]M.[arx]:
Herr Vogt, aus denen deutlich wird, daß sich die Marxsche Position zu Rußland nicht wesentlich von der F.[riedrich]E.[ngels‘] unterschied. Sie sind von verschiedenen Seite an diese heran gegangen und haben sich auf ihrem gemeinsamen Standpunkt getroffen. [1]

Meine Exzerpte verschicke ich sonst eigentlich nicht. Aber Herr Vogt ist so überladen von zeitgenössischen Polemiken, historischen Rückgriffen und Satiren, daß die Wenigsten die Zeit haben, sich mit diesem Text ausführlich zu beschäftigen. (Abgesehen natürlich davon, daß der Inhalt den wenigsten Marxisten schmeckt). Mir kommt es hier ’nur‘ auf bestimmte Statements an, in denen K.M.s Haltung zu Rußland (und zu Deutschland als Nation) überaus klar wird.

Putin bewegt sich heute haargenau in der Tradition der Auswärtigen Politik des russischen Zarentums, was von den Kritikern seines Expansionismus in den meisten Fällen übersehen wird. Und damit gelten all die Aussagen von M.u.E. zu Rußland unmittelbar und konkret für die heutigen Verhältnisse (wobei die Marxisten dabei äußerst schlecht ausschauen).

Putins Politik ist aber schon deshalb nicht mit derjenigen der S[owjet]U[nion] zu vergleichen, weil J.[osef]S.[talin] die SU (auf welchem konterrevolutionären Weg auch immer) zur Welthegemonialmacht aufgebaut hat, was man von Putins Rußland heute nicht sagen kann. Ob die damalige Weltmacht revolutionär oder konterrevolutionär war, interessierte die internationale Bourgeoisie erst in zweiter Linie, Hauptsache, sie bekämpfte Hitler, anstatt sich mit ihm [Hitler] gegen ‚den Westen‘ zu verbünden (was ja zwischen 1939 bis 1941 durchaus der Fall war.) Putin kann heute nur deshalb wie eine Weltmacht gegen den ‚Westen‘ auftreten, weil er China in seinem Rücken weiß, was in Syrien hinreichend klar geworden ist. Diese Versicherung besteht aber nur solange, wie die Widersprüche beider in Asien nicht offen zutage treten. Daher muß sich Putin mit seiner zaristischen Expansionspolitik beeilen, wenn er Europa von Südosten (Syrien) her und aus dem Osten (Ukraine) in die Zange nehmen und dabei seine Geländegewinne vergrößern will… (Zumal die Regierungszeit Obamas sehr bald endet.)

Noch etwas zu diesem Punkt: Recht auf bzw. Freiheit zur Lostrennung. Dir … wird der Unterschied zwischen einem Recht, das jemand besitzt, wahrnimmt, oder nicht hat und der Freiheit, die ihm von jemand anderem gewährt oder verweigert wird, klar sein. Das eine ist ein bürgerlicher, das andere ein feudaler Topos. Der Grundherr, Souverän etc. gewährt Freiheiten, Recht dagegen hat man oder man hat es nicht. Um dieses gibt es (rein theoretisch) Streit ‚auf Augenhöhe‘.

Wie sein Text zur N[ationalen]F[rage] zeigt, schwankt auch J.S. an diesem Punkt. (DEBATTE 1)[2] Das Recht auf Lostrennung wird, [nicht] wie Stalin meint, … verliehen, sondern die Völkerrechtssubjekte haben es, haben es nicht, nehmen es wahr oder es wird ihnen verweigert. Dann erkämpfen sie es politisch, gewaltsam oder friedlich usw.

Das Recht auf Lostrennung können nur bereits (potentiell) vorhandene Nationen für sich reklamieren; es wird aber auch von einzelnen Nationalitäten gefordert, die es laut F.[riedrich]E.[ngels] aber in ihrer tausendjährigen Geschichte bisher nicht geschafft haben, sich als Nation zu konstituieren und zu etablieren. Die Krim ist nie eine Nation gewesen. Ohne russische Besetzung hätte sie vielleicht im 18. Jahrhundert eine werden können. Aber dazu hätten sich die Tataren in der Neuzeit aus ihrem Status als Satrapen der Türkei befreien müssen. Das geschah nicht. Die Krim wurde stattdessen von Katharina II. erobert, nach Rußland eingemeindet und damit ein russisches Gouvernement.

Außerdem haben in diesem Jahr nicht die Tataren, sondern die Russen auf der Krim sich mit Putins Hilfe von der Ukraine ‚losgetrennt‘, wozu sie völkerrechtlich nicht berechtigt waren, da sie [auf der Krim] keine Nation sind. Daß sie Russen sind die andern Völker der Krim haben ohnehin nicht für die Eingemeindung gestimmt gibt ihnen noch lange nicht das Recht, sich von der Ukraine loszutrennen. Oder die Grenzen der Nachkriegszeit müssen, wie unter Hitler in den 30er Jahren, neu gezogen werden. Siehe im letzten BLogbuch die Unterscheidung zwischen Recht auf Lostrennung und ‚Recht auf Separation‘. [3] Letzteres Recht ist eine Putinsche Fiktion und die seiner linken und rechten Freunde…

Soweit erst mal.

Unsere Diskussion hat mir große Freude gemacht. Vielleicht ergibt sich doch noch mal die Gelegenheit, dies ausführlicher und nicht nur mit dem Telefonhörer in der Hand zu tun.

Alles Gute und viele Grüße

Ulrich

[1] parteimarx.org REAKTIONEN 2014 ANHANG 2.
[2] parteimarx.org DEBATTE 1 Die unscharfe Relation Marx/‘Marxismus‘ – Reflexionen über Revolution und Konterrevolution in Deutschland.
[3] parteimarx.org BLogbuch 1 2014 Revolution und Konterrevolution in Europa.

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P.T. an Ulrich Knaudt (02.09.2014)


[…] Über die Afrikapolitik Chinas wird in den entsprechenden akademischen Kreisen viel diskutiert. Die alten Symbole der Solidarität zwischen Drittweltländern, die unter Mao bedient wurden, werden da jetzt wieder aufgewärmt. Mit den realen Verhältnissen hat das aber nicht mehr viel zu tun trotzdem ist es etwas, mit dem sich gerade Sinologen gerne beschäftigen, weil Sie in der Analyse von Propagandatexten mit ihren Sprachkenntnissen brillieren können. Was Chinas Rolle im Nahen Osten angeht, so denke ich nach wie vor, dass es dort direkt so gut wie gar nicht involviert ist. Sicherlich hat man in Zhongnanhai Assad die Daumen gedrückt und auf ein Scheitern des Volksaufstandes gehofft. Jetzt sieht sich aber China, wie alle anderen auch, mit dem IS konfrontiert, der die nicht unerheblichen chinesischen Investitionen im Irak bedroht. Vielleicht wird dies auf Dauer eine aktivere Nahostpolitik Chinas motivieren.

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Ulrich Knaudt an GdS (22.09.2014)


Hallo (ehemaliges) Buchladen-Kollektiv,

im letzten Absatz des Artikels Sieben Millionen… in GdS 3-5/2014 [1] heißt es [abschließend], daß als Vorbereitung zu der darin vorgenommenen Stellungnahme zur »aktuellen Krise [?] in der Ukraine« zunächst das »Hauptgewicht auf die Verbrechen des deutschen Imperialismus in der Ukraine insbesondere in der Zeit des Zweiten Weltkriegs« zu legen war und daß darin »die unverzichtbare Voraussetzung für das Verständnis der Entwicklung der letzten 25 Jahre und der hochaktuellen angespannten [?] Lage in der Ukraine« bestehen soll. Dem stimme ich, was die Methodik betrifft, grundsätzlich zu, wenngleich ich die konkrete Analyse in diesem Artikel für die Zeit des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine für äußerst einseitig halte. Dazu wollte ich mich aber erst äußern, wenn, wie angekündigt, der zweite Teil in der nächsten Ausgabe von GdS hätte erscheinen sollen. Dies ist, wie aus GdS 6-7/2014 hervorgeht, erst mal nicht der Fall gewesen. Daher nur wenige Bemerkungen zu GdS 3-5/14:

Die Analyse der Vorgeschichte der gegenwärtigen Lage in der Ukraine in GdS 3-5/2014 kommt mir so vor, als wäre GdS Teil der Propagandaabteilung der nicht mehr existierenden KPdSU(B), denn
1. läßt sich die Vorgeschichte der heutigen Ukraine nach dem heutigen Erkenntnisstand nicht darstellen ohne Einbeziehung dessen, was die Historiker seit Öffnung der Archive in der ehemaligen S[owjet]U[nioin] seit Anfang der 90er Jahre an historischen Tatsachen zutage gefördert haben und was nach heutiger Erkenntnis die Entscheidung von Teilen der Bevölkerung, Kollaborateure der Nazis zu werden, zumindest verständlicher, wenn auch nicht verzeihlich machen würde. Wir Kommunisten sind nicht das Weltgericht, sondern bekanntlich machen die Menschen (also auch wir) ihre eigene Geschichte, wenn auch nicht aus freien Stücken…

2. sollte unsere ‚Erzählung‘ über den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine über diejenige der heutigen Historiker darin hinausgehen, daß sie sich von der Vorgehensweise der Marxschen Analyse der Klassenkämpfe leiten läßt. Dazu gehört bei der Untersuchung der Vorgeschichte des Einmarsches der Nazis in die ‚bloodlands‘ [2], auch Stalins Krieg gegen die unterdrückten Nationen der S[owjet]U[nion] im allgemeinen und gegen ‚die Bauern‘, hier der Ukraine, ‚als Klasse‘ im besonderen. Ich hoffe, daß in der nächsten Stellungnahme von GdS zur Analyse der Lage in der Ukraine nicht, wie von Frank Brendle in jW vom 06./07.09., der Anfang der 30er Jahre dort stattgefundene Holodomor zu einem »Mythos« erklärt wird. [3] In dem von Stalin und seinem ZK gewaltsam provozierten Hungertod von Hunderttausenden ukrainischer Bauern verschränken sich in nie gewesener Weise die ‚Nationale Frage‘ mit der ‚Bauernfrage‘, durch deren ‚Lösung‘ das Ende des Sozialismus früher oder später zwangsläufig hat eintreten müssen. (Gegen uns Kommunisten ist die Geschichte unerbittlich und gerecht darin, uns auch den geringsten Fehler nicht zu verzeihen.)

