Reaktionen 

Reaktionen (2013)

Reaktionen 2013 [PDF]

Anhang: Dialektik. Einwände gegen Colletti und Stalin [PDF]


[gepostet und mit Fußnoten versehen 02 2015]

Durch ein technisches Versehen sind leider alle E Mails an mich für das Jahr 2013 im Orkus der Telekom verschwunden. Durch die freundliche Mithilfe eines Briefpartners konnte zumindest ein Teil der E Mails für die REAKTIONEN 2013 gerettet werden. Der Verlust hält sich in Grenzen, da die Reaktionen in diesem Jahr auch nicht wesentlich darüber hinausgegangen sind.
Ulrich Knaudt

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Ulrich Knaudt an H.B. (11.01.2013)

Betreff: EUROPA


Lieber H., es ist furchtbar nett, daß Du bei diesem Thema an mich gedacht hast, zumal ich mich gerade mit R. Rosdolskys übler Engels-Schelte in seinem Buch Zur nationalen Frage herumplage, [1] der mit weitaus größerer Intelligenz und besseren Argumenten als Herr Menasse darin die Marxsche Partei und alles, was Deutsch ist, im Namen des Panslawismus pauschal zur Minna macht.[2]

Das Thema ist brandaktuell, und daher muß es erneut und von Grund auf (wie ein juristisches Verfahren nach einem Fehlurteil) noch einmal aufgerollt werden.

Aber ich frage Dich ernsthaft, was Du an diesem wald-und-wiesen linksliberalen Paneuropäer so faszinierend findest, der meint, die Nationen werden schon dann verschwunden sein, wenn man nominell ihre Souveränität beseitigt. Der Europäische Rat, der an der Spitze seiner schwarzen Liste steht, kann nur einstimmige Beschlüsse fassen. Warum?

Das wird Dir als Jurist klar sein: weil er eine Ansammlung oder Versammlung von Chefs souveräner Staaten ist, die vereinbart haben, auf bestimmte nationale Vorrechte aus sie alle betreffenden (welt) politischen (also in letzter Instanz ökonomischen) Gründen zu verzichten und diese zu vergemeinschaften. Allein den Europäischen Rat abzuschaffen, das wäre so als würde vorgeschlagen, um den Kapitalismus zu beseitigen, nur das Geld abzuschaffen. Entschuldige, daß ich über soviel politische Naivität nur staunen kann oder laut lachen muß.

Aber die Sache hat auch eine ernstzunehmende Seite: wenn dieser antideutsche paneuropäische Trend an Boden gewänne, wäre das ein gefundenes Fressen für alle Nationalsozialisten Europas, nicht zuletzt in Deutschland, Stärke zu demonstrieren. Die liberale Linke (vertreten u.a. durch DIE ZEIT) liefert mit ihrer anti-deutschen Argumentationsmasche (wenn irgend ein Sch… in Europa passiert, waren es immer als erstes die Deutschen …) wie im Biedermann und die Brandstifter frei Haus an die Rechten schon mal die billigsten anti-deutschen Stichworte, sozusagen die Benzinkanister, mit denen die Rechten dann liebend gern in ihrem ‚deutschen Vaterland‘ den Brand löschen werden.

Mir sind in puncto Griechenland nur zwei Deutsche namens Otto bekannt: Otto von Bayern, der nach dem griechischen Aufstand 1830 dort von den europäischen Großmächten zum König ernannt wurde und Otto Rehhagel, der mit der griechischen Nationalmannschaft die Europameisterschaft gewann. Was sollen diese billigen Otto-Stereotypen? Als ob das was über die Deutschen sagt!

Die FAZ druckt jede Woche mindestens eine schlaue Expertise über die europäische Krise. Aber ich habe noch keine gefunden, die mir nur ansatzweise eingeleuchtet hätte. Die meisten drücken sich bereits um die Frage herum: warum es die EU (EWG) überhaupt hat geben müssen? War es Hitler, war es der Kalte Krieg, war es die europäische Einbindung Deutschlands, das sonst viel zu groß und viel zu mächtig für den Rest Europas hätte werden können, wenn die Alliierten nach 1945 einen Friedensvertrag (mit wem in Deutschland?) abgeschlossen hätten und Deutschland zu einem normalen bürgerlichen souveränen Staat geworden wäre? Wahrscheinlich liegt schon hier der Hund begraben, mal abgesehen von der Entwicklung von 1848 über 1871, 1914 und 1933 bis 1945. Bis auf wenige Lichtblicke eine einzige Geschichte der Konterrevolution! Das Deutschland, das Marx und Engels 1848 in der europäischen Revolution vor Augen hatten, war durch die Konterrevolution (Bourgeoisie + Absolutismus) in eine Nation verwandelt worden, die vorhersehbar in einen neuen Dreißigjährigen Krieg taumeln würde, den ihm Marx 1871 vorhergesagt hat, und der dann 1914-1945 stattgefunden hat…

Wenn wir über Deutschland reden wollen, dann nur so. Alles andere ist linksliberales pseudolinkes anti-deutsches Geschwätz aus einem paneuropäischen Wolkenkuckucksheim.

Ich verstehe ganz gut, daß Dir der übliche links-keynesianische Ökonomismus über die Weltwirtschaftskrise zum Hals heraushängt, und es Dich danach drängt, die politische Seite dieser Krise in Betracht zu ziehen. Aber das, was Herr Menasse von sich gibt, ist es nun wirklich nicht, was uns in dieser Situation weiterbringt.

Gruß Ulrich

P.S. Ich sitze immer noch an Colletti und Marx/Hegel. [3] Es wird noch etwas dauern. Übrigens: die griechischen Faschisten können mit 20% Wählerstimmen rechnen.

Wo sitzt denn nun der Feind? Nur in Deutschland?

Ein Gutes hat die EU: die alte Masche, wie sie früher die Völker aufeinander gehetzt haben, wird so wie bisher nicht mehr laufen. Da müßten sich die europäische Bourgeoisien schon etwas Schlaueres einfallen lassen. Vielleicht gehört das Geschreibsel von Herrn Menasse genau dazu…

Viele Grüße Ulrich

[1] Roman Rosdolsky: Zur nationalen Frage. Friedrich Engels und das Problem der geschichtslosen Völker, Berlin 1979.
[2] ZEIT ONLINE 29.09.2011
Robert Menasse: Zukunft der EU. Zwischenüberschriften: „Über die Feigheit der europäischen Politiker“, „Was sind eigentlich ‚nationale Interessen‘“, „Das Europäische Parlament – eine Sondermülldeponie“, „Der Europäische Rat gehört abgeschafft“. [abgerufen am 04.01.2013]
[3]
Lucio Colletti: Marxismus und Dialektik, Frankfurt M. Berlin. Wien 1977. Ders.: Hegel und der Marxismus, Frankfurt 1976.

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Ulrich Knaudt an H.B. (16.01.2013)

Betreff: DEUTSCHLAND UND EUROPA


Lieber H., es mag ja sein, daß dieser Menasse für Dich einen guten Anknüpfungspunkt darstellt, um mit ‚weniger aktiven‘ Menschen ins Gespräch zu kommen; das sollte doch bitte mich nicht daran hindern dürfen, diesen Herrn und sein Pan-Europa-Gesäusel mal etwas gegen den Strich zu brüsten, unabhängig davon, ob es sich dabei für Dich um ein „gutes Beispiel für eine Politik abgespalten von der Ökonomie“ handelt.

Die Diskussion darüber, was für Dich noch einen solchen Anknüpfungspunkt darstellt und für mich nicht mehr, haben wir ausführlich bestritten und zu einem unversöhnlichen Abschluß gebracht. Was uns nicht daran hindern darf, weiter zusammenzuarbeiten und für gewöhnlich lebhaft zu debattieren.

Dein Eindruck, ich wollte Dich mit diesem Geschwätz des Herrn Menasse über einen Kamm scheren, ist unzutreffend. Vielleicht können wir uns wenigstens darauf einigen.

Als Kontrastprogramm zu Menasses Ausführungen schicke ich Dir einen der vielen Aufsätze, die es zu diesem Thema in der FAZ der letzten Zeit gab, um im Zusammenhang damit lediglich folgendes festzustellen:

Der Artikel „Dilemma und Strategie“ [1] enthält zumindest einige historische Tatsachen, die bei Menasse überhaupt nicht vorkommen und die meine Frage in meiner Mail vom 11.01., „warum es die EU (EWG) überhaupt hat geben müssen?“, wenn auch nur sehr sporadisch, aber zumindest an relevanten historischen Tatsachen orientiert, zu beantworten scheint. Daraus entnehme ich (uns zur Erinnerung) den Hinweis auf den engen Zusammenhang von ‚Wiedervereinigung‘, Maastricht und Euro. Mehr auch nicht. Hier hätte die Diskussion zu beginnen, warum wir Deutschen uns im Gegensatz zu jeder anderen europäischen Nation diesen Luxus einer deutschen Nation nicht (mehr?) leisten bzw. niemals wieder leisten werden können? Vielleicht auch deshalb, weil wir Deutschen, wie es den Anschein hat, immer von der Skylla des Nationalsozialismus in die Charybdis des Sozialnationalismus fallen müssen? Der schlaue Odysseus ließ sich die Ohren mit Wachs verstopfen. So schlau ist inzwischen auch unsere Bourgeoisie. Damit ist aber das Problem, das wir mit ihr und der sog. Nationalen Frage haben, nicht verschwunden.

Der Artikel über das Wasser [2] enthält einige Gesichtspunkte, die zeigen, daß es völlig egal ist, wer damit sein Geld verdient, der Staat oder eine Privatfirma. Entscheidend ist, daß die Ware Arbeitskraft an jedem Arbeitstag frisch geduscht und gekämmt an ihrem Arbeitsplatz erscheint und daß (außerdem) [3] für das Kapital durch den Preis für die Bereitstellung dieser Ressource ihr Preis und damit der Wert der Arbeitskraft nicht ins Unbezahlbare steigt. Über die politischen Motive der Wasser-Mensch[en]rechtler schweige ich mich aus, weil Du meine Argumente kennst und ich mich nur wiederholen würde.

