Reflexionen 

Über Uwe-Jens Heuer: Marxismus und Politik

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Inhalt

In seinem Buch Marxismus und Politik geht Uwe-Jens Heuer von der Trennung zwischen Marx, dem Ökonomen und Marx, dem „Marxisten“ aus. Diese mündet in die These, daß eine »konsistente Gesamttheorie der Politik, die der Wissenschaft der politischen Ökonomie des Kapitalismus gleichwertig zur Seite gestellt werden« kann, nicht vorliege. Mit einer derart fragwürdigen Feststellung müßte die revolutionäre Strategie der „Partei Marx“ zur Politologie verkümmern und aus Marx ein bürgerlicher Ökonom werden. Bereits von Rosa Luxemburg war der Marx von 1848 zu einem »radikalen Demokraten« herabgestuft worden, der sich erst danach zum „Marxisten“ gemausert habe. (STREITPUNKT 2 Lenin und der Kampf gegen den linken Sozialimperialismus, 55)

Ähnlich der Autor dieses Buches, der bei Marx zwischen der politischen und der sozialen Revolution einen Bruch festzustellen meint. Da muß die Frage gestattet sein, wie es kommt, daß dieser »radikale Demokrat« (ebenda) unmittelbar vor 1848 das Manifest der kommunistischen Partei verfaßt hat, worin dem kleinbürgerlichen Antikapitalismus der politische Klassenkampf des Proletariats gegenübergestellt wird?

Zur Bestätigung seiner These verweist d.A. auf Marxens Kritik an einem Aufsatz Arnold Ruges zum Schlesischen Weberaufstand 1844, worin letzterer diesen vom Standpunkt eines radikalen Demokraten analysiert. Während Marx die weltpolitische Bedeutung dieses Aufstands als politischen Klassenkampf (avant la lettre) hervorhebt, beschränkt sich Ruge auf eine Kritik an der Unfähigkeit der preußischen Monarchie, die Armenpflege besser zu organisieren. Zu Ruges kleinbürgerlichem Staatsverständnis schreibt Marx: Bereits die Große Französische Revolution habe die »heillose Isolierung des französischen Bürgers vom Gemeinwesen« nicht aufzuheben vermocht. Diese beruhe auf der Trennung des Arbeiters vom politischen Gemeinwesen, die »unverhältnismäßig allseitiger, unerträglicher, fürchterlicher und widerspruchsvoller« sei »als die Isolierung vom politischen Gemeinwesen«. Dementsprechend sei auch die Aufhebung dieser Isolierung »um soviel unendlicher, wie der Mensch unendlicher ist als der Staatsbürger« bzw. wie das menschliche Leben unendlicher ist als das politische Leben. Daher besitze der schlesische Aufstand eine universelle Seele, während sich hinter den politischen Aufständen der Vergangenheit, mochten sie auch noch so universell daherkommen, der engstirnige Geist in seiner »kolossalsten Form« verberge.

In dieser Gegenüberstellung werden von Marx der links-hegelianische Universalismus und der Feuerbachsche Humanismus nicht einfach negiert, sondern der darin verborgene soziale Antagonismus von innen nach außen gestülpt, dessen politische Form in den politischen Klassenkampf mündet, in dem das »wahre Gemeinwesen des Menschen«, von dem der Arbeiter »durch seine Arbeit isoliert« ist, als Sozialismus zum Vorschein kommt.

Damit stellt sich die angebliche Trennung des »radikalen Demokraten« vom „marxistischen“ Ökonomen als „marxistisches“ Phantasma heraus, dessen ökonomistischer Politizismus von Arnold Ruge auf die Formel gebracht wird, daß eine »Sozialrevolution ohne politische Seele (d.h. ohne die organisierende Einheit vom Standpunkt des Ganzen aus)« unmöglich sei. Eine soziale Revolution mit einer politischen Seele stellt sich für Marx entweder als »zusammengesetzter Unsinn« dar oder beinhalte die banale Erkenntnis, daß jede Revolution, die die alte Gesellschaft umstürzt, per se politisch sei. So unsinnig aber eine soziale Revolution mit einer politischen Seele, »ebenso vernünftig ist eine politische Revolution mit einer sozialen Seele«. In dieser Umstülpung ist bereits im Kern die Marxsche Position zur Revolution von 1848 vorweggenommen, während sich der von Uwe-Jens Heuer gekennzeichnete Weg »vom radikalen Demokraten zum revolutionären Sozialisten« als der direkte Weg zurück zu Arnold Ruge herausstellt.