Der russische Ökonom und Trotzki-Anhänger Preobraženskij (siehe: DEBATTE 3 [Vortrag], 8f.) [4] war sich mit Stalin in der pauschalen Charakterisierung des kollektiven reaktionären Charakters der Bauern der SU einig und so auch darin, diese für die ursprüngliche Akkumulation im Sozialismus zum Aufbau der Schwerindustrie heranzuziehen und sie generell dafür zahlen zu lassen. Nicht nur wie üblich in bar oder in Naturalien (Getreideernte), sondern kollektiv mit ihrem Leben, seitdem den ukrainischen Bauern Ende der 20er Jahre durch das Aufspüren auch der allerletzten Getreidereserven von der Sowjetmacht die Existenzgrundlage systematisch entzogen worden war. Stalins Krieg gegen die ukrainischen ‚Bauern als Klasse‘ findet in Hitlers Krieg gegen ‚den slawischen Bauern als Rasse‘ seine spiegelbildliche Entsprechung; letzterer geht allerdings mit der Massenvernichtung der osteuropäischen jüdischen Bevölkerung, dem Kommissarbefehl u.a.m. noch um einiges darüber hinaus. Das aber macht Stalins Krieg gegen die Bauern und nationalen Minderheiten um keinen Deut besser. Wenn ein nicht geringer Teil der ukrainischen Bevölkerung sich daher seit Anfang der 30er Jahre (spätestens aber seit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939) endgültig von zwei Seiten in die Zange genommen sah, war es häufig allein dem Zufall überlassen, für welche Seite sie sich entschied oder zu wessen Gunsten sie die Seiten wechselte. Daher halte ich die pauschale Verurteilung der Ukrainer, die sich zwischen Hitlers Rassenkrieg und Stalins Holodomor nicht für Stalin entscheiden konnten und wollten, für selbstgerecht, unhistorisch und Wasser auf die Mühlen der Propaganda Putins und der Putinschen Linken. Selbst die Nazis konnten sich ihrer ukrainischen Kollaborateure nicht sicher sein und ließen z.B. Bandera in Sachsenhausen eine Art KZ-Ehren-Haft angedeihen. (Diese ganze Verquickung von Hitlers Rassenkrieg und Stalins ‚Klassenkrieg‘ sehr gut zusammengefaßt in: Timothy Snyder, Bloodlands.).

3. Damit sind wir an dem entscheidenden Punkt der Vorgeschichte des Rassen- und des ‚Klassenkriegs‘ gegen die ukrainischen Bauern angelangt: der Verschränkung zweier Konterrevolutionen, d.h. der institutionellen Konterrevolution Stalins und der präventiven Konterrevolution Hitlers, die sich beide in den ‚bloodlands‘ miteinander im Clinch liegend dort gegen die ukrainische Bevölkerung ausgetobt haben. Nur vor diesem klassenanalytischen Hintergrund ist die Propaganda für die neo-zaristische Politik Putins (in den von der Regierung beherrschten russischen Medien) gegen die Ukraine zu verstehen, wovon ein Widerschein auf die politischen Verhältnisse und die Öffentliche Meinung in Deutschland fällt. Weil die neu-deutsche (sollte man besser sagen: post-68er?) Bourgeoisie unter allen Umständen vermeiden möchte, immer noch mit dem Hitlerschen Rassenkrieg in Verbindung gebracht zu werden, macht sie der Putinschen Aggression gegen die Ukraine ein Zugeständnis nach dem nächsten, nicht zuletzt weil in Rußland viel deutsches Kapital steckt, das nicht von heut‘ auf morgen abgezogen werden soll und kann: Metro, Tönnies (= Schalke = Gazprom), BASF (= Wintershall) und wie sie alle heißen. Merkel ist es mit Hilfe ihrer Bismarckschen Gleichgewichtspolitik gelungen, diese divergierenden Tendenzen bisher unter einen Hut zu bringen; sie wird sich aber mit der zu erwartenden zunehmenden Aggressivität des stark angeschlagenen Putin-Regimes schließlich für eine Seite stärker ins Zeug legen müssen, was zwangsläufig eine Spaltung der Bourgeoisie hervorrufen würde, wofür die Vertreter der Appeasementpolitik: Cordes (= Ostausschuß der Deutschen Wirtschaft = Metro), linke SPD, linke CDU (Willy Wimmer in: jW vom 13./14.09.) [5], AfD, Die Linke u.v.a.m. bereits politisch die Trommel rühren. Damit entstünde aus Putin-Linker und Teilen der AfD (siehe die Linken Wechselwähler in Brandenburg) eine Bürgerkriegspartei mit der Perspektive, den bürgerlichen Staat zu übernehmen und hier eine Art Putinschen Bonapartismus zu installieren. (Dessen Vorboten wurden in BLogbuch 1 2014 anhand einiger Symptome analysiert). [6] Dieser Bonapartismus steht und fällt aber mit Rußlands Ausdehnung nach Westeuropa, die nicht ohne die Rückendeckung Chinas auskommen wird, was sich an beider gemeinsamen Syrien-Politik in der UNO gezeigt hat. Das nachzuvollziehen, erforderte eine eigene Untersuchung. (Dazu vielleicht mehr im nächsten BLogbuch) Soviel zur Ukraine einst und jetzt.

Sehr gut fand ich den Hinweis auf die engen Beziehungen des Putinismus zu den russischen Neonazis. [7] Wenn das der deutschen Linken zur Neubestimmung ihres Verhältnisses zu Putin immer noch nicht reicht, dann besagt das einiges über ihre Qualität als potentieller Bürgerkriegspartei. Leider steht dieser Hinweis auf die russischen Nazis in GdS ziemlich für sich alleine da, obwohl der großrussische Chauvinismus solcher Leute wie Schirinowski oder der russischen KP (Sjuganow) dem offenen Rassismus dieser Gruppen in nichts nachsteht und diesem politisch den Boden bereitet hat. Für alles zusammen bildet das eurasische Projekt des Putin-Beraters Dugin die völkische Basis, das sich ja keineswegs nur auf eine eurasische Wirtschaftsgemeinschaft beschränkt, sondern tief im politisch weißen Großrussentum verankert ist.

Ich bin daher gespannt auf den Teil 2 der Stellungnahme von GdS zur Analyse der Lage in der Ukraine.

Mit solidarischen Grüßen

Ulrich Knaudt

[1] Gegen die Strömung 3-5/2014 Teil I der Stellungnahme zur Analyse der Lage in der Ukraine. Deutscher Imperialismus, Hände weg von der Ukraine! Sieben Millionen von den Nazis ermordeten Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine klagen noch heute an.

[2] Siehe den gleichlautenden Titel des Buches von Timothy Snyder: Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, London 2010.

[3] junge Welt 06.09.2014 [Beilage] Frank Brendle: Krieg der Erinnerung Nationalistische Geschichtsdeutungen in der Ukraine spalten das Land. »Ukrainische Nationalisten – weit über die rechtsextreme „Swoboda“-Partei hinaus – haben zwei große geschichtspolitische Themen: Die Rehabilitierung der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) und und ihres Anführers Stepan Bandera und die Deutung des sogenannten Holodomor, der großen Hungersnot von 1932/33, als sowjetischen Genozid am ukrainischen Volk. [Überschrift: Mythos Holodomor] Seriöse Historiker gehen davon aus, daß die sowjetische Führung die Naturkatastrophe durch überhöhte Getreideabgaben und Abriegelung der Hungergebiete künstlich verschärft hat. Die Geschichtswissenschaftler schätzen die Opferzahlen auf drei bis vier Millionen Menschen. Obwohl der Hunger auch in anderen Teilen der Sowjetunion grassierte, legte das Parlament in Kiew 2006 gesetzlich fest, der Hunger sei ein absichtsvoller Völkermord an den Ukrainern gewesen.«
[4] parteimarx.org Das Wertgesetz und der Sozialismus im 20. Jahrhundert – Seine Auswirkungen auf die gesellschaftliche Praxis in der frühen UdSSR und deren Rückwirkung auf die heutigen Debatten.
[5] junge Welt 13.09.2014 [Beilage] Gespräch mit Willy Wimmer: „Es gibt ein Nato-Netzwerk in den deutschen Medien“ Über die geopolitischen Interessen der USA in Europa, über Helmut Kohl und den Angriff auf die parlamentarische Demokratie.
[6] parteimarx.org BLogbuch 1 2014: Revolution und Konterrevolution in Europa.
[7] Gegen die Strömung 3-5/2014 Putins Heuchelei entlarven – Ein Prüfstein.