Der Artikel über Fracking [4] zeigt, daß die Schädigung des Menschen und der Natur als Ausbeutungsobjekte des internationalen Kapitals irgendwann den qualitativen Punkt überschreitet, an dem Kapital nicht mehr weiterhin tun und lassen kann, was es will. Das Dumme ist, daß die Gasgewinnung auf Privatgrundstücken vorgenommen wird (jeder Farmer hat seine Gasquelle unter seinem Fußoden), deren Verbot in letzter Konsequenz die Enteignung der Privateigentümer bedeuten würde. Hier stößt das Kapital an seine ’natürlichen‘ Grenzen.

Insgesamt finde ich in Deinem Brief einen gewissen schrillen gegen die p[artei]M[arx] gerichteten Tonfall, der meinen angeblichen politischen Anmaßungen gegenüber auch schon von anderer Seite Anwendung fand. Wenn es schrill wird, mache ich es wie Odysseus… Es wäre aber höchst bedauerlich, wenn dieser Ton zum Dauerton werden würde.

Wenn wir wieder zu einem normale Tonfall zurückgekehrt sind, sollten wir uns über die Zukunft der Marx-Gesellschaft unterhalten.

Gruß Ulrich

[1] FAZ 14.01.2013 Dilemma und Strategie. Die Erfahrung aus den zwei Weltkriegen lautet, daß gerade der Mangel an internationaler Integration zu Deutschlands Isolation führte. Daher wollen die meisten Deutschen, daß ihr Land in Europa aufgeht. Die Berliner Politik muß nun aber nationale Interessen und internationale Integration sowie Solidarität und Solidität wirklich austarieren.
[2] FAZ 15.01.2013
Unser Wasser. Das Verhältnis der Deutschen zum Wasser ist von vielen Irrationalitäten geprägt.
[3] In Klammern die sinngemäße Bedeutung dieser Textstelle, die nicht dekodiert werden konnte.
[4] FAZ 15.01.2013
Amerikas fatale Rettung. Die Vereinigten Staaten erleben einen neuen Goldrausch: Fracking lautet das Zauberwort, ein revolutionäres Verfahren der Energiegewinnung, bei der Erdöl und Erdgas aus untersten Gesteinsschichten herausgepreßt werden. Doch diese Technik birgt auch gewaltige Risiken. Deswegen formiert sich der Protest – über einen ungleichen Kampf zwischen Konzernen und Menschen.


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Ulrich Knaudt an H.B. (30.01.2013)

Betreff: KÜNDIGUNG


Lieber H., …
Die Herrschaften Akademiker verabschieden sich der Reihe nach und Herr B. stellt auf einmal fest, daß die M[arx]-G[esellschaft] in die Jahre gekommen sei.

Ein billiger Vorwand, um in der Herbstschule den Nachwuchs (meist schon ziemlich ergraut) der PDS zu schulen und die M-G zu liquidieren. [1]

Wie aus meinem Disput mit N. hervorgeht, war sie nicht für eine offene Auseinandersetzung über D[ieter].W[olf].s Revisionismus zu gewinnen gewesen. Das hält sie für ‚Gockelei‘, von der die Herren akademische Marxisten sich nur abgestoßen fühlen…

Viele Grüße

Ulrich

[1] Siehe marx-gesellschaft.de. Die Idee zur Marx-Herbstschule, marxherbstschule.net, die alljährlich in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft stattfindet, wurde von Initiatoren in der Marx-Gesellschaft entwickelt, um, wie es hieß, neben den Kolloquien den marxistischen Nachwuchs an Marx-Texte heranzuführen. Ursprünglich sollte das Kolloquium der Marx-Gesellschaft und die Marx-Herbstschule mit je einer Tagung pro Jahr parallel stattfinden. Auf dem Höhepunkt der Debatten in der Marx-Gesellschaft, die ihren Initiatoren zunehmend auf den Geist gingen, erklärte der Kreis um die Vereinsgründer, daß man in allernächster Zeit den Verein liquidieren und sich ausschließlich auf die Herbstschule konzentrieren werde. Damit war die bis dahin stattgefundene offene Debatte kassiert und dem Linken Zeitgeist Tribut gezollt.
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Ulrich Knaudt an H.B. (03.02.2013)

Betreff: EINWÄNDE


Lieber H:, wie versprochen hier meine Skizze zu Colletti, Stalin und Marx. [1]

Die Punkte 2 und 3 in K.[arl]M.[arx]s Zusammenfassung am Schluß beziehen sich eher auf die Politik als auf die Dialektik, deren Kritik insgesamt nur den Charakter eines Exkurses hat. Die Politik habe ich hier nicht berücksichtigt, ebensowenig Collettis Einlassungen zu Plato etc. Das ganze nur ein Ausschnitt aus meinen unfertigen Überlegungen zu diesem Thema. Auf jeden Fall wird der Kontrast deutlich. …

Viele Grüße Ulrich


[1]
parteimarx.org REAKTIONEN 2013 ANHANG


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Ulrich Knaudt an H.B. (08.03.2013)

Betreff: REAKTIONEN 2012


Lieber H., […]

In der FAZ war ein interessanter Artikel über die Hintergründe der Trinkwasserbewegung.

Als Du mir anrietest, bei denen zu unterschreiben, schwante mir schon so etwas in der StamoKap-Richtung. Hier geht es um den kleinen Gemeinde-StamoKap, von dem ich nicht behaupten würde, daß es sich von dem großen groß unterscheidet. [1] Oder ist „small = beautiful„?

Die ganze StamoKap-Geschichte (Lenin: die preußische Post als erster Schritt in den Sozialismus) müßte ganz von vorne aufgerollt werden…

Aber das für später.

Viele Grüße

Ulrich

[1] FAZ 28.02.2013 Lärmschutz wird für BER zur nächsten Baustelle. – Lärmschutz für mehr Nachtruhe / Suche nach neuem Flughafenchef bisher ergebnislos.


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Ulrich Knaudt an H.B. (11.03.2013)

Betreff: DIALEKTIK


Lieber H., […]
Du sagtest am Telefon, bis auf den Schluß sei nichts dabei, was sich über mein Papier [1] zu diskutieren lohnt. (Hab ich jedenfalls so verstanden) Die Stalin-Proudhon-Marx-Zitate habe ich auf Deinen speziellen Wunsch, zumindest, was das Verhältnis Proudhon-Marx-Dialektik betrifft, aufgenommen. Über meine Kritik an Collettis Konstrukt der zwei Arten von Widersprüchen hast Du auch nichts gesagt. […]

Obwohl das Kolloquium [2] eigentlich ein fake ist, weil es, wie es scheint, hauptsächlich dazu dient, den Verein ‚abzuwickeln‘ und mit unserer Teilnahme die Regreßkosten durch die Absage der Bestellung des Tagungslokals zu vermeiden und sich dann nach Berlin aufzumachen, sollten wir die Gelegenheit nutzen (alles andere wäre ohnehin sinnlos), um uns jenseits von RLS, Helle Panke etc. zu vernetzen.

Mein Respekt für soviel Zielstrebigkeit und organisatorischer Phantasie!

Können uns ‘ne Scheibe davon abschneiden!

[…] und bis bald zur letzten Tagung der Marx-Gesellschaft.

Gruß Ulrich

[1] parteimarx.org REAKTIONEN 2013 ANHANG

[2] Frühjahrs-Kolloqium der Marx-Gesellschaft in Oer-Erkenschwick (22.03.-24.03.2013)


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Ulrich Knaudt an H.B.(29.03.2013)

Betreff: EINHEIZFRONT


Lieber H., Anfang der Woche rief mich (über-über-überraschenderweise) unser gemeinsamer Freund D[ieter]. W[olf]. an. Er wiederholte das, was wir bereits bei unserer Unterhaltung am Ende der Tagung gemeinsam festgestellt haben: daß der Tagungsleiter uns alle über den Tisch gezogen hat, indem er auf jeden Fall vermeiden wollte, daß bei der Diskussion über das Erste Kapitel [in KAPITAL I] U.[lrich]
K.[naudt] und D.[ieter]W.[olf] unvermeidlich aneinander gerauscht wären. Daß wir so blöd waren, das nicht vorherzusehen und uns dadurch um eine spannende Diskussion gebracht haben, ärgerte D.W. auch noch einen Tag danach. Und deshalb rief er mich an, um mir das mitzuteilen. Der Höhepunkt der Unterhaltung bestand zweifellos in D.W.s Erklärung, daß Marx mit den „Metaphern“ im Ersten Kapital [in KAPITAL I] zeitweise die Pferde durchgegangen seien. Er [Marx] habe ja mal in seiner Jugend als Poet angefangen. (Nur, wer hat das nicht?) Es ist D.W. schlichtweg nicht beizubringen, daß die Antinomien, Paradoxien, Absurditäten dort eine systematische Bedeutung und Funktion für das gesamte KAP haben. Was ist z.B. der Tendenzielle Fall der Profitrate anderes als eine Paradoxie: die Erweiterung des fixen Kapitals führt zum Fall der Profitrate (in der Tendenz) und nicht wie erwartet zur Erhöhung des Profits. Man kann alle 3 Bände durchgehen und wird wahrscheinlich bei jedem Gesetz, das Marx über die Verwertung des Werts durch das Kapital aufgestellt hat, Ähnliches finden. Man kann das KAP I-III aber durchaus auch, ohne diese verrückten Formen zur berücksichtigen, lesen. Dann wird es schlicht zur einer linken Vulgärökonomie, wie der linke Keynesianismus eine ist. Kurzum, Marx sind mit der Einführung dieser verrückten Wertformen keinesweg[s] die Pferde durchgegangen, wie D.W. mir nahelegen wollte. […] Du tätest mir einen großen Gefallen, wenn Du bei einem Deiner nächsten Gespräche mit ihm sanft darauf hinweisen könntest, daß wir zwar nun durch die Schofeligkeit der M[arx]-G[esellschaft] einen gemeinsamen Gegner erhalten haben, was aber nicht bedeutet, daß die Widersprüche zwischen unseren verschiedenen Ansichten zum Marxschen KAP verschwunden sind. Ich hoffe, Du betrachtest das nicht als Zumutung. Bei passender Gelegenheit werde ich ihm das auch selber sagen. Heute würde ich ihn nur vor den Kopf stoßen, was ich vermeiden will. Außerdem hat sich niemand so intensiv und ständig mit seinen Theorien auseinandergesetzt wie wir beide.