Die enge Verwandtschaft zwischen Ruges und Heuers Verständnis von der sozialen Revolution zeigt sich auch in der Anwendung der Rugeschen Formel auf die Oktoberrevolution. Dabei stellt Heuer die These auf, daß es dieser nicht gelungen sei, ihre politische Hülle abzuwerfen, ohne daß sich in Erfahrung bringen läßt, worin denn deren soziale Seele bestanden hat. Ohne Klarheit darüber bleibt aber die Frage offen, ob der Sturz der Provisorischen Regierung durch die Bolschewiki im Oktober nur ein Mittel zum Zweck »der politisch einflußreichen Klassen (war), ihre Isolierung vom Staatswesen und von der Herrschaft aufzuheben« oder ob die Trennung der Arbeiter und Bauern vom »wahre(n) Gemeinwesen des Menschen« dadurch tatsächlich beseitigt werden konnte? (Marx, s.o.)

Bekanntlich ist die Oktoberrevolution nicht am Gegensatz Individuum-Staat, sondern an einem Staat gewordenen Individuum als personifizierter Konterrevolution gescheitert. Solange d.A. sich dieser Einsicht verschließt, sind seine Worte des Bedauerns darüber wohlfeil. Seine Formel von der rechtzeitigen Sprengung der politischen Hülle erweist sich als unzureichend und sein Sozialismus als ein Sozialismus ohne Proletariat und Klassenkampf. Deshalb klammert er sich verzweifelt an der »Staatswerdung der sozialistischen Bewegung« und an Bakunin fest, dessen Ansicht er darin teilt, daß die Selbstregierung von damals 40 Millionen Deutschen nicht zu realisieren gewesen sei, was Marx in Abrede stellte, indem er Bakunin darauf hinweist, was dieser sich offenbar nicht vorstellen könne, daß es in einer Arbeiter-Kooperativ-Fabrik lediglich des Einsatzes einiger fähiger Manager bedarf, um dieses Problem „von unten“ zu lösen. Die gleiche revolutionäre Phantasielosigkeit meint Friedrich Engels im Staatsverständnis der alten Sozialdemokratie erkannt zu haben, die er auf deren »Aberglauben in den Staat« zurückführt.

Dieser Aberglaube kann allerdings, wie d.A. seinen Lesern ad hominem vorexerziert, auch in das entgegengesetzte Extrem umschlagen; so z.B. in seiner Aussage, daß, »wenn die Verhältnisse grundlegend verändert werden sollen«, es »dazu eines Umsturzes der Eigentumsverhältnisse« bedarf, was exakt mit der Formel Arnold Ruges übereinstimmt. Dementsprechend wird der „Marxismus“ zu einem Vademecum für an der politischen Macht nicht ausreichend beteiligte umsturzwillige Klassen oder Cliquen der bürgerlichen Gesellschaft. Solch ein »Umsturz der Eigentumsverhältnisse« muß aber durchaus nicht nur von „links“ erfolgen. Ebenso eröffnet das Anstellen von Denkmöglichkeiten über »andere Gesellschaftsordnungen« durch Heuer viele Möglichkeiten »sozialistischer Staatswerdungen« von Kuba, Zimbabwe, Syrien bis nach Nord-Korea. Auch heutigen »radikalen Demokraten« geht es nicht allein um ihr Getrenntheitsein vom bürgerlichen Staat und den bestehenden Eigentumsverhältnissen; ihnen geht es ja mindestens ebenso darum, »den Ausgebeuteten (zu) helfen, ihre Lage zu verändern«.

Exakt in diesem Sinne wird das Marxsche Hauptwerk vom Autor darauf reduziert, daß darin die »Naturgesetzlichkeit des Kapitalismus« aufgedeckt werde. Dadurch sei das Politische als Beweger der Weltgeschichte entthront worden. Angesichts des Bestehens dieser »Naturgesetzlichkeit« habe bereits der junge Engels in Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie zu bedenken gegeben, daß die Gesetze der Konkurrenz genauso wie die Gesetze der Schwerkraft wirken, weil die einzelnen Kapitalisten nicht in der Lage sind, diese in den Griff zu bekommen, woraus zwangsläufig Krisen und Revolutionen folgen müssen. Diese »Naturgesetzlichkeit« wird von Uwe-Jens Heuer aber derart verabsolutiert, daß die von Engels festgestellte Paradoxie, daß die Gesetze der Konkurrenz zwar wie Naturgesetze wirken, aber keine Naturgesetze sind, verschwindet. Dadurch wird die Möglichkeit, diese vom Menschen gemachten Gesetze, die im Gegensatz zu den Naturgesetzen von diesem auch wieder beseitigt werden können, geleugnet, ebenso wie in der Formel Arnold Ruges die Beseitigung der Trennung des Arbeiters vom Gemeinwesen der Menschen nicht vorgesehen ist.