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F.W. an mail@parteimarx.org (14.10.2014)

Betreff: the working class has its own foreign policy


hallo genosse,

ich bin vor kurzem auf deine website aufmerksam geworden und habe einige deiner beiträge mit großem

interesse gelesen.

vielleicht wird dich dieser text hier interessieren, der zumindest versucht, „den zusammenhang von

klassenkampf und internationaler politik“, von dem du in deinem text „kein schritt vorwärts ohne zwei

schritte zurück“ geschrieben hast, anzugehen:

http://weltcoup.wordpress.com/2014/10/11/anleitung-zum-kampf/

mit kommunistischen grüßen,

f.
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Ulrich Knaudt an F.W. (21.10.2014)


Lieber F. W.,

über Deine Zuschrift und Dein anhängendes Paper [1] habe ich mich sehr gefreut: erstens, weil solche Zuschriften selten vorkommen, zweitens aber, weil wir, wie aus Seite 6 Deines Textes ersichtlich, offenbar die gleichen Vorlieben für dieselben Marxschen Textstellen haben. Das betrifft neben den Schlußsätzen aus der Inauguraladresse [2] und Marxens Formulierung, daß »die working class its own foreign policy« [3] habe, die ‚Partei Marx‘, zu der es von Marx kaum explizite Aussagen gibt, da es ihm darauf ankam, die ‚Partei Marx‘ praktisch wahr werden zu lassen und er wenig Lust verspürte, wie ihm u.a. die preußische Geheimpolizei im Kölner Kommunistenprozeß unterstellte, weder von ihr noch von der internationalen Arbeiterklasse zum ‚Arbeiterdiktator‘ gekürt zu werden. [4] Heute käme es aber darauf an, unsere Parteinahme für den Kommunismus des Manifests [der kommunistischen Partei] aus der Sackgasse, in die er von den Nachfolgern Lenins gefahren wurde, herauszuholen und den engen Parteibegriff der Bolschewiki zu überwinden, ohne jedoch den revolutionären Charakter ihres ursprünglichen Versuchs, den Marxschen Kommunismus zu verwirklichen, preiszugeben. Dazu wurde das Projekt partei Marx gestartet. [5]

Auch ergeben sich viele Gemeinsamkeiten zu der politischen Tendenz Deines Papiers, so z.B., wenn Du auf Seite 5 resümierst: »Der Kommunismus ist modernistisch oder er ist nicht. Der politische Hauptfeind ist und bleibt deshalb der regressive Antikapitalismus, der sich als Nachhutkämpfer der vorbürgerlichen Klassengesellschaft geriert und eine Rückkehr zu gemeinschaftlichen Formen auf völkischer und religiöser Grundlage propagiert, was auf den selbstmörderischen Versuch hinausläuft, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.« Das ist eine klassenanalytische Definition des Faschismus, wie sie bei den heutigen Antifaschisten nicht vorzufinden ist, deren Anti-Faschismus lediglich auf Demokratieverlust hinausläuft. Die Frage aber, ob der Kapitalismus überhaupt einen Normalzustand kennt bzw. erreichen kann, läuft darauf hinaus, der Verrücktheit der ökonomischen Formen, die Marx in der Wertformanalyse und den Kapiteln über das zinstragende Kapital entlarvt, zum Normalzustand zu erklären und den Patienten als geheilt zu entlassen. Sind der Faschismus und der Ausnahmezustand nicht viel eher Ausdruck dieser verrückten Normalität, die letztlich nur im Klassenkampf überwunden werden kann? [6] Dazu wären die »own foreign policy« der »working class« und, nicht zu vergessen, deren politische Ökonomie, erforderlich. Sonst bleibt das Proletariat des Manifests ein höchst sinnloses Abstraktum.

Aus der Datierung der ins Archiv von anleitung-zum-kampf einzustellenden Texte schließe ich, daß es sich um ein noch junges ‚Unternehmen‘ handelt, das, so ist zu hoffen, erfolgreich fortgesetzt werden wird.

In der Oktoberrevolution (OR) ist zutage getreten, daß das internationale Proletariat bisher vor allem mit drei Hinterlassenschaften des Ancien Régime der Feudalgesellschaft zu tun hatte, von deren Beseitigung der Fortgang der OR abhing: der Nationalen Frage (NF), der Bauernfrage (BF) und der Judenfrage (JF). Hitler war es angesichts der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren und in der vorrevolutionären Situation der 20er Jahre gelungen, aus diesen drei, in der Programmatik und Politik der KP so gut wie nicht vorkommenden, ungelösten Fragen eine demagogische Synthese zurecht zu zimmern, mit deren gewaltsamer Lösung das deutsche Volk aus dem Albtraum von Versailles zu seiner nationalen Zukunft erweckt werden sollte. Dem hatten die Kommunisten außer der sie selbst isolierenden Gegengewalt politisch nicht viel entgegenzusetzen.

Die Bolschewiki haben, was die BF betrifft, den Fehler gemacht, Marxens Position zu den französischen Bauern bruchlos auf Rußland zu übertragen. Dabei stammt diese Überlegung nicht einmal von Marx selbst, wie aus den von Dir zitierten Briefentwürfen an Vera Sassulitsch hervorgeht, sondern er betrachtete die russische Dorfgemeinde als Keimform des Kommunismus in Rußland, allerdings nur für den Fall, daß dort überhaupt eine Revolution stattfand. (Siehe dazu DEBATTE 4 und 5) Als dieser Fall dann auch eintrat, stützten sich die Bolschewiki fatalerweise auf die Marxschen Aussagen zu den französischen (die er in Der Bürgerkrieg in Frankreich selbst wiederum differenziert hat) und nicht zu den russischen Bauern. Die Folgen dieses Mißverständnisses waren katastrophal. [7]

Was die NF betrifft, so hat Lenin gegen Luxemburg und später gegen Stalin das ‚Recht auf Lostrennung‘ der unterdrückten Nationen des Russischen Imperiums mit aller Kraft verteidigt, mußte sich aber zum Schluß dem linken Sozialimperialismus Stalins und seiner Fraktion in der KPdSU geschlagen geben. Abgesehen davon war in den Endlosdebatten der Bolschewiki niemals der Gedanke aufgekommen, daß und wie die BF mit der NF zusammenhing, was z.B. im Krieg gegen die nationalistische ukrainische Rada deutlich wurde, in dem die Bolschewiki gezwungen waren, das Land der russischen Großgrundbesitzer gegen die ukrainischen reaktionären Kleinbürger der Kiewer Regierung zu verteidigen, anstatt gemeinsam mit der Dorfgemeinde und den Arbeitern gegen die von den Deutschen gekaufte ukrainische (Klein-)Bourgeoisie den Klassenkrieg zu führen. Dementsprechend verlief dann auch der Bürgerkrieg in der Ukraine mit den bis zum heutigen Tag zu verspürenden Nachwirkungen.

Auch was die JF betrifft, halte ich mich an Marx, der am Schluß von Zur Judenfrage schreibt: daß die Entfaltung von religiösen Gemeinschaften und Sekten in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern, wie den USA, letzten Endes nur dadurch überflüssig gemacht werden kann, daß die gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen das religiöse Sektierertum entsteht, aufgehoben werden und nicht, wie Bruno Bauer meinte, die Juden erst ihrem Judentum abschwören und Demokraten werden müssen, bevor sie in die bürgerliche Gesellschaft eintreten dürfen. [8] Das hielt Marx für eine reaktionäre Scheinlösung, was ihm bis heute viele Feinde unter Philo- wie Anti-Semiten geschaffen hat, denen das Verdikt vom jüdischen Selbsthaß leicht über die Lippen geht.

Was aber auch nicht sehr verwunderlich ist, denn die Pointe in der von Marx vorgeschlagene Aufhebung des religiösen (und ethnischen) Sektierertums betrifft heute auch den Staat Israel, wo die kapitalistische Produktionsweise tagtäglich dafür die Voraussetzungen schafft. Aber da es sich gleichzeitig um einen als koloniales Projekt gegründeten und per Selbstdefinition (eine Konstitution hat dieser genauso wenig wie Deutschland, sondern nur ein Grundgesetz) jüdischen Staat handelt, würde die Abschaffung des jüdischen Sektierertums durch die Aufhebung seiner kapitalistischen Voraussetzungen zugleich die Abschaffung dieses Staates bedeuten. Daraus ergibt sich das fatale Fehlurteil, siehe zuletzt die Buchvorstellung des neuen Buches von Stephan Grigat, [9] daß die Forderung nach einer internationalen Verurteilung der völkerrechtswidrigen Politik des Staates Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt wird. Diesem Verdikt können die westlichen Kritiker am Vorgehen der israelischen Regierung, so Grigat, nur entgehen, wenn sie deren Handlungsweise in toto gutheißen. Den diesem Fehlschluß zugrunde liegenden Widerspruch benutzen wiederum die Islamisten und die antiamerikanische Linke dazu, um die Existenz des Staates Israel, bereits vor der Aufhebung der gesellschaftlichen Voraussetzungen seines Sektierertums zu liquidieren. Aber gerade weil die Islamisten dasselbe mit allen anderen religiösen und ethnischen Minderheiten im Nahen Osten vorhaben oder bereits betreiben, ist dieser Staat Israel heute notwendig, um den Islamismus zu beseitigen und nicht etwa (wie die internationale Linke meint), aufzuheben.

Die Liquidierung des Staates Israel zu verhindern, obwohl es sich um ein koloniales Projekt handelt und die Aufhebung seines nationalen und religiösen Sektierertums voranzutreiben, sind zwei Paar Schuhe. Aus der von Dir zitierten Britischen Herrschaft in Indien wird abgesehen von dem berühmten Nektar-Zitat deutlich, [10] daß Marx im Gegensatz zu seinen heutigen linken Gegnern die Zweischneidigkeit der westlichen Kolonialherrschaft betont, von der bis zu einem gewissen Grad der ganze urwüchsige Atavismus der indischen Gesellschaft verschwinden wird und von der ausgehend die revolutionären Klassen das reaktionäre Gebäude schließlich zum Einsturz bringen werden (die dünne bürgerliche Oberschicht hat es bis heute geschafft, diesen Zeitpunkt auf den St. Nimmerleinstag hinauszuzögern).