[…]

Ich wünsche Dir geruhsame Feiertage und verbleibe in alter Verbundenheit

Ulrich

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Ulrich Knaudt an H.B. (04.04.2013)

Betreff: RESURRECTION


Lieber H.,

Die Auferstehung der commune rurale haben ‚wir‘ historisch verpaßt. [1] Die von K.M. beschriebene Einmaligkeit dieser Möglichkeit ist unwiederbringlich verloren. Ihre Potenzen werden aber Teil jeder (negativen) Blaupause bleiben, als welche das KAP[ITAL] für die weiteren sozialistischen Wiederholungsversuche benötigt wird. Die commune rurale ist, was sie nicht hätte werden müssen, zur negativen Blaupause für den gescheiterten Kommunismusversuch der S[owjet]U[nion] geworden. Darin besteht ihre aktuelle Verwendungsmöglichkeit! Von China gar nicht zu reden…

Ich habe Dich in Deiner Mail zum ersten Mal richtig wütend ‚erlebt‘, und das deute ich als ein positives Zeichen. […] Was uns beide, trotz politischer Unterschiede, von seinen [= D.[ieter]W.[olf]s] Auffassungen trennt, ist ‚die Ware als Subjekt‘. Weil er die Ware anders versteht, landet er für die Ersten Drei Kapitel [des KAPITAL] bei einer Bewußtseins-, Erkenntnis- oder was auch immer Theorie und befindet sich damit in enger Nachbarschaft zu C[hristoph]. L[ieber]. [2] Zuvor noch eine Verständnisfrage: wer sind die von Dir benannten „Klassenkampflogiker“?

Zu meinen Exzerpten zu C.L.s Bewußtseinstheorie: Beim Überlesen ist mir aufgefallen, daß wir auch diesem Autor gegenüber wegen seiner ungeheuren Belesenheit in pcto Marx nicht das Wasser reichen können.

Daher habe ich bei meiner Vorbereitung (offenbar gehörte ich, wie Du zutreffend festgestellt hast, zu den Wenigen, die sich vorbereitet hatten) das Umfeld seiner Zitate abgegrast und dort häufig die Dementis der Thesen gefunden, die er mit den von ihm gebrachten Zitaten beweisen will. (Hat aber nicht immer geklappt. […]).

Du erinnerst Dich an die Debatte über das fetischistische Bewußtsein des/der einzelnen Lohnarbeiter/s und den sich ihm gegenüber als tote Arbeit aufgehäuften Produktionsmitteln, die er als Produktionsmittel des Kapitals mißdeutet und damit seinem angeblichen Fetischismus erliegt. Diese These hatte ich in der Diskussion bestritten.

Hier wäre, um das zu vertiefen, zu unterscheiden zwischen dem Schein und dem Fetisch.

Der Fetisch ist etwas in den Gegenstand Hineinprojiziertes, als ob er den Gegenständen selbst anhaften würde, was diejenigen, die ihnen diesen Fetisch anheften, nicht nur ernsthaft annehmen, sondern auch praktisch mit diesem ihr Unwesen treiben. Eine gesellschaftlich wirksame (bewußte) Verkennung der Tatsachen, die gesellschaftlich praktische Verwendung findet.

Der Schein drängt sich dagegen demjenigen auf, der den Sachverhalt, der sich ihm darbietet, nicht anders denn einseitig und daher falsch zu deuten weiß, weil er subjektiv in seiner Situation als Einzelner nicht in der Lage ist, hinter die Dinge zu schauen. Er wird von dem sich ihm darbietenden Schein überwältigt.

Die Fähigkeit, hinter die Dinge zu schauen, erwirbt der einzelne Arbeiter im Klassenkampf, der ihn mit zunehmender Erfahrung zu einer ‚realistischeren‘ Sichtweise befähigt. Das ist noch kein Klassenbewußtsein, aber der mögliche Ausgangspunkt desselben. Dem Klassenbewußtsein würde die Einsicht in den elementaren Unterschied zugrunde liegen (Zitat S.15), daß der Kapitalist als privater Besitzer der Produktionsmittel nur sich selbst repräsentiert, während der Arbeiter als Privatmensch nichts ist und nur in den Besitz der Produktionsmittel gelangen kann, wenn er diese sich gesellschaftlich aneignet und anwendet. [3]

C.L.s Behandlung dieses Widerspruchs erliegt zwei Verwechslungen, wodurch dieser Schein bestätigt wird (übrigens halte ich die von D.W. aufgelisteten verschiedenen Fetischismusarten, zu denen er auch den Lohnarbeits-Fetischismus zählt, für vollkommen schematisch und daher vulgärökonomisch):

er [C.L.] setzt das Bewußtsein der Vulgärökonomen und der Praktiker des Kapitals generell mit dem Bewußtsein der Bürger gleich. Marx dagegen bleibt hier sehr konkret, beschränkt sich auf die Vulgärökonomie und die Praktiker des Kapitals und vermeidet derartige Ausflüge in die Bewußtseins-Soziologie.

er ignoriert den Unterschied, den Marx macht zwischen dem/den einzelnen Arbeiter/n, die als Einzelne nicht in der Lage sind, die Produktionsmittel zu vergesellschaften und der Klasse, die sich die Produktionsmittel ausschließlich gesellschaftlich aneignen wird.

er macht ohne Berücksichtigung dieses Widerspruchs das moderne Bewußtsein des modernen Individuums, das sich dieses auf der Grundlage der modernen Produktionsweisen des Kapitals angeeignet hat, zum Ausgangspunkt der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, aber unter den Voraussetzungen der kapitalistischen P[roduktions]W[eise].

daraus leitet er seine Kritik an der Frankfurter Schule als Sozialromantiker ab, obwohl diese immerhin, indem sie bei ihrer KAP-Lektüre den Fetischcharakter der Ware stark machte, gegen den Fetischismus der realsozialistischen Vergesellschaftung in Opposition ging und (gestützt auf die [Marxschen] Frühschriften) eine Verunsicherung ausgelöst hat, die letzten Endes die nicht vorhandenen sozialistischen Grundlagen dieser Vergesellschaftung (der Begriff der „Gesellschaft“ in der DDR-Literatur z.B. als Fetisch), theoretisch in Frage gestellt und dadurch die gesellschaftlichen Erschütterungen, von denen der Realsozialismus heimgesucht wurde, als unvermeidliche bestätigt hat. (Davon zehren die MEGA-Leute bis zum heutigen Tag!) [4]

Fazit: C.L. stellt der modernen kapitalistischen Vergesellschaftung, der sich das Kapital nicht entziehen kann, polemisch den Romantizismus der Frankfurter Schule gegenüber und suggeriert seinen Lesern, daß es nur eines anderen Bewußtseins bedürfe, um den Hebel von einer kapitalistischen zu einer sozialistischen Vergesellschaftung umzulegen.

Dieser Bewußtseinswandel soll politisch herbeigeführt werden. Die realen Lohnarbeiter werden ihm und Der Linken was husten!

Übrigens sind meine Exzerpte aus dem Kapitel zum Handelskapital interessant für die Debatte über ‚die Ware als Subjekt‘, weil die häufige Verselbständigung dieser Debatte dadurch ein wenig historisch relativiert und der scholastische Charakter derselben abgebaut wird. Erst wenn das industrielle Kapital ‚zu sich selbst gefunden‘ hat, verschwindet das Handelskapital in seiner bisherigen Bedeutung für die Herausbildung desselben […]

So viel zu den Exzerpten zu C.L.

[…]

Viele Grüße

Ulrich

[1] D.h. die in den Marxschen Briefentwürfen an Vera Zasulič vertretene These, daß die russische Dorfgemeinde zur gesellschaftlichen Basis des Kommunismus in Rußland fähig und in der Lage sei. Siehe dazu. parteimarx.org DEBATTE 3 und DEBATTE 4.
[2] Bezieht sich auf das von
Christoph Lieber für das Frühjahrs-Kolloquium der Marx-Gesellschaft eingereichte Diskussions-Papier: Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie – (noch) Schlüssel für die Ideologie- und Bewußtseinstheorie der Linken heute?

[3] Siehe u.a. in der von Christoph Lieber zitierten Marx-Engels-Gesamtausgabe [MEGA] II/3.6, 2144: »In der grossen Agricultur, wie in der grossen Industrie, sind diese Arbeit und | das Eigenthum an den Productionsbedingungen nicht erst zu trennen, sie sind faktisch getrennt, diese Trennung von Eigentum und Arbeit, die Sismondi beweint, nothwendiger Durchgang zur Verwandlung des Eigenthums an den Productionsbedingungen in gesellschaftliches Eigenthum. Als Einzelner konnte der einzelne Arbeiter nur wieder hergestellt werden in dem Eigenthum an den Productionsbedingungen durch Zertrennung der Productivkraft und der Entwicklung der Arbeit auf grosser Stufenleite. Das fremde Eigenthum des Capitalisten an dieser Arbeit nur aufzuheben, indem sich sein Eigenthum als das des Nicht-Einzelnen in seiner selbständigen Einzelheit, also des associierten, gesellschaftlichen Individuums umgestaltet.«
[4] Anspielung auf Herausgeber der Marx-Engels-Gesamtausgabe [MEGA].