In der von Heuer hypostasierten »Naturgesetzlichkeit des Kapitalismus« werden die Menschen zu Marionetten unverstandener höherer politischer Kräfte degradiert, auf die sie keinen Einfluß haben und entsprechend manipuliert werden können. Die Quintessenz des ganzen Marxschen Kapital bezeichnet d.A. wegen der angeblichen »Unausweichlichkeit« dieser »Naturgesetzlichkeit« als »naturgesetzliche(n) Gesamtprozeß«. Die Logik dieser technokratischen Betrachtungsweise läuft zwangsläufig auf die Möglichkeiten des Abschaltens dieses Prozesses bzw. auf den Ausstieg aus demselben und das Umsteigen in den Sozialismus hinaus. Vorstellungen, in denen weder ein revolutionäres Subjekt noch der politische Klassenkampf im Marxschen Sinn existieren. Ein solches aus der »Staatswerdung der sozialistischen Bewegung« hervorgehendes Staatsmonster bedarf, Uwe-Jens Heuers Überlegung zu Ende gedacht, als Schöpfer solch einer Apparatur eines Demiurgen, um dieses Staatsmonster in die Welt zu setzen. Dessen Schöpfungsakt bestünde dann in einer Art ursprünglicher Akkumulation, die in ihrer »Janusköpfigkeit« zivilisatorischen Fortschritt und Barbarei in sich vereint, wobei letztere von d.A. als unvermeidlich angesehen wird, wenn die Menschheit auch in Zukunft vorwärtskommen will. Begründung: der Kapitalismus wird mit Hilfe der gleichen außerökonomischen Gewalt, mit der er vor 500 Jahren bei der Enteignung der bäuerlichen Privatproduzenten angetreten ist, selbst aus der Welt geschafft werden. Genau so wird sich auch der »Ausbruch aus dem „naturgesetzlichen“ Gesamtprozeß des Kapitalismus« im Staat gewordenen Sozialismus manifestieren. Die »barbarische Seite der sozialistischen Produktionsweise« erweist sich als ebenso unvermeidlich wie vor 500 Jahren. Auf diesen Zusammenhang wurde bereits von dem sowjetischen Ökonomen Preobraženskij in den 20er Jahren hingewiesen, den dieser direkt aus dem Marxschen Wertgesetz ableitet und zugleich damit die theoretische Begründung für die Vernichtung der russischen Bauern als Klasse liefert. (vgl. DEBATTE 3 Wertgesetz und Sozialismus)

Wie nicht anders zu erwarten, läßt sich hieraus auch das klassische Argument herholen, das da lautet: daß ohne die Vergewaltigung der Bauern und ihres bäuerlichen Kommunismus es dem Sowjetstaat unmöglich hätte gelingen können, dem Hitlerschen Vernichtungskrieg zu widerstehen. Die in diesem Argument beschworene angebliche Alternativlosigkeit der darin zutage tretenden Staats-Barbarei gegen das russische Volk und die die Völker der Sowjetunion rechtfertigt Uwe-Jens Heuer mit Bertolt Brecht: »Es müssen jene Diktatoren unterstützt und ertragen werden, welche gegen diese Zustände ökonomischer Art vorgehen. Das sind nämlich jene Diktatoren, die ihre eigene Wurzel ausreißen.« Bis zu dieser Zeile ließe sich der Brechtschen Dialektik vielleicht noch folgen. Dann aber heißt wortwörtlich wie schon bei Preobraženskij: »Ohne Unterdrückung jener Bauernmassen, welche den Aufbau einer mächtigen Industrie in Rußland nicht unterstützen wollten, kann nicht ein Zustand eintreten, d.h. geschaffen werden, in dem Diktatoren überflüssig werden.«

Schade, daß dem überaus dialektischen B.B. nicht einfiel, daß mit der Vernichtung der Bauern als Klasse nicht die Diktatur, sondern die Revolution ihre eigenen Wurzeln ausgerissen und sie sich dabei eigentlich erst von Diktatoren abhängig gemacht hat, die diese Wurzel bei sich selbst nicht auszureißen brauchten, weil sie nie eine solche hatten. Durch diese geniale Kombination von Sozialismus und Barbarei ist der Kommunismus für die Ausbeuter und Unterdrücker kein Schreckgespenst mehr. Ganz anders für die Verdammten dieser Erde, für die das genaue Gegenteil zutrifft.

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