Ähnlich sind auch die sog. Farbigen Revolutionen in den arabischen Ländern und in den Staaten des ehemaligen ‚Sozialistischen Lagers‘ außerhalb der EU (und nun auch in Hongkong) eine Reaktion der kleinbürgerlichen Massen (die trotz ihrer westlichen Ausbildung keine Chance haben, einen Job zu bekommen – denn dazu müßte der Kapitalismus in diesen Ländern ein ‚Wachstumsmodell‘ für den Weltmarkt haben) auf den Rückzug der einstigen Weltmacht Sowjetunion aus der sog. Dritten Welt, wozu die wichtigsten Arabischen Länder gehörten. Denken wir nur daran, daß Ägypten und Syrien in den 60er Jahren eine arabisch-sozialistische Konföderation bilden wollten, daß die Baath-Partei (Sozialistische Partei der arabischen Erweckung) in Syrien und dem Irak gleichzeitig und zeitweise gemeinsam an der Regierung waren. Dies alles ist spätestens mit dem, was die Linke als ‚Epochenbruch‘ bezeichnet, d.h. mit dem Zusammenbruch der SU, den Bach runter gegangen… Und eben die Folgen dieses ‚Epochenbruchs‘ sind heute Inhalt des linken Revisionismus (nicht mehr als Revision der Marxistischen Theorie usw., sondern als Politik der Rückgängigmachung dieses unvermeidlichen und heilsamen ‚Epochenbruchs‘!)

Die Linke erweist sich damit als nicht weniger revisionistisch wie die Islamisten! Beide wollen „das Rad der Geschichte zurückdrehen“. Die einen bis ins 7. Jahrhundert, die andern in die Zeit der 60er, 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, da die SU als Zweiter Sieger über den Hitler-Faschismus Weltmacht Nummer Zwei geworden war. Daher sehen sie heute großzügig über die Menschheitsverbrechen des Assad-Regimes hinweg (BLogbuch 1-2014) [11] und daher sind sie wie schon Rosa Luxemburg der Ansicht, daß die Ukraine als Staat noch nie existiert hat. [12] Womit sie wortwörtlich Putins panslawistische Propaganda nachkäuen, worin er sich das Recht rausnimmt, was er von den alten Zaren gelernt hat, sich von der Ukraine ein Stück nach dem anderen abzubrechen, um sie am Ende ganz zu verspeisen… Ich lasse es einmal dabei bewenden, weil ich vielleicht auch dem nächsten BLogbuch vorgreife.

Ich denke, das Wichtigste wurde gesagt und hoffe auf eine weiterhin fruchtbare Diskussion, in der sich, was hier nur angerissen wurde, die obigen drei Fragen noch ausführlicher erläutern lassen.

Mit solidarischen Grüßen

Ulrich Knaudt

[1] http://weltcoup.wordpress.com/2014/10/11/anleitung-zum-kampf/ Anleitung zum Kampf – the working class has its own policy.
[2]
Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation MEW 16 (5-13),13: »Der schamlose Beifall, die Scheinsympathie oder idiotische Gleichgültigkeit, womit die höheren Klassen Europas dem Meuchelmord des heroischen Polen und der Erbeutung der Bergveste des Kaukasus durch Rußland zusahen; die ungeheueren und ohne Widerstand erlaubten Übergriffe dieser barbarischen Macht, deren Kopf zu St. Petersburg und deren Hand in jedem Kabinett von Europa, haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen. Der Kampf für solch eine auswärtige Politik ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«
[3] Siehe
Karl Marx an Friedrich Engels am 25.02.1865 MEW 31 (83-86), 86; bzw. parteimarx.org STREITPUNKT DEBATTE 1 Die unscharfe Relation Marx/’Marxismus’, Fn. 7.
[4] Siehe parteimarx.org
KRITIK 1 ANHANG 3.
[5] Siehe parteimarx.org
KRITIK 1 ANHANG 2.
[6] Siehe parteimarx.org
DAS KAPITAL DEBATTE 1.
[7]
Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation 3Berlin 1891, MEW 17 (319-362). Wer sich die Mühe macht, seine MARX-DvD unter dem Stichwort Bauern zu starten, wird erstaunliche Entdeckungen machen, u.a. die, daß es Louis Bonaparte zwar mit den simpelsten Tricks gelungen war, 1848 die Masse der Bauern als Wähler zu gewinnen, daß es ihm aber je länger er an der Macht bleib, um so weniger gelang, sie bei der Stange zu halten. Hier eines von vielen Beispielen auf S. 344,345 heißt es: »Die Kommune hatte vollständig recht, als sie den Bauern zurief: „Unser Sieg ist eure Hoffnung!“ Von allen Lügen, die in Versailles ausgeheckt und von den ruhmvollen europäischen Preßzuaven weiterposaunt wurden, war eine der ungeheuerlichsten die, daß die Krautjunker der Nationalversammlung die Vertreter der französischen Bauern seien.« Die Commune hätte dem Bauern die Blutsteuer abgenommen, eine wohlfeile Regierung geschaffen und seine Blutsauger (Notar, Anwalt, Gerichtsvollzieher u.a.) in von ihm gewählte und besoldete, ihm verantwortliche Beamte verwandelt, sie hätte ihn von den Flurschützen, Gendarmen, Präfekten befreit und die auf Verdummung aus seienden Pfaffen durch der Aufklärung verpflichtete Lehrer ersetzt. Da der Bauer jemand ist, der rechnet, hätte er es akzeptiert, wenn die Pfaffen, statt von den Steuereinnehmern vom Frömmigkeitsbetrieb der Gemeinden abhängig gewesen wären. »Dies waren die großen unmittelbaren Wohltaten, die die Herrschaft der Kommune und sie nur den französischen Bauern in Aussicht stellte. Es ist daher ganz überflüssig, hier näher einzugehn auf die verwickelteren wirklichen Lebensfragen, die die Kommune allein fähig und gleichzeitig gezwungen war, zugunsten des Bauern zu lösen die Hypothekenschuld, die wie ein Alp auf seiner Parzelle lastete, das ländliche Proletariat, das täglich auf ihr heranwuchs, und seine eigne Enteignung von dieser Parzelle, die mit stets wachsender Geschwindigkeit durch die Entwicklung der modernen Ackerbauwirtschaft und die Konkurrenz des kapitalistischen Bodenbaus sich durchsetzte.«
[8]
Karl Marx: Zur Judenfrage MEW 1 (347-377), 354: »Der [Wahl-]Zensus ist die letzte politische Form, das Privateigentum anzuerkennen. Dennoch ist mit der politischen Annulation des Privateigentums das Privateigentum nicht nur nicht aufgehoben, sondern sogar vorausgesetzt.« usw.
[9] cafe.critique@gms.de 17.09.2014
Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke & die iranische Bedrohung, Hamburg 2014: Konkret Texte, Band 64, 184 Seiten, 19,- Euro.

[10] Siehe [1] und Karl Marx: Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien MEW 9 (220-226), 226: »Britische Industrie und bürgerlicher Handel schaffen diese materiellen Bedingungen einer neuen Welt in der gleichen Weise, wie geologische Revolutionen die Oberfläche der Erde geschaffen haben. Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte gemeistert und sie der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.«
[11] parteimarx.org
BLogbuch 1 2014: Revolution und Konterrevolution in Europa.
[12] Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution GW 4 (332-365), 351: »Die realen Klassengegensätze und die militärischen Machtverhältnisse haben die Intervention Deutschlands herbeigefürht. Aber die Bolschewiki haben die Ideologie geliefert, die diesen Feldzug der Konterrevolution maskiert hat, die haben die Position der Bourgeoisie gestärkt und die der Proletarier geschwächt. Der beste Beweis ist die Ukraine, die eine fatale Rolle in den Geschicken der russischen Revolution spielen sollte. Der ukrainische Nationalismus war in Rußland ganz anders als etwa der tschechische, polnische oder finnische, nichts als eine einfache Schrulle, eine Fatzkerei von eine paar Dutzend kleinbürgerlichen Intelligenzlern, ohne die geringsten Wurzeln in den wirtschaftlichen, politischen oder geistigen Verhältnissen des Landes, ohne jegliche historische Tradition, da die Ukraine niemals eine Nation oder einen Staat gebildet hatte, ohne irgendeine nationale Kultur, außer den reaktionär-romantischen Gedichten Schewtschenkos….« usw.
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F.W. an mail@parteimarx.org (24.10.2014)

Betreff: Aw: Fwd: Re: the working class has its own foreign policy


hallo ulrich knaudt,

nochmal vielen dank für deinen text! Angesichts … ist mein zeitfont gerade

sehr begrenzt. ich bitte deshalb wegen meiner antwort um ein bisschen geduld. bis nächste woche will ich

aber etwas schreiben.

beste grüße,

f.w.
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Ulrich Knaudt an F.W. (24.10.2014)

Betreff: Re: Fwd: Re: the working class has its own foreign policy.


Hallo F. W., die Revolutionen sind die Lokomotiven des Weltgeschichte, aber sie fahren ja nicht ständig unter Volldampf. Manchmal streiken sogar die Lokführer. Kein Stress!

Viele Grüße

Ulrich Knaudt

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Ulrich Knaudt an H.B. (31.10.2014)


Lieber H., Ende August bekam [ich] von Dir die Empfehlung zur Lektüre von „So werden Kriege gemacht“. [1] Ich hatte von demselben Autor zum selben Thema etwas im ND gelesen und habe mir, obwohl ich seine Ausführungen als äußerst unbefriedigend empfand, die gleichlautende

Broschüre besorgt.

Ich hoffe, es sind keine ernstzunehmende Hindernisse, die für die relativ lange Unterbrechung unserer Diskussion verantwortlich sind. Ich würde mich freuen, mal wieder von Dir zu hören. …

Viele Grüße

Ulrich

[1] Siehe Ulrich Knaudt an H.B. (27.08.2014) [1].