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Ulrich Knaudt an H.B. (10.06.2013)

Betreff: WARENFETISCH


Lieber H., ich habe gerade, wie wir einmal besprochen haben, meine Kritik an D[].W[Wolf].s Fetischcharakter-Papier (37 Seiten) über die Mailing Liste verschickt. [1] Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört, und ich hoffe, Du bist nicht in der Flutkatastrophe ‚untergegangen‘. Zu dem Geburtstags-Kolloquium in Berlin werde ich nicht fahren. [2] So viel geballter akademischer Marxismus ist für mich momentan nicht zu ertragen. In der kurzen Einleitung zu meinem Papier ist dazu alles Nötige gesagt. [3] Wie soll es weitergehen. Von meiner Seite stellen sich die Dinge so dar, daß sich nicht nur der akademische Marxismus von seinen Moserern und Meckerern getrennt hat, sondern auch ‚die partei Marx‘ vom akademischen Marxismus. […]

Viele Grüße und alles Gute

Ulrich

[1] parteimarx.org DAS KAPITAL Nachtrag zu einer nicht mehr stattgefundenen Diskussion über Dieter Wolfs Papier „Wie der Waren-, Geld- und Kapitalfetisch den Zusammenhang von gesellschaftlichem Sein und Bewußtsein bestimmt“.

[2] 14.06-15.06. Ein Blick in die Werkstatt von Karl Marx. Wissenschaftliches Kolloquium zum 60. Geburtstag von Prof. Rolf Hecker.

[3] parteimarx.org DAS KAPITAL Nachtrag zu einer nicht mehr stattgefundenen Diskussion über Dieter Wolfs Papier: Wie der Waren-, Geld und Kapitalfetisch den Zusammenhang von gesellschaftlichem Sein und Bewußtsein bestimmt.


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Ulrich Knaudt an MARX-FREUNDE (10.06.2013)

Betreff: DER FETISCHCHARAKTER DER WARE


Liebe Marx-Freunde, auf dem Abschiedskolloquium der Marx-Gesellschaft in diesem Frühjahr wurde verabredet, daß die an der Diskussion Beteiligten über die Mailing-Liste der Eingeladenen weiter in Kontakt bleiben werden. Das soll nun von meiner Seite durch das Versenden meiner Kritik an Dieter Wolfs Papier über den den Fetischcharakter der Ware geschehen.

Herzliche Grüße

Ulrich Knaudt

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Ulrich Knaudt an H.B. (12.06.2013)

Betreff: FETISCHCHARAKTER


Lieber H., ein für mich sehr wichtiges Gespräch, das wir da gestern geführt haben! Dadurch ist mir endgültig klargeworden, wo unsere Differenzen liegen. Ich hoffe, ich kann das deutlich machen. Wir lesen die Ersten Drei Kapitel [von KAPITAL I] mit unterschiedlicher Perspektive: Du liest sie paradigmatisch in Hinblick auf alle möglichen Diskurse, die da so im Raum stehen, soziologischer, philosophischer, psychologischer, etc. Art. Mir sind diese Diskurse relativ Schnurz. Mir reicht es, unterrichtet zu sein, daß es sie gibt und was in den Debatten darüber so abläuft. Ich lese die Drei Kapitel, wenn Du so willst, ‚hermeneutisch‘. Ich will eigentlich nur wissen, was drin steht und was bestimmte Zusammenhänge, Begriffe, Kategorien bedeuten könnten. Natürlich ist das keine rein hermeneutische Lesart, denn ich bin kein Theologe oder Philosoph und das KAP ist nicht die Bibel und keine Politeia. Mein Interesse ist eng verbunden mit der Politik der p[artei]M[arx]. Nun kannst Du zu Recht dem entgegensetzen, daß die pM gar keine Politik macht. Richtig. Aber das ist nicht allein meine Schuld, daß bis heute keine Politik in diesem Sinn gemacht wurde. Was ich an Politik, die gemacht wurde, über die Jahre kennengelernt habe, war in dieser Hinsicht im höchsten Grade kontraproduktiv. Also bleibt für mich nur dieses ‚Als ob‘ als Orientierungspunkt übrig, wofür ich mich bemühe, eine theoretische Basis zu erarbeiten. Und die finde ich u.a. (nicht nur dort, wie Du weißt) in den Ersten Drei Kapiteln [des KAP I]. D.[ieter]W.[olf]s Motive, die ihn dazu gebracht haben, sich nicht nur mit Hegel, sondern auch mit dem KAP zu beschäftigen, sind letztlich akademischer Natur. Allein schon deshalb herrscht zwischen uns die absolute Verständnislosigkeit, vor allem über sein Vorgehen, aus dem KAP ein ‚System zu bereiten‘. Mit oder gegen Luhmann, Habermas und wie sie alle heißen. Wäre er ein reiner Hegelianer, würde ich ihn schon deshalb nicht lesen, weil sein Stil fürchterlich ist. (Ein Grund für meine übertriebene Polemik: es ist allein schon der Frust über diesen Stil.) Aber er befaßt sich nun mal auch mit Marx, und zwar auf eine Weise, durch die ich mich provoziert fühle. Die andere Seite ist, und darin gebe ich Dir recht, daß er [D.W.] seine Kritiker zwingt, seine logischen Macken, Tautologien und Banalitäten von Grund auf zu kritisieren, die alle Bestandteil seines Systems sind, dem man erst mal auf den Grund gehen muß, um diese zu entlarven. Und viele dieser Macken teilt er mit dem akademischen Marxismus. Das wäre seine konstruktive Rolle im Negativen. Und die weiß ich durchaus zu würdigen. Allerdings nur in gewissen Grenzen, die durch Heinrich Harbachs Sozialismusverständnis gesetzt werden, das eng mit D.W.s Revisionismus in puncto KAP zusammenhängt. [1] Ich glaube, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Das ist aber der entscheidende Punkt, der nachzuweisen ist und für eine Denkweise steht, die mit der destruktiven Seite der Parteigeschichte der letzten Jahrzehnte (s.o.) eng zusammenhängt. Auch deshalb ist der rigide punktgenaue Nachvollzug des Inhalts der Ersten Drei Kapitel für mich und wie ich denke auch politisch im Sinne der Politik der pM von besonderer Bedeutung. Das ist für mich die Hauptsache, alles andere, weil akademisch oder parteipolitisch im bürgerlichen Sinn, ziemlich nebensächlich.

Soweit erst mal.

Mit den besten Wünschen […]

und herzlichen Grüßen

Ulrich

[1]
Heinrich Harbach: Wirtschaft ohne Markt. Transformationsbedingungen für ein neues System der gesellschaftlichen Arbeit, Berlin 2011. Siehe auch: REAKTIONEN 08.02.2012.


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Ulrich Knaudt an H.B. (19.06.2013)

Betreff:DIE DREI KAPITEL


Lieber H., mir hat es nicht die Sprache verschlagen, sondern ich mußte mir das alles noch einmal mit zeitlichem Abstand zu Gemüte führen. Auf die Differenzen zwischen uns gehe ich nicht en détail ein, weil sie uns ohnehin weiter begleiten werden. Ich möchte nur nach der Charakterisierung unserer Differenzen was zu unseren politischen Gemeinsamkeiten sagen: eine, vielleicht die entscheidende, wie nach dem Debakel mit der M[arx]-G[esellschaft] sichtbar geworden ist, besteht darin, daß wir, D.[ieter]W.[olf] incl., nicht zum akademischen Marxismus gehören, da wir (wir beide zumindest) dessen akademische Mindestvoraussetzungen nicht erfüllen. D.W. würde gerne, aber dieser Status wird ihm verweigert. Aus welchen Gründen auch immer. Auf dieser minimalen Grundlage tauschen wir uns aus (direkt oder jeweils über Dritte), daß die Fetzen fliegen, was der Sache nur dienlich sein kann. Wie weit wir mit dieser politischen Gemeinsamkeit kommen werden, weiß ich nicht. Aber wir stimmen darin überein, diesen Diskurs fortzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger. Damit dies passiert, dazu habe ich unsere Differenzen skizziert: ohne Differenzen keine Gemeinsamkeit. Diese Differenzen bestehen, wie nun noch klarer wird, in der unterschiedlichen Herangehensweise an die Ersten Drei Kapitel [von KAP I]. Ich begreife diese selbst nicht als Totalität, sondern als an der Totalität der kapitalistischen P[roduktions]W[eise] nagend, sie unterminierend und relativierend. Zwischen dem unterschwelligen Adabsurdumführen der Totalität der kapit.[alistischen] PW und der Weiterentwicklung der Politik der Marxschen Partei (deren Geschichte und Methodik zu studieren ist) besteht eine Differenz keine Identität. (Siehe: auf der einen Seite die Wissenschaft, deren Ansprüchen genüge getan werden muß und auf der anderen deren Fetischisierung durch den akademischen Marxismus!) Aus der Zuspitzung der theoretischen Infragestellung dieser Totalität mag sich oder wird sich vielleicht eine Angriffslinie gegen das Kapital ergeben, die sich von den heutigen Partnerschaften zwischen Kapital und Arbeit und dem Ringen um die Vorherrschaft über die Natur zwischen Kapital und Ökologisten unterscheidet. Letzten Endes stellt sich die Frage, nicht, wozu man die Ersten Drei Kapitel braucht, sondern wer sie wozu benutzen wird. (Siehe Stalin und die Herausgabe der GR[undrisse zur Kritik der politischen Ökonomie]. Nur, um K.M. zu musealisieren?) Aber all das ist Zukunftsmusik. Wir haben genug damit zu tun, unsere theoretischen Differenzen möglichst produktiv werden zu lassen, indem wir gemeinsam daran arbeiten. Vom akademischen Marxismus ist in dieser Hinsicht nichts zu erwarten. Er fährt sein eigenes Programm mit Marx und dem KAP in der der unsrigen entgegengesetzten Richtung der Einbahnstraße […]

Alles Gute […]

und herzliche Grüße

Ulrich
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H.B. an Ulrich Knaudt (24.06.2013)

Betreff: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/2154789

Wird Dich interessieren, wenn du es nicht schon weißt – DDR-Wirtschaftspolitik.

Gruß H.

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Ulrich Knaudt an H.B. (25.06.2013)

Betreff: Das DDR-Wirtschaftsimperium KoKo – Matthias Judt Der Bereich Kommerzielle

Koordination| Andruck ‒ Das Magazin für Politische Literatur | Deutschlandfunk.

Lieber H., in der Tat, einiges war mir durch Zeitungslektüre o.ä. bekannt. Aber es freut mich, daß Du an mich gedacht hast.

Wahrscheinlich ließe sich eine Wirtschaftsgeschichte der DDR nur schreiben als Moment des gewaltigen Ausbeutungssystems, das die ‚Sowjetmacht‘ seit den späten 20er Jahren (der sog. Zweiten Revolution) in wachsendem Maße darstellte. Ein gewordenes Ausbeutungssystem beginnend mit der Kollektivierung [der Landwirtschaft] Anfang der 30er Jahre und dem Holodomor (dem Verhungern-Lassen von Hunderttausenden von ukrainischen Bauern, ob sie sich kollektivieren lassen wollten oder nicht, der Liquidierung der Bauern als Klasse, wortwörtlich gemeint). Darauf ist die DDR nur das Sahnehäubchen. Sie befand sich zu dicht am Westen, als daß sich auch dort derartige Ungeheuerlichkeiten abgespielt hätten. Verglichen mit dem übrigen Realen Sozialismus befand sie sich sogar in einer relativ bevorzugten Position, Berlin wiederum im Verhältnis zur übrigen DDR. Vergessen wir nicht, daß sie das Sprungbrett hatte sein sollen, um in Fortsetzung der Strategie Alexanders I. die russische Welthegemonie in ganz Europa bei passender Gelegenheit zu errichten. Dazu sollte Koko schon mal die Fühler ausstrecken, abgesehen von den Luxusbedürfnissen der Nomenklatura, die in Wandlitz […] die Vorzüge des Westens genießen wollte. Man lebt ja nicht ewig. Seit der Zweiten Revolution gelten alle Aussagen, die M.[arx]u.E.[ngels] zum russischen Zarentum gemacht haben, voll und ganz für die SU und gehen teilweise noch weit darüber hinaus. Nicht umsonst verbietet Stalin 1934 den Abdruck von F.E.s Die Auswärtige Politik des russischen Zarentums. [1] In dem Buch eines amerikanischen Historikers aus den 80er Jahren über die Großmächte und den Wiener Kongreß finden sich all die alten Bekannten der russischen Diplomatie, die bereits von F.[riedrich]E.[ngels] benannt wurden, der Reihe nach aufgezählt: die Rekrutierung des diplomatischen Korps aus einem bunten Kreis europäischer Abenteurer, die Ausnutzung von Bauernaufständen und sonstigen Rebellionen, sobald sie sich gegen einen von Rußlands Gegnern richteten u.a.m. [2] Insofern erstaunt Rußlands Haltung zu dem ehemaligen CIA-Hacker überhaupt nicht. Wenn Dir Domenico Losurdo ein Begriff ist, würde ich Dir dessen Stalin-Biographie empfehlen. [3] Eine Rehabilitierung Stalins auf dem neusten Stand der historischen Forschung, hinter deren methodische Tricksereien man erst einmal kommen muß. Soweit erst mal. Zu meiner letzten Mail werde ich ja noch was von Dir hören.

Bis dahin

herzliche Grüße Ulrich

[1] Friedrich Engels: Die auswärtige Politik des russischen Zarentums MEW 22 (13-48).

[2] Enno E. Kraehe: Metternich‘s German Policy. Vol. I: The Contest with Napoleon, 1799-1814, Princeton N.J. 1963.

[3] Domenico Losurdo: Stalin. Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende, Köln 2013.

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Ulrich Knaudt an H.B. (29.06.2013)

Betreff: HAUPTSEITE THEORIE


Lieber H., […] Das mit Adorno fand ich spannend. Kannst Du mir das näher erklären mit der negativen Totalität?

[…]

Zu Paschukanis: habe ab und zu mal reingeschaut, kann mich aber momentan nicht mit ihm befassen. [1] Kann man sagen, daß der Differenz zwischen formeller und materieller Gleichheit als Prinzip im bürgerlichen Recht der Widerspruch zwischen G[ebrauchs]Wert und Wert zugrunde liegt? Unter diesem Gesichtspunkt wäre Paschukanis in der Tat auch für mich spannend, besonders hinsichtlich der Unlösbarkeit dieses Widerspruchs in der SU, speziell im Zusammenhang mit der 2. Revolution (also genau der Zeit, als Paschukanis seine Theorien ausgearbeitet hat) und Stalins Theorie von der sozialistischen Marktwirtschaft (»sozialistische Warenproduktion«). Man kann nicht alles gleichzeitig machen. Siehe auch das Zweite Kapitel [in KAPITAL I]im Zusammenhang mit meiner Kritik an der Behandlung desselben bei D[ieter].W[olf].: Verselbständigung der Ware usw. Hängt alles miteinander zusammen. Sich selbst ad absurdum führende Totalität des Kapitals und die verrückten Formen im Kapitel über das zinstragende Kapital in KAP III (aktuelle Illustration: die irischen Banker und ‚Doitschlend, Doitschlend ieber ollies‘). [2]

Schließlich schicke ich Dir eine Mail der Frankfurter Antideutschen vom Theorie Praxis Lokal weiter.[3]

Bemerkenswert, der letzte Satz ihrer Veranstaltungsankündigung: Die Unterentwicklung der revolutionären Theorie auf der ganzen Welt ist die erste Unterentwicklung, die jetzt überwunden werden muss.“ Vor einem Jahrzehnt habe ich bei denen einen Vortrag gehalten.[4] Alles dauert seine Zeit. Soweit erst mal,

Gruß

Ulrich

[1] Eugen Paschukanis: Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, Frankfurt/M. 1969.

[2] FAZ 29.06.2013 Der irische Filz und die Banker. Kungelei und Vetternwirtschaft macht Irlands Bankenskandal erst möglich. »Die jetzt bekannt gewordenen Telefonate stammen aus dem Herbst 2008… Zu hören ist unter anderem, wie ein Banker der damals angeschlagenen Großbank [Anglo Irish Bank] sich darüber lustig macht, daß deutsche Anleger seinem Konzern Einlagen anvertrauen und die historisch belastete erste Strophe der Nationalhymne anstimmt: „Deutschland, Deutschland, über alles“ singt der Manager ins Telefon und bricht in lautes Gelächter aus. Wiederholt spricht er von den „Verdammten Deutschen“.«

[3] Das Theorie Praxis Lokal macht in einer Mail vom 29.06.2013 auf die Diskussionsveranstaltung einer Gruppe von der Zeitschrift KOSMOPROLET (Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft) zu dem Thema Krise des Kapitals und Konfusion der Linken aufmerksam, von deren Ansichten sich selbiges Lokal in der Zwischenzeit getrennt hat. Der oben zitierte Satz scheint aber vom Theorie Praxis Lokal zu stammen und nicht unbedingt von besagter Gruppe.

[4] theoripraxislokal.org.


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Ulrich Knaudt an H.B. (05.07.2013)

Betreff: SOUVERÄNITÄT


Lieber H., Deinen Vorschlag, über diese Sendung zu debattieren, finde ich sehr gut. [1] Ich habe sie mir gestern angeschaut. Dein Erstaunen über die Ausführungen Schmitt-Enboms erstaunen mich aber ziemlich. Als Grundlage für unsere Debatte empfehle ich folgende Lektüre:

Das K[ommunistische]M[anifest] (MEW 4,479): die Passage: Die Arbeiter haben keine Nation

Den Begriff „Feindstaatenklausel“ in Wikipedia

2 + 4 Vertrag ebd.

Art. 80a GG (12.07.2012)

Über die Feindstaatenklausel fighten rechte Maoisten mit der Linken. Es geht um die Frage der Kontinuität des Deutschen Reiches (s. Link: Compact). Diese Position vertrete ich nicht. Ich gehe von der Republik aus, für die M[arx].u.E[ngels]. 1848 vergeblich gekämpft haben und statt [und auf Kosten] derer die Bourgeoisie sich mit der Reaktion auf das Bismarckreich und Österreich geeinigt hat, was schließlich zu dem vorhersehbaren Datum 8. Mai 1945 führen mußte. Das heutige Deutschland ist ein halb-souveräner Staat, der nur durch einen Friedensvertrag (was 2+4 nicht ist, sondern eine Verzichtserklärung der Besatzungsmächte) seine volle Souveränität gewinnen wird. Grundlage wäre nicht die Kontinuität des Deutschen Reiches von Bismarck bis Hitler, sondern die Deutsche Republik von M.u.E. Soweit erst mal. […]

Gruß Ulrich

[1] ZDF 04.07.2013 Maybritt Illner: Lizenz zum Abhören.

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H.B. an Ulrich Knaudt (24.06.2013)

Betreff: SOUVERÄNITÄT


Ich sagte, erstaunt war ich darüber, dass so was im Radio bzw. im Fernsehen kam, nicht mehr, nicht weniger
Deine Hinweise ansonsten ? ? ?

H.
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Ulrich Knaudt an H.B. (06.07.2013)

Betreff: SOUVERÄNITÄT


Lieber H., da wir beide ja wohl, wie ich annehmen kann, nicht an einer Medienkritik interessiert sind, halte ich die Hinweise schon für sinnvoll.

Wenn sie Dir bekannt oder sogar vertraut sind, um so besser. Dann bleibt aber immer noch ein Rest von Erstaunen auf meiner Seite, daß es Dich erstaunt, so was in den Staatsmedien präsentiert zu bekommen. Mich erstaunt das nicht, wenn man sich den Linksruck, der hier spätestens seit Fukushima durch die politische Landschaft gegangen ist, vor Augen führt. Da sich diese in toto auf die SED-PDS-Linke zubewegt hat (Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt…), bedarf es keines Linksputsches o.ä. durch den Wachhund Moskaus mehr, um die politische Landschaft in Deutschland in dieser Richtung zu verändern. ‚Deutschland bewegt sich‘ sua sponte ohne offizielle Aufforderung aus ‚Pankow‘. Kurz, auch das hat mich nicht sehr gewundert. Es bleibt eine Menge zu diskutieren.