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F.W. an mail@parteimarx.org (02.11.2014)

Betreff: Aw: Fwd: Re: the working class has its own foreign policy


Hallo Ulrich Knaudt,

vielen Dank nochmal für deine Replik auf meinen Text! Ich habe jetzt endlich Zeit gefunden, eine kurze Antwort zu schreiben. Mit den meisten deiner Punkte bin ich einverstanden. Auch die Einschätzung, dass der Faschismus Ausdruck der „verrückten Normalität“ der ökonomischen Formen der kapitalistischen Produktionsweise ist, die nur durch den Klassenkampf aufgehoben werden können, teile ich. Auf Grundlage dieser allgemeinen Bestimmung, die Faschismus und bürgerliche Demokratie als Basis gemeinsam haben, wollte ich in dem Text aber auch die Besonderheit des Faschismus gegen seine ökonomistische abstrakte Gleichsetzung mit den Verhältnissen der bürgerlichen Demokratie betonen oder eher antippen, ohne sie zugegebenermaßen ausgeführt zu haben. Diese Besonderheit besteht meines Erachtens darin, dass der Faschismus Sohn-Rethels Darstellung in „Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus“ zufolge – nach der Zertrümmerung der Klassenkampforgane des Proletariats mit terroristischen Herrschaftsmitteln wieder voll die absolute Mehrwertproduktion in Gang setzt. Das ist etwas missverständlich ausgedrückt, denn nach Marx löst die relative Produktion des Mehrwerts nicht die absolute ab (als wären das zwei voneinander getrennte historische Stadien), sondern die reale Mehrwertproduktion wird mit der reellen Subsumtion der Arbeit unters Kapital dominant über die absolute, was für Marx ein erheblicher Vergesellschaftungsfortschritt ist. Dieses Verhältnis wird unter der faschistischen Herrschaft wieder umgekehrt, was für den Klassenkampf hinsichtlich seiner ökonomischen und politischen Bedingungen schwer ins Gewicht fällt. Die ihrer Koalitionen entledigte, sozusagen nackt und zersplittert dastehende Arbeiterklasse konnte dann mithilfe des demagogischen antisemitischen Antikapitalismus weitgehend ins Korsett der Volksgemeinschaft eingeschnürt werden.

Auch mit deiner Erklärung der Notwendigkeit Israels bin ich einverstanden. Zweifel habe ich aber daran, dass Israel ein koloniales Projekt sein soll. Die zionistischen Siedler waren größtenteils selbst verarmte Proletarisierte aus Europa, die es meines Wissens nach niemals angestrebt haben, als Kompradorenbourgeosie über der arbeitenden arabischen Bevölkerung zu thronen. Das Ziel des Zionismus ist bekanntlich, eine eigenständige nationale jüdische Gesellschaft zu errichten, die selbst von Klassengegensätzen zerrissen sein muss, wie es ja heute in Israel auch der Fall ist. Außerdem gab es bis zum Krieg von 1948 keine illegalen Landokkupationen, sondern nur Landkäufe, und die jüdischen Händler und Unternehmer mussten mit den arabischen unter gleichen Marktbedingungen konkurrieren. Für mich sieht das nicht nach einem kolonialen Verhältnis zwischen einem „Bourgeoisievolk“ und einem „Bauernvolk“ aus, aber ich lasse mich da auch gerne eines Besseren belehren. Jedenfalls wird das alles nichts daran ändern, dass Israel im Nahen Osten als einzige wirklich moderne bürgerliche Gesellschaft und Träger der zivilisatorischen Mission des Kapitals eine objektiv progressive Rolle spielt.

Deine Kritik an Grigats „bedingungsloser Solidarität“ mit Israel (Kants a priori geltender kategorischerImperativ lässt grüßen!) kann ich auch nachvollziehen. Allerdings haben wir genauso wenig Grund, uns der „internationalen Verurteilung der völkerrechtswidrigen Politik des Staates Israels“ anzuschließen, denn diese zielt letzten Endes fast immer auf die Entwaffnung und Auslieferung Israels an seine Feinde. Damit wird Israel das ius ad bellum abgesprochen, was aber nach Marx gerade den Kern des Völkerrechts ausmacht: „Die Grundlage alles Völkerrechts aber ist überhaupt, daß jedes Mitglied der kriegführenden Partei von der Gegenpartei als ‚kriegführend‘ betrachtet und behandelt werden darf.“ (MEW 15, S. 412) [1] Diese Bestimmung widerspricht im Wesentlichen der heutigen linken Vorstellung vom Völkerrecht als internationalem Äquivalent zu den Rechtsverhältnissen in einem Nationalstaat. Hinter dem Recht in einem Staat steht immer ein staatlicher Souverän, der ihre allgemeine Durchsetzung kraft seines Gewaltmonopols garantiert und bei gewaltsamen Übergriffen zwischen den Privatpersonen befriedend einschreitet. Auf internationaler Stufe, auf der Ebene des Weltmarkts ist das aber nicht der Fall, da die Repulsion der miteinander konkurrierenden nationalen Gesamtkapitale die Herstellung eines „Weltsouveräns“ als fiktivem Garanten des Völkerrechts verhindert. Das Völkerrecht ist deshalb de facto immer nur das, was die bürgerlichen Staaten zulassen, und nicht, wie die linke „Rechtsillusion“ glaubt, ein ewig und universal geltendes (Natur-)Recht, das für die Staaten in der Art und Weise wie für Individuen gelten müsse. Das Ende vom Lied ist dann, dass gegen Israels „übergriffige“ Verteidigungskriege im Namen eines pazifistisch gemodelten Völkerrechts seine Entwaffnung gefordert wird, was in letzter Konsequenz auf seine Preisgabe zur Zerschlagung durch die Islamisten hinausläuft. Da ansonsten kein anderer Staat, sei er auch noch so menschenfeindlich und barbarisch, mit solchen Zumutungen traktiert wird, ist Israel wahrlich der Jude unter den Staaten und das Bündnis der Linken mit den Islamisten (sowie den Nazis) die Heilige Allianz unserer Zeit. Das ändert aber nichts daran, dass wir die Durchsetzung und Einhaltung des Völkerrechts einfordern müssen, ohne aber die bürgerliche Rechtsillusion zu bedienen, damit sich das Weltproletariat nicht in seine nationalen Abteilungen durch die nationalen Egoismen der Bourgeoisie spalten und gegeneinander ausspielen lässt. Das heißt natürlich auch, das ius in bello von Israel einzufordern und seine Nichteinhaltung zu kritisieren – aber nicht, wie die linken Antizionisten, auf Kosten von Israels Recht auf Selbstverteidigung und seiner Existenz.

Mit besten Grüßen aus Leipzig,

F.W.
[1] Karl Marx: Streit um die Affäre „Trent“ MEW 15 (409-413).

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Ulrich Knaudt an H.B. (03.11.2014)

Betreff: DER ROTE OKTOBER


Lieber H., ich schicke Dir einen Aufsatz aus dem ND zur O[KTOBER]R[EVOLUTION], der Dir wahrscheinlich in vielem bekannt vorkommen wird. [1] Mich jedenfalls erinnerte einiges [darin] an die pM (Ich kann mich ja täuschen). Die DEBATTEN in der Marx-Gesellschaft durch eine Milchglasscheibe betrachtet? Bin gespannt, ob Du einen ähnlichen Eindruck haben wirst.

Als Illustration meiner These von der Konvergenz des linken und rechten Putinismus in Deutschland empfehle ich die November-Nr. von COMPACT Magazin für Souveränität. Der Untertitel sagt alles. Die Verteidigung der (nationalen, staatlichen?) Souveränität richtet sich ausschließlich gegen die USA […] Ich habe bisher auch nur das Editorial von Elsässer gelesen. Ein interessanter Autor: einst bei konkret einer der schärfsten Anti-Deutschen, wurde aus dem Saulus ein Paulus. (Oder auch nicht?) In einem redaktionellen Nachruf auf den im Frühjahr verstorbenen Verfasser der allwöchentlichen Glosse in der jW Der Schwarze Kanal, Werner Pirker, findet sich ein Foto aus den 90er Jahren, wo sie friedlich vereint beieinander sitzen. [2] Ihre Gemeinsamkeit bestand wohl schon damals in dem, was bei Elsässer heute seine Existenz als Quisling Moskaus ausmacht.

Viele Grüße

Ulrich


[1] Neues Deutschland 01.11.2014 Der rote Oktober – Bei den Ausgebeuteten, Entrechteten und Gedemütigten löst die Idee des Sozialismus alles Mögliche aus, nur das nicht mehr – Hoffnung und Sehnsucht (Jörn Schütrumpf).
[2]
Ulrich Knaudt an H.B. (24.06.2014) [1].