Gruß Ulrich

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Ulrich Knaudt an H.B. (18.08.2013)

Betreff: DIE SOGENANNTE NATIONALE FRAGE


Wie gesagt, ich habe den Aufsatz in p[artei]M[arx] nach Zitaten für das diesjährige BLogbuch durchforstet und festgestellt, daß das meiste, was ich jetzt darin zur N[ationalen]F[rage] sagen will, bereits dort formuliert ist. [1] Ich empfehle besonders die Marx-Zitate zu studieren, weil daran deutlich wird, daß die gern verbreitete Mär, es hätte zu F.[riedrich]E.[ngels] tiefgreifende Differenzen gegeben, einfach Schrott sind. Auf diesem Gebiet hat sich besonders Rosdolsky hervorgetan, der sich durch F.E.s Einschätzung, die Ruthenen seien 1848 eine konterrevolutionäre Nationalität gewesen und hätten als solche auch so gehandelt, sich persönlich beleidigt fühlt und nicht nur aus diesem Grund (er ist Anhänger Trotzkis) M.[arx]u.E.[ngels] mehr oder weniger deutlich zu Nationalchauvinisten erklärt. [2] Da ist er mit Bakunin in bester Gesellschaft.

Auch das ist alles noch reichlich unausgearbeitet.

Nun zu Manfred Sohn: [3]

1. fand ich, daß sein Wertbegriff sich nicht von dem der Klassiker [der Nationalökonomie] unterscheidet: »Die wertbildende Substanz, die in jeder Ware, die wir konsumieren, enthalten ist, ist also lebendige menschliche Arbeit.« Aber:

a. konsumieren wir keine Waren, sondern ihren G[ebrauchs]Wert. Als Waren erwerben wir diesen auf dem Markt und werden dort mit ihrem Wert konfrontiert (WGW und nicht GWG = Kaufmannskapital bzw. Kauf von Arbeitskraft).

b. Wenn die GWerte aber Waren sind, die einen Wert haben, dann ist dessen Wertsubstanz abstrakt menschliche und nicht »lebendige menschliche« Arbeit.

Ergo: mit dieser Wert-Theorie läßt sich auch nicht die W[elt]W[irtschafts]K[rise] erklären, von deren Vorhandensein d.A. zumindest ausgeht.

2. Die Kompensationsmöglichkeiten zur Überwindung der Krise erklärt er wie Rosa L.[uxemburg] dadurch, daß immer neue Gebiete auf dem Globus erschlossen werden, geht aber nicht wie Marx von dem tendenziellen Fall der Profitrate aus als einem der Mehrwertproduktion immanenten Gesetz usw., sodaß sich das Kapital ständig neue Kompensationsmöglichkeiten ausdenken muß. Das ist auch der Grund, warum sich die »Lohnarbeit« verflüchtigt. Sie war dem Kapital in den südlichen Ländern schlicht zu teuer. Sie läßt sich nur wieder einfangen, wenn es dem Kapital gelingt, den absoluten und nicht nur den relativen Mehrwert zu erhöhen. Bei der Erhöhung des relativen Mehrwerts = Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit, tritt der Tendenzielle Fall [der Profitrate] usw. wiederum ein. Dieser vitiose Zirkel muß vom Kapital ständig durchbrochen werden. Und er wird durchbrochen z.B. durch Senkung der Löhne in Südeuropa, durch staatliche Subventionen in Nordeuropa, die Kapital und Arbeit ‚zugute kommen‘. Ob die Linke das einen Skandal nennt, oder was auch immer, ändert daran nichts. Der andere Weg wäre ein Weltkrieg. Aber davon hatte Europa im letzten Jahrhundert schon zwei. Sind wohl nicht scharf drauf.

3. Womit ich grundsätzlich politisch nicht übereinstimme, ist, den Bankrott der DDR etc. als »unsere große Niederlage« zu bezeichnen.

a. war diese unvermeidbar,

b. wurde der Bankrott der DDR durch eine Revolution auf den Begriff gebracht und dadurch vollendet, was eine gesellschaftliche Revolution ist.

c. ist, das Gegenteil zu behaupten, reaktionär.

All die farbigen Revolutionen in den ehemaligen ’sozialistischen Ländern‘ unterscheiden sich nicht von den arabischen Revolutionen. Siehe Syrien! Dort stehen Revolution und Konterrevolution einander gegenüber. Etwas Drittes, wie die Linke sich in die Tasche lügt, gibt es nicht.

Mit dieser Linken s.o. habe ich ein Problem. Seit der post-sowjetischen Annexion von Teilen Georgiens (Ossetien, Abchasien) steht sie für mich auf der anderen Seite der Barrikade, was d.A. mit seinem Eingeständnis bestätigt. (Dazu näher das neue BLogbuch) [4]

4. Auf dieser Grundlage wird der Versuch linker Politik, »die Lohnabhängigen als auch diejenigen gegen den Kapitalismus zu organisieren, die von ihm ausgespuckt und verachtet werden«, selbst zu einer konterrevolutionären Veranstaltung.

Ich weiß nicht mehr, warum ich Dir diesen Aufsatz geschickt habe. Vermutlich wegen den unhaltbaren Aussagen zur Werttheorie und dem Zusammenhang von WT und Politik (Der Linken).

Außerdem war mein Anliegen eher der Aufsatz über Gesell gewesen, aber an den komme ich nicht mehr ran als Nicht-Abonnent. [5] Vielleicht befand sich der Aufsatz von Sohn in irgendeinem Zusammenhang mit unserer Telebim-Debatte. Egal.

Es gibt noch was zur W[ert]T[heorie] zu sagen, nämlich über den Zusammenhang von WT und Kommunismus und vielleicht kommen wir uns an diesem Punkt wieder näher: der akademische Marxismus ist nach meiner heutigen Einschätzung grundsätzlich nicht gewillt und in der Lage, diesen Zusammenhang zu akzeptieren. Seine sämtlichen Theorien sind darauf gerichtet, diesen ungeschehen und ungesehen zu machen. Meiner Meinung [nach] ist der Kommunismus zwar nicht unmittelbar Voraussetzung meinetwegen der WT, aber er läuft ‚unterschwellig‘ mit. Wäre er die Voraussetzung, wäre das unwissenschaftlich.

Aber als Leitmotiv, das unmittelbar nicht thematisiert wird (oder nur selten, siehe 1. Kapitel: »stellen wir uns eine Assoziation freier gesellschaftlicher Produzenten vor« usw.), [6] ist der G[ebrauchswert]Wert oder konkret nützliche Arbeit (knA) nur in ihrem Widerspruch zum Wert bzw. zur a[bstrakt]m[enschlichen]A[rbeit] zu verstehen. Der akademische Marxismus muß sich nun Analysen ausdenken, die die Normalität des Kommunismus verglichen mit diesen verrückten Formen umgeht, ignoriert, negiert. So geht auch D.[ieter]W.[olf] vor. Aber dazu ist mir aufgefallen, daß sein Hauptfehler darin besteht, daß er die ersten Drei Kapitel auf dem Niveau von Zur Kritik… [der politischen Ökonomie] interpretiert, [7] wo K.M. den Wert[begriff] noch nicht entwickelt hat, sondern allein vom T[ausch]Wert ausgeht. Damit steht D.W. mit seiner Analyse auf dem äußerst linken Flügel des akademischen Marxismus, weil er Marx mit Marx interpretiert (wenn auch eingeschränkt auf eine frühe Fassung und letztlich verglichen mit 1872 falsch) [8] und nicht mit Hilfe irgendeines postmodernen Pillepalle. Andererseits überschreitet er [D.W.] diese Linie auch nicht, u.a., weil er vom akademischen Marxismus als einer der Ihren anerkannt werden möchte. Ich denke, an diesem Punkt müßten wir uns auf theoretischem Gebiet näher kommen.

Viele herzliche Grüße und alles Gute

Ulrich

P.S. Bücher über China: Standardwerk der Politologen ist: J. Gernet: Die Chinesische Welt (1988).

Sehr kulturalistisch und nur zu empfehlen, wenn sich jemand richtig in das Thema reinknien will. Ich habe kürzlich gelesen: F. Sieren: Der China Code. Wie das boomende Reich der Mitte Deutschland verändert. Befindet sich auf SPIEGEL-Niveau, sozusagen vom BRD-Standpunkt aus geschrieben. Von dem Autor gibt es weitere Bücher. Ist auf jeden Fall einigermaßen informiert. Es gibt noch ein China-Buch von Domenico Losurdo. [9] Reiner DKP-Standpunkt. Für Einsteiger nicht zu empfehlen.

[1] parteimarx.org STREITPUNKTE STREITPUNKT 1 Warum Lenins letzter Kampf gegen den linken Sozialimperialismus nicht zu gewinnen war.
[2] Roman Rosdolsky: Zur nationalen Frage. Friedrich Engels und das Problem der „geschichtslosen Völker“, Berlin 1979.
[3] Neues Deutschland 06.08.2013 Manfred Sohn: Vor dem Epochenbruch. Warum die gegenwärtige Krise keine normale ist und was das für die Linke heißt.
[4] parteimarx.org BLogbuch 1 2013 Die sogenannte nationale Frage und der Kommunismus.
[5] Neues Deutschland 22.-23.06.2013 „Rostendes“ Geld als Ausweg? In der Krise feiern die Ideen von Silvio Gesell auch unter Linken fröhliche Urständ.
[6] Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie Bd. I. MEW 23, 92f.
[7] Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie MEW 13 (7-160).

[8] Gemeint ist die 2. Auflage von [6], die gerade in den ersten drei Kapiteln einige gravierende Änderungen gegenüber der Erstauflage von 1867 enthält.
[9] Domenico Losurdo: Die Linke, Chiina und der Imperialismus, Essen 2000.

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Ulrich Knaudt an H.B. (19.08.2013)

Betreff: krisis


Lieber H., Zu der Einladung der krisis-Gruppe. [1] Ich wäre zwar fürchterlich gerne ins Weserbergland gefahren, weil ich an der Oberwesen meine frühe Kindheit verbracht habe und diese Gegend mal wieder genossen hätte. Aber ich weiß nicht, was ich mit den krisis-Leuten diskutieren soll. Das was sie vortragen wollen, erscheint auf ihrer home page als nächste Nummer ihrer Zeitschrift. Wozu dann noch den Originalton? Wenn Du hingefahren wärst, hätten wir uns mal wieder sehen können, aber das könnten wir auch ohne krisis tun, wenn wir es wollten und die Zeit hätten. Also erst mal nix krisis. Vom kürzlich verstorbenen R. Kurz kenne ich nur die Hausschweinisierung der Arbeiterklasse und das hat mir gereicht.

Ich schicke Dir was zur Frage Kleinbauern – Mittelbauern aus der FAZ und einen Aufsatz von Sohn aus dem ND. [2] Bemerkenswert seine Bestimmung des Werts: »…die wertbildende Substanz, die in jeder Ware, die wir konsumieren, enthalten ist, ist also lebendige menschliche Arbeit.« Das ist noch nicht mal ein versimpelter Adam Smith, ganz abgesehen davon, daß er von der Bildung der Substanz des Werts aus der abstrakt menschlichen Arbeit – etwas verkürzt dargestellt, noch nie was gehört zu haben scheint. Daran sehen wir, wie wichtig der ganze Streit um [die] Werttheorie für die Einschätzung der W[elt]W[irtschafts]K[rise] ist und für die Frage, wie mit ihr umzugehen ist. Wachstum wird bei Sohn im geographischen oder geopolitischen Sinne verstanden, nähert sich also der Geopolitik aus der Zeit vor dem 1. W[elt]K[rieg], usw. Ziemlich übler stuff. Ich wollte Dir noch einen Aufsatz über Silvio Gesell aus dem ND vom 22./23.06.2013 schicken: „Rostendes“ Geld als Ausweg. [3] Aber um da ran zu kommen, hat es erst mal nicht mit der Registrierung auf der ND-Seite geklappt […] Ansonsten solltest Du bei großem Interesse es mal selbst probieren. Der Kritik an Gesell würde ich zunächst zustimmen. Dann aber heißt es abschließend: »Letzter Krisengrund ist nicht [wie bei Gesell] der Zins, sondern die ungleiche Verteilung des Eigentums, aus der die Ungleichheit der Einkommen und des Vermögens resultiert.« Damit sind wir vom Regen kleinbürgerlicher Geld- und Zinsillusionen in die Traufe sozialer Gleichheitsillusionen à la Rousseau gekommen.

Soweit erst mal.

Viele Grüße

Ulrich


[1] krisis. Kritik der warengesellschaft ist laut Internetauftritt „ein Zusammenschluß von theoretisch

arbeitenden Einzelpersonen und Gruppen, die sich der Reformulierung einer radikalen Kapitalismuskritik jenseits des traditionellen Marxismus verschrieben haben“.

[2] Siehe Ulrich Knaudt an H.B. (18.08.2013) Fn. 3.

[3]Neues Deutschland 22.-23.06.2013 „Rostendes“ Geld als Ausweg? In der Krise feiern die Ideen von Silvio Gesell auch unter Linken fröhliche Urständ.

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Ulrich Knaudt an Gegen die Strömung (23.09.2013)


Hallo (ehemaliges) Buchladen-Kollektiv,

[…]
Ich hatte eigentlich vor, mein lang gehegtes Versprechen, mal etwas zu Eurer ‚Religion‘sbroschüre zu schreiben, endlich einzulösen. [1] Außerdem lagen mir die Ausgaben von GdS 9-10/12 bis GdS 7-8/13 vor, die ich parallel dazu der Reihe nach studiert habe. [2] Die Einhaltung dieser Reihenfolge war allerdings ein Fehler; denn hätte ich GdS 7-8/13 als erste genauer studiert, hätte sich die Frage, die es nun zu entscheiden gilt, von vornherein gestellt: nämlich welchen Sinn es nach der Lektüre dieser GdS-Ausgabe noch gemacht hätte, über die vorangehenden zu debattieren, in denen, wie ich meine, noch einiges Diskussionswürdige zu finden ist, bzw. war. Denn, wenn Ihr den in GdS 7-8/13 eingeschlagenen Kurs ungebrochen fortsetzt, wird es nichts mehr geben, worüber es sich noch zu diskutieren lohnt. Was ich wie gesagt höchst bedauerlich fände.

Auf den Punkt gebracht, stimme ich mit der von Euch ohne erkennbare Kritik Eurerseits wiedergegebenen Forderung von Asylsuchenden nach der »Anerkennung aller Asylbewerberinnen als politische Flüchtlinge« (Erklärung der Protestbewegung… vom 13.10.2012, GdS 7-8/13, 6) absolut nicht überein. Damit habt Ihr Euch politisch (auf der Seite der Barbarei!) an die vorderste Front des in der Weltwirtschaftskrise schon seit längerem (spätestens seit 9/11) zwischen Zivilisation und Barbarei stattfindenden Weltbürgerkrieges katapultiert, worin der von der Welt-Bourgeoisie auf andere Weise nicht lösbare Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital seinen Ausdruck findet. Offen zum Ausbruch gekommen ist dieser Weltbürgerkrieg bereits in Syrien, den Ihr in keiner der mir vorliegenden Ausgaben der Erwähnung wert findet – einen Satz ausgenommen, und der hat es dann auch gleich in sich, wenn es unter »Zur Problematik der Forderung ‚Asylrecht für alle‘…« (GdS 7-8/13, 7[Kasten]) heißt: »Reaktionäre aller Länder versuchten und versuchen immer noch mit Berufung auf Artikel 16 [GG] „Asyl“ zu bekommen, zumeist mit großem Erfolg – im Gegensatz zu den vom Imperialismus Verfolgten. Aktuell geht es z.B. um Offiziere des reaktionären syrischen Staats, die dem Assad-Regime den Rücken kehren, weil es am Untergehen ist, oder um reaktionäre und faschistische Kräfte aus Afghanistan oder aus dem Irak.«

Dazu ist folgendes festzustellen:

1. Nicht wenige jener »Offiziere des reaktionären syrischen Staats« haben diesem Staat auch deshalb den Rücken gekehrt, weil sie nicht mehr bereit sind, sich bei den in Syrien stattfindenden internationalen Verbrechen »des reaktionären syrischen Staats« an der Zivilbevölkerung zu dessen Werkzeug oder Komplizen machen zu lassen. Weder diese Verbrechen noch der Widerstand innerhalb der syrischen Armee und in der syrischen Bevölkerung sind für Euch, die obige flapsige Bemerkung ausgenommen, der Erwähnung wert. Wenn man diesen Satz genauer liest, dann sind offenbar alle Offiziere, die dem Regime den Rücken kehren, durch die Bank nicht besser oder schlechter als der »reaktionäre syrische Staat« selbst. Dadurch werden diese Verbrechen in gewisse Weiser relativiert, worin Ihr Euch von der übrigen gesamtdeutschen Linken nur dadurch unterscheidet, daß Ihr zu den über hunderttausend Toten und 2 Millionen Flüchtlingen grundsätzlich überhaupt nichts sagt, während die übrige Linke sich zumindest ‚offen und ehrlich‘ gemeinsam mit Putin zu ihrer Unterstützerposition für das baathistische (= ‚sozialistische‘) Syrien (= Assad-Regime) bekannt hat. Wir leben zwar nicht in Syrien, aber politisch sollte es auch hier zwischen Pro-Assad und Anti-Assad keinen Dritten Weg geben, so wenig wie einst zwischen Hitler und der Anti-Hitler-Koalition. (Dies gilt auch für die sog. Islamisten, die wohl in nicht geringem Maße und im Auftrag des mukhabarat die Aufstandsbewegung infiltriert haben.) Darüber geht Ihr (mit einer gehörigen Ignoranz) sogar noch noch einen Schritt hinaus, wenn Ihr Euch

2. anmaßt, über die Berechtigung von Asylgründen, eine politische Entscheidung verlangen zu müssen, die die Bourgeoisie nach dem bürgerlichen Recht (wozu das internationale Recht gehört) für gewöhnlich zu fällen hat. Diese politische Anmaßung halte ich für höchst fragwürdig. Meine nähere politische Begründung dafür könnt Ihr, müßt Ihr aber nicht, im BLogbuch 1-2013 nachlesen. [3] Ergänzend dazu nur ein Satz: das bürgerliche Recht hat in der Zeit zwischen 1933 und 1945 die Teile der politisch verfolgten Zivilbevölkerung, die sich vor der Hitler-Barbarei unter dessen Schutz begeben konnten, vor unmittelbarer Verfolgung und Ausrottung bewahrt. Wenn Ihr heute in einer meiner Einschätzung nach vergleichbaren Situation der Zivilbevölkerung (vordringlich derjenigen auf dem asiatischen Kontinent und in Teilen des Mittleren Ostens) das »Asylrecht für alle« durch Euer politisches Asylrecht beschneiden wollt, dessen politische Kriterien überdies (aber darauf kommt es eigentlich gar nicht an) keinen klaren Trennungsstrich zur ‚linken‘ Barbarei à la Assad ziehen, macht Ihr Euch nicht anders als Die Linke objektiv zum Komplizen dieser Barbarei.