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Ulrich Knaudt an F.W. (10.11.2014)

Betreff: DETROIT


Lieber F.W.,

vielen Dank auf Deine ausführliche Antwort auf meine Replik. Ich werde versuchen, auf [die] meiner Ansicht nach darin enthaltenen wichtigsten Punkte der Reihe nach einzugehen und am Schluß ein Resümee ziehen:

1. »…die Besonderheit des Faschismus«: Der Faschismus hat eine ökonomische und eine politische Seite. Die industrielle Bourgeoisie, die ihn gleichzeitig gefördert und das Opfer gebracht hat, sich für die Unterdrückung der proletarischen Revolution von ihm auch eine wenig unterdrücken zu lassen, hat unter dem staatsmonopolistischen Kapitalismus der Nazis hervorragend verdient und gleichzeitig darüber gejammert, selbst auch vom NS unterdrückt worden zu sein. Ihre Versuche, dieses Regime zum Teufel zu jagen, waren von A bis Z ebenso halbherzig, wie das mit ihrer freiwilligen Selbstunterdrückung verknüpfte Kalkül, das sie mit einem Auge immer auf die enormen Extraprofite, die in der Rüstungsindustrie zu machen waren, schielen ließ, zweigleisig war. Die Geschichte dieser Bourgeoisie ist die Geschichte ihrer nach1848 gemeinsam mit Bismarck entwickelten Vorliebe für den Bonapartismus, der sie später in Hitler den geeigneten Repräsentanten finden ließ, der das Werk der präventiven Konterrevolution gegen die drohende proletarische Revolution vollendet und dem ganzen dadurch einen revolutionären Kick gegeben hat, daß er die sich in der Weltwirtschaftskrise an Verrücktheit überschlagenden verrückten Formen des Wertgesetzes und des zinstragenden Kapitals der Alltagsphilosophie des durch Versailles enteigneten Durchschnittsspießers der Mittelklasse plausibel machen und gleichzeitig den in den proletarischen Massen grassierende Klassen- in den Rassenhaß umpolen konnte. Nicht weniger halbherzig kommen die Faschismus-Analysen der deutschen Linken einher, die um die Marxsche Analyse des Bonapartismus einen großen Bogen machend letzten Endes nur noch die demokratischen Bauchschmerzen der deutschen Bourgeoisie, soweit diese zu guter Letzt ein wenig dissident wurde, geteilt hat. Theoretisch geht diese Faschismusanalyse über Lenins Lob der Organisation der deutschen Briefzustellung als positives Beispiel für die hochgradige Vergesellschaftung des Kapitals durch den Staat nicht hinaus. Und da sie die vielen Gemeinsamkeiten zwischen dem kaiserlichen und dem NS-Stamokap nicht wegerklären kann, bleibt ihr nur übrig, die demokratischen Bauchschmerzen der Bourgeoisie in endlosen „Kannegießereien“ (eine wunderschöne Charakterisierung des deutschen Spießers durch K.[arl]M.[arx]!) einfühlsam nachzuvollziehen.

2. »…denn nach Marx löst…«: Ich weiß nicht, ob »die relative Produktion des Mehrwerts« und die Produktion des relativen Mehrwerts dasselbe bezeichnen sollen? Wobei ich mir unter Deiner Formulierung recht wenig vorstellen kann, ebensowenig unter der von Dir so bezeichneten »reale(n) Mehrwertproduktion«. Ich habe gerade begonnen, mich erneut durch KAP[ITAL] III durchzukämpfen und muß feststellen, daß ich den Band nur sehr oberflächlich gelesen und auch so verstanden habe. Besonders wichtig erscheinen mir die klassenanalytischen Nebenbemerkungen, die für mich die entscheidenden Bezugspunkte für das Verständnis der wissenschaftlichen Beweisführung enthalten, über die ein bürgerlicher Ökonom wahrscheinlich hinweglesen wird. Bei der Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts sind diese Bezugspunkte offensichtlich, sie finden sich aber auch in den anderen Kapiteln des KAP[ITAL]s.

3. »Zweifel habe ich, aber daran, daß Israel ein koloniales Projekt sein soll«. Wenn Du die näheren Umständen des Zustandekommens der Balfour-Erklärung in Betracht ziehst, ist daran eigentlich kein Zweifel möglich. Nach der Aufteilung des Osmanischen Reiches unter den Ententemächten fiel das Territorium von Palästina an die britische Mandatsmacht, die ihren Auftrag der Verwaltung dieses Mandats dahingehend interpretierte, den Vertretern der europäischen Juden Palästina als „Heimstatt“ zur Verfügung stellen zu dürfen. Sie durften sich zwar dort ansiedeln, aber anders als die irakischen, jordanischen usw. Araber keinen Staat gründen, weil die britische Regierung für ihre Unterstützung im Krieg gegen die Mittelmächte diesen die Gründung eines arabischen Staates versprochen hatte. Das änderte sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als auf die palästinensischen Araber wegen ihrer Unterstützung Hitlers keine Rücksicht mehr genommen werden mußte, usw. Hat aber dieser Staat damit aufgehört, ein koloniales Projekt im Herzen der bis zum heutigen Tag eine Fiktion gebliebenen arabischen Nation zu sein? Was sich lediglich geändert hatte, war, daß die Besiedler dieses Stückchens Land zwischen Syrien, Jordanien und Ägypten nicht mehr dieselben waren, die nach 1917 mit sozialistischen Idealen im Hinterkopf ihre Existenz als Ghettobewohner durch ihre Entwicklung zu praktischen Menschen hinter sich lassen wollten, sondern daß es sich um die Überlebenden der Pogrome der Nazis handelte, denen sie sich nur durch ihre Flucht entziehen konnten und die daher mit dem Aufbau einer bürgerlichen Existenz im einem bürgerlichen Siedlerstaat und der Verteidigung dieses Staates gegen ihre arabischen Nachbarn vollauf beschäftigt waren und es bis heute sind. Dadurch läßt sich zwar feststellen, daß sich vielleicht die Bestimmung dieses Staates, nicht aber seine raison d‘être geändert hat. Außerdem waren seine Hauptunterstützer nun nicht mehr die Kolonialmächten des Jahres 1917, sondern die zu Hegemonialmächten aufgestiegenen Hauptsieger des Zweiten Weltkriegs. Die ersten Gratulanten zur Staatsgründung Israels waren die Sowjetunion und die USA.

4. »…für mich sieht das nicht nach einem kolonialen Verhältnis zwischen einem „Bourgeoisievolk“ und einem „Bauernvolk“ aus.« …obgleich es letzten Endes dieser Widerspruch sein wird, dem sich auch dieser Staat nicht wird entziehen können, was die Massendemonstrationen vom letzten Frühjahr (oder dem Herbst davor?) beweisen, deren rein ökonomische Forderungen gegen den Staatsbankrott, vor dem sich die herrschende Klasse und deren Wirtschaft auch in Israel befindet, zwangsläufig einen neuen Konflikt zwischen Staat und Gesellschaft heraufbeschworen haben. [1] Es waren wahrscheinlich die Mittelklassen (das wäre näher zu untersuchen), die gegen den Regierungsstachel gelöckt haben, was die Bedeutung dieses Widerspruchs zusätzlich unterstreicht. (Siehe K.M.: Die Klassenkämpfe in Frankreich und seine Analysen des Kleinbürgertums.) [2] Allein schon aus diesem Grund kann ein heutiger Parteigänger der Marxschen Partei kein Interesse daran haben, daß dieses koloniale Projekt, auf dessen Basis der Staat Israel errichtet wurde, von der Arabischen Konterrevolution liquidiert wird und den schwankenden Interessen der USA und der EU ausgeliefert bleibt.

5. »daß Israel im Nahen Osten … eine progressiver Rolle spielt.« Darin sind wir einer Meinung. Allerdings wird sich an der Beherrschung der damit verbundenen Dialektik zeigen, ob die Parteigänger der s.o. die objektive Bedeutung dieser Rolle von der von diesem Staat konkret verfolgten Politik immer korrekt zu trennen in der Lage sein werden, da dieser Politik immer noch ein kolonialer (Golan, Westbanks), und perspektivisch ein sozialer Widerspruch (s.o.) [2] zugrunde liegt. Alle politischen Revolutionen im Nahen Osten, die nicht auf die Entstehung einer industriellen Bourgeoisie und eines dabei entstehenden Proletariats hinauslaufen, sind reaktionär und dienen der Konterrevolution, wie sich am Beispiel der Arabischen Revolution gezeigt hat, deren Spitze durch die Instrumentalisierung des Islamismus für das Überleben des Assadregimes gebrochen wurde. Die israelische Regierung hat vom Berg aus dem Kampf der Tiger im Tal zugeschaut. Dies kann nicht die Position der Parteigänger der Marxschen Partei sein. Über Deine Kritik an Grigats kategorischem Imperativ mußte ich im Stillen lächeln…

6. Deiner Kritik an den Vorstellungen der Linken über das Völkerrecht stimme ich voll zu, vor allem, was ihre Interpretation des ius ad bellum betrifft. (Dieses Recht hatte nur die Sowjetunion und hat heute das Putinregime. Alle anderen Völker und Nationen mögen ihre Waffen bei der Friedensbewegung abgeben, damit sie von ihr zu Pflugscharen geschmiedet werden…) Beim Nachschlagen der von Dir angegebenen MEW-Passage fiel mir auf, daß dort der reaktionäre Urquhart dem linksliberalen Cobden gegenübergestellt wird, den M.[arx]u.E.[ngels] ganz und gar nicht mögen, woraus klar wird, daß damals die Probleme, die sie mit ihren Linksliberalen hatten, immer schon tiefer gegangen sind als mit einem Rechten wie Urquhart. [3] Deshalb traue ich den Aussagen eines Sarrazin, trotz oder gerade wegen ihres klar sich abzeichnenden reaktionären Charakters eher über den Weg als dem linken Geschwafel von bspw. SPIEGEL oder STERN. Wenn Palmerston die Navigationsakte, wie vor kurzem noch Westerwelle die NATO, für überflüssig erklärt, dann hat das damals die Unterwerfung Europas unter die russische Hegemonie bedeutet, ähnlich wie sie heute von Rußland und China gegenüber dem Westen angedroht wird. Ein Anreiz, sich die Palmerston-Artikel genauer anzusehen.

7. At last but not least, stellt sich die Frage, wie wir mit der erstaunlichen Übereinstimmung, mit der wir quer zu allem stehen, was als Marxismus heute auf dem Markt ist, weiterhin verfahren sollen? […]

Dem will ich aber nicht vorgreifen, und verbleibe mit vielen Grüßen aus dem nordrhein-westfälischen Detroit an das revolutionäre Leipzig!

Ulrich Knaudt

[1] FAZ 08.08.2011 Netanjahu reagiert auf Proteste – 250.000 Demonstranten in Tel Aviv / Ruf nach Sozialreform. FAZ 15.08.2011 Sozialproteste in ganz Israel – Weniger Demonstranten in mehr Städten / Araber beteiligt .
Ein Jahr danach fanden erneut soziale Proteste in Israel statt, erreichten aber nicht mehr den vorherigen Umfang.
[2] Siehe Ulrich Knaudt an GdS (25.05.2014) Fn. [1].
[3] Karl Marx: Streit um die Affäre „Trent“ MEW 15 (409-413), 412,413: »Unterdes haben sich gewichtige Stimmen in diesem Sinn von zwei diametral entgegengesetzten Seiten ausgesprochen, auf der einen Seite die Herren Bright und Cobden, auf der anderen David Urquhart. Es sind dies prinzipielle und persönliche Feinde, die einen friedfertige Kosmopoliten, der andere der „letzte Engländer“; die einen stets bereit, alles internationale Recht dem internationalen Handel zu opfern, der andere keinen Augenblick schwankend: „fiat justitia, pereat mundus“ [es soll Gerechtigkeit geschehen, selbst wenn die Welt dabei untergeht], und unter „Justiz“ versteht er „englische“ Justiz. Die Stimmen von Bright und Cobden | sind wichtig, weil sie eine mächtige Fraktion der Mittelklassen-Interessen vertreten und im Ministerium durch Gladstone, Milner Gibson, mehr oder weniger auch durch Sir Cornewall Lewis, vertreten sind. Die Stimme Urquharts ist wichtig, weil internationales Recht sein Lebensstudium und jeder ihn als unbestechbaren Dolmetsch dieses internationalen Rechts anerkennt.«

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F.W. an mail@parteimarx.org (16. 11. 2014)

Betreff:Aw: DETROIT


Hallo Ulrich Knaudt,

vielen Dank für deine Antwort. Da ich im Moment und auch demnächst leider zu wenig Zeit haben werde, um mich ausführlicher und genauer mit den in unserer Korrespondenz aufgeworfenen Problemen zu beschäftigen, sind meine Antworten etwas grobschlächtig und kurz ausgefallen. Jetzt zu den Punkten:

ad 1: Zustimmung. Zu deiner Charakterisierung des NS-Faschismus als „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ habe ich noch eine Nachfrage. Die STAMOKAP-Ideologie des ML, die meines Erachtens im Grunde auf Hilferdings Theorie des „Finanzkapitals“ basiert, halte ich für falsch. Guenther Sandleben hat in seinem Buch „Nationalökonomie und Staat“ Hilferdings Auffassung von der „Verschmelzung“ des Bankkapitals mit dem industriellen Kapital (wobei das erste über das zweite übergreife), woraus dann das „Finanzkapital“ hervorgehe, kritisiert und gezeigt, wie diese Vorstellung bis in die Antiglobalisierungsbewegung hinein weiter spukt. Ihr zufolge übe das Bankkapital durch den Kredit Macht über das industrielle Kapital aus, da Geld gleich Macht sei, so der fetischistische Schluss. Dass diese Macht des Kredits aber nur eine „passive“ ist, da auf die Nachfrage nach Kredit angewiesen, zeigt z.B. schon die Tatsache, dass viele große Unternehmen zurzeit Geld horten, um nicht auf das der Banken angewiesen zu sein, womit deren angebliche Macht null und nichtig wird. Selbst wenn das industrielle Kapital auf Kredit angewiesen ist, bleibt die „aktive“ Macht über die Kapitalproduktion weiterhin seine Domäne. Die Vorstellung von der „Macht der Banken“ hat seine klassenmäßige Basis wahrscheinlich vor allem im kreditbedürftigen Kleinbürgertum, aus dem auch die antisemitische Vorstellung vom „Geldjudentum“ herauswächst.

Viel plausibler als diese STAMOKAP-Vorstellung, nach der das „Finanzkapital“ mithilfe seiner „Geldmacht“ über den Staat übergreife, sozusagen als „feindliche Übernahme“ (die dann im Bündnis mit dem Kleinbürgertum und im Namen der Demokratie regressiv zurückgeschlagen werden soll), finde ich das, was Heinz Langerhans unter staatsmonopolistischem Kapitalismus versteht, nämlich die vom Entwicklungsgrad der Produktivkräfte aufgenötigte Kontrolle derselben auf nationaler und nicht mehr privater Stufenleiter.

Hier ein Auszug aus seinem Text „Die nächste Weltkrise, der Zweite Weltkrieg und die Weltrevolution“ von 1934:

Die Weltkrisen haben Kapital und Staat, jene beiden Seiten des gesellschaftlichen Grundverhältnisses Lohnarbeiter-Kapitalisten zu einem einzigen Schutzpanzer eingeschmolzen, um deren Fortbestand zu sichern. Aus dem automatischen Subjekt Kapital mit dem Garanten Staat als besonderem Organ ist das einheitliche Staatssubjekt Kapital geworden. Der Staat ist heute mehr als der bloß »ideelle« Gesamtkapitalist, was in seinen vermehrten Funktionen zum Ausdruck kommt. […] Es gibt heute eine ganze Skala von Graden der Verschmelzung von Staat und Kapital. Die Unterschiede sind in Unterschieden der nationalen Geschichte begründet, nicht prinzipieller Natur. (1. Identität von Staat und Kapital, zentrale Planwirtschaft bei individueller Verantwortlichkeit des einzelnen Betriebsführers: Bolschewistischer Staatskapitalismus. 2. Schaffung besonderer autoritärer Organe der politischen Ökonomie, denen der einzelne selbständige Unternehmer eingeordnet wird: nationalsozialistische »Wirtschaftssteuerung«. 3. Korporative Autodisziplin der Kapitalisten unter Staatskontrolle: faschistische »Systematische Intervention«. 4. Auch die im ganzen andersartige amerikanische NRA weist verwandte Züge auf. – etc. etc.) An die Stelle privatwirtschaftlicher Rentabilität tritt nationalwirtschaftliche Rentabilität. Das Staatssubjekt Kapital organisiert den inneren Markt, reguliert – ein nationales »Generalkartell« – die Preise und verschärft damit zugleich die internationale Konkurrenz. Die internationale Handelspolitik ist die Lebensfrage der Staaten geworden (»Autarkie-Dämmerung«). Die neuen monopolistischen Formen haben also den zyklischen Lauf der Weltwirtschaft nicht nur nicht aufgehalten, sie entziehen auch den eigenen Wirkungsbereich nicht dem kapitalistischen »Naturgesetz«.“ Der Text ist hier zugänglich: http://theoriepraxislokal.org/imp/pdf/Langerhans.pdf

War aber der Faschismus staatsmonopolistisch in dem Sinne, dass der Staat als alleiniger Eigentümer der Produktionsmittel auftrat (wie in der Sowjetunion), oder war der Staat nicht eher autoritärer Regulator einer immer noch auf dem privaten Klasseneigentum einer monopolistischen Bourgeoisie fußenden Kapitalproduktion?

Und was hältst du von Thalheimers und Trotzkis Faschismusanalysen, die ja dem Anspruch nach in ihren Arbeiten von der Bonapartismuskritik von Marx her ansetzen? (Ich kenne beide bisher nur aus zweiter Hand.)

ad 2: Völlige Zustimmung. Dass ich „reale Mehrwertproduktion“ statt „relative Mehrwertproduktion“ schrieb, war ein Flüchtigkeitsfehler. Der Ausdruck „relative Produktion des Mehrwerts“ ist aber in der Tat ein sachlicher Fehler und Unsinn, denn nicht die Produktion, sondern der produzierte Mehrwert unter den Bedingungen der reellen Subsumtion der Arbeit unters Kapital wird von Marx als relativer gekennzeichnet.

Da merke ich mal wieder, dass ich im Kapital nicht wirklich zuhause bin. Bisher bin ich mit der Lektüre typischerweise nicht über die ersten drei Kapitel hinausgekommen, den Rest kenne ich nur in Auszügen.

ad 3: Über die Balfour-Deklaration konnte ich mich nicht wirklich weiter einlesen. Walter Hollstein schreibt in „Kein Frieden um Israel“, dass Großbritannien als kolonialistische Macht den Zionismus nach dem Ersten Weltkrieg benutzt hat, um ihn gegen den arabischen Nationalismus in Stellung zu bringen. Letztendlich wurden beide hingehalten, und die Zionisten haben es sich gefallen lassen, weil sich ihre Aussichten auf eine Staatsgründung mit der Balfour-Deklaration verbessert hatten. Wie Hollstein den Kolonialismus Israels (ökonomisch und politisch) charakterisiert, konnte ich noch nicht weiter nachlesen. Die Kritik der linken Israelhasser in dieser Hinsicht beschränkt sich ja meistens darauf, Israel in kulturkonservativer Manier vorzuwerfen, es sei zu westlich-abendländisch geprägt und respektiere nicht die autochthonen Traditionen der arabischen Bevölkerung.

ad 4, 5 und 6: Zustimmung.