3. Und wenn in letzter Zeit ‚linke‘ Asylsuchende aus jenen Regionen ein politisches Asylrecht für sich gefordert haben, was bedeutet, daß sie das von der Zivilbevölkerung zu ihrem Schutz existierende internationale Recht nach ihren politischen Vorstellungen eingeschränkt sehen wollen, indem sie es ‚anti-imperialistisch‘ politisieren, mag das von ihrer verzweifelten Situation aus betrachtet verständlich erscheinen, muß aber nicht unbedingt von Leuten, die sich Kommunisten nennen, auch in diesem Sinne politisch nachvollzogen werden. (Den alten Trick, sich durch die Erzeugung von politischen Nachfluchtgründen in Gestalt von spektakulären Pseudo-Aktionen die Duldung in Deutschland zu erschleichen, einmal außen vor gelassen, die ich hier gar nicht von vornherein unterstellen würde.) Das bürgerliche Recht unterscheidet nicht zwischen reaktionären und ‚anti-imperialistischen‘ Asylsuchenden, sondern lediglich zwischen begründeten und unbegründeten Anträgen auf Asyl. (Wie es umgekehrt im Sozialismus [eine] ‚sozialistische Ware‘ geben kann, wovon Stalin ausgegangen ist. Eine Ware bleibt eine Ware, egal, ob sie kapitalistisch oder ‚sozialistisch‘ ist. Im ersten Stadium des Kommunismus sollte es aber überhaupt keine Waren mehr geben!) Ein Asylgrund liegt nach internationalem Recht dann vor, wenn in einem Staat wegen der Diskriminierung von bestimmten Teilen der Zivilbevölkerung für diese eine Bedrohung von Leib und Leben besteht. Nicht mehr und nicht weniger. Übrigens hat bereits Marx das (sehr viel liberaler praktizierte) Asylrecht Großbritanniens für sich in Anspruch genommen, ohne daß er sich darauf versteift hätte, dieses nur unter bestimmten politischen Bedingungen, also daß z.B. die britische Bourgeoisie die Diktatur des Proletariats anerkennt, in Anspruch nehmen zu wollen. Darin unterschied sich seine Lage übrigens nicht von derjenigen Bakunins, auch wenn dieser die Staatlichkeit eines jeden Staates, auch desjenigen, der ihm Asyl gewährte, politisch nicht anerkannte, was eigentlich nur als politische Marotte zu bezeichnen ist. Dem Kapital ist das Ansehen, Aussehen, die Herkunft, Religion etc. der Käufer seiner Waren egal. In diesem Sinne entspricht das Asylrecht der ‚Freiheit der Meere‘ und des Welthandels. Und diese ‚Freiheit‘ sollten Kommunisten, die das Manifest ernst nehmen, nicht über Bord werfen, nur weil sie vornehmlich dem Kapital nützt und von diesem weidlich ausgebeutet wird.

4. Eure Strömung habe ich zwar auch nie ganz frei von derartigen politischen Marotten gesehen, ihr aber wegen ihrer starken Betonung von Marx und des Kommunistischen Manifests immer noch eine gewisse Lernfähigkeit unterstellt. Die Hoffnung darauf ist mit GdS 7-8/13 leider fast auf Null gesunken und wird sich ganz in Luft auflösen, solltet Ihr nicht über diesen vorläufigen Endpunkt einer fatalen Entwicklung selbst anfangen nachzudenken, die in den von mir studierten Texten [in GdS] allerdings bereits angelegt ist. So viel vorerst dazu.

Die Entscheidung zwischen Revolution und Konterrevolution fällt heute mit der Unterscheidung zwischen (bürgerlicher) Zivilisation und (‚linker‘) Barbarei, wie sie momentan zwischen Beijing und Damaskus über Moskau und Teheran auf dem Vormarsch ist.

Ernst-Ulrich Knaudt

[1] Autorenkollektiv: Religion. Opium für das Volk, Offenbach 2006.

[2] Gegen die Strömung. Organ für den Aufbau der Revolutionären Kommunistischen Partei.

[3] parteimarx.org BLogbuch 1 2013: Eine offene Antwort an einen (ungenannt bleiben müssenden)

(Zeit-)Genossen.

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Ulrich Knaudt an H.B. (20.10.2013)

Betreff: MASCH


Lieber H., Du wirst wahrscheinlich auch von N. die Einladung zur MASCH-Konferenz [1] bekommen haben. Ich sagte schon am Telefon, daß ich nicht hinfahre, weil sie mir zu DKP-lastig ist. Diese Initiative war eigentlich nie was anderes als eine DKP-Veranstaltung. Bei der Durchsicht der Einladung fiel mir auf, erstens, daß der Mentor dieser Veranstaltung unser alter Bekannter H.H.[arbach] ist. Da stellt sich mir, zweitens, die Frage, warum D.[ieter]W.[olf] dort nicht als Referent auftaucht, der in H.H.s Buch doch als spiritus rector für seine seltsamen Thesen über den Realen Sozialismus geführt wird. Liegt das daran, daß D.W. nichts Neues auf der Pfanne hat (kann ich mir nicht vorstellen, da er bisher jede Gelegenheit genutzt hat, um eine weitere Variation seiner Interpretationen der W[ert]T[heorie] zum Besten zu geben) oder ob es noch andere Gründe dafür gibt.

Alles Gute

Ulrich

P.S. […] Am Schluß ist immer die DKP als Absahner dagewesen. Vgl. damit N.s dringenden Aufruf für die Herbstschule. Hätten sie alles auch anders haben können.

[1] Marxistisches Abendschule Hamburg. Tagung 15.-17.11.2013 Aufhebung des Kapitalismus – die Ökonomie einer Übergangsgesellschaft.

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Ulrich Knaudt an P.T. (01.12.2013)


Lieber P.,

Es war sehr klug und richtig, nicht am Do zu der Veranstaltung zu kommen. [1] Es hätte sich nicht gelohnt. Dagegen war Syrien eine Woche zuvor sehr substantiell.

Nachdem ich zwei Veranstaltungen von den Anti-Deutschen erlebt habe, ergibt sich der, wenn auch nicht vollständige, Eindruck, daß auch diese Gruppierung mit den allgemein verbreiteten Substanzverlusten zu kämpfen hat, u.a. auch deshalb, weil sie nicht aus dem akademischen Getto herauskommt, bzw. auch gar nicht mehr rauskommen will.

Der Titel des Vortrags stützt sich auf den Titel des Buches von Paul Massing: Rehearsal for Destruction, als Bd. 4 der Studies in Prejudice, NY 1950. Das hätte dem dummen Menschen vielleicht vorher gesagt werden sollen. Da das offenbar allen im Saal außer mir bekannt zu sein schien, muß ich wohl der Dümmste im Auditorium gewesen sein. Ich hatte noch nicht mal den Namen d.A.s jemals gehört. Es war also eine reine Insider-Veranstaltung, die auch von der Menge der Zuhörer her bequem in irgendeinem Wohnzimmer hätte stattfinden können.

D.A. betrachtet seinen Vortrag als Beitrag zur ‚Vorurteilsforschung‘. Er zitiert Horkheimers Vorwort zu dem o.a. Band, worin er sich dagegen wendet, die Ableitung des Antisemitismus aus den ‚Mythen der Nationalstaaten‘ zu beziehen, getreu dem gleichlautenden Statement von Adorno, daß die Geschichte des deutschen Antisemitismus nicht in den Grenzen des Nationalstaates zu deuten sei. (Natürlich nicht! Aber jede auf dem Weltmarkt vertretene Bourgeoisie interpretiert diese Grenzen auf ihre Weise!) Eben dadurch eröffnet sich für den Referenten ein Dilemma, wenn er den anti-gelben deutschen Rassismus auf den Rassismus überhaupt, den Holocaust, beziehen will.

Sein Hauptanliegen bestand darin, den antichinesischen Rassismus, wie er auch in Deutschland vor dem 1. W[elt]K[krieg] aufgetreten sei, als Vorübung (rehearsal) für den Holocaust zu deuten. Aber außer einigen alldeutschen Winkelliteraten waren die Gewährsleute, die er als Beweis für die angeblich bedeutende Rolle dieser Strömung aufzubieten hatte, dürftig. So etwa das Buch eines Stephan von Kotze (»nomen est omen« – allgemeines Gelächter im Saal!) mit dem Titel Die Gelbe Gefahr. Um es kurz zu machen: der Referent konnte nicht umhin, die Hauptströmung des Anti-Sinismus nicht in Deutschland, sondern den USA festzumachen, wo 1882 das Chinese Exclusion Act alle chinesischen Arbeiter (»orientals«) von der Einwanderung ausschloß und das 10 Jahre später erneuert wurde. Ein solches Gesetz gab es zu selben Zeit in Deutschland nicht. In den entsprechenden Publikationen wurden die Gelben, Slawen und Juden ‚lediglich‘ als Menschen, die ‚jedes höheren Lebenszieles bar‘ seien, charakterisiert und die kommerzielle Gewandtheit der Chinesen als ‚gefährlich‘ hervorgehoben. Das war‘s auch schon.

Der Referent konnte auch nicht den Unterschied zwischen dem Antisemitismus im allgemeinen und dem Rassismus der 90er Jahre [d. 19. Jhts], auf die er sich i.w. bezog, erklären. Während für mich der Antisemitismus, grob gesagt, gegen den jüdischen Bankier, der dem nationalen Handwerker den gewünschten Kredit verweigert, bereits in der Zeit Proudhons auftaucht, war der von der ‚Gelben Gefahr‘ sich nährende Rassismus das Produkt des Ringens der (imperialistischen) Kolonialmächte am Vorabend des 1. W[elt]K[rieg]s in ihrem Kampf um die nationalen Vorposten in der ‚Dritten Welt‘, so auch in China und diente der Weckung des Interesses der deutschen (aber nicht nur deutschen!) Arbeiter an der Weltmachtpolitik ihrer Bourgeoisie in den Kolonien.

Nicht mal zu solch einer schlichten historischen Erklärung des Unterschieds zwischen Antisemitismus und Rassismus in ihren jeweiligen Entstehungszusammenhängen war dieser Vorurteilsforscher in der Lage. Für ihn zählt nur was die Leute denken, nicht was sie sind.

An diesem Idealismus zeigt sich für mich das ganze Dilemma der linken Sozialwissenschaft, die Frankfurter Schule eingeschlossen (trotz des unerreichbaren Tiefgangs und der Universalität der Reflexionen letzterer). Ganz abgesehen davon, daß eine weitere Form dieses kolonialen Rassismus in der keineswegs vorurteilslosen Welt jenes Vorurteilsforschers offenbar keinen Platz findet (denn sie ist ja nicht ‚typisch deutsch‘): der Zionismus. Vielleicht wird es ja eine Tages Parteigänger der Partei Marx in Israel geben, die den Anti-Arabismus als eben solch eine Form des Rassismus untersuchen werden, über den der Referent insgesamt nur unzureichend Auskunft geben konnte.

Aber das kann mir heute auch egal sein.

Schließlich bleibt für mich unerfindlich, warum diese Veranstaltungen noch unter dem Label ‚Rote Ruhr Uni‘ laufen. Aber vielleicht kann mir das irgendwann mal jemand historisch materialistisch erklären […]

Viele Grüße

Ulrich

[1] Rote Ruhr Uni 14.11.2013 Florian Hessel: (Another) Rehearsel for Destruction.

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