Ad 7: […] Was ich bisher weniges von der Marx-Gesellschaft gehört habe, klang ziemlich schlecht (ist fast ausschließlich von Akademikern geprägt, dementsprechend akademische Verballhornung der Kritik der politischen Ökonomie und als nichtakademischer Außenseiter wird man scheiße behandelt). Der in dem kurzen programmatischen Text auf der Website der Marx-Gesellschaft genannte „Arbeitsschwerpunkt“ einer „kritischen Rekonstruktion der Marxschen Theorie“ mag so abstrakt gefasst richtig sein, auch wenn dadurch ansonsten noch alles offen gelassen wird. Die „Stellung und Bedeutung des Marxschen Theorieansatzes in der gegenwärtigen sozial- und geisteswissenschaftlichen Diskussion“ untersuchen zu wollen, legt schon den Verdacht nahe, dass das eine akademische Angelegenheit werden soll. Denn wenn uns eine „Stellung und Bedeutung“ der Theorie von Marx interessieren sollte, dann ist es vor allem die zu den (vergangenen und anstehenden) Klassenkämpfen. Wenn dieser „Arbeitsschwerpunkt“ ausgespart wird, kommt aber eine „unpolitische“ Marx-Lektüre raus. Den Schwerpunkt auf die Marxsche Partei und ihre Politik heute zu setzen, finde ich deshalb richtig. […]

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F.W. an mail@parteimarx.org (18. 11. 2014)

Betreff: russische anarchisten gegen die linkspartei


zur kenntnisnahme: hier ein flugblatt von russischen anarchisten gegen ANDREJ HUNKO, einem
parlamentsabgeordneten der linkspartei und unterstützer von BOROT’BA. es scheint so, dass heute die erben bakunins, jedenfalls in russland und der ukraine, politisch der partei marx näher stehen als alle marxisten dieser welt.

link und text:

http://nihilist.li/2014/11/17/andrej-gun-ko-posobnik-imperialisticheskoj-politiki-kremlya-i-vrag-rabochegodvizheniya/#deutsch
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Ulrich Knaudt an F.W. (23.11.2014)

Betreff: STAMOKAP + NS


Lieber F. W.,

ich würde sagen, nachdem wir die hauptsächlichen Differenzen thematisch abgeglichen haben, müssen wir nicht ständig Grundsatzerklärungen austauschen; zumal ich aus meiner eigenen Erfahrung volles Verständnis für die von Dir angedeutete Situation habe, die solche zeitraubenden Diskussionen nicht zuläßt.
Zweifellos stehen die russischen Erben Bakunins politisch der
partei Marx näher als alle Marxisten dieser Welt! Wenn dieses schöne Bonmot ironisch gemeint sein soll (was ich aber nicht annehme, sondern eher selbstironisch?), sei auf Engels verwiesen, der meinte, es gebe zwischen ihm und Marx einerseits und den Anarchisten andererseits durchaus eine Gemeinsamkeit, nämlich die: daß der Staat (in letzter Instanz) abzuschaffen sei. Da es sich bei den Verfassern der Flugblatts außerdem um russische Anarchisten handelt, sei auf die über Kropotkin und Bakunin weiter zurückreichende Traditionslinie erinnert, die bis zu der engen Beziehung von Marx zu Černyševskij, dem spiritus rector der russischen Populisten und den späteren Narodniki reicht. Die Autoren des Flugblatts haben aber auch deshalb meinen Respekt, weil heute in Rußland Anarchist zu sein wahrscheinlich politisch nicht ganz ungefährlich für Leib und Leben ist. Ich hoffe, daß das Flugblatt eine weite Verbreitung finden wird. Etwas ausführlicher hätte ich mir darin die Sache mit dem Gewerkschaftshaus in Odessa gewünscht, da dieser angebliche Unfall/faschistische Massenmord in der jungen Welt ständig als Beweis dafür herangezogen wird, daß in der Ukraine angeblich ein Kampf zwischen (russischer) Vaterlandsverteidigung und westlichem Faschismus stattfindet. Deine Idee, mir dieses Flugblatt zu schicken, fand ich gut und ich würde mich freuen, wenn diese eine Fortsetzung findet.

Zu Deiner Frage nach der Marx-Gesellschaft. Grundsätzlich teile ich Deine kritische Einschätzung, daß es sich dabei um eine rein akademische Angelegenheit gehandelt hat, bei der sich Nicht-Vollakademiker faktisch ausgeschlossen fühlen mußten. Als ich auf diesen Verein (er war ja nun mal einer) stieß, war ich gerade damit beschäftigt, mein damals 25 Jahre zuvor abgebrochenes Studium zu Ende zu führen und nach dem Magister vielleicht noch zu promovieren. Schon deshalb waren meine Berührungsängste zu einem Akademikerverein wie diesem wahrscheinlich nicht ganz so groß. Was mir mißfiel, war, daß in den Kolloquien grundsätzlich Konsens herrschte, daß Politisches abends in der Kneipe debattiert werden sollte. Das ließ sich aber auf die Dauer nicht durchhalten, was ein Grund dafür war, daß sich der Verein in die alljährlich veranstaltete Herbstschule aufgelöst hat, wo den (in der Mehrzahl graubärtigen) Linken Parteigängern ein wenig Marx-Plus verklickert wird. [1] Thema in diesem Jahr war: Klassenkampf. Na ja…

Ich würde heute sagen, daß die Fortsetzung der in der Marx-Gesellschaft abgebrochenen Debatte letztlich (und deshalb wurde sie auch abgebrochen) auf die Frage hätte hinausgelaufen müssen, ob das Marxsche KAP[ITAL] nur auf den ‚westlichen‘ oder nicht auch auf den real-sozialistischen Kapitalismus (wie er heute noch in China herrscht) konkret ‚anzuwenden‘ war. (Stalin in den 50er Jahren: Wir brauchen die Werttheorie von Marx und Engels bei uns nicht mehr, weil hier bereits eine sozialistische Warenproduktion existiert. Operation geglückt – Patient tot!) In der o.g. Debatte wäre also die Frage zu stellen gewesen, (die die russischen Marxisten des 19. Jahrhunderts bezogen auf das zu 90% bäuerliche Rußland fälschlicher- (und vergeblicher)weise an Marx gestellt hatten und wovon dieser, siehe Zasulič-Briefe, abgeraten hatte), ob KAP I im Gegensatz zum 19. Jahrhundert auch auf das sozialistische Rußland ‚anwendbar‘ war. [2] In der in den 00er Jahren aufgetauchten Neuen Marx-Lektüre wurde der Reale Sozialismus aber nicht unter das ‚Kapital im allgemeinen‘ subsumiert, sondern dieser wurde dem ‚westlichen‘ Kapital als ‚nicht-kapitalistischer‘, ‚nicht-imperialistischer‘, nicht-‘westlicher‘ Entwicklungsweg kontradiktorisch gegenübergestellt. Eine politische Marx-Lektüre müßte aber nicht nur, worin ich Dir zustimme, auf die vergangenen und anstehenden Klassenkämpfe ausgerichtet sein, sondern darin müßten alle Formen des Kapitalismus unter ‚das Kapital im allgemeinen‘ subsumiert werden, wodurch wir unsere Scheu vor dem vermeintlichen ‚Verrat am Sozialismus‘ oder der ‚konterrevolutionären Gleichsetzung‘ von Faschismus und Sozialismus auf den Müllhaufen der Geschichte befördern könnten.

Dazu gehört auch die Untersuchung der Frage nach dem Stamokap in KAP I-III, worauf ich an dieser Stelle allein historisch eingehen will. Der faschistische Stamokap war ein Mischsystem; d.h. das Kapital hatte sich zwecks Erzielung von Maximal- und Extraprofiten dem faschistischen Staat untergeordnet. Aber im Zweifelsfall entschied der Staat (die NS-Partei) über das Wohl und Wehe des einzelnen Kapitalisten, des einzelnen Monopols, falls diese auf Grund von Konflikten zwischen Kapital und Staat meinten eine andere Position als das NS-Regime vertreten zu müssen. Der Staat war zwar nicht vollständiger Eigentümer aller Produktionsmittel wie der Sowjetstaat (der Hitler durchaus auch als Drohmittel gegen widerstrebende Kapitalgruppen dienen konnte), aber über einzelnen Kapitalisten schwebte, wenn diese nicht spurten, immer das Damoklesschwert der Enteignung, um die Rüstungsindustrie auf maximalen Ausstoß zu trimmen, wenn z.B. die Rohstoffzufuhr nicht gewährleistet war. (Siehe A. Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im NS.)

Bei Trotzkis Vergleich Hitlers mit Napoleon vermute ich, daß er den großen mit dem ‚kleinen‘ Napoleon verwechselt, während Marxens Charakterisierung der Herrschaft Bismarcks als bonapartistisch sich auf den ‚kleinen‘ Napoleon bezieht. Diese fand in Hitlers Bonapartismus ihre logische Fortsetzung und hatte zum Ziel, die in der WWKrise vor dem Abgrund stehenden deutschen Arbeiter und Bauern, für seine deutsche Revolution zu gewinnen und die erwartete soziale Revolution durch eine präventive Konterrevolution auszubremsen. Dies, wie bekannt, auf der Grundlage des Hitlerschen Rassismus und der radikalen Erweiterung und Zuspitzung der preußischen ‚Ostkolonisation‘. Daß sich die Sowjetunion zur selben Zeit ihrerseits auf dem Weg zu einer (institutionellen) Konterrevolution befand, spielt hier zunächst noch keine Rolle und ergibt noch nicht die Gleichung ‚Rot = Braun‘. (Diese wurde erst mit dem Hitler-Stalin-Pakt erfüllt!)

Die linken Kommunisten wie Thalheimer und der von Dir genannte Langerhans hatten jedoch der Stalinschen (institutionellen) KR politisch kaum etwas entgegenzusetzen. Schon allein aus dem Grund, weil sie den Scheinwiderspruch zwischen den ‚Rechten‘ (Bucharin) und den ‚Linken‘ (Preobraženskij) nicht als einen solchen wahrgenommen, sondern die strategischen Fehler der Bolschewiki in der Bauernfrage und speziell Stalins in der Nationalen Frage bestenfalls nach ‚links‘ verstärken wollten, und dadurch Stalins ‚Zweiter Revolution‘ (1928 ff.) die Gefolgschaft zu versagen meinten, usw. usf.
[…]

Solidarische Grüße

Ulrich Knaudt

[1] Zu meinen persönlichen Eindrücken siehe: parteimarx.org REAKTIONEN 2010 Ulrich Knaudt an H.B. (29.10-31.10.2010) Bemerkungen zur Marx-Herbstschule in Berlin zum III. Band des „Kapital“.
[2] parteimarx.org Marx und Černyševskij – die revolutionäre Bewegung in Rußland und die commune rurale, 2 ff.


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